#7 Politik am Millerntor

Shownotes

Der FC St. Pauli ist heute für seine antifaschistischen Fans und die klare Kante gegen Rechts bekannt. Das war nicht immer so. In den Acht­zi­gern tum­melten sich auch am Mill­erntor Rechts­ra­di­kale. Noch Anfang der 90er-Jahre, als Linke und Punks den Klub längst für sich entdeckt hatten, wurde in der Vereinszeitung ein Nazi-Verbrecher für seine Verdienste gefeiert. 1994 kam es zu einem rassistischen Vorfall unter Spielern, der die aktive Fanszene erschütterte und spaltete.

In der siebsten Folge von FCSP-Geschichte(n) geht es um Politik am Millerntor und um die "Politisierung" der Fanszene in den 80er- und 90er-Jahren.

Celina erzählt, wie die aktive Fanszene des FC St. Pauli mit der Gründung des ersten (vernünftigen) deutschen Fanzines zur "vierten Gewalt" am Millerntor wurde.

Christoph beleuchtet anhand der Causa "Otto Wolff" die gescheiterte Entnazifizierung des FC St. Pauli nach 1945.

Christopher berichtet von einem vereinsinternen Rassismus-Eklat im Jahr 1994 und der daraus resultierenden bitteren moralischen Niederlage für Verein und Fanszene.

Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), NEUSTART KULTUR, der Kulturstiftung der Länder und KULTUR.GEMEINSCHAFTEN – dem Förderprogramm für digitale Content Produktion in Kultureinrichtungen.

Transkript anzeigen

00:00:00: Ähm.

00:00:06: Auf den Knopf sollte ich nicht drücken, merk ich mir mal.

00:00:17:

00:00:20:

00:00:25:

00:00:28:

00:00:34: Herzlich Willkommen zu FCSP- Geschichten, das n in Klammern, dem

00:00:37: offiziellen Podcast des FC St. Pauli-Museums. Heute wieder in

00:00:41: Originalbesetzung, alle Kranken und Versehrten sind von der

00:00:44: Sommergrippe genesen und wieder zurück am Schreibtisch. Genau,

00:00:48: mehr oder weniger. Also es reicht noch als

00:00:51: Ausrede, wenn irgendwas Quatsch ist, dann Delirium.

00:00:54: Leichter Fieberwahn ist noch vorhanden. Genau. Die Leute

00:00:57: werden den Unterschied nicht merken. Wir freuen uns aber, dass Ihr

00:01:01: zuhört.

00:01:02: Und wollten aber eigentlich mit ein paar News aus dem Museum

00:01:05: einsteigen. Erstmal wollte ich noch sagen mit wem ich hier sitze. Ich

00:01:08: mein es kann ja immer mal sein, dass Leute erst bei dieser Folge

00:01:11: einsteigen, insofern noch mal ganz kurz: Ich bin Celina und ich

00:01:14: sitze hier mit meinen Kollegen: Christopher, moin. Thomas, hallo.

00:01:18: Und Christoph.

00:01:19: Und wer neu ist, gerne die vorherigen Folgen nachhören

00:01:22: dann. Genau das macht immer Sinn. Das Konzept dieser Sendung

00:01:26: ist, dass wir Geschichten zu einem Überthema erzählen, zum

00:01:29: FC St. Pauli, und zwar jeder eine andere Geschichte, und wir

00:01:33: wissen vorher nicht, was die anderen erzählen und die

00:01:36: Reihenfolge der Geschichten wird ausgelost von Thomas. Thomas,

00:01:39: der auch unser Unparteiischer ist, also auch der

00:01:42: Schiedsrichter. Insofern schreitet er ein, wenn zu

00:01:45: viel Unsinn geredet wird und wir alle fürchten ihn sehr. Für alle,

00:01:49: die es noch nicht mitbekommen haben, wir haben im Moment eine

00:01:52: Sonderausstellung

00:01:53: über den jüdischen Fußballer Max Kulik. Die Sonderausstellung

00:01:56: trägt den Titel "Fußball. Flucht. Exil." und wir dürfen an dieser

00:02:00: Stelle verkünden, dass wir sie verlängert haben, dass sie bis

00:02:03: Ende des Jahres laufen wird mindestens. Ihr habt also noch

00:02:06: ordentlich Zeit, sie Euch anzuschauen, und wir würden uns

00:02:09: freuen, wenn Ihr das tut.

00:02:11: Und es gibt einen Ausstellungskatalog, der bei uns

00:02:14: im Museum erhältlich ist, bei uns im Onlineshop

00:02:18: erhältlich ist, 1910shop.de. Er kostet nur 5 €, ist viel drin.

00:02:21: Alle Texte auf Deutsch und Englisch, viele Abbildungen aus

00:02:25: der Ausstellung und es gibt ihn auch als E-Paper. Falls ihr also

00:02:29: nicht die Versandgebühren bezahlen wollt und nicht in

00:02:32: Hamburg seid, könnt ihr euch den auch als E-Paper runterladen,

00:02:36: kostet auch 5 €.

00:02:38: Genau. Und er ist wie gesagt auf Deutsch und auf Englisch, also

00:02:41: auch für ein internationales Publikum zugänglich. Und apropos

00:02:45: international, Wir hatten auch internationalen Besuch, am 4.

00:02:49: August war die Familie von Max Kulik zu Besuch, seine Nichte

00:02:53: Jane und ihr Ehemann Leonard, extra aus Kalifornien angereist

00:02:56: und die Enkelin von Max Kuliks Schwester Ella ist extra aus

00:03:00: Israel gekommen, um sich die Ausstellung anzugucken. Es

00:03:04: war ein sehr toller Moment für alle Beteiligten und die Familie

00:03:07: war auch sehr aktiv beteiligt

00:03:09: an der

00:03:11: Erarbeitung seiner Biografie oder an der Aufarbeitung seiner

00:03:14: Biografie. Und genau, wir haben noch einen Viertelrundgang gemacht. Ja,

00:03:17: die Familie Kulik ist ja auch auf St. Pauli

00:03:20: aufgewachsen.

00:03:22: Und ja, das war sehr, sehr schön und wir haben alle viel daraus

00:03:25: mitgenommen. Ja wunderbar, wirklich klasse, dass das also

00:03:29: auch geklappt hat und schön zu sehen, wie weite Kreise die

00:03:32: Ausstellung zieht und

00:03:35: die Resonanz war auch sehr positiv habt ihr erzählt.

00:03:39: Genau da gab es jetzt auch Artikel von fcstpauli.com,

00:03:42: kleine Nachlese zu dem Besuch. Wenn Ihr Feedback zu

00:03:46: der Ausstellung habt oder auch Feedback zu unserer generellen

00:03:50: Ausstellung im Museum, weiterhin USP, 20 Jahre Ultrà

00:03:53: Sankt Pauli. Wie lange läuft die noch? Die läuft bis in den

00:03:57: Herbst noch rein und dann ist nach einem Jahr auch

00:04:00: mal Schluss, also haltet Euch ran. Kiezbeben, unsere

00:04:04: Dauerausstellung,

00:04:05: natürlich weiterhin geöffnet und bevor wir jetzt hier in

00:04:08: Museumswerbung verlieren, wird es heute politisch und ich bin

00:04:12: sehr gespannt, was Ihr mitgebracht habt und vielleicht

00:04:15: fangen wir erst mal an mit dem Losen, denn wie Ihr wisst oder

00:04:19: vielleicht jetzt erfahren werdet, losen wir immer vorher

00:04:22: aus, wer von uns Dreien die erste Geschichte erzählen darf.

00:04:27: Genau, dafür hab ich nachhaltig übrigens die gleichen Lose wie

00:04:30: die letzten Male. Damit wir nicht alles wieder neu

00:04:33: beschriften müssen, das macht ja auch Sinn. Werde also die ganzen

00:04:37: Sachen wieder schön ein bisschen mischen und

00:04:40: entblättern, nämlich das erste Los. Die anderen beiden müssen

00:04:45: nämlich noch warten, wie es weitergeht, und auf dem ersten

00:04:48: Los steht der Name:

00:04:51: Celina. Mensch. Hooray. Ja, wir reden heute über Politik und ich weiß

00:04:54: nicht, wie Euch das geht. Aber eines der ersten Dinge, die ich

00:04:58: über Politik gelernt habe in der Schule oder vielleicht auch im

00:05:01: Politikstudium, ich bin mir nicht mehr ganz sicher, eins von beidem,

00:05:04: ist, dass es in Rechtsstaaten drei Gewalten gibt.

00:05:08: Frei nach Charles de Montesquieu nämlich die Exekutive, die

00:05:11: Judikative und die Legislative.

00:05:14: Und eigentlich, das wusste schon Rousseau, gibt es aber vier

00:05:18: Gewalten, nämlich noch eine vierte inoffizielle. Wisst Ihr

00:05:21: welche das ist?

00:05:24: Ich hätte gesagt, unser Schiedsrichter, aber könnte

00:05:26: vielleicht auch die Presse sein.

00:05:28: Das ist natürlich richtig. Die Massenmedien, die sogenannten,

00:05:33: sollen, so zumindest die Theorie, durch wahrhaftige

00:05:36: Berichterstattung und Vermittlung der öffentlichen

00:05:39: Meinung eine Kontrollfunktion über die drei anderen

00:05:42: Staatsgewalten ausüben, um Machtmissbrauch zu verhindern.

00:05:45: Einen eklatanten Machtmissbrauch witterte die aktive Fanszene des

00:05:49: FC St. Pauli im Jahr 1989.

00:05:51: So ein Fußballclub ist ja eigentlich auch nur ein kleiner

00:05:54: Staat und die aktive Fanszene reagierte folgerichtig

00:05:57: mit der Gründung des ersten braun-weißen Massenmediums.

00:06:02: Dem "Millerntor Roar!", das ist natürlich benannt nach der

00:06:05: berühmten Geräuschkulisse am Millerntor.

