#9 Live-Special: Die Novemberpogrome 1938 in Hamburg
Shownotes
Am 9. November 2023, dem 85. Jahrestag der Novemberpogrome, haben wir mit einem FCSP-Geschichte(n)-Live-Special im FC St. Pauli-Museum an betroffene jüdische Sportler*innen aus St. Pauli erinnert.
Mit Hilfe von Zeitzeug*innen-Stimmen geben wir im ersten Teil der Folge einen Überblick über die antisemitischen Ausschreitungen in Hamburg am 9. und 10. November 1938. Anschließend stellen wir verschiedene Biografien ehemaliger Vereinsmitglieder im Detail vor.
Bücher und Quellen zum Thema:
"Mit Deutschem Sportgruß" Der FC St. Pauli im Nationalsozialismus
"…bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden im April 1933."
E-Paper: "Fußball. Flucht. Exil." Der Katalog zur Ausstellung
Moses Goldschmidt, Mein Leben als Jude in Deutschland 1873-1939
Memoirs of Julius Gramm regarding his experiences and those of his Christian wife in Hamburg
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00:00:06:
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00:00:19:
00:00:23: Ja, schön, dass Ihr alle da seid.
00:00:28: Ich werde einmal ganz kurz die Worte zu dem Abend verlieren,
00:00:32: zum Ablauf, und zwar es ist, wie Ihr sehen könnt, ein Live
00:00:36: Special. Das heißt wir zeichnen unseren Podcast FCSP Geschichte(n) auf.
00:00:40: Den habt Ihr vielleicht schon mal gehört.
00:00:44: Wir behandeln alles, was skurril, ernst, lustig an diesem
00:00:48: Verein ist, schlecht. Wir sind für alle Geschichten offen.
00:00:53: Genau. Wir zeichnen das auf.
00:00:57: Wir haben den Abend heute in zwei Teile geteilt.
00:01:02: Und im ersten Teil beschäftigen wir uns
00:01:06: mit den Novemberpogromen im Deutschen Reich 1938 und
00:01:09: versuchen uns natürlich auch auf Hamburg zu
00:01:12: fokussieren, dann gibt es eine kleine Pause. Ihr könnt Fragen
00:01:15: stellen, wenn Ihr das wollt, dann könnt Ihr Euch gerne
00:01:18: melden, wir haben dann ein Hand-Mikrofon und dann
00:01:21: falls irgendwelche Fragen auftauchen und im zweiten Teil
00:01:25: werden wir euch drei Biografien von Sportler*innen vorstellen, die
00:01:32: beim entweder St. Pauli Turnverein oder FC St.
00:01:36: Pauli Mitglied waren und direkt betroffen waren von den
00:01:39: Novemberpogromen, werden deren Biografie ein bisschen Euch
00:01:43: versuchen näher zu bringen und auch dann danach könnt Ihr gerne
00:01:47: noch Fragen stellen. Wir versuchen das ein bisschen ja
00:01:50: zusammenzuführen, dass wir Euch auch ein bisschen ein
00:01:54: Gefühl dafür geben, wir wollen uns nicht nur mit den
00:01:57: Novemberpogromen beschäftigen, sondern auch mit dem jüdischen
00:02:01: Leben davor und auch das jüdische Leben vor '33, das ist
00:02:04: uns sehr wichtig.
00:02:06: Und deshalb haben wir uns auch entschieden, einfach die
00:02:08: Biografien auch vollumfänglich zu erzählen und nicht nur, was bei
00:02:11: den Novemberpogromen diesen Menschen widerfahren ist.
00:02:14: Genau. Und wenn Ihr wie gesagt Fragen habt, gerne entweder nach
00:02:19: dem ersten Teil, das sage ich dann noch mal an oder nach dem
00:02:23: Biografie-Teil.
00:02:25: Ja, wir können vielleicht kurz sagen, wer hier ist. Ach richtig.
00:02:29: Normalerweise fängt unser
00:02:33: Podcast an mit einer Vorstellung, also mein Name ist
00:02:36: Christopher.
00:02:38: Ich bin Celina. Ich bin Thomas. Genau, normalerweise sind wir zu
00:02:41: viert. Christoph Nagel, unser Kurator, ist auch dabei,
00:02:45: manchmal auch in wechselnder Besetzung, aber ja schön, dass
00:02:48: Ihr da seid. Zum ersten Live Special des FCSP-
00:02:51: Podcasts.
00:02:53: Einmal noch ein paar Worte vorweg. Wenn wir heute den
00:02:57: Novemberpogrom von 1938 gedenken, geschieht dies in
00:03:01: einer Zeit, in der Antisemitismus wieder
00:03:03: Hochkonjunktur hat. Stolpersteine werden geschändet,
00:03:06: auf Demos werden antisemitische Parolen skandiert. Wohnhäuser,
00:03:10: in denen jüdische Menschen leben, werden mit Davidstern
00:03:14: markiert und auf Social Media explodiert antisemitische Hetze
00:03:18: in einem bisher ungeahnten Ausmaß.
00:03:21: Jüdische Einrichtungen wie Gemeindezentren, Synagogen und
00:03:24: Krankenhäuser werden angegriffen und viele Menschen haben zu
00:03:27: recht Angst.
00:03:28: Jüdinnen*Juden fühlen sich in Deutschland aktuell noch
00:03:31: unsicherer als sonst.
00:03:33: Eltern trauen sich nicht, ihre Kinder in Kitas und Schulen zu
00:03:36: schicken. Restaurants und Läden bleiben vielerorts geschlossen.
00:03:40: 85 Jahre nach den Novemberpogromen.
00:03:44: Gerade einmal 78 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.
00:03:48: Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.
00:03:53: Antisemitismus ist kein importiertes Problem.
00:03:55: Antisemitismus war immer Teil der deutschen Gesellschaft,
00:03:59: Antisemitismus war nie weg und die Kontinuitäten zu benennen
00:04:03: und zu analysieren ist heute wichtiger denn je.
00:04:13: Genau. Und da nochmal kurz dazu.
00:04:16: Ursprünglich hatten wir einen anderen Vortrag geplant. Von einer
00:04:19: Referentin, die ist leider krank geworden, deshalb haben wir uns
00:04:22: dann dazu entschieden, das jetzt hier auf die Beine zu stellen.
00:04:26: Wenn wir manchmal ein bisschen noch fremdeln vor so vielen
00:04:30: Menschen zu sprechen, dann seht es uns nach.
00:04:33: Und genau, ich würde gerne jetzt an Thomas übergeben und zwar,
00:04:37: dass Du uns ein bisschen eine Übersicht gibst. Ja genau, also wir
00:04:41: sprechen ja über die sogenannte Reichspogromnacht 1938 und
00:04:44: früher ja ganz gerne, in Anführungsstrichen, genannt eben
00:04:48: auch "Reichskristallnacht". Diese Begrifflichkeiten, da kommen wir nachher
00:04:52: nochmal drauf zurück. Jedenfalls diese Nacht oder diese Tage
00:04:55: bildeten dann den Auftakt für den systematischen Völkermord an
00:04:59: den europäischen Juden, sie markierten den Punkt, an dem die
00:05:03: über die vorhergehenden Jahre immer mehr ausgeweitete
00:05:06: Ausgrenzung in offenen Terror umgeschlagen ist.
00:05:10: In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und auch noch am Tag
00:05:14: des 10. brennen überall in Deutschland und auch Österreich
00:05:17: insgesamt etwa wohl 1.400 Synagogen
00:05:20: und jüdische Gemeindeeinrichtungen.
00:05:23: Schlägertrupps von SS und SA verprügeln, demütigen, ermorden
00:05:27: Jüdinnen und Juden auf offener Straße, Wohnungen und Geschäfte
00:05:31: werden verwüstet.
00:05:33: Auch geplündert, obwohl das eigentlich, in Anführungsstrichen,
00:05:36: untersagt war. Zehntausende Menschen werden verhaftet und in
00:05:39: Gefängnisse und Konzentrationslager verschleppt,
00:05:42: viele von denen kamen dort infolge von körperlichen,
00:05:45: psychischen Schikanen, Medikamentenentzug und anderen
00:05:48: Misshandlungen um.
00:05:50: Und auch im Anschluss an diese Pogromtage wurden fast
00:05:54: alle jüdischen Organisationen aufgelöst, die es bis dahin noch
00:05:58: gab. Und auch die jüdische Presse verboten. Der Anlass,
00:06:03: der sogenannte Anlass kann man auch eher sagen, war ein
00:06:06: Attentat
00:06:08: auf einen deutschen Diplomaten in Paris. Der 17-jährige aus
00:06:12: Hannover stammende polnische Staatsbürger Herschel Grynszpan,
00:06:15: soll zwei Tage zuvor, also am 7. November, in Paris den deutschen
00:06:19: Diplomaten Ernst vom Rath erschossen haben. Aus
00:06:22: Verzweiflung über die Zwangsdeportationen seiner
00:06:24: Familie im Rahmen der sogenannten "Polenaktion". Nur mal
00:06:28: ganz, ganz kurz als Erklärung, was das bedeutet. Etwa 17.000 aus
00:06:31: Polen eingewanderte Jüdinnen und Juden wurden aus dem Deutschen
00:06:35: Reich ausgewiesen und an die polnische Grenze transportiert.
00:06:39: Diese Abschiebung kam vollkommen überraschend für die
00:06:42: Betroffenen, erfolgte auch in vielen Fällen sehr gewaltsam.
00:06:46: Und dazu gehörte eben in dem Fall auch die Familie von Grynszpan.
00:06:50: Noch am Abend des 7. November hat Propagandaminister
00:06:53: Goebbels über die zentrale Agentur damals, "Deutsches
00:06:56: Nachrichtenbüro" hieß das, die deutschen Zeitungen angewiesen,
00:07:00: das Attentat prominent auf den Titelseiten zu bringen,
00:07:04: also schon mal das auf jeden Fall prominent auszuspielen
00:07:08: über die Zeitungen. Man schien also nur gewartet zu haben auf einen
00:07:11: ähnlichen und solchen Anlass. Ernst vom Rath ist zunächst nur
00:07:15: verwundet, er stirbt erst am Nachmittag des 9.
00:07:18: November in einem französischen Krankenhaus
00:07:22: unter der Aufsicht von Hitlers Begleitarzt. Einige Indizien aus
00:07:26: neueren Recherchen deuten darauf hin, dass vom Rath eventuell auch
00:07:30: nicht seinen Verletzungen erlegen ist, sondern auf Geheiß
00:07:34: Hitlers ermordet wurde. Bereits wenige Stunden nach vom Raths Tod
00:07:38: wird im Münchener Alten Rathaus der Befehl zum Losschlagen
00:07:42: erteilt, denn dort sind Gauleiter und NSDAP-Funktionäre
00:07:45: versammelt, um den Jahrestag des gescheiterten Hitler-Putsches
00:07:49: von 1923 zu feiern. Gegen 10 Uhr abends ergreift Goebbels das
00:07:53: Wort und erklärt,
00:07:56: Herschel Grynszpan sei ein, Zitat, "Agent der jüdischen
00:07:59: Weltverschwörung" und behauptet außerdem, dass es in Teilen des
00:08:03: Deutschen Reiches bereits zu spontanen Aktionen gegen "die
00:08:07: Juden" gekommen sei. Und er spricht, Zitat, von "berechtigter
00:08:11: Empörung".