00:06:08: Wer kennt sie nicht, wird heute noch gelebt wie im Jahr '89, vor

00:06:12: allem auf der Haupttribüne. Absolut ja, da gehts ab. Spaß.

00:06:15: Aber zurück in die späten 80er- Jahre, das war ja bekanntlich

00:06:19: eine goldene Zeit am Millerntor, der "Mythos St. Pauli" sorgte für

00:06:23: Schlagzeilen in der ganzen Republik, meistens wohlwollend.

00:06:27: Wir waren der Underdog-Verein der 1. Bundesliga und Helmut

00:06:30: Schulte war quasi der Underdog- Trainer der 1. Bundesliga,

00:06:34: weil er mit 30 Jahren der jüngste Trainer war, also der

00:06:37: 1. Bundesliga. Parallele zu heute bald,

00:06:40: zum Thema junger Trainer. Das stimmt, stimmt, vielleicht

00:06:44: dann ein gutes Omen für das A-Wort, was wir nicht nennen. Was

00:06:48: auch bemerkenswert ist: Unsere Zuschauer*innen-Statistik lag

00:06:52: deutlich höher als die des HSV, also kein Scherz, Ende '89, also

00:06:56: Ende der Saison 88/89 muss man korrekterhalber sagen, hatten

00:07:00: wir im Durchschnitt 21.000 Zuschauer*innen und der HSV hatte

00:07:04: 15.000. Der Witz war, dass unsere Statistik über

00:07:08: über der Kapazität des Millerntores lag wegen des einen Derbys

00:07:12: im Volkspark,

00:07:13: das hat das Ganze noch mal wieder aufgestockt. Traue keiner

00:07:17: Statistik, die du nicht selber gefälscht hast. Bedeutet, wir

00:07:20: hatten nach Dortmund, Bayern und Stuttgart die meisten Heimfans der

00:07:24: Bundesliga. Also eigentlich alles gut zu der Zeit, alles

00:07:27: super, bis das Präsidium des FC St. Pauli ankündigt, auf dem

00:07:30: Heiligengeistfeld eine Multifunktionsarena namens "Sport

00:07:33: Dome" mit 50.000 Sitzplätzen, Tiefgarage und Einkaufszentrum

00:07:37: bauen zu wollen. Top Idee, was soll da schiefgehen? Also

00:07:40: Tiefgarage klingt erstmal ganz gut. Ja, scheiß auf den

00:07:43: U-Bahntunnel.

00:07:44: Der muss dann weg.

00:07:46: Hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass der

00:07:49: stellvertretende Vorsitzende Heinz Weisener

00:07:52: mehrere Architekturbüros besaß. 500 Millionen Mark sollte der Spaß

00:07:55: kosten. Das wäre selbst für heutige Verhältnisse relativ

00:07:59: viel. Und muss man ja auch immer vor dem Hintergrund sehen, dass

00:08:02: kurz vorher der FC St. Pauli ja mangels finanzieller Mittel

00:08:05: zwangsversetzt wurde in die dritte Liga. Eine waghalsige

00:08:09: Finanzierung hat sich da angebahnt, glaube ich. Wie Ihr

00:08:12: Euch vielleicht denken könnt, waren Fans und Anwohner*innen

00:08:15: absolut begeistert und sicherten dem Präsidium sofort ihre volle

00:08:19: Unterstützung zu.

00:08:20: Deshalb schauen wir auch noch heute alle Heimspiele im

00:08:23: ehrenamtlich von Fans erbauten "Astra Sport Dome". Vielleicht ist das

00:08:26: mit dem Fieberwahn doch nicht ganz so ausgeräumt bisher. Nein,

00:08:30: es gab natürlich sofort heftigen Protest und Widerstand in der

00:08:33: aktiven Fanszene, es gab eine Flugblattaktion und es gab einen

00:08:36: Schweigeprotest. Und aus diesem organisierten Widerstand gegen

00:08:40: den "Sport Dome" heraus entstand dann der berühmte "Millerntor Roar!",

00:08:43: das erste Fanzine Deutschlands und die vierte

00:08:46: Gewalt am Millerntor. Das erste vernünftige Fanzine sollte

00:08:49: man vielleicht einräumen, es gab vorher schon durchaus sowas,

00:08:52: aber halt

00:08:53: das beschränkte sich auf irgendwelche Prügel- und Saufstories. Ja,

00:08:56: und auch eher aus der rechten Ecke. Ja eben, wollte ich gerade

00:09:00: sagen, von eher fragwürdigen Fanszenen auch. Also

00:09:03: das erste, was wirklich einen Anspruch hatte, sagen wir mal so. So kann man es

00:09:07: sagen, definitiv. Einen Anspruch hatte, mehr darzustellen als

00:09:12: Titten und Saufen. Sowas, ja. Hat Sven Brux glaube ich mal so

00:09:15: gesagt. Trifft es aber auch. Ein O-Ton.

00:09:19: An die Gründungssitzung und die Teilnehmer*innen dieser

00:09:22: Gründungssitzung erinnert sich Iris Jensen, selbst Mitgründerin

00:09:26: des "Millerntor Roar!": "Wir hatten einen festen Kern von

00:09:29: Gründungsmitgliedern damals, die sich vor allen Dingen aus der

00:09:33: Anti-Sport Dome-Initiative rekrutiert haben, da haben wir

00:09:37: uns eigentlich alle mehr oder weniger kennengelernt. Vor allen

00:09:40: Dingen so dieser harte Kern um Sven

00:09:43: Brux,

00:09:44: Carsten Gensing, Barbara Figge war auf jeden Fall

00:09:48: dabei. Ich meine auch schon Olav Paasch und sein Bruder Toschi und

00:09:52: wir hatten noch Matze. Also das waren alles Mitglieder

00:09:56: tatsächlich der ersten Redaktionssitzung

00:09:59: inklusive Frank Weidemann eben auch als Jurist. Olav hat dann

00:10:03: noch, der war mit Giulia befreundet und hat die dann auch

00:10:07: noch relativ schnell mit dazu gebracht, so dass wir dann drei

00:10:10: Frauen waren. Ach so Diggen, Mensch Diggen war natürlich auch von

00:10:14: Anfang an dabei.

00:10:15: Ja, den habe ich gerade unterschlagen, weil der war auch

00:10:18: in dieser Anti-Sport Dome- Initiative als damaliger

00:10:21: eingefleischter Kommunist, genau, ja, was immer das bedeutet?" Der

00:10:26: eingefleischte Kommunist, ja. Genau, Diggen, das wisst Ihr

00:10:29: sicherlich, war? Der Frontmann von "Slime".

00:10:32: Das ist korrekt und er war eben auch Teil der Fanszene des FC

00:10:36: St. Pauli. Und er war Gründungsmitglied des

00:10:39: "Millerntor Roar!": "Ja, da war ich auch mit bei und daraus entstand dann

00:10:42: der "Millerntor Roar!". Man hatte sich zusammengefunden, wir waren zum

00:10:46: richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit den richtigen Leuten.

00:10:51: Das ist ja dann auch so ein Gemeinsamkeitsgefühl, was sich

00:10:54: dann entwickelt, was ja auch nicht so häufig in deinem Leben vorkommt.

00:10:57: Aber wer jetzt wirklich auf die Idee kam, ich

00:11:00: kann jetzt nicht sagen, Sven Brux hat da gesagt, Leute, wir machen

00:11:03: und das war die zündende Idee, sondern das ist natürlich so ein

00:11:07: Prozess oder so, aber Punk-Fanzines haben damit zu tun, dass "Not the

00:11:10: View" von Celtic hat damit zu tun." Also die Clique um Sven Brux hatte wohl

00:11:13: damals schon ganz gute Kontakte nach Schottland und hatte sich

00:11:17: vom dem berühmten Celtic-Fanzine "Not the View" inspirieren lassen

00:11:20: und kannte Fanzines natürlich eben auch schon aus der Punkszene,

00:11:24: aus der Sven Brux ja auch kam. Also die damalige

00:11:27: Stadion- oder Vereinszeitung von Celtic hieß

00:11:30: dann nämlich "The View" und dieses Fanzine war halt eben das

00:11:33: Gegenstück, nämlich "Not the View". Das war dann auch so ein

00:11:36: bisschen ähnlich wie der "MR!" so ein bisschen die Gegenthese zur

00:11:40: offiziellen Stadion- oder Vereinsverlautbarung sozusagen.

00:11:43: Gab es nicht auch in England dieses "When Saturday Comes" glaube

00:11:47: ich? Ja, das war ja eher so ein allgemeines, also jetzt kein

00:11:50: vereinsbezogenes Fanzine, sondern allgemeines

00:11:52: Fußballmagazin, so

00:11:53: ein bisschen im weitesten Sinne sowas wie "11 Freunde" heute oder in

00:11:56: Deutschland so in der Art. Aber das gab es auch schon sehr früh

00:11:59: und gibt es ja immer noch tatsächlich auch mit der ich weiß nicht

00:12:02: wie viel hundertsten Ausgabe, mittlerweile. Interessant.

00:12:06: Ja, so ein Fanzine zu basteln war auch im wahrsten Sinne des

00:12:09: Wortes Bastelei. Also das Layout wurde mit Prittstift und Schere

00:12:12: hergestellt hauptsächlich, das war bei der Erstausgabe des

00:12:15: "Millerntor Roar!" nicht anders, viel Arbeit.

00:12:18: "Und dann ist das ja so oldschool Alter, wenn du das heute

00:12:23: irgendwelchen 18-jährigen Töchtern oder Söhnen aus deinem

00:12:27: Bekanntenkreis erzählst, die denken, Großvater erzählt von 14-18 oder was.

00:12:31: Mit Schere und Pritt-Klebestift oder was, die wissen, ja gar nicht mehr was das ist, was ein Pritt-Klebestift ist.

00:12:35: Ja und so geht dann die Redaktionssitzung

00:12:39: ab." Der Prittstift. Es geht dann sehr viel um den Prittstift.

00:12:44: Das ist ja auch so ein Ding, was an der heutigen Jugend oft

00:12:48: kritisiert wird.

00:12:49: Der Umgang mit Prittstiften. Absolut, ganz oben. Die wissen gar nicht mehr

00:12:53: was. Also zum Glück halten sie sich bei Handys und so weiter sehr

00:12:56: zurück und sozialen Medien, aber die Prittstifte, dass das nicht läuft,

00:13:00: gibt mir auch schon längere Zeit zu denken. Kann man daran auch

00:13:03: schnüffeln? Wenn sie wenigstens daran

00:13:07: schnüffeln würden. Dann wäre es wenigstens wieder

00:13:10: Punkrock. Allerdings, also wir kritisieren jetzt einfach mal

00:13:13: die Jugend, auch das gehört in einen ordentlichen Geschichts-

00:13:17: Podcast hinein und schließen uns also vollumfänglich Diggen an.

00:13:20: Früher war alles besser. Früher, als die Punks noch gebastelt haben.

00:13:23: Die erste Ausgabe des "Millerntor Roar!" erschien im Juli 1989 und war ein

00:13:27: Riesenerfolg, wie Diggen sich erinnert: "Aber wie das Ding dann

00:13:30: einschlägt ist natürlich schon ne Granate. Das meine ich mit richtigem

00:13:33: Zeitpunkt, richtiger Ort, ist natürlich auch immer eine Sache.

00:13:36: Das brodelte, das fiel auf fruchtbaren Boden, die

00:13:39: Leute waren heiß sowas zu lesen, das hatten die noch nicht in der

00:13:42: Hand. Also außer die, die aus der Punkszene kamen, hatte das ja noch

00:13:45: nie jemand in der Hand so ein Ding, sondern nur die offizielle

00:13:48: Stadionzeitung, die stinkelangweilig war, die ich noch richtig visualisieren

00:13:51: kann.

00:13:52: Jahrelang habe ich dieses Ding in der Hand gehabt da von St.

00:13:56: Pauli, wo ne Mannschaftsaufstellung drin stand

00:13:58: vom Gegner und ansonsten stand nichts drin und Werbung für

00:14:01: Würstchen oder was. Und so entwickelt sich das dann. Und

00:14:04: dann diese Redaktionssitzungen,

00:14:06: wo von Anfang an ja auch klar, dass es um mehr als

00:14:10: Fußball geht. Also das ist von Anfang an sehr zügig auch klar

00:14:13: gewesen." Wer erinnert sich nicht an die Würstchen-Werbung im,

00:14:17: wie hieß es damals, "Pauli" einfach nur oder "Millerntor-Magazin?

00:14:20: Also zu der Zeit "Millerntor-Magazin", "Pauli" kam dann glaube ich danach

00:14:24: oder "Pauli am Ball", also das gab ja verschiedene Sachen noch,

00:14:28: dann. "Pauli" war auf jeden Fall danach ja und das mit am Ball

00:14:32: oder was war dann... "St. Pauli am Ball" war nochmal davor und "Pauli"

00:14:35: war nachher auch mit der Bretteroptik

00:14:37: später und so, die war dann schon inhaltlich nicht ganz so

00:14:41: schlecht mehr. Also es wurde dann sukzessive besser, was die

00:14:44: Inhalte angeht, aber im Endeffekt war natürlich

00:14:46: Stadionzeitung auch bei anderen Vereinen, wenn man mal auswärts so ein

00:14:49: Ding in die Hand kriegte, das waren eigentlich Werbeblätter mit ein paar Fotos und das

00:14:53: war es dann in der Regel eigentlich auch. Erstaunlich dass

00:14:56: die verkauft wurde. Meistens wurden die tatsächlich sogar

00:14:59: verkauft, ja. Ist ja nicht so wie die "Viva" heute, die es umsonst gibt quasi,

00:15:02: sondern da musste man wirklich noch Geld bezahlen für die

00:15:05: Würstchen-Werbung. Das war so ein bisschen vor meiner Zeit.

00:15:08:

00:15:11: In der Nullnummer, die den Untertitel "Fans, Fußball, Viertel"

00:15:14: trug, ging es dann tatsächlich um mehr als Fußball und auch

00:15:17: nicht mehr um den "Sport Dome", weil dieser Kampf war im Juli '89

00:15:20: bereits gewonnen. Die Pläne wurden schon glaube ich im Mai

00:15:23: '89 eingestampft. Es gab dann auch ein Gutachten in dem noch

00:15:26: mal stand, dass das fürs Viertel wirklich nicht verträglich gewesen wäre

00:15:29: zu der Zeit und dann wurde das zu den Akten gelegt. Aber was

00:15:32: die aktive Fanszene daraus mitgenommen hat ist, dass

00:15:34: organisierter Widerstand sich lohnt.

00:15:37: Was natürlich auch schon ein Stück weit aus der

00:15:39: Hafenstraße auch gekommen war.

00:15:41: Den Anstoß für die erste Ausgabe des "Millerntor Roar!" lieferte ein

00:15:45: anderer Vorfall und dazu hören wir nochmal Iris

00:15:50: Jensen: "Wir hatten damals eine Auswärtsfahrt zum FC Bayern

00:15:54: München ins Olympiastadion damals und sind bereits am

00:15:58: Bahnhof von einem massiven Polizeiaufgebot empfangen worden

00:16:02: und sind von vorneherein behandelt worden, als ob wir

00:16:06: irgendwie die Stadt auseinander nehmen wollen. Ja, also

00:16:10: wie so eine Verbrechergang.

00:16:12: Das zog sich tatsächlich bis zum Schluss durch und wir hatten

00:16:16: also dieses Spiel und es wurden auch Leute verhaftet aus völlig

00:16:20: nichtigen Gründen. Damals ist übrigens auch, weil eigentlich

00:16:23: war unser Plan, wir Frauen hatten ein großes Plakat

00:16:27: gemacht mit "Frauen erobern die Stadien", das war eigentlich

00:16:30: quasi unser Hintergrund, unser Hintergrund, warum wir auch

00:16:34: jetzt noch mal mitgefahren sind, Barbara, Giulia und ich auf jeden

00:16:38: Fall und noch viele andere Frauen und das geriet leider so

00:16:41: ein bisschen in den Hintergrund

00:16:43: aufgrund der Vorkommnisse. Das war tatsächlich keine schöne

00:16:47: Auswärtsfahrt, das muss man wirklich sagen und wir wollten

00:16:50: eben gerne,

00:16:52: dass der FC St. Pauli sich dagegen, gegen diese

00:16:55: Behandlung von uns Fußballfans, engagiert und auch

00:16:59: mit der Polizei nochmal und auch mit dem FC Bayern ins

00:17:03: Gespräch geht und haben einen Artikel verfasst, der sollte in

00:17:07: das damalige Stadionmagazin, "Millerntor Magazin" hieß das

00:17:11: glaube ich,

00:17:13: veröffentlicht werden, und das geschah nicht. Stattdessen gab

00:17:17: es einen Artikel von dem damaligen Reiseveranstalter, der

00:17:21: mit dem FC St. Pauli zusammengearbeitet hat

00:17:24: irgendwie, der erzählen konnte, wie toll die Auswärtsfahrten

00:17:27: organisiert werden und wie fantastisch das auch in München

00:17:31: war und so weiter und wir dachten wir lesen nicht richtig. Und

00:17:34: haben uns dann zusammengetan und dachten ja okay, also wenn die

00:17:38: das nicht veröffentlichen, dann veröffentlichen wir das eben auf

00:17:42: unserem Weg und das war im Grunde genommen so die

00:17:45: Gründungsidee des "Millerntor Roar!".

00:17:47: Sich selbst eine Stimme geben, wenn andere dir keine geben." Ja,

00:17:51: es ist schon 1989 schon so aktuell wie heute immer noch.

00:17:54: Polizeigewalt. Also das war damals ja eher selten,

00:17:57: dass Auswärtsfahrten so gelaufen sind, dass man eben wirklich von

00:18:00: vorne bis hinten eskortiert wird und so. Warst Du dabei eigentlich?

00:18:03: Nein, da noch nicht. Aber vom Grundsatz her,

00:18:06: Auswärtsfahrten auch noch Anfang der 90er, Mitte der 90er waren ja

00:18:10: meistens jedenfalls noch so, dass man sich da mehr oder

00:18:12: weniger frei bewegen konnte in den jeweiligen Städten, außer

00:18:16: jetzt wirklich Hochrisikospiele und ähnliches.

00:18:18: Aber grundsätzlich konnte man da machen was man wollte

00:18:22: mehr oder weniger und wurde ganz selten mal überhaupt

00:18:25: beäugt von der Polizei. Glorreiche Zeiten. Im Prinzip

00:18:28: im Nachhinein schon. Und der Umgang des Vereins mit

00:18:32: diesem Thema hat offensichtlich auch so ein bisschen

00:18:36: anders. Also wenn man das so betrachtet, war der Verein auch

00:18:39: sicherlich ein bisschen selber Schuld an der Gründung des

00:18:43: "Millerntor Roar!". Die Vereinsführung war allerdings ein bisschen

00:18:46: anders und versuchte als erste Maßnahme ein Verkaufsverbot für

00:18:50: den "Millerntor Roar!" rund um das Stadion durchzusetzen. Dazu Manfred

00:18:53: Campe, damals Geschäftsführer des FC St. Pauli: Ja zurecht,

00:18:57: wir hatten eine Stadionzeitung, eine offizielle

00:19:00: und wie das damals so war, so hemdsärmelig tauchte

00:19:04: das auf und wir verkaufen das jetzt. Das hat nicht meine

00:19:09: Zustimmung gefunden, weil ich erwarte, dass man fragt, bevor

00:19:13: man sowas macht. Dass das in der Sache gut war, "Millerntor Roar!",

00:19:18: stand überhaupt nicht zur Diskussion.

00:19:21: Die Tatsache, dass wir eine eigene Stadionzeitung haben, die in

00:19:24: unserem Stadion verkauft wurde, hat klar dagegengesprochen,

00:19:27: dass die ungefragt einfach ihr eigenes Ding verkaufen.