00:08:14: Ja, und wenn man sich die Presse der Tage anguckt, also wo ja eh in
00:08:18: den meisten Zeitungen das Gleiche steht zu der Zeit, aber
00:08:21: auf jeden Fall ist die Wortwahl da auch wirklich aus heutiger Sicht
00:08:25: sehr erschreckend, also auch die sehr geheuchelten,
00:08:28: also es wird natürlich kein Plündern
00:08:31: betrieben, es wird alles getan um nur Sachwerte sozusagen zu
00:08:35: zerstören und so weiter. Also das ist alles sehr, sehr
00:08:39: erschreckend zu lesen aus heutiger Sicht. Entlang der NS-
00:08:42: Befehlskette wird dann dieser Aufruf zur Gewalt
00:08:46: nach unten weitergegeben, mit konkreten Anweisungen auch für
00:08:49: die Inszenierung. Und wir haben da mal eins ausgewählt, ein
00:08:53: Telegramm der SA-Stelle Nordsee, das hat Celina jetzt vor sich. Ja.
00:08:58: Also aus diesem Telegramm: "Sämtliche jüdische Geschäfte
00:09:01: sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. Nach der
00:09:05: Zerstörung hat eine SA-Wache aufzuziehen,
00:09:09: die dafür zu sorgen hat, dass keinerlei Wertgegenstände
00:09:12: entwendet werden können. Die Presse ist heranzuziehen.
00:09:15: Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken, jüdische
00:09:19: Symbole sind sicherzustellen, die Feuerwehr darf nicht
00:09:22: eingreifen. Es sind nur Wohnhäuser arischer Deutscher zu
00:09:26: schützen, allerdings müssen die Juden raus, da Arier in den
00:09:29: nächsten Tagen dort einziehen werden. Der Führer wünscht, dass
00:09:33: die Polizei nicht eingreift.
00:09:35: Sämtliche Juden sind zu entwaffnen, bei Widerstand
00:09:38: sofort über den Haufen schießen.
00:09:41: An den zerstörten jüdischen Geschäften, Synagogen und so
00:09:44: weiter sind Schilder anzubringen mit etwa folgendem Text:
00:09:48: "Rache für den Mord an vom Rath. Tod dem internationalen
00:09:51: Judentum, keine Verständigung mit Völkern, die judenhörig
00:09:55: sind"."
00:09:57: Ja, also spontaner Volkszorn sieht anders aus. Die Novemberpogrome
00:10:01: waren eindeutig von oben angeordnet und auch
00:10:05: orchestriert.
00:10:06: Was aber nicht heißt, dass es Widerstand in der Bevölkerung
00:10:10: gab.
00:10:11: Im Gegenteil, die Schlägertrupps von SA und SS wurden an den
00:10:15: meisten Orten von einem johlenden Mob begleitet. Man
00:10:18: muss auch dazu sagen, es gibt auch Kritik an dem Wort Pogrom
00:10:22: in diesem Zusammenhang, weil ein Pogrom in der Regel ein
00:10:25: spontanes Aufflammen von Gewalt bezeichnet und im Fall der
00:10:29: "Kristallnacht",
00:10:31: in Anführungszeichen, vom Ausmaß der staatlichen Beteiligung
00:10:35: ablenkt. Und vielleicht, Celina, kannst Du mir sagen, wo das Wort
00:10:39: Pogrom eigentlich herkommt oder der Begriff.
00:10:44: Ja, aus dem Russischen, entstand in den 1880er-Jahren im Zarenreich
00:10:48: und
00:10:50: wörtlich übersetzt sowas wie Verwüstung, Zerstörung, Krawall. Und
00:10:53: wurde quasi auch schon auf die jüdische Bevölkerung im
00:10:56: Zarenreich schon angewendet.
00:11:01: Ja, wir können noch mal aus dem Deutschen Reich jetzt mal nach
00:11:05: Hamburg gehen, die Novemberpogrome in Hamburg zu
00:11:09: recherchieren ist relativ
00:11:12: schwierig. Also es ist oft gar nicht so leicht, die meisten
00:11:16: Akten wurden nach dem Krieg vernichtet oder bereinigt. Was
00:11:19: sich rekonstruieren lässt, in Hamburg starteten die
00:11:22: Ausschreitungen leicht verspätet, man könnte von einem
00:11:25: verzögerten Pogrom sprechen.
00:11:28: In der Nacht vom 9. auf den 10. November gibt es zunächst Probleme
00:11:32: mit der Alarmierung der Allgemeinen SS.
00:11:35: Die SS-Männer können nachts telefonisch nicht erreicht
00:11:37: werden. Die SA hingegen macht mobil.
00:11:40: In den frühen Morgenstunden des 10. November versammeln sich SA-
00:11:43: Männer in Uniform und in zivil auf dem Rathausmarkt. In kleinen
00:11:47: Gruppen marschieren sie los und beginnen damit,
00:11:50: Fensterscheiben zu zertrümmern und jüdische Geschäfte mit
00:11:53: Parolen zu beschmieren.
00:11:55: Die meisten Übergriffe in Hamburg am Nachmittag und am
00:11:58: Abend des 10. November
00:12:00: finden am Nachmittag statt und über das gesamte Stadtgebiet
00:12:03: verteilt.
00:12:05: Auf St. Pauli fliegen während des Unterrichts Steine durch die
00:12:08: Fenster der Israelitischen Töchterschule in der
00:12:11: Karolinenstraße 35.
00:12:13: Die genaue Zahl der geschändeten Synagogen und kleineren Betsäle
00:12:17: ist bis heute unaufgeklärt. Betroffen waren mindestens fünf,
00:12:21: möglicherweise sogar neun jüdische Sakralgebäude, darunter die
00:12:24: Hauptsynagoge am Bornplatz.
00:12:28: In der benachbarten Talmud Tora Schule werden Schüler
00:12:30: bis zum Nachmittag in dem Gebäude festgehalten. Die
00:12:33: Talmud Tora Schule war eine Schule für Jungen.
00:12:35: Viele jüdische Väter, die kamen, um ihre Söhne abzuholen, wurden
00:12:39: direkt vor der Tür verhaftet.
00:12:42: Gegen 19:00 Uhr wird in der Leichenhalle auf dem jüdischen
00:12:45: Friedhof in Harburg ein Brand gelegt. Schaulustige versammeln
00:12:48: sich und behindern die Löscharbeiten.
00:12:52: Die Halle brennt bis zu den Grundmauern nieder.
00:12:55: Die Gestapo inhaftiert am 10. November mindestens 879 Juden,
00:12:59: Hamburger Juden. Der Musiker Martin Cobliner springt aus Angst
00:13:02: und Verzweiflung aus dem Fenster seiner Wohnung im 3. Stock und
00:13:06: stirbt.
00:13:09: Fast alles, was wir über die Novemberpogrome in Hamburg
00:13:12: wissen, verdanken wir den Berichten von Zeitzeug*innen. Im
00:13:16: Folgenden haben wir für Euch ein paar
00:13:19: Stimmen gesammelt, um vielleicht so einen Eindruck zu vermitteln,
00:13:23: wie es damals war. Die Leute, die es selber erlebt haben. Ich
00:13:27: hoffe, es wird technisch alles sauber laufen, sonst verzeiht
00:13:31: uns, wenn es nicht sofort funktioniert, aber es wird funktionieren irgendwann.
00:13:34: Wir hören jetzt als Erstes Salomon Carlebach. Salomon
00:13:38: Carlebach ist der Sohn von Doktor Joseph Carlebach, er war
00:13:42: Oberrabbiner in Hamburg, Rabbiner der Bornplatz-Synagoge
00:13:45: und Direktor der Talmud Tora Schule.
00:13:47: "Then yes, the night of November 9th,
00:13:51: I recall that
00:13:54: a messenger came to the house. I don't remember who it was a member of the school and said
00:13:59: that the school is on fire and the
00:14:01: Nazis are in there smashing the furniture and so on.
00:14:08: So without a moment's hesitation, my father was out of the house.
00:14:13: And even
00:14:16:
00:14:19: though I didn't go with
00:14:20: him but that I heard from him, he let himself into the school through a side door.
00:14:27: Because as a rabbi he had a special entrance that he would go first into the rabbi's study before he would
00:14:34: enter the main area of the school itself. And so he came in from the side and approach the
00:14:41: chief of the Nazi horde that was in the process of pulling the Torah scrolls
00:14:48: from the holy ark, from the Aron Kodesh. When he pleaded with him, he says
00:14:55: Herr Oberst, or whatever the name of his rank was. He says this is the Holy
00:15:01: Bible which is holy to all people, this doesn't belong only to the Jews.
00:15:07: What you're doing is you're desecrating the Holy Bible. And
00:15:11: of course a great deal of sensitivity that these people had.
00:15:17: So they jumped on him and they beat him bloody and he was barely able to escape
00:15:21: out of the synagogue.
00:15:23: And hiding out across the street from the synagogue there was a dentist, friend of the family,
00:15:30: Doctor Flörsheim. My father hid out in his apartment.
00:15:36: They were chasing after him but they, since he was able to get
00:15:41: out through the side door, which they didn't know about."
00:15:50: [Johanna Gerechter Neumann - 1930 in Hamburg geboren, 1939 nach Albanien geflohen] "What I saw was hordes of people standing in front of our beautiful
00:15:55: synagogue and throwing stones through these magnificent coloured
00:16:00: windows.
00:16:02: And as we arrived, of course we
00:16:06: ran past the place itself, the noise, the shouting, the screaming.
00:16:13: I suppose there was an aura of ealiness about it, because we still didn't know what was happening.
00:16:20: But I suppose just the mere fact that so many people were there and were screaming and shouting
00:16:26: and throwing stones into the stained glass windows was enough to make us ran. We arrived in
00:16:35: school and they immediately told that our parents would pick us up. We should remain calm,
00:16:39: but there would be no school that day.
00:16:41: And indeed, few minutes later, half an hour later, whatever the case may be,
00:16:46: my mother did arrive and took me to my grandmother's home, where my father
00:16:51: already was.
00:16:54: And here then unfolded, slowly but surely, the grim story of
00:16:59: what happened during the night that the synagogues all through
00:17:05: Germany had been set on fire, destroyed.
00:17:07: The Sefer Torah were burnt in most cases.
00:17:13: It is known that in Hamburg people sacrificed themselves to run into the synagogue to save
00:17:18: some of the Sefer Torah, hide them, and I believe were successful in doing so.
00:17:25: That the Jewish stores in the centre of Hamburg in the downtown area
00:17:31: Hamburg had been demolished. Windows had been
00:17:36: broken, merchandise had been thrown into the streets, covered with water
00:17:42: and with ink.
00:17:45: And I mean, it was a total chaos, a total destruction."
00:18:01: [Siegfried Umbreit - Damals Unteroffizier der Wehrmacht] "Wir haben in Hamburg übernachtet, haben uns
00:18:05: Hamburg bei Nacht angesehen und da haben wir sehr viel SA- und SS-
00:18:09: Leute gesehen und da haben wir gefragt, was ist denn los?
00:18:13: "Ja, wir haben so ne Übung", und das war die
00:18:18: Vorbereitung der Plünderung der jüdischen Geschäfte. Und da wir
00:18:22: nun bis spät nochmal über die Reeperbahn gegangen,
00:18:26: bis spät in Hamburg waren und keine Übernachtung haben, sind
00:18:31: wir auf eine Polizeiwache gegangen, wir waren
00:18:36: 3-4 Personen, ein Offizier, ich als Unteroffizier und Gefreiter,
00:18:40: da haben wir auf der Polizeiwache gefragt, können wir
00:18:44: uns hier bei Euch auf der Pritsche ein paar Stunden legen
00:18:48: und das wurde uns genehmigt und da sind wir dann früh nach
00:18:52: Lübeck gefahren und wir mussten um 09:00 Uhr in Lübeck sein um
00:18:57: einen Transport neuer Rekruten abzuholen und mit diesen sind
00:19:01: wir auf den Zug nach Wiesbaden, in Wiesbaden ausgeladen. Und der
00:19:06: als wir nachts durch Hamburg, da sind wir über die,
00:19:10: die Schaufenster waren zerstört.
00:19:13: Und die Sachen lagen teilweise auf der Straße. Die Modepuppen
00:19:17: und Hüte und so, so dass wir über die weg, und da
00:19:21: war Polizei da, hat am Anfang und am Ende von diesen Dingen
00:19:25: bewacht, dass da niemand etwas wegnahm, und so haben wir diese
00:19:29: Nacht erlebt und sind dann nach Lübeck gefahren und von Lübeck
00:19:33: nach Wiesbaden."
00:19:38: Ein nächstes Zeitzeugen- Statement, was ich aus einem
00:19:43: Buch vorlesen möchte,
00:19:47: stammt von Doktor Moses Goldschmidt, es ist ein praktischer
00:19:51: Arzt und er war Mitglied im Hamburg-St. Pauli Turnverein
00:19:55: aus dem, wie wir jetzt ja wissen, ich hoffe viele von Euch, sonst
00:19:59: sag ich es nochmal, 1924 sich die Spielabteilung selbstständig
00:20:02: gemacht hat und zum FC St. Pauli geworden ist.
00:20:07: Doktor Moses Goldschmidt ist 1902 in den St. Pauli Turnverein
00:20:11: eingetreten. Er war
00:20:14: als Arzt aktiv am Heiligengeistfeld, ist später,
00:20:17: hat eine Praxis in St. Georg aufgemacht.
00:20:21: Ich lese jetzt erst mal was vor aus seinem Buch "Mein Leben als
00:20:25: Jude in Deutschland".
00:20:28: "Ich sprach vorher von dem furchtbaren November 1938. Am
00:20:31: 7. oder 8. dieses Monats war in Paris der deutsche
00:20:34: Botschaftsrat vom Rath in seinem Amtszimmer von einem jungen
00:20:37: polnischen Juden namens Grynszpan erschossen worden.
00:20:40: Dieser wollte seine in Deutschland von den Nazis
00:20:42: umgebrachten Eltern rächen."
00:20:44: Kurze Ergänzung, das ist nicht ganz korrekt, aber ich lese das
00:20:49: jetzt einfach so vor.
00:20:52: "Am gleichen Tag setzte mit der sogenannten Kristallnacht eine
00:20:55: entsetzliche Verfolgung der Juden ein. Schlimmer als sie im
00:20:58: zaristischen Russland jemals vorgekommen war. Juden aus allen
00:21:02: Gesellschaftsklassen, Ärzte, frühere Richter, Anwälte,
00:21:05: Ingenieure, Künstler, Schriftsteller, Kaufleute,
00:21:07: Reiche und Arme, Junge und Alte, Gesunde und Kranke, alle
00:21:11: Menschen, die nicht das Geringste mit diesem Verbrechen
00:21:14: zu tun hatten, das nicht mal ein deutscher Jude begangen
00:21:17: hatte, wurden aus ihren Wohnungen herausgeholt, auf den
00:21:20: Straßen angegriffen und zu den Polizeiwachen geschleppt, dort
00:21:23: auf Lastwagen verladen, zu den Bahnhöfen gefahren, in Extrazüge
00:21:27: wie Vieh verladen, um
00:21:28: an ihren Bestimmungsorten, den Konzentrationslagern, den
00:21:31: grässlichsten Entbehrungen und Misshandlungen ausgesetzt zu
00:21:34: werden. Mit Grauen denke ich an die Schilderung meiner Freunde
00:21:37: Lutz Wolf und Adolf Schlesinger über die Behandlung, die sie im
00:21:40: Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin erlitten haben,
00:21:43: als sie gebrochen an Leib und Seele zurückgekehrt waren.
00:21:48: Lutz Wolf erklärte mir, dass er sich, falls er noch einmal
00:21:51: verhaftet werden sollte,
00:21:52: lieber das Leben nehmen würde.
00:21:55: Er hat es später getan. Schlesinger wird wohl das
00:21:58: Schicksal aller Juden in Polen geteilt haben.
00:22:02: Mich selbst hat ein gütiges Geschick vor aller persönlicher
00:22:04: Bedrohung behütet. Ich wurde am 9. November nicht verhaftet,
00:22:07: obwohl die Gestapo in unserer Wohnung war
00:22:10: und den Sohn meines Wirtes mitnahm. Der war nun
00:22:13: allerdings ein gewaltiger Missgriff der Beamten, denn
00:22:15: trotz seines jüdischen Namens Goldstein war der junge
00:22:18: Mann, da seine Mutter Christin war, nur Halbjude, hatte eben
00:22:22: sein halbes Jahr im Arbeitsdienst abgedient und
00:22:24: sollte in den nächsten Tagen zum Militär
00:22:27: einrücken. Auf der Polizeiwache bemerkte man sofort den Irrtum
00:22:30: und entließ ihn augenblicklich mit vielen Entschuldigungen.
00:22:33: Wahrscheinlich verdanken wir es diesem Versehen, dass mein Vater
00:22:37: und ich von weiteren Belästigungen verschont blieben.
00:22:41: Wir werden jetzt noch mal drei Stimmen hören, drei Zeitzeugen-
00:22:45: Stimmen.
00:22:47: Der erste davon ist Erich Cahn. Erich Cahn ist der Neffe eines
00:22:51: jüdischen Fußballers beim FC St. Pauli.
00:22:55: Und wir werden mal kurz reinhören. "Well, we had high jinks that night because
00:23:03: it was the last night of Hakhshara.
00:23:06: And the next morning someone came and told us that the
00:23:10: synagogues had been attacked and burned, shops looted and smashed
00:23:16: the windows and we were horrified of course.
00:23:21: And on the way home, of course, we passed the
00:23:25: synagogue that had been attacked
00:23:28: and burnt and destroyed. And it was a shocking picture which I wouldn't like to see
00:23:35: ever again.
00:23:37: But something else connected with the Kristallnacht is the fact
00:23:44: that it was triggered. Although it was planned, but it was triggered by a murder that
00:23:52: took place in Paris of a German person in the embassy in Paris by a Jewish boy.
00:23:59: Well, I knew that Jewish boy because I went to Cheder with him in Hanover, a boy called Grynszpan.
00:24:05: In fact, his younger brother was run over by truck in Hanover when he was a little kid.
00:24:11: So I knew the boy. It was quite surprising that he would do this sort of thing.
00:24:17: But I mean, there's no fame in this. But it just happened that I knew the boy and went to Cheder with him.
00:24:26: So in a way, I had some connection with that murder, so to speak, which set off the Kristallnacht.
00:24:33: It was something which I don't think anybody had quite realized
00:24:39: could happen. It did happen. It was organized, of course, as we all know, I don't have to go over that chapter.
00:24:45: But the worst of it was you see Germans being Germans when they met
00:24:51: one another in the street or passed one another in the street.
00:24:58: And most people in those days still wore hats.
00:25:01: They doffed their hats even to men, not only to women.
00:25:03: So when the Nazis, the Gestapo, arrested people for concentration
00:25:09: camp and
00:25:10: somebody who was not arrested happened to walk in the streets and saw
00:25:16: this person, even whilst they were with others, forgot the fact
00:25:21: that they were Gestapo people. They just thought that he was walking. They doffed their hats and the moment they doffed their hats they got caught as well.
00:25:26: So it was a sort of a chain reaction of arrests for the concentration
00:25:32: camp, even by people who weren't being particularly sought out for arrest." Erich
00:25:38: Cahn lebte zu dem Zeitpunkt in Wandsbek, ist aber auch in der
00:25:44: Neustadt aufgewachsen.
00:25:48: Wir hören jetzt
00:25:51: einen Mann namens Erwin Guggenheim. Erwin Guggenheim ist der Cousin
00:25:54: eines ehemaligen jüdischen St. Pauli-Fußballspielers.
00:25:59: "Yeah, So to come back to the Night of the Crystal night, we
00:26:07: had a call from some friends that they were arresting
00:26:12: Jewish males.
00:26:14: So we left our home immediately, and we're hiding with Gentiles until the first
00:26:22: ones were released, which was ... no, just Dan and I. And mother went into the apartment house where my
00:26:29: grandmother lived at that time. They were searching for us.
00:26:35: As a matter of fact, we stayed in an apartment three floors
00:26:41: above where my grandmother was, and we saw or we heard the people searching for us."
00:26:49: Als letzte Videoeinspielung hören wir Manfred Leser.
00:26:56: Dessen Vater ins
00:26:59: KZ Sachsenhausen deportiert wurde
00:27:03: während der Novemberpogrome.
00:27:07: "Also dann kam dies Kristallnacht.
00:27:12: 9. November. Und dann natürlich, mein Vater wurde
00:27:17: abgeholt, zwei Gestapo-Männer, lange Regenmäntel und Hut
00:27:22: kamen. Haben ihn abgeholt
00:27:24: und dann war er drei Wochen in Sachsenhausen.
00:27:29: Und meine Mutter hat ihn rausgekriegt durch
00:27:33: Tickets nach Shanghai.
00:27:37: Und er kam raus, sah furchtbar aus.
00:27:40: "Frag mich nicht wie es war, ich darf nichts sagen."
00:27:45: Aber er hat die Tickets nach Shanghai nicht benutzt. Er
00:27:48: wollte nicht nach Shanghai. Da hat er das gesagt, mit dem die Engländer kommen
00:27:52: und werden uns nicht umbringen. Er hätte es aber
00:27:55: besser wissen sollen, denn er war in Sachsenhausen gewesen.
00:28:00: Als nächstes wird Celina einen
00:28:05: Zeitzeugenbericht von Julius Gramm vorlesen, der
00:28:09: zu diesem Zeitpunkt in Hamburg gelebt hat.
00:28:12: Genau. Ich hab bei der Recherche für diesen Podcast ein Interview
00:28:18: mit ihm gefunden im "Hamburger Abendblatt" von 1988 und hab dann
00:28:23: noch ein bisschen weiter gesucht und hab bei "Yad Vashem" einen
00:28:28: ausführlichen
00:28:30: autobiographischen Bericht von ihm gefunden. Aus dem lese ich
00:28:33: Euch jetzt was vor.
00:28:36: "Nun war der 8. November gekommen und es war der Mord an dem
00:28:39: deutschen Attaché in Paris geschehen. Ein junger,
00:28:42: verblendeter Jude war der Täter, aber es war für die Nazis der
00:28:46: willkommene Anlass, nun mit aller Schärfe gegen die Juden
00:28:49: vorzugehen. Dieses gipfelte auch in den Worten von dem damaligen
00:28:53: Reichsmarschall Göring, indem er sagte, "Ab heute möchte ich kein
00:28:56: Jude in Deutschland sein."