00:19:31: Da war ich dann,

00:19:33: das hat sich aufgelöst, glaube ich dann im Nachhinein sehr gut.

00:19:37: Okay, aber der Zwist entspinnt sich durch, diese wie soll ich

00:19:41: sagen, hemdsärmelige Art." Hemdsärmelig. Also, das

00:19:44: hat er glaube ich falsch

00:19:48: gesetzt. Also, das ist doch eher positiv konnotiert auch. Was wäre

00:19:52: dann die richtige Herangehensweise, anzugärmelig

00:19:54: oder ... Sakko tragend. Aber auch hemdsärmelig, eben auch im

00:19:58: modischen Sinne würde ich jetzt nicht mit den Menschen in

00:20:02: Verbindung bringen, die den "MR!" gegründet haben.

00:20:05: Das ist eine komische Begrifflichkeit. Fans, benehmt

00:20:08: euch finde ich schon ziemlich super. Ist halt besonders, wenn

00:20:12: man überlegt was das jetzt für das Marketing bedeutet hätte,

00:20:15: wenn sich wirklich alle immer brav daran gehalten hätten.

00:20:19: Irgendwie die Aktenordner der Liga oder sowas wäre das

00:20:23: wohl geworden. Wie wäre das gelaufen wenn die "Millerntor Roar!"-Gründer*innen damals

00:20:27: einen offiziellen Antrag gestellt hätten auf Genehmigung

00:20:30: den verkaufen zu dürfen, das wäre wahrscheinlich: "Dürfen wir den verkaufen?" "Nein." "Ok."

00:20:34: Genauso, ja.

00:20:35: Ein Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars. Hätte jetzt

00:20:38: auch nicht so richtig viel bewirkt.

00:20:40: Aber ich denke, es ging vor allem darum, dass es direkt an

00:20:43: den Stadioneingängen und vielleicht sogar im Stadion und

00:20:46: so, also darum ging es ja vor allem. Ist ja irgendwie ähnlich wie heute

00:20:49: auch mit diesen mobilen Bierverkäufern, die stehen ja

00:20:52: genau an der Grenze, dieser Grundstücksgrenze, wo sie es dann

00:20:55: irgendwie dürfen in Anführungsstrichen. Und so

00:20:57: wäre es dann sicherlich gegangen, dass man es ein bisschen weiter

00:21:00: außerhalb gemacht hätte, aber so, ich mein, in Kooperation ist

00:21:03: natürlich immer besser irgendwo. Es ist schon auch so,

00:21:06: dass Sven Brux später in einem Interview mit ein paar Jahren

00:21:09: Abstand den Verkaufserfolg des "Millerntor Roar!",

00:21:12: also der Nullnummer, durchaus auch der Tatsache zugeschrieben

00:21:15: hat, dass die Leute teilweise dachten, sie kaufen die offizielle

00:21:18: Stadionzeitung. Also das war sicherlich auch später immer

00:21:21: noch beim "Übersteiger" der Fall, dass die Leute einfach

00:21:24: schlicht und ergreifend, oh das ist ja, gerade auch Leute die vielleicht nicht so oft da sind oder auch Gästefans

00:21:27: tatsächlich dachten, sie kaufen dann bei uns die

00:21:30: Stadionzeitung und man hat dem natürlich nicht unbedingt sofort

00:21:33: widersprochen, warum auch. Genau, warum auch. Plötzlich keine

00:21:35: Aufstellung dann.

00:21:38: Naja, also ich meine sowohl im "MR!" als auch dann

00:21:41: später, das wurde dann auch übernommen, diese Mittelseite

00:21:43: aus dem "MR!" wurde auch im "Übersteiger" übernommen. Da waren durchaus Kader der

00:21:47: beiden Mannschaften des jeweiligen Spieltages dann, also

00:21:50: so ganz war das dann auch nicht ohne Sport und Statistik

00:21:53: sozusagen. Und wie hieß die Sportecke vom "Millerntor Roar!"?

00:21:57: Paaadie.

00:21:59: Ich finde es gut, dass wir dieses Unwort

00:22:02: ausgerechnet dem "Millerntor Roar!" zu verdanken haben. Also mit drei bis vier a

00:22:05: in der Mitte auf jeden Fall.

00:22:07: Barbara Figge, ebenfalls Gründungsmitglied des "Millerntor Roar!"

00:22:11: erinnert sich an die Konfrontation mit dem Verein

00:22:13: ein bisschen anders als Campe: "Ich glaube wirklich, der Verein

00:22:17: war überrascht, mit welcher Vehemenz und Wucht wir plötzlich

00:22:20: da waren. Das

00:22:22: hat glaube ich immer wieder

00:22:25: Auseinandersetzungen auch bedeutet, aber wir waren einfach

00:22:28: rotzfrech. Wir haben Forderungen gestellt, wir sind aufgetreten,

00:22:32: wir sind laut geworden. Wir waren in einer

00:22:35: Situation da, in der

00:22:37: es auch nicht mehr so leicht war, uns leise zu

00:22:40: kriegen. Also es war das gesamte Umfeld einfach in

00:22:42: Hamburg, wo das wie gesagt, das war nicht mehr leicht zu sagen,

00:22:45: so, wir hören Euch nicht, wir achten nicht auf Euch, sondern

00:22:48: das, was wir

00:22:50: sagten, das hatte Gewicht dann auch sehr schnell.

00:22:54: Und dann gab es die ersten, die ersten wirklich erfolgreichen

00:22:59: Aktionen rund um den Antirassismus und danach waren

00:23:05: wir,

00:23:06: danach war das einfach so, das war fix. Der "Millerntor Roar!" war

00:23:10: da und was da drin stand, wurde auch besprochen und da musste

00:23:13: der Verein sich auch verhalten zu, ob er wollte oder nicht."

00:23:18: Barbara hat natürlich Recht. Die Fanzinekultur am Millerntor war

00:23:21: gekommen, um zu bleiben. Der "Millerntor Roar!" entwickelte sich nach

00:23:24: seiner Gründung zu einem wichtigen Meinungsmacher und

00:23:27: auch zu einer wichtigen Diskussionsplattform für die

00:23:30: Fanszene. Also die Leserbriefe an den "Millerntor Roar!"

00:23:33: waren nicht ohne und die kamen teils sogar aus England wegen

00:23:36: der guten Beziehungen. Also was heißt England, Großbritannien,

00:23:40: also

00:23:43: auch aus Schottland, nicht nur aus England. Und auch wenn

00:23:46: der "Millerntor Roar!" nur bis 1993 in seiner Ursprungsform erschien, lebt die

00:23:50: Kernidee ja in anderen Fanzines weiter. Also aus dem

00:23:54: "Millerntor Roar!" sind dann ja zwei weitere Publikationen hervorgegangen, "Unhaltbar!"

00:23:57: und der "Übersteiger", den es noch heute gibt und der

00:24:01: dieses Jahr sage und schreibe sein dreißigjähriges Jubiläum

00:24:05: feiert.

00:24:06: Und dann gab es ja das berühmte Forum. Gibt es bestimmt immer noch, aber die

00:24:09: Hochzeit ist vielleicht ein bisschen vorbei. Sorry, liebe Forumsuser*innen.

00:24:13:

00:24:14: Und es gibt den "MillernTon" und es gibt den "Magischen FC". Und das

00:24:17: sind ja auch quasi, ich würde mich mal aus dem Fenster lehnen und

00:24:20: sagen, digitale Fanzines in einer Form, in denen auch immer

00:24:23: noch angeregt diskutiert und debattiert wird. Kann man so sagen,

00:24:27: ja. Und ob das ohne den "Millerntor Roar!" alles so gekommen wäre, wer

00:24:30: weiß.

00:24:31: So und zum Abschluss noch mal Iris Jensen, die das nämlich

00:24:33: ganz fantastisch auf den Punkt bringt:

00:24:35: "Also ich glaube, dass der "Millerntor Roar!" es ganz klar

00:24:39: geschafft hat, die Akzeptanz des Politischen in Verbindung mit

00:24:44: Sport nach vorne zu bringen. Also dieses, dass Sport und

00:24:48: Politik nicht zusammengehören, das ist ja so ne Floskel, die

00:24:53: einem auch heute immer noch sehr häufig entgegen stößt. Ich

00:24:57: glaube, dass wir es wirklich geschafft haben, dass der Verein

00:25:02: sich zu seiner politischen Verantwortung bekennt."

00:25:07: Gutes Abschlusswort. Kann man so stehen lassen, ja.

00:25:11: Und es hat ja nicht nur Auswirkungen jetzt auf uns

00:25:13: gehabt, finde ich. Also auf uns im Sinne von Verein und Fanszene

00:25:17: und auch die daraus folgenden weiteren Fanzines oder eben die,

00:25:20: wie Du eben sagtest, die heutigen digitalen Fanzines, kann man so glaube

00:25:24: ich schon sagen, dass ja viel die Veröffentlichung aus den

00:25:27: Fanszenen eben ins Internet verlagert haben und eben nicht

00:25:30: mehr gedruckt werden oder seltener. Aber es hat ja auch

00:25:33: überregional Wirkung gezeigt, weil dann auch in vielen anderen

00:25:37: Städten, Fanszenen sich nach und nach dann auch ähnliche Magazine

00:25:40: entwickelt haben. Anfang der 90er, Mitte der 90er, das war ja so

00:25:44: die Hochzeit der Fußball-Fanzines, wo ganz, ganz viele sehr, sehr gute

00:25:47: Magazine entstanden sind, die sich auch untereinander vernetzt

00:25:51: haben und auch dann wieder untereinander befruchtet haben

00:25:54: und Informationen ausgetauscht haben und

00:25:56: ähnliches. Also da ist wirklich auch im weiteren überregionalen

00:26:00: Sinne sehr viel daraus entstanden. Genau, das war die Geschichte vom

00:26:03: "Millerntor Roar!". Also wie gesagt, ich bin zu jung um den

00:26:06: selber im Stadion als Stadionzeitung verwechselt zu

00:26:09: haben, ich kenne das wirklich nur so jetzt in der Nachlese und

00:26:13: natürlich den "Übersteiger" früher mal gelesen.