00:28:59: Was dann alles über die Juden hereinbrach, lässt sich nur mit
00:29:03: einer Sturmflut, mit einer Urgewalt vergleichen. Denn es
00:29:06: war einmalig in der Geschichte der Menschheit, in welchem
00:29:09: Umfang, in welcher Grausamkeit und in welcher Perfektion ein
00:29:13: Volk vernichtet wurde, bis zur Endlösung der Judenfrage geschah
00:29:16: noch allerhand in den Städten und Gemeinden.
00:29:21: Mit dem 8. November war auch die sogenannte Kristallnacht
00:29:24: gekommen.
00:29:26: Viele jüdische Geschäfte wurden zerstört, die Scheiben
00:29:29: zertrümmert, die Waren vernichtet. Das Gemeinste war,
00:29:32: dass man auch vor Gotteshäusern nicht Halt machte. Mein Onkel
00:29:36: und ich hatten gehört, dass mit den Synagogen Schlimmes
00:29:39: passieren würde, wir konnten es nicht glauben und machten uns
00:29:43: auf den Weg, um uns davon zu überzeugen. Als wir im
00:29:46: Grindelhof ankamen, schlugen aus den Fenstern die Flammen von
00:29:49: Hamburgs größter und schönster Synagoge.
00:29:53: Es war ein gespenstischer Anblick. Vor der Synagoge warfen
00:29:57: SA-Männer Jüdische Gebetsbücher und Thorarollen auf einen
00:30:00: brennenden Haufen. Am Abstoßendsten fand ich die
00:30:03: Gesichter der SA-Männer von den Flammen angestrahlt. Ich hatte
00:30:07: den Eindruck, die Männer waren davon überzeugt, etwas besonders
00:30:11: Gutes zu tun.
00:30:14: Ich war so empört, dass ich zu meinem Onkel sagte, eines Tages
00:30:18: bekommen sie ihre Strafe. Ich hatte ein Riesenglück, dass mich
00:30:22: keiner der umherstehenden SA- Männer gehört hatte.
00:30:26: Als wir weggingen, wurden wir von zwei SA-Männern verfolgt und in
00:30:30: die Polizeiwache Hoheluft eingeliefert. Ich kann mich noch
00:30:33: erinnern, wie ein älterer Polizist uns zuflüsterte, "Es tut
00:30:37: mir leid, aber ich kann nichts machen".
00:30:40: Wir wurden am nächsten Morgen zum Stadthaus gebracht und
00:30:44: wurden immer zu zwei Mann aneinander gefesselt durch die
00:30:47: Treppenhäuser gejagt. Wir mussten stundenlang mit dem
00:30:50: Gesicht zur Wand stehen, bevor wir verhört wurden. Ältere
00:30:54: Leute, welche nicht so lange stillstehen konnten, wurden mit
00:30:58: dem Gesicht zur Wand gestoßen, bis Blut aus ihrem Mund und aus
00:31:02: ihrer Nase floss. Andere kippten um und wurden mit Wasser
00:31:05: begossen, bis sie wieder zu sich kamen. Unsere Namen und Adressen
00:31:09: wurden registriert, dabei kamen Ärzte, Rechtsanwälte, Kaufleute
00:31:13: besonders schlecht weg, sie wurden mit unflätigen Worten
00:31:16: bedacht.
00:31:20: Wir wurden dann nach Fuhlsbüttel überführt, wo man einen Teil des
00:31:24: Gefängnisses in ein KZ umgewandelt hatte. Besonders
00:31:27: schlimm waren die ersten Nächte, wenn immer wieder von anderen
00:31:30: Städten geflüchtete Juden eingeliefert wurden, dann hieß
00:31:33: es "Marsch, Marsch, ihr verdammten Juden in die Kojen",
00:31:37: die bald überbelegt waren. An Schlaf war überhaupt nicht zu
00:31:40: denken, weil die neu zugekommenen noch stundenlang
00:31:43: vor Aufregung und Angst zitterten. Überhaupt herrschte
00:31:46: eine schwer zu beschreibende Stimmung, gemischt aus
00:31:49: Ungewissheit und dem Gefühl, dass rohe, primitive Gewalt über
00:31:52: Kultur triumphieren wird.
00:31:55: Ein älterer Jude sagte einmal zu mir, "Ich verstehe das alles
00:31:59: nicht, ich habe doch niemandem etwas getan". Er meinte weiter,
00:32:02: "Ein Volk, das der Menschheit die 10 Gebote gegeben hat, kann doch
00:32:06: so schlecht nicht sein".
00:32:09: Sein Gesicht war noch geschwollen, weil er mit großer
00:32:11: Wucht an die Wand gestoßen war."
00:32:16: Ich würde da einmal kurz ein bisschen vorgreifen und Euch
00:32:20: kurz darlegen, was wir eigentlich jetzt, das ist jetzt
00:32:23: nicht nur für heute sozusagen was zusammengestellt, sondern
00:32:26: wir machen ja insgesamt ein größeres Forschungsprojekt
00:32:29: gerade
00:32:30: zur Frühgeschichte des Vereins. Und zwar sind wir Drei seit etwa Anfang
00:32:34: des Jahres dabei, eben dieses ganze Thema ausgiebiger zu
00:32:37: erforschen und eben nicht nur die Frühgeschichte des FC St.
00:32:41: Pauli, sondern, das hatte Christopher vorhin schon kurz erwähnt oder wir haben es im Podcast
00:32:45: jetzt schon öfter erwähnt, dass eben der Hamburg-St. Pauli
00:32:48: Turnverein auch ein sehr wichtiger Faktor in der ganzen
00:32:52: Vereinsgeschichte ist, aus dem dann eben der FC St. Pauli
00:32:55: wurde, beziehungsweise aus der Spielabteilung. Der Hintergrund
00:32:59: ist unter anderem folgender, vor dem hundertjährigen Vereins-
00:33:03: Jubiläum 2010 und den dazugehörigen Recherchen von verschiedenen
00:33:07: Menschen gab es weder ein Vereinsarchiv
00:33:09: noch eine ernsthafte Beschäftigung mit der eigenen
00:33:12: Geschichte, also der eigenen Vereinsgeschichte. Da
00:33:15: wurde erstmals überhaupt versucht, Sachen, Objekte
00:33:18: zusammenzutragen, Recherchen zu machen. Als das FC St. Pauli-
00:33:22: Museum dann ab 2012 existierte, erst als Verein, dann auch
00:33:26: später als Museum wirklich hier vor Ort, haben wir 2017 ja schon
00:33:29: eine Ausstellung gemacht zur Geschichte des Vereins in der NS-
00:33:33: Zeit. Die Extrakte aus dieser Ausstellung, die sogenannten
00:33:37: Lebenswege, die haben wir auch danach schon öfter wieder gezeigt, die
00:33:40: sind aktuell auch in der Ausstellung online oder
00:33:44: digital zu sehen.
00:33:46: Die Ausstellung selbst ist auch online noch einsehbar, also da
00:33:49: wurde dann schon mal mit dieser
00:33:51: Geschichte auch befasst. Aber jetzt sind wir halt nochmal
00:33:54: tiefer in die Vergangenheit eingestiegen und legen dabei
00:33:57: besonderen Fokus auf Biografien von jüdischen
00:34:00: Vereinsmitgliedern, weil über die bisher wenig bis nichts
00:34:03: bekannt war.
00:34:05: Durch Auswertung von zahlreichen Dokumenten und Zeitungen haben
00:34:08: wir jetzt mittlerweile eine recht umfangreiche Datenmenge
00:34:12: zusammengetragen. Zum großen Teil standen diese Quellen zuvor
00:34:16: auch noch gar nicht zur Verfügung, so dass doch immer
00:34:19: wieder auch überraschende Neuigkeiten und Querverbindungen
00:34:22: zum Vorschein kommen. Aus einer mittlerweile auf etwa 4.000
00:34:26: Namen angewachsene Liste von Vereinsmitgliedern, überwiegend
00:34:30: aus dem Turnverein, aber auch vom später vom FC St. Pauli,
00:34:34: haben wir in etwa 200 jüdische Mitglieder gefunden, ich würde
00:34:37: sagen deutlich mehr als wir anfangs erwartet haben.
00:34:41: Als erstes sichtbares Ergebnis dieser Recherchen hatten wir im
00:34:45: Juni dieses Jahres die Sonderausstellung, die immer
00:34:48: noch zu sehen ist, zur Lebensgeschichte des jüdischen
00:34:51: Fußballers und Arztes Max Kulik erstellt, der auf St. Pauli
00:34:54: aufgewachsen ist und auch Fußball gespielt hat. Die hat,
00:34:57: wie wir finden, eine sehr gute Resonanz erfahren, auch medial
00:35:01: und darüber zum Beispiel haben sich wieder Kontakte zu Familien
00:35:04: ehemaliger Vereinsmitglieder ergeben, und das hat wiederum
00:35:07: auch zu Besuchen von diesen Familien hier geführt. Wir
00:35:11: hatten also aus den USA, aus Israel, aus Brasilien
00:35:14: mittlerweile Besuch, das ist natürlich auch eine sehr schöne
00:35:17: Geschichte.
00:35:18: Dass wir da zum Teil sogar den Familien noch Sachen erzählen
00:35:21: konnten über ihre Familienmitglieder, die sie selber
00:35:23: noch gar nicht wussten. Also das ist dann auch ein wirklich
00:35:26: sehr schöner Effekt aus dem Ganzen. Natürlich werden wir
00:35:29: nicht zu allen diesen Menschen derart umfangreiche Biografien
00:35:32: ausarbeiten können, alleine schon, weil eben nicht zu allen
00:35:35: so viele Informationen zu finden sind.
00:35:38: Insgesamt gibt es leider bei uns im jetzt mittlerweile existenten
00:35:42: Vereinsarchiv doch erhebliche Lücken, so dass auch es in diesen
00:35:46: einzelnen Biografien Leerstellen gibt, die eben auch durch
00:35:49: externe Quellen Stand jetzt nicht geschlossen werden können.
00:35:52: Zum Beispiel fehlen uns zahlreiche Mitgliederlisten,
00:35:55: Vereinszeitungen, die uns wertvolle Hinweise geben
00:35:58: könnten. Insgesamt haben wir aber vor, diese Lebenswege, die
00:36:02: wir jetzt noch weiter, auch diese, die wir jetzt heute schon
00:36:06: zum Teil gesehen haben, aber auch andere, noch im Rahmen einer
00:36:09: größeren Ausstellung im nächsten Jahr, Stand jetzt, Planung, zu
00:36:13: veröffentlichen. Und einige dieser Biografien, die wir
00:36:16: jetzt
00:36:17: erarbeitet haben, die werden wir jetzt vortragen.
00:36:22: Genau. Ich glaube dann ist jetzt Christopher dran.
00:36:27: Thomas hat gelost. Ja, diesmal nicht. Diesmal losen wir nicht,
00:36:32: das haben wir vorher
00:36:33: festgelegt.
00:36:36: Ja, ich möchte Euch die Biographie eines Mannes namens
00:36:40: Bernhard Levy vorstellen.
00:36:47: Also Bernhard Levy wurde am 5. Juli 1881 als
00:36:51: Sohn von Leopold und Louise Levy in Hamburg-St. Pauli
00:36:55: geboren. Er wuchs gemeinsam mit seinem älteren Bruder Alexander
00:36:59: am Neuen Pferdemarkt 7 auf.
00:37:02: Als Bernhard Levy 6 Jahre alt war, zogen seine Eltern an den
00:37:05: Grindelberg, wo seine jüngere Schwester Margarete zur Welt
00:37:08: kam. Leopold Levy war in der Zigarrenwirtschaft tätig,
00:37:12: einem damalig in Hamburg wichtigen Wirtschaftszweig ohne
00:37:15: Zunftzwang. Man würde also sagen, das war ein sehr guter,
00:37:19: heutzutage sehr gut geeigneter Jobs für Quereinsteiger.
00:37:25: Im Jahr 1905 lebte Bernhard Levy in der Hopfenstraße 23.
00:37:29: Die ist hier auf St. Pauli.
00:37:32: Er hatte seine Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten beim
00:37:36: jüdisch-belgischen Modehaus "Hirsch & Cie" am Jungfernstieg
00:37:39: beendet und wurde dort übernommen.
00:37:43: Im November 1905 trat er dem Hamburg-St. Pauli Turnverein
00:37:46: bei. Dieser hatte drei Jahre zuvor einen Steinwurf von der
00:37:49: Hopfenstraße entfernt im Jahr 1902 die größte Turnhalle
00:37:53: Norddeutschlands auf dem Heiligengeistfeld eingeweiht.
00:37:56: Ihr seht die Turnhalle hier im Hintergrund.
00:38:00: Heutzutage, wenn Ihr aus der "Domschänke" rausgehen würdet,
00:38:03: würdet Ihr genau auf diese Turnhalle gucken, wenn sie noch
00:38:06: stehen würde.
00:38:11: Ja, der Verein hat durch den Bau dieser Turnhalle einen
00:38:14: ungeahnten Mitgliederzuwachs bekommen und innerhalb weniger
00:38:18: Jahre ist dieser Verein auf 2.000
00:38:22: Mitglieder angewachsen. Ob Bernhard Levy aktiv am Turn- und
00:38:26: Sportbetrieb des Turnvereins teilnahm, können wir leider
00:38:30: nicht sagen. Was wir allerdings wissen, bereits zweieinhalb
00:38:33: Jahre zuvor ist sein älterer Bruder Alexander Levy ebenfalls
00:38:37: Mitglied bei St. Pauli geworden. Nochmal kurz zur
00:38:41: Ergänzung, falls es da noch die Frage gibt, was hat das mit dem
00:38:45: FC St. Pauli zu tun?
00:38:46: Der Hamburg-St. Pauli Turnverein,
00:38:49: gegründet 1862
00:38:51: auf dem Heiligengeistfeld,
00:38:53: hatte dann ab 1907 offiziell oder 1906 eine Spielabteilung und
00:38:58: diese Spielabteilung ist 1924 der FC St. Pauli geworden.
00:39:03: Und
00:39:04: nur vier Jahre nach dem Eintritt von Bernhard Levy hatte die
00:39:08: Spielabteilung die Farben braun-weiß als ihre
00:39:11: definiert.
00:39:15: 1911 heiratete Bernhard Levy die Jüdin Bertha London.
00:39:19: Sie stammte mütterlicherseits aus einer der ältesten und größten
00:39:23: jüdischen Familien Hamburgs, der Familie Heilbut. Berthas Cousin
00:39:27: Max Nathan London war wie Bernhard ebenfalls 1905 in den St.
00:39:31: Pauli Turnverein eingetreten. Nicht auszuschließen, dass sich
00:39:35: Bernhard und Bertha über Max Nathan London kennengelernt
00:39:38: haben.
00:39:41: Bertha und Bernhard Levy zogen zusammen mit Bernhards Mutter
00:39:44: Louise und seiner jüngeren Schwester Margarete in den
00:39:47: Schrammsweg Nummer 4 in Eppendorf. Vater Leopold war
00:39:50: bereits 1911 verstorben, in Eppendorf kam 1912 ihre
00:39:53: gemeinsame Tochter Gertrud, genannt Trudel, auf die Welt.
00:39:57: Im August 1919 brachte Bertha Zwillinge zur Welt, Herbert und
00:40:01: Hans.
00:40:02: Doch Hans verstarb bereits nach fünf Monaten, Herbert überlebte.
00:40:05: Hans wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt,
00:40:09: er sollte das letzte Mitglied der Familie Levy sein, was dort
00:40:12: bestattet wurde.
00:40:15: Im Jahr 1925 zog die Familie Levy in die Sierichstraße 84 nach
00:40:19: Winterhude. Es sollte ihr
00:40:24: letzter selbst ausgewählter Wohnort werden. Kurz
00:40:27: zuvor im Jahr 1922, war Bernhard Levy zum Prokuristen, also
00:40:31: stellvertretenden Geschäftsführer
00:40:34: des Modehauses "Hirsch & Cie" am Jungfernstieg geworden. Das "Hamburger
00:40:38: Fremdenblatt", der Vorgänger des "Hamburger Abendblattes",
00:40:42: aus dem wir immer wieder gerne zitieren, berichtete im
00:40:46: Februar 1922 von seinem fünfundzwanzigjährigen
00:40:49: Dienstjubiläum.
00:40:52: Auch seine Tochter Gertrud machte dort eine Ausbildung.
00:40:55: Doch die Zeiten waren finanziell schwierig. Bernhard Levy musste
00:40:59: sich
00:41:00: und die Familie und die Mutter gleichermaßen finanziell über
00:41:03: Wasser halten. Der schwarze Freitag hatte auch große
00:41:05: Kaufhäuser der Zeit in wirtschaftliche Schieflage
00:41:08: gebracht und mehr als einmal musste Levy um die Aufschiebung
00:41:10: seiner Beiträge für die Jüdische Gemeinde bitten.
00:41:14: Ich erzähle das, um ein bisschen so ein Gefühl dafür zu geben,
00:41:17: wie dieses Leben damals eigentlich stattgefunden hat und
00:41:19: dass man eben auch, man musste, wenn du das Recht haben
00:41:22: wolltest, auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf begraben zu
00:41:25: werden, dann musstest du Teil der Jüdischen Gemeinde sein.
00:41:29: Das heißt, du hast Steuern gezahlt.
00:41:32: Für die Jüdische Gemeinde bedeutet jede Ermäßigung ein
00:41:35: eine geringere Einnahme bei wachsender Not. 1933 drohte das Finanzamt
00:41:38: bereits mit einer Pfändung bei Bernhard Levy. Die Jüdische
00:41:41: Gemeinde hatte Bernhard Levys Situation gegenüber dem
00:41:44: Finanzamt zu vertreten und konnte ihm nur in engen Grenzen
00:41:47: entgegenkommen, weil die eigene Finanzlage der Jüdischen
00:41:50: Gemeinde bereits extrem schwierig geworden ist.
00:42:00: Ob Bernhard Levy im April 1933 als Mitglied des St. Pauli
00:42:03: Turnvereins im Zuge des "Arierparagraphen" für
00:42:05: Sportvereine ausgeschlossen wurde, wissen wir nicht.
00:42:09: Doch was wir auch hier wissen, seine Tochter Gertrud und sein
00:42:12: Sohn Herbert schlossen sich 1933 der jüdischen Sportgruppe Schild
00:42:16: an. Die Sportgruppe Schild wurde in Hamburg 1933
00:42:19: gegründet, nachdem es jüdischen Sportler*innen untersagt war, in
00:42:23: paritätischen Vereinen Mitglied zu sein.
00:42:26: Die Sportgruppe Schild baute in Kürze kürzester Zeit ein
00:42:29: Netzwerk auf, um jüdischen Menschen in Hamburg die
00:42:32: Möglichkeit zu geben, weiterhin Sport zu treiben. So wurde ab
00:42:36: 1933 regelmäßig Turnen und Leichtathletik in der Sporthalle
00:42:39: der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße 35
00:42:42: praktiziert. Die Fußballer und Handballer trainieren regelmäßig
00:42:46: auf dem Heiligengeistfeld, die Schachabteilung von Schild traf
00:42:49: sich im Café Heinze an der Reeperbahn. Im Jahr 1934 konnte
00:42:53: die Sportgruppe Schild mithilfe der Jüdischen
00:42:56: Gemeinde einen Platz in Lokstedt pachten und zu einem modernen
00:43:00: Trainingsgelände ausbauen. Dem heutigen Trainingsgelände
00:43:03: an der Kollaustraße, wo seit 2000 der FC St. Pauli
00:43:05: trainiert.
00:43:08: Herbert war Mitglied der Tischtennisabteilung, Gertrud
00:43:11: war Mitglied der Leichtathletikabteilung. Sie
00:43:13: spielte auch Hockey und Handball. Sie sollte jahrelang
00:43:16: mit einer Frau namens Louise Elias zu den besten
00:43:19: Sportlerinnen Bescheid gehören, zu Louise Elias werden wir später
00:43:22: noch was hören.
00:43:25: Im Jahr 1935 war Bernard Levy faktisch zahlungsunfähig. Sein
00:43:28: Sohn Herbert war wochenlang krank, seine Frau Bertha
00:43:30: benötigte für ein chronisches Leiden teure Medikamente und
00:43:34: sein Bruder Alexander, der als Börsenmakler zu Wohlstand
00:43:37: gekommen war, geriet nach und nach durch die
00:43:39: nationalsozialistische Verfolgung in finanzielle
00:43:42: Schwierigkeiten.
00:43:45: Am Mittag des 10. November warfen SA-Männer die Scheiben
00:43:49: des jüdischen Modehauses "Hirsch & Cie" ein und die Wände
00:43:52: wurden beschmiert. Bernhard Levy und sein Sohn Herbert wurden von
00:43:56: der Gestapo verhaftet und ins Stadthaus,
00:44:00: ins Gestapo Gefängnis deportiert,
00:44:04: gebracht und von dort wurden beide ins KZ Sachsenhausen
00:44:08: deportiert.
00:44:09: Herbert Levy, der nach 1945 den Herbert Layton annahm, berichtete
00:44:14: 2004 über seine Erfahrungen im KZ Sachsenhausen.
00:44:18: Aber vorher könnte Thomas vielleicht noch kurz etwas zum
00:44:21: KZ Sachsenhausen erzählen. Ja, also nach der Auflösung der
00:44:25: allermeisten frühen oder sogenannten "wilden"
00:44:28: Konzentrationslager, die es ab Frühjahr 1933 gab, gab es
00:44:32: zunächst als größeres Lager "nur", in Anführungsstrichen, noch das KZ in
00:44:36: Dachau, etwas später dann auch das in Buchenwald. Das
00:44:39: Konzentrationslager Sachsenhausen wurde im Sommer
00:44:43: 1936 von Häftlingen aus anderen Lagern errichtet.
00:44:46: Es befand sich in der Stadt Oranienburg nördlich von Berlin
00:44:50: und der namensgebende Ortsteil, Sachsenhausen eben, liegt in der
00:44:54: Nähe des Lagergeländes. Durch die Nähe zu Berlin und damit
00:44:58: eben auch zur Gestapo-Zentrale hatte das KZ Sachsenhausen eine
00:45:02: Sonderrolle im KZ-System, wenn man es so nennen möchte, ein
00:45:06: großes SS-Kontingent war hier stationiert und das dem Lager
00:45:09: angegliederte "Übungslager" diente zudem als Ausbildungsort für
00:45:13: zukünftige KZ-Kommandanten sowie des Bewachungspersonals im
00:45:17: ganzen NS-Machtbereich. Insgesamt wurden etwa
00:45:20: 200.000 Häftlinge nach Sachsenhausen
00:45:23: deportiert, also eben bis Kriegsende, nicht jetzt im
00:45:28: November '38. Nur etwa 140.000 davon wurden registriert. Ab August
00:45:32: 1941 wurden etwa 13.000 bis 18.000 sowjetische Kriegsgefangene hier
00:45:37: getötet und insgesamt sollen mehrere 10.000 Häftlinge ermordet
00:45:41: worden sein. Seit den 1960er- Jahren gibt es dort eine
00:45:45: Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen KZ.