00:26:15: Aber für mich war auch der "Millerntor Roar!" immer wie so eine

00:26:18: Legende im Hintergrund, von der immer alle gesprochen haben, die

00:26:21: mir persönlich aber sozusagen einfach

00:26:24: aufgrund meines Alters nicht ganz so nah war. Aber wenn ich

00:26:27: jetzt im Nachhinein auch so "Millerntor Roar!" lese dann, viele Sachen

00:26:31: verstehe ich einfach nicht, die sind so ganz komisch verklüngelte

00:26:34: Internas und andere Sachen sind aber auch so sehr auf den Punkt

00:26:38: und auch schon 1989/1990 schon sehr wegweisend. Muss man so sagen.

00:26:42: Ja, also ich habe die da natürlich dann relativ noch kennengelernt,

00:26:45: sag ich mal. Die Ausgaben, die ich dann auch live gekauft habe

00:26:49: als sie erschienen sind, aber auch davor die Ausgaben die es

00:26:52: schon gab, habe ich dann irgendwann mal nachgekauft.

00:26:55: Das war auch einer meiner ersten Besuche im Fanladen damals, wo

00:26:59: ich da noch kaum jemanden kannte, wo dann da ein sehr großer,

00:27:02: brummiger Herr hinterm Schreibtisch saß und dann doch

00:27:05: eher unerfreut war, dass ich dann alle bisher erschienenen

00:27:08: Ausgaben des "Millerntor Roar!" kaufen wollte, die dann aber alle

00:27:11: unterschiedlich kosteten, weil es teilweise Nachdrucke waren

00:27:14: oder Nachkopien waren oder irgendwie zwischendurch mal eine Preiserhöhung

00:27:18: war, alle kosteten anders und das musste er jetzt alles zusammenrechnen

00:27:22: und ich sag mal, das war dann so der erste Kontakt mit Herrn

00:27:25: Brux, der dann

00:27:26: eher mürrisch daherkam. Da hast Du Dir was getraut. Ins Auge des Orkans. Das wusste

00:27:29: ich ja in dem Moment noch nicht so genau. Wolltest Du noch eine Tüte dazu haben oder

00:27:33: sowas? Ich glaube, ich habe die dann einfach so

00:27:36: mitgenommen. Das war natürlich schon witzig, aber genau was Du sagst,

00:27:40: so verklüngelt, aber natürlich habe ich auch gerade am Anfang nicht

00:27:43: alles verstanden, worum geht das da eigentlich oder wer sind die

00:27:46: Menschen, über die da geredet wird. Wenn man da so neu

00:27:50: reinkommt in diese Szene, da muss man sich natürlich auch ein bisschen

00:27:53: einlesen und heute mit Abstand ist das natürlich nochmal ganz

00:27:56: anders, wenn man das liest,

00:27:57: klar. Ja, das ist so eine Tradition, die sich in

00:28:00: sämtlichen Veröffentlichungen aus der Fanszene des FC St.

00:28:04: Pauli durchsetzt, seit offensichtlich Ende der 80er-

00:28:07: Jahre, dass

00:28:08: es grundsätzlich so formuliert ist, dass Außenstehende keine Ahnung

00:28:11: haben, worum es geht.

00:28:13: Das ist ja vielleicht auch gewollt. Das ist mit Sicherheit gewollt, ja.

00:28:19: Thomas, willst Du losen?

00:28:22: Mal wieder ein bisschen blättern in den noch existenten zwei Losen.

00:28:29: Genau. Und dann haben wir jetzt: Christoph. Oha, ja gut, dann mal

00:28:34: rein, mal gucken, ob ich es noch kann, keine Ahnung, ist lange

00:28:38: her, wirklich lange her.

00:28:40: Ich musste vorhin erklärt bekommen, in welche Richtung und in

00:28:44: welche Seite des Mikrofons man rein spricht. Die mit Metall oder die mit

00:28:48: diesem lustigen Stoffding, ich nehme das Stoffding. Ich hoffe,

00:28:52: man kann mich hören. Ja, ich hab diesmal eine mehrere

00:28:57: Jahrzehnte umspannende Geschichte, die tatsächlich sehr

00:29:00: dicht bei der Zeit beginnt, von der Celina gerade sprach. Es

00:29:04: handelt sich nämlich um 1992, das Jahr und die dann aber auch

00:29:08: noch einige Jahrzehnte zurückgeht.

00:29:11: Ich stelle Sie unter den Titel, von Franz Beckenbauers großer

00:29:15: Single geklaut, "Gute Freunde kann niemand trennen".

00:29:22: Und zwar stand tatsächlich 1992 in der offiziellen

00:29:25: Vereinszeitschrift, dass ein Senior verstorben war. Ein

00:29:28: Nachruf wurde ihm also gewidmet. Ein Herr, mit dem man also

00:29:32: nicht nur einen Senior verloren hätte, sondern einen Menschen,

00:29:35: der seit Jahrzehnten für unter anderem die Altherrenmannschaft

00:29:39: da war, der dem Verein mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat

00:29:43: und dem wir, so die Schreiber des Nachrufs, tiefen Dank schulden.

00:29:47: "Der Abend unserer aktiven Fußballer-Laufbahn wäre ohne ihn

00:29:51: nur halb so schön gewesen. Die Verdienste unseres Otto, die er

00:29:55: sich um den Gesamtverein erworben hat, können nur noch

00:29:58: die ganz alten St. Paulianer ermessen.

00:30:02: Es war weiß Gott nicht wenig. Vor dem Zweiten Weltkrieg und

00:30:05: während des Krieges hat unser Senior in exponierter Stellung

00:30:08: für unser Land, für unsere braun- weißen Farben segensreich

00:30:12: gewirkt, und zwar in der Stille."

00:30:15: Oha. Schon mal sehr freundlich, also wer schon ein

00:30:18: bisschen eingeweiht ist, ahnt welcher Otto das ist. Nicht

00:30:21: Waalkes, der lebt ja auch noch und der Todesfall geschah am

00:30:25: 8.11.91 wie gesagt. Schon vorher hatte der Otto echt ne

00:30:29: gute Presse, 1972 beispielsweise hat er ebenfalls in der offiziellen

00:30:32: Vereinszeitung auch einen Glückwunsch bekommen, damals zum

00:30:36: 65. Geburtstag, zum 75. gab es auch einen, den überspringe ich mal.

00:30:40: "Der FC St. Pauli bekam besonders während des letzten

00:30:43: Krieges die hilfs- und segensreiche Hand unseres lieben

00:30:46: Otto

00:30:47: zu spüren", hieß es dann darin und außerdem, dass er schon über 50

00:30:51: Jahre Vereinsmitglied sei und Träger der goldenen

00:30:54: Vereinsnadel, also ein ganz großer St. Paulianer.

00:30:59: Da passt es dann vielleicht nicht ganz so dazu, wenn man ein

00:31:02: anderes Statement hinzunimmt, nämlich von dem FDP-Politiker

00:31:05: Hans-Harder Biermann-Ratjen, der auch dreizehneinhalb Jahre lang

00:31:08: Hamburgischer Kultursenator war.

00:31:11: Der hatte etwas kürzer, aber sehr prägnant zu sagen, dass

00:31:14: Otto Wolff der schlimmste und brutalste Scherge des absoluten

00:31:17: Antisemitismus in der Wirtschaft gewesen sei.

00:31:21: Oha. Klingt dann schon anders. Allerdings, ja. Also wer vielleicht

00:31:24: auch schon mal in einer unserer Ausstellungen war zum FC St.

00:31:27: Pauli im Nationalsozialismus, der hat den Namen vielleicht

00:31:30: auch schon gehört. Es gibt aber noch immer ein paar

00:31:33: Geschichten und ein paar Ecken in der Geschichte von Otto

00:31:36: Wolff, die sicherlich noch nicht genau genug angeschaut worden

00:31:39: sind und meiner Ansicht nach darf man auch gar nicht oft genug

00:31:42: daran erinnern, dass eben der FC St. Pauli mit der klaren Kante

00:31:46: gegen Rechts, wie wir sehen, eine ziemlich junge Entwicklung

00:31:49: ist. Und dass also auch noch Anfang der 90er-Jahre

00:31:51: schlicht und einfach ein waschechter Nazi in unserer

00:31:55: offiziellen Vereinszeitung abgefeiert wurde. Einmal ganz

00:31:59: kurz vielleicht aber ein Blick, wer war denn nun also dieser Otto Wolff? Der

00:32:03: wurde 1907 geboren, ursprünglich in Kiel, dann aber schon früh

00:32:07: zogen seine Eltern nach Hamburg und er trat dann also schon 1920

00:32:11: in den FC St. Pauli ein und fing 1925 an in der ersten

00:32:15: Herrenfußballmannschaft zu spielen. Also man kann schon

00:32:19: sehen, er kann nicht ganz unbegabt gewesen sein.

00:32:22: Sportlicherseits jedenfalls, also mit gerade mal 18 Jahren

00:32:25: ist er dann also schon im ersten Team mit dabei, war natürlich

00:32:29: damals noch nicht ganz so eine große Nummer, aber auch nicht

00:32:32: das allerschlechteste. Parallel zeigte er da auch schon, dass er

00:32:35: ziemlich genau wusste, was er wollte. Er hat nämlich nicht nur

00:32:38: bei der Reichsbahn gearbeitet, ab 1928 nach seinem Abitur,

00:32:42: sondern er hat parallel dann auch noch Volkswirtschaftslehre

00:32:45: studiert. Also er wollte hoch hinaus und auch bei späteren

00:32:48: Stimmen, die ihn beschreiben, wird also immer wieder sein

00:32:51: ausgesprochen ehrgeiziges Wesen

00:32:53: dann also auch hervorgerufen.

00:32:56: Wir werden leider nie genau wissen, war das jetzt wirklich

00:32:59: schon Strategie oder woran lag es? Er hat nämlich 1930 zwei Dinge

00:33:03: gleichzeitig getan, also zum einen, war er sportlich sehr

00:33:07: erfolgreich, Otto Wolff, als Stürmer mit der ersten

00:33:10: Mannschaft wurde er also Bezirksliga-Meister und das

00:33:14: bedeutete den Aufstieg in die damals höchste Spielklasse, die

00:33:18: Oberliga Hamburg. Also 1930 sicherlich etwas, was die

00:33:21: Mitglieder und Freunde des FC St. Pauli gefreut hat. Im

00:33:25: selben Jahr, am 1. Dezember

00:33:26: 1930

00:33:28: trat Otto Wolff in die NSDAP ein, Mitgliedsnummer 411000 und ein

00:33:32: bisschen was. Also nicht als einer der absolut ersten in

00:33:36: Deutschland, aber schon sehr viel früher als viele andere,

00:33:39: als beispielsweise Wilhelm Koch, der das ja erst 1937, wenn ich das

00:33:43: jetzt recht im Kopf habe, tat.

00:33:48: Um dieselbe Zeit rum ereignete sich dann auch noch etwas sehr

00:33:51: interessantes. Er war ja nun Mitglied, er war ja noch gar

00:33:54: nicht so wahnsinnig lange dabei, aber er man darf wohl

00:33:57: annehmen, wenn man heute ne Mitgliederversammlung erlebt,

00:34:00: wenn die erste Mannschaft kommt, ist ja auch immer so ein bisschen was

00:34:04: besonderes und alle gucken ein bisschen. Das war damals

00:34:06: wahrscheinlich noch nicht ganz so ein großes Ding, aber auch damals

00:34:10: sicherlich hatte man schon Standing, wenn man gerade sportlichen Erfolg

00:34:13: hatte und dann also aus der ersten Mannschaft kam. 1931 gab

00:34:16: es dann nämlich eine

00:34:17: Mitgliederversammlung im Hotel Mau, das ist am Holstenwall 20,

00:34:21: wenn sich das einer nochmal angucken will oder vorstellen will, wo

00:34:24: ungefähr das war, also nicht weit vom Millerntor. Übrigens auch

00:34:28: 1955 Schauplatz der ersten 6 aus 49-Ziehung der Lottozahlen. Ach was.

00:34:32: Musste ich jetzt hier einbauen, weil auch komplett irrelevante Fakten

00:34:35: finde ich auch in diesem Podcast immer wieder ihren Platz finden

00:34:39: sollen. Also es gab offensichtlich dort auch

00:34:43: Platz, aber in diesem Jahr 1931 war dann eben eine

00:34:47: Vereinsversammlung dort ausgerichtet

00:34:49: worden und

00:34:52: es standen unter anderem Präsidiumswahlen auf dem

00:34:55: Programm.

00:34:57: Das interessante daran war, normalerweise, wenn das frühere

00:35:00: Präsidium, in diesem Fall ein Herr Rehder, der nach Berlin zog

00:35:03: und deswegen das nicht mehr machen konnte, wenn die dann

00:35:07: jemanden vorschlagen, dann ist das eigentlich normalerweise ein

00:35:10: Selbstgänger, der wird dann also ja gewählt.

00:35:14: Aber das Protokoll von damals zeigte, das war in diesem Fall

00:35:17: aber alles andere als der Fall.

00:35:19: Es stand dann nämlich jemand auf und sagte ja nein, also der Herr

00:35:22: Friedrichsen, der sei ja eigentlich überhaupt noch nicht

00:35:25: lange genug Mitglied. Man sollte doch vielleicht jemanden

00:35:28: mit mehr Erfahrung im Verein und so weiter wählen und er würde

00:35:31: jetzt für seinen Teil auf jeden Fall Willi Koch

00:35:34: vorschlagen.

00:35:35: Ja, und ihr ahnt es, dieser jemand war tatsächlich Otto

00:35:39: Wolff, und das muss schon ziemlich derbe Szene gewesen

00:35:42: sein, weil der war damals, wenn ich es recht ausrechne,

00:35:46: gerade 24 Jahre alt so ungefähr und tritt dann einfach mal

00:35:49: als Jungspund auf und dann richtet er sich gegen einen

00:35:53: Mann, der eben nicht irgendwie mal so zufällig durch die Tür

00:35:56: reingekommen ist. So klingt das ja vielleicht, sondern Hans

00:36:00: Friedrichsen war eben tatsächlich dabei, als die

00:36:03: ersten regelmäßigen Spiele ausgetragen wurden und auch

00:36:06: die ersten Punktspiele des FC St. Pauli. Also man kann ihn

00:36:09: quasi als einen der Gründerväter der

00:36:12: Fußballmannschaften bezeichnen und zusätzlich übrigens,

00:36:15: nebenbei ist er auch der Großvater von Tjark Woydt

00:36:17: gewesen, der hier bis zu seinem Tode übrigens auch im

00:36:20: Museumsvorstand bei 1910 e.V. war. Aber Thomas, Du hast auch noch was

00:36:24: dazu. Ich wollt genau das sagen, dass eben diese Aussage,

00:36:27: Friedrichsen sei nur eine zu kurze Zeit im Verein, ist

00:36:30: natürlich totaler Quatsch, weil er ist ja eben schon seit Anfang

00:36:34: an dabei, deswegen irritiert das ein wenig.

00:36:37: Auch der Vater von Hans Friedrichsen, Hans Friedrichsen

00:36:40: senior, war schon 1898 quasi daran beteiligt, dass das erste

00:36:44: Mal irgendwo ein Ball mal kurzzeitig übers Heiligengeistfeld

00:36:48: gerollt ist. Der mit den Füßen getreten wurde.

00:36:51: Richtig, ja, also wirklich, also quasi eigentlich ... kein Tamburinball ... der

00:36:55: Selbstgänger überhaupt, das war ja also quasi

00:36:59: alter Vereinsadel, der dann also hier vorgeschlagen war und

00:37:03: das, also ich es steht aber wirklich hier genau wörtlich,

00:37:07: Herr Wolff führte aus, dass Herr Friedrichsen jetzt erst eine zu

00:37:11: kurze Zeit im Verein wäre, um sogleich das Amt eines ersten

00:37:15: Vorsitzenden bekleiden zu können. Es sprach dann ein Herr

00:37:19: Prinzlau für den Herrn Friedrichsen und führte aus,

00:37:22: dass Friedrichsen bereits früher, was Thomas gerade auch

00:37:25: schon gesagt hat, lange Jahre, Obmann das Fußballausschusses

00:37:29: beim FC St. Pauli gewesen sei und so weiter und sofort, es gab dann Rede und

00:37:32: Gegenrede.

00:37:33: Aber da war dann nicht mehr viel zu ändern. Im

00:37:37: Protokoll heißt es dann, beide Herren, Wolff und Prinzlau, sprachen noch

00:37:41: mehrmals und da andere Vorschläge nicht gemacht wurden,

00:37:44: die Herren Kalckbrenner und Pestorf hatten bereits vor der

00:37:47: Versammlung abgelehnt, wurde zur Wahl geschritten. Es erhielten

00:37:51: Herr Willi Koch 53 Stimmen, Hans Friedrichsen 37 Stimmen,

00:37:55: damit war Herr Willi Koch gewählt.

00:37:58: Und Hans Friedrichsen, mal ganz nebenbei, wurde dann sogar auch

00:38:02: noch die besondere Blamage also tatsächlich von seinen

00:38:05: Vereinskameraden dann auch zugemutet, auch als zweiter

00:38:09: Vorsitzender nicht gewählt zu werden. Man weiß nicht ganz

00:38:13: genau, was da noch so zugrunde lag. Auf jeden Fall

00:38:16: kann es meiner Ansicht nach kein Zufall gewesen sein, dass da nun

00:38:21: gerade also der Stürmer der ersten Mannschaft dann aufsteht,

00:38:25: sich für Willi Koch ausspricht und der dann auch noch gewählt

00:38:29: wird.

00:38:29: Und ich glaube auch nicht, dass ein Willi Koch oder Wilhelm

00:38:33: Koch diese Szene so ohne weiteres vergessen haben wird,

00:38:37: auch im späteren. Deswegen glaube ich, dass man sich diese

00:38:41: Szene und eben auch das entsprechende Protokoll dazu als

00:38:45: Dokument unbedingt merken muss, wenn es gilt, die Person

00:38:49: Wilhelm Koch und seine Beziehung zur NSDAP zu bewerten, denn Otto

00:38:53: Wolff machte dann auch noch eine ordentliche Karriere. Also

00:38:57: so viel zu Otto Wolff vor 1933, also auch schon in der NSDAP

00:39:01: und

00:39:01: dann also auch Wegbereiter von Wilhelm Koch, der dann

00:39:05: später zigmal wieder gewählt wurde, wie wir wissen,

00:39:08: dann eine kurze Unterbrechung hatte, während der dann

00:39:10: tatsächlich Hans Friedrichsen auch mal Präsident des FC St.

00:39:14: Pauli war, der hat sich dann wirklich in den Dienst des Vereins gestellt

00:39:17: und nach dem Krieg war er dann ja wieder, also dann nach der

00:39:20: kurzen Zeit unter Friedrichsen, war dann ja auch wieder Wilhelm

00:39:24: Koch am Ruder. Nun aber eben tatsächlich zur Zeit des

00:39:26: Nationalsozialismus, währenddessen war

00:39:29: Otto Wolff zwar noch sehr jung, aber eben auch extrem

00:39:32: ambitioniert. 1934 schon

00:39:33: hatte er seine Promotion fertig. "Wesen und Bedeutung der Seehafen-

00:39:37: Ausnahmetarife der Deutschen Reichsbahngesellschaft", kann man

00:39:41: auch in der StaBi einsehen, wenn man möchte, ich les jetzt mal

00:39:44: nicht vor, ich glaube bisschen trocken. Dann machte er den

00:39:48: wesentlichen Karriereschritt, wie sich herausstellen sollte,

00:39:51: er verlässt 1936 die Reichsbahn und er wird Hauptsachbearbeiter des

00:39:54: Hamburger Gauwirtschaftsberater Carlo Otte. Also er geht in die

00:39:58: Politik.