00:45:50: Ich lese jetzt vor aus den Erinnerungen von Herbert Layton,
00:45:55: geborener Herbert Levy, dem Sohn von Bernhard Levy.
00:46:04: "In Sachsenhausen.
00:46:05: Sobald es hell wurde, wurden wir zur Parade auf den sogenannten
00:46:08: Appellplatz gerufen. Weitgehend ungewaschen, weil 600 Menschen fünf
00:46:12: oder zehn Minuten Zeit hatten, sich etwa 20 Wasserhähne zu
00:46:15: teilen. Dann haben sie uns gezählt und sie haben uns wieder
00:46:18: und wieder und wieder gezählt, bis sie die richtigen Zahlen
00:46:21: hatten, und dann wurden wir zur Arbeit geführt. Zu arbeiten
00:46:24: bedeutete, dass wir mit bloßen Händen Felsbrocken einen Hügel
00:46:27: hochtragen mussten, immer und immer wieder, das war eine ewige
00:46:30: Kette, und das ging bis zur Mittagszeit. Als wir 20 Minuten
00:46:33: Pause hatten und ein wenig wässrige Suppe bekamen, konnten
00:46:36: wir kurz durchschnaufen.
00:46:38: Dann machten wir bis zum Einbruch der Dunkelheit weiter, danach
00:46:42: wieder zurück ins Lager marschiert und dann wurden wir
00:46:44: wieder gezählt. Es konnte Stunden dauern, es konnte zwei Stunden
00:46:47: dauern und schließlich bekam man sein
00:46:50: Abendessen, das aus einer wässrigen Suppe und einem großen
00:46:53: Stück sehr trockenem Brot bestand und man ging schlafen
00:46:56: und am nächsten Tag ging es wieder los. Tagein, tagaus,
00:46:58: immer wieder. Ich lernte von anderen Insassen, wie man Fieber
00:47:01: misst. Ich lernte, wie man Krankheiten vortäuscht und es
00:47:04: gab ein Lagerkrankenhaus, das einzige, wovor die Deutschen
00:47:07: natürlich Angst hatten, war Typhus.
00:47:10: Es gab keine Medikamente, man ging ins Krankenhaus und
00:47:13: entweder ging es einem besser oder man starb.
00:47:16: Aber es gab einige jüdische Ärzte, die sich um uns
00:47:19: kümmerten und ein oder zwei jüdische Krankenschwestern.
00:47:22: Also habe ich mich nach drei oder vier Wochen ins Krankenhaus begeben,
00:47:26: was mir eine kleine Pause verschaffte, um Luft zu holen
00:47:28: und Kräfte zu sammeln. Natürlich war die Temperatur in ein, zwei Tagen
00:47:31: wieder unten und ich glaube an dem vierten Tag habe
00:47:34: ich es geschafft, das Thermometer in eine Tasse mit Tee zu
00:47:37: stecken, als niemand hinsah.
00:47:39: Mit solchen Dingen musste man aber vorsichtig sein, denn die
00:47:42: Schläge waren furchtbar. Manche überlebten die Prügelstrafe
00:47:45: nicht. Eines Tages wurde ich ins Büro gerufen und der
00:47:47: Lagerkommandant sagte, wenn ich ein Formular unterschreiben
00:47:50: würde, um zu sagen, dass ich innerhalb von sechs Monaten außer
00:47:53: Landes sein würde, würde ich freigelassen.
00:47:57: Aber wenn ich nicht innerhalb von sechs Monaten außerhalb außer
00:48:00: Landes wäre, würde ich wieder im Konzentrationslager landen.
00:48:03: Natürlich habe ich unterschrieben, man müsste
00:48:05: verrückt sein, das abzulehnen.
00:48:08: Also bekam ich meine Kleidung zurück und alles, was ich in der
00:48:11: Tasche hatte, bis auf den letzten halben Penny und mein
00:48:14: Zigarettenetui. Ich fuhr von Sachsenhausen rein nach Berlin,
00:48:17: wo Cousins und Cousinen, von mir lebten, und
00:48:20: übernachtete bei ihnen. Natürlich wusste jeder, wo ich
00:48:23: gewesen bin, denn meine Haare waren total abgeschoren, aber
00:48:26: ich hasse es, Hüte zu tragen, also tat ich es nicht."
00:48:35: Erst Ende Dezember 1938 wurden Bernhard und Herbert Levy aus
00:48:39: dem KZ Sachsenhausen entlassen.
00:48:42: Herbert verließ Hamburg am 26. August 1939 nach England mit
00:48:46: dem letzten offiziellen Schiff vor Kriegsbeginn. Acht Tage später
00:48:50: erklärte England Nazi- Deutschland den Krieg, nachdem
00:48:53: Hitler in Polen einmarschiert war. Gertrud verließ bereits am
00:48:57: 26. Juni Hamburg in Richtung England.
00:49:00: Mit Kriegseintritt Englands wurden sowohl Herbert als auch
00:49:04: Gertrud als feindliche Ausländer interniert. Bernhard
00:49:07: Levys Bruder Alexander flüchtete aus Hamburg im Februar 1940 in
00:49:11: Richtung Südamerika.
00:49:15: Bernhard und Bertha Levy blieben in Hamburg zurück.
00:49:19: Sie zogen 1940 mit Berthas Schwester Sophie London in das ehemalige
00:49:22: jüdische Altenheim in der Schäferkampsallee 29, was zu
00:49:26: einem "Judenhaus" umfunktioniert wurde. Im Juli 1942 begannen in
00:49:29: Hamburg die Deportation älterer Juden ins Ghetto Theresienstadt.
00:49:34: Am 15. Juli wurden die Bewohner*innen der Schäferkampsallee 29
00:49:38: aus ihren Wohnungen geholt, darunter neben
00:49:43: Bernhard und Bertha Levy auch Sophie
00:49:46: London, Berthas Schwester
00:49:49: und sieben weitere Verwandte von Bertha. Sie wurden zum Sammelort
00:49:52: in der Volksschule in der Schanzenstraße gebracht, wo sie
00:49:55: noch von der Jüdischen Gemeinde versorgt wurden. Von dort wurden
00:49:59: die Männer und Frauen in LKW
00:50:01: zum Hannoverschen Bahnhof gebracht, wo sie mit einem
00:50:04: Personenzug der Reichsbahn bis zum Bahnhof Bauschowitz
00:50:07: fuhren. Von dort ging es zu Fuß oder per LKW in das Ghetto
00:50:11: Theresienstadt, nur vier Tage später traf auch Berthas Cousin,
00:50:14:
00:50:16: das ehemalige St. Pauli-Mitglied Max Nathan London ebenfalls im
00:50:20: Ghetto Theresienstadt ein. Er wohnte bis dahin auf St.
00:50:23: Pauli in der Marktstraße 47.
00:50:27: Gertrud Levy bestätigte nach dem Krieg, dass
00:50:30: ihr Vater im Ghetto Theresienstadt als Hilfsarbeiter
00:50:33: eingeteilt war. Doch mehr Kontakt gab es nicht. Zum Ghetto
00:50:36: Theresienstadt muss man einmal dazu sagen, dass das Wort Ghetto
00:50:40: quasi ein Propagandabegriff war,
00:50:43: den die Nazis benutzt haben, um dieses Ghetto eben etwas milder
00:50:47: erscheinen zu lassen, als es ursprünglich war.
00:50:51: Theresienstadt war eine alte Garnisonsstadt, die im November 1941
00:50:57: von den Nazis umgebaut wurde.
00:51:00: Über 33.000 Menschen starben in Theresienstadt und über 80.000
00:51:04: wurden in Vernichtungslager im Osten deportiert.
00:51:13: Am 15. Mai 1944
00:51:19: wurden Bernhard und Bertha Levy gemeinsam mit ihrer
00:51:22: Schwester Sophie London nach Auschwitz deportiert, wo sie
00:51:25: vermutlich bei Ankunft direkt ermordet wurden.
00:51:29: Im Oktober 1944 wurde auch Max Nathan London nach Auschwitz
00:51:32: deportiert, wo er ermordet wurde.
00:51:35: Einziger Überlebender der Familie London war Berthas jüngerer
00:51:38: Bruder Max, der bereits 1940 in die USA emigrierte.
00:51:42: Seine Tochter Eva London Ritt die 1933 in Hamburg geboren
00:51:45: wurde, sagte einmal: "Alle meine Onkel, Tanten, Stieftanten
00:51:49: oder Stiefonkel außer einem wurden in Auschwitz ermordet.
00:51:52: Keiner dieser Menschen wurde auch nur annähernd 65 Jahre alt.
00:51:56: Das ist ein Loch, das nie wieder zu füllen sein wird."
00:52:03: Ich erzähle Euch die Geschichte von Louisa Elias. Ihr Spitzname
00:52:07: war Lieschen.
00:52:09:
00:52:12: Es gibt kein Foto, also wir haben kein Foto gefunden.
00:52:16: Was wir gefunden haben, ist ein Zeitungsartikel im "Hamburger
00:52:21: Familienblatt"
00:52:26: über ein Handballspiel in der Sportgruppe Schild.
00:52:31: Und sie war an diesem Tag in der Aufstellung.
00:52:35: Wir wissen nicht, wer von diesen Frauen sie ist, aber sie ist auf
00:52:39: diesem Bild.
00:52:42: Eine von den Frauen im dunklen Trikot, Schild hat immer
00:52:47: in dunklen Trikots gespielt.
00:52:53: Die meisten Informationen aus dem Text, den ich Euch jetzt
00:52:56: vortrage, kommen von der Stolperstein-Biografie über
00:52:59: Louisa Elias, von Susanne Rosendahl und alle Informationen
00:53:03: zum sportlichen Teil kommen von uns, also vom FC St. Pauli-
00:53:07: Museum.
00:53:09: Louisa Elias wurde am 30. Oktober 1913 in Hamburg geboren. Sie war
00:53:14: die jüngste von neun Geschwistern.
00:53:18: Die Familie lebte am Großneumarkt, Hausnummer 56, in
00:53:21: einem Gebäude des Herz-Joseph- Levy-Stift.
00:53:24: Das war eine Stiftung, die nur Personen aufnahmen, die sich zum
00:53:28: Judentum bekannten und nach orthodoxen Riten lebten. Diese
00:53:31: Bedingungen erfüllten Louises Eltern, Louisas Eltern. Es ist
00:53:33: tatsächlich so, dass sie manchmal Louisa genannt wird und
00:53:36: manchmal Louise.
00:53:38: Also ihre Eltern erfüllten diese Bedingungen.
00:53:42: Ihre Eltern hießen David und Theresia Elias.
00:53:46: Wie ihre Schwestern besuchte Louisa die Israelitische
00:53:49: Töchterschule in der Karolinenstraße. Ihre Brüder
00:53:51: wurden an der Talmud Tora Schule am Grindelhof unterrichtet.
00:53:56: Im März 1928 beginnt Louisa, wie zuvor ihre Schwester Hertha,
00:54:00: eine Lehre als Verkäuferin im Modehaus der
00:54:04: Gebrüder Robinsohn am Neuen Wall.