00:39:59: Also er geht sozusagen in die Verwaltung und gleichzeitig die

00:40:03: Politik. Das war damals ja eben sehr parteinah alles. Und um

00:40:06: das ein bisschen einordnen zu können, habe ich auch mal beim

00:40:09: Historiker Frank Bajohr nachgelesen, in dessen sehr

00:40:12: lesenswerten Buch über die sogenannte "Arisierung" der

00:40:15: Hamburger Wirtschaft, weil zunächst könnte man denken, wie

00:40:18: Karriereschritt, denn Bajohr schreibt, "das institutionelle

00:40:21: Gewicht, dass der Gauwirtschaftsberater der

00:40:24: Handelskammer und der staatlichen

00:40:26: Wirtschaftsverwaltung entgegensetzen konnte, war im

00:40:29: Allgemeinen denkbar gering."

00:40:31: Das, schreibt er dann weiter, hätte man auch daran gesehen, dass zum

00:40:34: Beispiel der Gauleiter Karl Kaufmann, so quasi der oberste

00:40:37: Nazi dann in Hamburg, der hatte auch weitere Sonderdienststellen

00:40:41: im Wirtschaftsbereich, es gab also auch einen

00:40:43: Sonderbeauftragten für Wirtschaftsförderung und

00:40:46: Vierjahresplan, der sei so direkt eigentlich sogar

00:40:49: wichtiger gewesen, und eigentlich hätte der

00:40:51: Wirtschaftsberater sogar das ehrenamtlich machen müssen,

00:40:54: in anderen Gauen war das wohl der Fall, bei Otto Wolff nicht aber, und

00:40:57: jetzt kommt's, Zitat Bajohr "nur auf einem fachlichen Gebiet

00:41:00: verfügte der

00:41:02: Gauwirtschaftsberater über dominierenden Einfluss.

00:41:04: Auf dem der Arisierung bzw. der sogenannten Entjudung der

00:41:09: Wirtschaft."

00:41:11: Das wollte die Partei sich also überhaupt nicht nehmen lassen.

00:41:14: Deswegen wurde es auch entsprechend wirklich absolut direkt mit aus der

00:41:17: Partei kommenden Leute dann auch besetzt und da schoben dann

00:41:19: tatsächlich auch die ganzen Wirtschaftsinstanzen das auch

00:41:22: immer hin. Also wenn jetzt irgendwie die Handelskammer gefragt

00:41:25: wurde hier ne, ist das nicht ein bisschen zu jüdisch für den neuen Zeitgeist und

00:41:28: so weiter, dann haben sie gesagt, das macht der Gauwirtschaftsberater

00:41:31: oder kurz damals auch gerne gesagt, der Gau.

00:41:34: Und der machte das dann gründlich. Und das machte eben

00:41:37: auch Otto Wolff von Anfang an schon sehr gründlich. Er war

00:41:41: beispielsweise daran beteiligt, die vom Namen her auch immer

00:41:45: noch sehr bekannte Privatbank Warburg und Co. zu "arisieren",

00:41:49: wie es damals hieß, und er war damals auch überhaupt nicht

00:41:53: zimperlich. Als beispielsweise dann bei einem solchen Verfahren

00:41:58: die Frage aufkam, dass der Unternehmer eigentlich laut den

00:42:01: damaligen "Rassegesetzen" und so weiter

00:42:04: eigentlich als "gemischt" zu gelten habe und ob er denn wirklich Jude

00:42:08: sei und ob man dann überhaupt so vorgehen könne, hat Wolff nicht

00:42:12: lange gefackelt. Er hat gesagt, man sollte sich einfach dessen

00:42:15: Ohren ansehen und dann wisse man doch, dass er wirklich Jude sei.

00:42:19: Also das war ihm schlicht und einfach letzten Endes wirklich

00:42:22: völlig egal. Er wollte einfach das durchsetzen, was die

00:42:26: Parteilinie war und was ihm dann also dienen konnte. Relativ bald

00:42:29: schon verwaltete Wolff dann auch das "Konto soziale Hilfe" und das

00:42:33: gehörte zur Hamburger Stiftung von 1937,

00:42:35: die der Gauleiter Karl Kaufmann ins Leben gerufen hatte. Das waren,

00:42:39: muss man aus heutiger Sicht sagen, schlicht und einfach

00:42:42: Schattenkonten für Gefälligkeiten also. Und in

00:42:44: dieser Funktion gab es dann zum Beispiel durchaus auch mal

00:42:47: Zuwendungen an einen Richard Sump, der sein ehemaliger

00:42:50: Trainer war. Zu dieser Zeit hatte er schon aufgehört, in der ersten

00:42:54: Mannschaft zu spielen. Es gab dann auch ne Rechnung dafür

00:42:57: für Warenlieferungen, welche wissen wir nicht. Auch Max

00:43:00: Uhlig, der spätere Vizepräsident des FC St. Pauli, hat von

00:43:03: diesem Konto also Geld bekommen, für ein KFZ-Gutachten hieß

00:43:07: das.

00:43:07: Das waren sicherlich nicht die größten Beträge. Hierzu übrigens

00:43:11: auch sehr interessant nachzulesen Gregor Backes' Buch

00:43:14: "Mit deutschem Sportgruß - der FC St. Pauli im

00:43:16: Nationalsozialismus", aber es beschreibt so ein bisschen auch

00:43:20: noch das System. Wolff hat sich tatsächlich genau die

00:43:23: Stelle rausgesucht, wo dann ja auch noch richtig Geld

00:43:26: zu holen war und das machte er organisiert und das machte er

00:43:30: nicht nur in Hamburg, sondern europaweit. Also er war

00:43:33: ausgesprochen geschickt darin, Geldflüsse von jüdischen

00:43:36: Vermögen auf diese ganzen Konten

00:43:38: zu lenken und umgekehrt dann mit diesem Geld in enger

00:43:42: Zusammenarbeit unter anderem eben mit dem Gauleiter, dann eben auch so

00:43:46: ein Gefälligkeits-Netz aufzubauen und gleichzeitig

00:43:49: machte er eben auch das, was von ihm erwartet wurde und, muss man

00:43:53: sagen, brachte schlicht und einfach sehr viele jüdische

00:43:57: Kaufleute um ihren rechtmäßigen Besitz in aller Regel für n

00:44:01: Appel und Ei. Also die Verfahren, die liefen auch oft

00:44:04: so, dass sogar die Menschen, die diese Betriebe dann erwerben

00:44:08: durften

00:44:09: für einen viel zu niedrigen Preis. Es gab, zumindest in

00:44:12: Einzelfällen gab es das. So gab es, dass die den festgesetzten Preis

00:44:16: so niedrig fanden, dass sie sich geschämt haben, dass sie es

00:44:19: zu diesem Preis erwerben konnten, das heißt also,

00:44:23: die sind dann noch tiefer gegangen, als sie es

00:44:26: hätten gehen müssen nach den vollkommen verzerrten Maßstäben,

00:44:30: die damals herrschten. Also 1938 wurde es dann auch wirklich richtig

00:44:33: systematisch vorangetrieben, die verbliebenen 2.043 Grundstücke

00:44:37: mit jüdischen Eigentümern wurden also systematisch enteignet.

00:44:41: Otto Wolff kaufte günstig in Harvestehude 1942, später auch

00:44:45: noch an anderer Stelle an der Elbchaussee, dann also

00:44:49: Gebäude aus jüdischem Besitz.

00:44:52: Ganz spannend ist dann auch, was 1943 passierte.

00:44:58: Also schon davor hat es geschafft, seine Macht immer

00:45:01: weiter auszubauen. Also er war jetzt nicht nur der

00:45:04: Gauwirtschaftsberater, er wurde dann auch Leiter des

00:45:07: Führungsstabs Wirtschaft im Wehrkreis X, Vorstandsmitglied

00:45:11: der Hapag, Vorsitzender Rüstungs- Kommission im Wehrkreis X und

00:45:14: Wehrkreisbeauftragte des Reichsministers für Bewaffnung

00:45:17: und Munition. Das kann man heute nicht mehr genau nachvollziehen,

00:45:21: man merkt ja, es war schon, also offensichtlich eine sehr große

00:45:24: Ämterfülle. Otto Wolff hat also eine sehr große Machtfülle auf

00:45:27: sich vereint.

00:45:28: Das wurde dann auch noch mehr, denn 1943 startet er quasi dann

00:45:32: richtig durch. Es war so, dass der Gauleiter den

00:45:35: Kriegsverlauf nicht so richtig ernst genommen hat, das heißt

00:45:38: also so manche Berichte über alliierte Erfolge hat er als

00:45:42: Feindpropaganda einfach mal so beiseite gewischt und als dann

00:45:45: Hamburg im Rahmen der sogenannten "Operation Gomorrha" in

00:45:48: Schutt und Asche gelegt wurde, war er wohl tatsächlich ziemlich

00:45:51: schockiert, das dann zu sehen. Und aus der Abteilung, wenn

00:45:55: Nazis über Nazis lästern, es ist zwar nicht angebracht, aber

00:45:58: trotzdem muss man schon ein bisschen grinsen, da schreibt nämlich

00:46:01: Joseph

00:46:01: Goebbels über Karl Kaufmann, den Gauleiter: "Ich glaube, dass

00:46:05: Kaufmann angesichts der zweifellos außerordentlichen

00:46:08: Lage etwas die Nerven verloren hat. Er ist wohl für eine so

00:46:12: große Katastrophe etwas zu lyrisch und romantisch

00:46:15: veranlagt."