00:54:15: Nach dem Ende ihrer Lehrzeit bleibt sie dort beschäftigt und
00:54:18: besucht nebenbei eine Fortbildungsschule.
00:54:21: Das sind Fotos von dem Kaufhaus Robinson. Ich glaube,
00:54:25: die Stelle erkennt man ganz gut immer noch.
00:54:35: Im September 1931 wird Louisa mit 18 Jahren erstmals in der
00:54:39: Vereinszeitung des Hamburg-St. Pauli Turnvereins erwähnt. Als
00:54:43: Läuferin beim Rund um die Alster- Staffellauf.
00:54:47: Es ist relativ wahrscheinlich, dass sie schon seit ihrer Jugend
00:54:50: oder Kindheit Mitglied im Turnverein war, auch wenn sich
00:54:52: das nicht belegen lässt.
00:54:54: Es ist grundsätzlich so, dass Mitgliederunterlagen aus den
00:54:57: 20er-Jahren kaum erhalten sind und selbst da, wo sie
00:54:59: existieren, werden in der Regel nur Männer aufgeführt.
00:55:04: Die Biografien von Sportler*innen zu recherchieren,
00:55:06: ist generell wesentlich schwieriger als die Lebenswege
00:55:08: von Männern nachzuzeichnen. Zumindest in meiner Erfahrung,
00:55:11: weil es einfach wesentlich weniger Quellen gibt.
00:55:15: Nach dem Ausschluss jüdischer Sportler*innen aus den
00:55:18: paritätischen Sportvereinen wechselt Louisa zur jüdischen
00:55:21: Sportgruppe Schild.
00:55:23: Im Juni 1934 belegte sie bei den Norddeutschen Leichtathletik-
00:55:27: Meisterschaften den ersten Platz im 100 Meter-Lauf der Damen und
00:55:30: den ersten Platz im Weitsprung. Louisa spielt außerdem
00:55:33: erfolgreich Handball und Hockey. In beiden Teams, das hatte
00:55:37: Christopher vorhin ja schon mal kurz erwähnt, gehört sie zu den
00:55:40: besten Spielerinnen.
00:55:43: Während der November-Pogrome wird das Kaufhaus der jüdischen
00:55:47: Gebrüder Robinsohn, in dem Louisa arbeitet, schwer beschädigt. Hans
00:55:51: Robinsohn, Sohn des Mitbesitzers Max Robinsohn, erinnert sich an
00:55:55: die Verwüstung der Geschäfte später sehr eindrücklich wie
00:55:58: folgt, Thomas liest das einmal vor. Genau, das ist ein
00:56:02: Bericht, oder in dem Fall Zitat ja, aus einem Magazin der
00:56:06: Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie, also Ahnen-
00:56:09: und Familienforschung, das Zitat also von Hans Robinsohn:
00:56:14: "Am Morgen des 10. November 1938 wurde mir telefoniert, dass im
00:56:18: Geschäft allerhand zerstört sei. Ich fuhr dann hinein und musste
00:56:21: feststellen, dass es bei uns aussah wie nach einer Artillerie-
00:56:25: Beschießung. Man wunderte sich nur, dass noch die Mauern
00:56:28: standen. Durch sämtliche Schaufenster und deren Rückwände
00:56:31: waren um 04:00 Uhr circa 50 Leute eingedrungen und hatten
00:56:35: innerhalb einer Stunde eine Verwüstung ohnegleichen
00:56:38: angerichtet. Alles Glas, Tische, Schränke, Lampen und Vitrinen
00:56:41: zerschlagen, die Splitter lagen etwa 25 Zentimeter hoch vom
00:56:45: Boden. Alle Schränke und Tische waren umgestürzt, die
00:56:48: Fahrstuhltüren eingeschlagen, die Waren heruntergerissen und
00:56:51: ausgeschüttet.
00:56:52: Dann zertreten, zerschrammt und zerdrückt. Messinggeländer an den
00:56:56: Kassen auseinandergerissen, die Kassen selbst zerschlagen.
00:56:59: Mobiliar aus dem 1. Stock in das Erdgeschoss geworfen, einige
00:57:03: Tische mit Ware ins Fleet geworfen. Schreibmaschinen
00:57:06: zertrümmert, die Kartothek zerfetzt und in die Gegend
00:57:09: verstreut. Im 1. Stock sah es genauso aus, auch da waren alle
00:57:13: Fenster eingeschlagen und alles zertrümmert. In einem
00:57:16: Treppenhaus war vergeblich versucht worden, durch die
00:57:19: eisernen Roll-Jalousien in den Raum zu kommen. Eine Beule von
00:57:22: 10 Zentimeter Tiefe zeugte von der Kraft der Angreifer und
00:57:26: ihrer "spontanen" Empörung. Enttäuscht darüber, dass sie
00:57:29: nicht hereinkamen,
00:57:30: zerschlugen sie dann bis zum 4. Stock alle Toiletten des
00:57:33: Treppenhauses an die heran konnten. Das gibt vielleicht
00:57:36: einen schwachen Eindruck wieder, aber wer es nicht gesehen hat,
00:57:39: kann sich keine Vorstellung davon machen."
00:57:43: Hans Robinsohn ist am gleichen Tag, also am 10. November, hat
00:57:47: er die Stadt verlassen. Er ist gewarnt worden, wollte kein
00:57:50: Risiko eingehen und ist zunächst nach Berlin und wenig später
00:57:54: nach Kopenhagen, wo bereits seine Frau und seine Kinder ihn
00:57:57: erwarteten. Und von dort aus hat er noch mal eine Ergänzung
00:58:01:
00:58:03: hier getätigt und zwar, Zitat wieder: "An vielen Stellen konnte
00:58:07: man grinsende und zufriedene Gesichter sehen. Die Presse
00:58:10: brachte nur die Nachrichten von einzelnen Synagogenbränden und
00:58:14: eingeschlagenen Schaufensterscheiben. Die
00:58:16: zahllosen Gewalttäter, Plünderungen und vor allem die
00:58:19: systematische Verhaftung von allen männlichen Juden, blieben
00:58:22: weitesten Kreisen der Bevölkerung unbekannt. Wer keine Beziehung
00:58:26: zu Juden oder zu Leuten mit jüdischen Bekannten hat,
00:58:29: erfuhr eben nichts davon."
00:58:33: Ja, das ist natürlich die Frage, ob das so stimmt, aber das ist
00:58:36: zumindest das, was er empfunden hat.
00:58:39: Ganz rechts seht Ihr die Gedenktafel, die heute an dem
00:58:42: Gebäude angebracht ist, die an die jüdischen Inhaber Robinsohn
00:58:46: erinnert.
00:58:48: Es war so, dass die schon am 10. November, also am ersten Tag
00:58:52: der Pogrome in Hamburg, durch einen Treuhänder ersetzt wurden,
00:58:56: also quasi entrechtet wurden oder enteignet wurden und alle
00:58:59: jüdischen Mitarbeiter*innen, also auch Louisa Elias, werden
00:59:03: entlassen.
00:59:05: Louisas Vater David wird während der Pogrome von der Gestapo
00:59:09: verhaftet und ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel
00:59:12: verschleppt. Er kommt nur unter der Auflage
00:59:16: frei, Deutschland und unverzüglich zu verlassen. Das
00:59:20: Ehepaar Elias, zu diesem Zeitpunkt 67 und 69 Jahre alt, flieht
00:59:24: im Februar 1939 nach Den Haag, wo bereits drei Kinder der Elias-
00:59:28: Familie leben, Mathilde, Julius und Hertha. Wenig später kommt
00:59:32: auch Louisa nach.
00:59:34: Über ihre Abreise im Frühjahr 1939 berichtet Louisas Schwester
00:59:38: Elfriede Jahre später:
00:59:41: "Ich erinnere mich noch, dass sie auf der Reise an der Grenze
00:59:45: Bentheim von deutschen Beamten aus dem Zug geholt und einer
00:59:48: sehr gründlichen Untersuchung unterzogen wurde. Später jedoch
00:59:52: erlaubte man ihr, mit einem anderen Zug die Fahrt
00:59:55: fortzusetzen. Unsere Eltern, die Deutschland zwei Monate früher
00:59:59: verlassen hatten, warteten vergebens am Bahnhof in Den Haag
01:00:03: und die Aufregung war sehr groß, als sie nicht mit dem
01:00:06: festgesetzten Zuge eintraf."
01:00:10: In Den Haag fand Louisa eine Anstellung als Dienstmädchen,
01:00:13: vermutlich gegen Kost und Logis.
01:00:17: Nach der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 werden
01:00:20: alle deutschen Jüdinnen und Juden, die im Küstengebiet
01:00:23: leben, aufgefordert, dieses Gebiet innerhalb von 48 Stunden
01:00:27: zu verlassen.
01:00:33: Louisa flieht daraufhin mit ihrer Familie nach ’s-Hertogenbosch im
01:00:36: Süden der Niederlande, wo sie mit viel Mühe eine neue
01:00:39: Anstellung findet und sich eine Wohnung mit ihren Eltern und
01:00:42: ihrer Schwester Hertha teilt.
01:00:45: Louisas Schwester Elfriede, die in den USA lebt zu diesem
01:00:48: Zeitpunkt, bemüht sich ihre Familie aus den Niederlanden
01:00:51: herauszubekommen und scheitert.
01:00:53: Eine Emigration ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
01:00:57: David Elias und seine Ehefrau Theresia werden im April 1943
01:01:01: vom deutschen Besatzungspolizisten aus ihrer
01:01:03: Wohnung geholt und im Sammellager Westerbork
01:01:06: interniert.
01:01:08: Am 13. April 1943 werden sie von dort ins Vernichtungslager
01:01:13: Sobibor deportiert und am 16. April 1943 ermordet.
01:01:19: Louisa kommt im April 1943 zunächst in das Durchgangslager
01:01:23: Kamp Wut. Gut zwei Monate später, am 8. Juni 1943, wird auch sie über
01:01:28: Westerbork nach Sobibor deportiert.
01:01:32: Ihr offizielles Todesdatum ist der 11. Juni 1943.
01:01:39: Das sind die Stolpersteine von Louisa Elias und ihrem Vater
01:01:42: David.
01:01:44: Vor dem Gebäude am Großneumarkt 56, was heute noch steht.
01:01:49: Man sieht da die Überschrift oder die
01:01:54: Einprägung Herz-Joseph- Levy-Stift.
01:02:01: Man kann vielleicht als kurze Ergänzung dazu sagen, dass
01:02:06: in Hamburg ein Drittel aller Stiftungseinrichtungen für
01:02:11: Bedürftige von
01:02:14: Jüdischen Menschen
01:02:16: gegründet oder geleitet wurde.
01:02:21: Ja.
01:02:22: Ich werde Euch dann die Geschichte oder die Biografie
01:02:26: von Max Otto Friedländer vorstellen.
01:02:30: Hier zu sehen.
01:02:33: Max Otto Friedländer wurde am 1. November 1880 in Hamburg in eine jüdische
01:02:37: Familie geboren. Als Sohn von Adolph und Sara Friedländer. Er
01:02:42: ist auf St. Pauli in der Talstraße aufgewachsen.
01:02:47: Sein Vater Adolph Friedländer war einer der bekanntesten deutschen
01:02:51: Lithographien des 19. Jahrhunderts. Aus einem kleinen
01:02:54: Betrieb für Etikettendruck wurde nach und nach eine
01:02:57: Großdruckerei, die besonders für Theater, Varietés und Artisten
01:03:01: arbeitete und Reklameplakate entwarf und herstellte.
01:03:06: Auch Zirkusse gehörten zu den Kunden, wie unter anderem die
01:03:10: Tiershow von Carl Hagenbeck, also vor Errichtung noch des
01:03:13: Tierparks. Die Firma hatte auch Kunden in Japan, Australien,
01:03:16: Indien, den USA und noch heute sind die kunstvollen Friedländer-
01:03:19: Plakate zeitweise in Ausstellungen zu sehen.
01:03:23: Max Otto Friedländer trat im März 1905 in den Hamburg-St.
01:03:27: Pauli Turnverein ein. Wie aktiv er da geturnt hat, ist leider auch aus den
01:03:31: vorliegenden Unterlagen nicht genau zu entnehmen, aber er war
01:03:35: auf jeden Fall Teil des Vereins in seiner Nachbarschaft. Ein Jahr
01:03:39: zuvor, 1904, übernahm er gemeinsam mit seinem älteren Bruder Ludwig
01:03:43: die Druckerei seines verstorbenen Vaters, die war auch in der
01:03:47: Talstraße, Hausnummer 83 bis 85. Wir sehen hier, das ist jetzt
01:03:51: kein Tippfehler, sondern die Talstraße wurde damals wirklich noch
01:03:55: mit h geschrieben, deswegen ist das so korrekt für die Zeit. Im
01:03:59: Oktober 1907
01:04:00: erwarb Max Otto Friedländer das Bürgerrecht in Hamburg, das
01:04:03: war durchaus etwas Besonderes, denn nur ein kleiner Teil der
01:04:07: Einwohnerschaft der Stadt war ein Bürger, in dem Fall wirklich
01:04:10: männlich, was zum Beispiel Voraussetzung war, wählen zu
01:04:13: dürfen, das hat sich erst nach 1918 geändert. Er lebte zu diesem
01:04:17: Zeitpunkt in der Eimsbütteler Straße 45, heute die Budapester
01:04:20: Straße. Das dürfte, wenn man die heutigen Hausnummern heranzieht,
01:04:24: genau neben dem "Jolly Roger" gewesen sein.
01:04:27: Im Juni 1910 heiratete er in zweiter Ehe die Jüdin Selma
01:04:31: Hedwig ("Hedy") Eysler, Eysler mit Ey. Ihr Vater war der aus Wien
01:04:35: stammende Verleger Otto Eysler. Und nach dessen Tod 1927 wurde
01:04:39: Max Otto Friedländer in den Aufsichtsrat des großen
01:04:42: Verlagshauses "Dr. Selle-Eysler AG" gewählt. Der Verlag
01:04:46: brachte unter anderem die erfolgreiche Satire- und
01:04:49: Karikaturen-Zeitschrift "Lustige Blätter" heraus.
01:04:53: Zuvor trat Friedländer zum Beispiel 1919 in einem Artikel
01:04:57: als Geschäftsführer des namhaften Zirkus Busch auf. 1920
01:05:00: wurde er zusammen mit Paula Busch sogar als Gesellschafter
01:05:03: eingetragen, schied aber 1925 dort wieder aus. 1926 hatte Max Otto
01:05:06: Friedländer dann offenbar einen eigenen Zirkus namens "Maxo" und
01:05:10: stand einer gleichnamigen Theater- und Varieté-
01:05:13: Betriebsgesellschaft vor. Der Name der Firma war zugleich sein
01:05:16: Spitzname, nämlich zusammengesetzt aus seinen
01:05:19: beiden Vornamen, also Max Otto, Maxo. Sein Unternehmen
01:05:22: organisierte zahlreiche erfolgreiche Tourneen, unter
01:05:25: anderem in die Niederlande, dort sind auch einige Fotos von ihm
01:05:29: erhalten geblieben.
01:05:31: 1928 wurde Friedländer in den Vorstand des "Allgemeinen
01:05:34: Circus-Direktoren-Verbandes“ gewählt. Auch sowas gab es. 1929
01:05:38: war er erneut beim Zirkus Busch in Hamburg tätig, der war ehemals
01:05:42: in der späteren Schilleroper ansässig übrigens und seit der
01:05:46: Jahrhundertwende aber hatte der Zirkus Busch hier einen festen
01:05:50: Bau auf St. Pauli und von diesem ist heute noch der
01:05:53: Straßenname Zirkusweg übrig geblieben, der von der
01:05:56: Reeperbahn da vorne abgeht.
01:06:01: Spätestens 1933 dann war Max Otto Friedländer für das Flora-
01:06:05: Theater am Schulterblatt
01:06:08: zuständig. Hier im Hintergrund zu sehen,
01:06:12: beziehungsweise hier links. Denn in einem Artikel über Claire Waldoff
01:06:16: taucht sein Name als Geschäftsführer der Flora auf.
01:06:20: Die besonders in Berlin populäre Sängerin hatte nach der
01:06:24: Machtübergabe an die NSDAP kaum noch Engagements, war nach
01:06:28: eigener Aussage, Zitat, "unerwünscht". Im Mai 1933 sollte
01:06:32: sie nun in der Flora auftreten.
01:06:35: Woraufhin der "Kampfbund für Deutsche Kultur" den
01:06:38: Geschäftsführer Friedländer aufforderte, den Vertrag mit
01:06:41: der, Zitat, "Kommunistischen Exponentin und Vertreterin einer
01:06:45: dekadent gewerteten Kunstrichtung" wieder zu lösen.
01:06:48: Außerdem wurde moniert, dass Friedländer, wiederum Zitat, "noch
01:06:51: immer einen solch hohen Prozentsatz ausländischer und
01:06:54: jüdischer Artisten beschäftigt, den wir im Interesse
01:06:58: einer kulturellen Erziehung der breiten Masse nicht für tragbar
01:07:02: halten". Allerdings, Zeitungsberichte belegen, dass
01:07:05: die Auftritte dennoch stattgefunden haben. Kurzes
01:07:08: Zitat aus dem "Hamburger Fremdenblatt" vom 3. Mai 1933:
01:07:11: "Ihre überwältigende Komik
01:07:12: reißt das Publikum zu stürmischem Beifall hin, der Zugaben über
01:07:15: Zugaben erzwang."
01:07:18: Friedländer hatte vorher diesem "Kampfbund" auch ausführlich
01:07:21: geantwortet, unter anderem mit: "Es ist bekannt und von deutschen
01:07:24: Kunstsachverständigen immer wieder betont, dass die
01:07:27: einzigartige Kunst, die Claire Waldoff bringt, eine
01:07:29: bodenständige, im besten Sinne volkstümliche Kunst ist. Eine
01:07:32: Kunst, die so groß und meisterhaft ist, dass die vielen
01:07:35: Nachläufer sie nicht im Entferntesten erreichen konnten."
01:07:38: Er hat sich also offensichtlich davon nicht einschüchtern
01:07:41: lassen.
01:07:44: 1934 arbeitete Friedländer einige Monate für den Zirkus Sarrasani
01:07:48: auf dessen im April beginnender Südamerika-Tour. Zirkusdirektor
01:07:51: Hans Stosch hatte für diese Tournee auch mehrere jüdische
01:07:55: Artist*innen engagiert und ihnen so zur Ausreise verholfen.
01:07:58: Friedländer kehrte allerdings nach Deutschland zurück,
01:08:01: möglicherweise nachdem Stosch am 17. September 1934 in Sao Paulo
01:08:05: starb. Es gibt auch ein Foto von dieser Trauerfeier, aber in
01:08:08: dieser Masse an Menschen ist Friedländer nicht zu erkennen
01:08:12: natürlich, aber vermutlich war er dabei.
01:08:16: Die ursprüngliche Druckerei, von der wir gesprochen haben, die
01:08:20: väterliche, die wurde übrigens schon seit 1920 alleine von
01:08:23: seinem Bruder Ludwig weitergeführt. Das hatten wir jetzt
01:08:26: eben auf den Plakaten, da gab es immer so eine kleine
01:08:30: Marke in der Ecke, das sogenannte Friedländer-Druckersignet.
01:08:34: Genau, hier rechts zum Beispiel, das wurde dann nach
01:08:37: 1933 als "Judenkirsche" bezeichnet, das war so der
01:08:40: Begriff für dieses Signet der ja immer noch bekannten
01:08:44: Druckerei Friedländer. 1935 ist das letzte Plakat dort erschienen und
01:08:47: gedruckt worden, und das Unternehmen wurde dann 1938 endgültig
01:08:51: geschlossen.
01:08:53: Während der Novemberpogrome 1938 wurde Max Otto Friedländer
01:08:58: verhaftet und war bis zum 12.12.1938 auch im KZ Sachsenhausen
01:09:02: interniert. Und die Freilassung, das hatten wir jetzt auch schon
01:09:06: gehört, war damals in der Regel mit der Auflage verbunden, das
01:09:11: Land schnellstmöglich zu verlassen. 1939 sind beide
01:09:14: Friedländer-Brüder geflohen. Ludwig mit seiner Ehefrau
01:09:18: Gertrude über die Niederlande nach England, dort starb er am
01:09:23: 21.06.1953 in London, seine Tochter Renée lebte bis zu ihrem Tod in
01:09:27: den USA, 1980. Der 1920 geborene Sohn
01:09:29: Anselm wurde aus den Niederlanden deportiert und am
01:09:33: 25. Juni 1941 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet.
01:09:37: Max Otto Friedländer wiederum hat es nach Schweden
01:09:41: verschlagen, er stirbt dort ein paar Monate vor seinem Bruder am
01:09:46: 18. Januar 1953. Die 1911 geborene Tochter Kitty starb 1980 in
01:09:50: Jerusalem.
01:09:51: Ja, vielen Dank, Thomas. Aber dann bedanke ich mich auf jeden
01:09:56: Fall, dass Ihr da wart zur Premiere des ersten FCSP-
01:10:00: Geschichte(n)-Live-Specials
01:10:02: zum 9. November in Gedenken an 85 Jahre Novemberpogrome in
01:10:07: Hamburg. Wenn Ihr Euch weiter informieren wollt über
01:10:10: verschiedene Dinge aus dem FC St. Pauli-Kontext und der
01:10:15: Aufarbeitung
01:10:16: der Zeit vor 1945, wir haben in unserem Museumsshop, es gibt das
01:10:21: Buch von Gregor Backes "Mit deutschem Sportgruß", der sich
01:10:25: über die Zeit des FC St. Pauli 1933 bis 1945 auseinandersetzt. Ebenfalls
01:10:30: bieten wir an von Frauke Steinhäuser "Bis zu seinem
01:10:33: freiwilligen Ausscheiden im April '33. Jüdische Sportler*innen
01:10:37: und als jüdisch Verfolgte im NS
01:10:41: in Hamburg" und wir bieten natürlich weiterhin auch an den
01:10:44: Ausstellungskatalog zu "Fußball. Flucht. Exil" über Max Kulik,
01:10:47: einen jüdischen Fußballer und Arzt aus St. Pauli.
01:10:51: Und Ihr könnt all diese Bücher am Tresen kaufen, heute auch.
01:10:56: Und wenn Ihr unsere Arbeit unterstützen möchtet, freuen wir
01:11:00: uns immer über neue Mitglieder im 1910 e.V., dem gemeinnützigen
01:11:04: Betreiberverein des FC St. Pauli-Museums. Geht schon ab 2 €
01:11:08: im Monat. [Applaus]
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