00:46:18: Aha. Otto Wolff dagegen nicht. Im August '43 erreichte er nicht nur

00:46:22: als SS-Mitglied den Rang eines SS- Standartenführers, sondern er

00:46:25: wurde nun zum Generalkommissar für die gesamte Wirtschaft im

00:46:29: Gau ernannt, sozusagen ein Wirtschaftsdiktator, und er hat

00:46:32: es dann geschafft, in diesem tatsächlich auch sehr zerstörten

00:46:36: Hamburg auch die Wirtschaft wieder so ein bisschen zum

00:46:39: Funktionieren zu bringen, aber natürlich nicht mit

00:46:42: irgendwelchen Mitteln, die aus heutiger Sicht in irgendeiner

00:46:45: Weise akzeptabel wären, sondern ganz wesentlich durch

00:46:49: sehr verschärfte Zwangsarbeit, wo er eng mit den Kommandanten

00:46:53: des Konzentrationslagers Neuengamme zusammenarbeitete.

00:46:58: Er hatte dann später, sein Anwalt nach dem Zweiten

00:47:01: Weltkrieg offiziell gesagt, "Minister-Befugnisse".

00:47:06: Ja, also so ein Typ war der liebe Otto Wolff, ziemlich

00:47:12: schlimmer Finger, muss man sagen.

00:47:16: Man fragt sich aber natürlich, was hatte der FC St. Pauli denn

00:47:20: eigentlich noch? Kriegsverbrecher, würde ich

00:47:23: vielleicht sagen. Ja, also sicherlich unbedingt auch Kriegs-

00:47:27: Profiteur.

00:47:28: Und das Zitat, was wir eingangs eben auch gehört

00:47:32: hatten, wird also denke ich mal in jeder Hinsicht

00:47:36: nachvollziehbar. Er hat sich wirklich als absolut

00:47:40: beinharter, menschenfeindlicher

00:47:44: Antisemit und Faschist eben wirklich profiliert und war

00:47:49: damit dann eben auch erfolgreich.

00:47:54: Es gibt ein paar kleine Sachen, die dann ganz interessant sind,

00:47:57: wenn man fragt, was hatte denn jetzt eigentlich der FC St.

00:48:01: Pauli vom Wilhelm Kochs Beziehungen zu Otto Wolff. Da

00:48:04: wollte ich ganz gerne zumindest mal drauf gucken, um zu zeigen,

00:48:08: wie kann man historische Schlüsse ziehen und was kann man

00:48:11: und darf man schließen, wenn man kein genaues Dokument dazu hat.

00:48:14: Das wird natürlich unter Historikern zurecht auch sehr

00:48:17: heiß diskutiert.

00:48:21: Es war, nur um ein Beispiel dazu, 1933, wir erinnern uns jetzt an die

00:48:25: Beziehung der beiden aus dieser Wahl-Geschichte aus dem

00:48:29: Protokoll, was wir gehört hatten. Relativ kurz danach hieß es 1933

00:48:34: im Februar in der "Hanseatischen Sportzeitung", der FC St. Pauli

00:48:39: vernachlässige seine Sportanlagen.

00:48:42: Daraufhin antwortete der Vereinsführer Koch per

00:48:45: Leserbrief, er würde sich ja schon seit 14 Jahren bemühen um

00:48:48: einen Ausbau, er bekäme aber keine Genehmigung.

00:48:52: Interessant dann

00:48:54: jetzt also, nachdem die Nationalsozialisten an der Macht

00:48:59: waren,

00:49:00: kam schon einen Monat später vom Amt für Leibesübungen ein

00:49:03: konkreter Vorschlag. Die Bau- und Finanzbehörde stimmt zu und im

00:49:06: August 1933 beginnen die Bauarbeiten.

00:49:10: Klingt ja schon mal nach keine schlechten Beziehungen. Die

00:49:13: Presse freut sich, der neue Millerntorplatz lässt die

00:49:16: Schrecken des alten Platzes völlig vergessen, und das

00:49:20: übrigens auch sogar gegen den Willen des Turnvereins. Man

00:49:23: hatte sich ja 1924 vom St. Pauli- Turnverein abgespalten, der

00:49:27: hätte aber für die genutzte Fläche ein Mitspracherecht

00:49:30: gehabt, das wurde einfach weggebügelt und das obwohl der

00:49:33: Turnverein sich eigentlich

00:49:36: machtkonformer verhalten hatte. Also es gab damals zum Beispiel

00:49:40: den sogenannten "Arierparagraphen", den musste man

00:49:42: 1933 nicht in seiner Satzung aufnehmen. Der Turnverein hat

00:49:45: das getan, der FC St. Pauli hat das noch nicht gemacht, und

00:49:48: anstatt dass der Turnverein dafür belohnt wird, im Sinne von, dann sagt

00:49:52: ihr was mit der Fläche passieren sollte, hat der FC St. Pauli

00:49:55: das bekommen, was er wollte, was denke ich mal durchaus für

00:49:58: gute Drähte nach oben spricht. "Der FC St. Pauli baut seine

00:50:01: Tribünen und der St. Pauli Turnverein hat sich mit der

00:50:04: Neuordnung der Plätze abzufinden."

00:50:06: So hieß es von offizieller Seite. Es gab noch andere Dinge,

00:50:10: wo dann also eine Baugenehmigung für ein Umkleidegebäude

00:50:14: dann klappte, dann erstmal nicht klappte, man aber eine Lösung

00:50:18: fand, Übernahme des Wirtschaftsgebäudes der

00:50:21: Heiligengeistfeld-Eisenbahn. Thomas hat völlig

00:50:25: recht, es ging nicht um eine Eisenbahn, sondern um eine Eisbahn.

00:50:28: Aber man sieht halt so, plötzlich gingen so ein paar Sachen die

00:50:32: vorher nicht gingen.

00:50:34: Das etwas merkwürdige Mitläufertum des FC St. Pauli

00:50:38: beschreibt aber auch, es lief aber auch nicht alles. Also

00:50:42: es war dann schon so, 1935 da diese Reichsnährstands-

00:50:45: Ausstellung, also Riesen- Landwirtschaftsausstellung, haben

00:50:48: wahrscheinlich auch schon viele von Euch gehört und die fand auf dem

00:50:51: Heiligengeistfeld statt und hier protestierte Wilhelm Koch

00:50:55: abermals vehement dagegen, dass auf dem wunderschönen neuen

00:50:59: Rasenplatz nun also ausgerechnet Pflugübungen veranstaltet werden

00:51:03: sollten, die fanden dann aber trotzdem statt.

00:51:06: Also er war dann schon auch nicht so gut verdrahtet, dass

00:51:09: also überhaupt nicht stattfand. Ironie der Geschichte ist

00:51:12: halt, dass es damals auch unter anderem so war, das neuartige

00:51:16: Pflugtechniken halt nirgends auf dem Heiligengeistfeld besser

00:51:19: vorgeführt werden konnten, als auf diesen satten grünen Teppich

00:51:23: des FC St. Pauli, da wurde ihm also der Vorteil so ein bisschen

00:51:27: zum Nachteil. Trotzdem, es wurde dann nicht schnell,

00:51:30: es hat wohl ein Jahr gedauert ungefähr, dann war aber wieder

00:51:34: hergestellt. Der an sich linientreue St. Pauli-

00:51:37: Turnverein

00:51:37: musste ab 1938 der Kühne & Nagel- Spedition seine Halle als

00:51:41: Getreidespeicher überlassen. Der FC St. Pauli spielte da schon

00:51:45: wieder auf sattem Grün.

00:51:48: Also auch nicht so ganz schlecht nach oben verdrahtet.

00:51:54: Ja.

00:51:56: Man ahnt vielleicht schon, dass Otto Wolff leider seiner

00:52:01: gerechten Strafe entgehen wird.

00:52:05: Aber auch da müssen wir natürlich noch mal kurz drauf gucken.

00:52:09: Er wurde dann nach der deutschen Kapitulation tatsächlich

00:52:12: interniert.

00:52:14: In einem britischen Lager bei Neumünster.

00:52:18: Kam dann 1948 wieder frei und wurde in der Altliga des FC

00:52:22: St. Pauli mit offenen Armen empfangen.

00:52:25: Vor dem Spruchgericht Bergedorf wurde Otto Wolff dann wegen

00:52:29: seiner SS-Mitgliedschaft als Standartenführer zu einer

00:52:32: Geldstrafe von 5.000 Mark verurteilt. Beim FC St. Pauli

00:52:36: störte aber auch das niemanden, stattdessen dichtete Franz

00:52:40: Strohkar, ein Vereinschronist und wohl auch Gastwirt von Beruf:

00:52:43: "Der Krieg war dann aus, es kam für Otto keine schöne Zeit, denn

00:52:47: ihr wisst, Neumünster war nicht weit. Doch vorbei gingen auch

00:52:51: diese Tage und wir freuten uns über das Glück als Otto kehrte

00:52:55: zu Familie und Heim

00:52:56: zurück. Die Freude auf beiden Seiten war groß, als Otto zu uns

00:53:01: gekommen, nachdem er hatte unseren Ruf, unsere Einladung

00:53:06: vernommen." Hui.

00:53:08: Ja, als wäre nichts gewesen. Also man betont auch noch

00:53:11: zusätzlich in diesem Gedicht, dass also sie ihn extra gerufen

00:53:15: und eingeladen hätten, also noch mal so ganz dienstfertig, dass also auf

00:53:19: gar keinen Fall er irgendwie an der Tür kratzen oder sich für

00:53:22: irgendwas entschuldigen musste. Kommt noch besser, am 6. Juli

00:53:26: 1950 wird Otto Wolff sogar als Vizepräsident des FC St. Pauli

00:53:30: vorgeschlagen auf der Mitgliederversammlung, nur weil

00:53:33: er nicht auf der Versammlung anwesend war, konnte er nicht

00:53:36: gewählt werden.

00:53:38: Also bei diesen Elogen fürchtet man, dass er sonst

00:53:40: möglicherweise wirklich die nötigen Stimmen locker

00:53:43: zusammenbekommen hätte.

00:53:45: Ja, um diese Zeit rum hat er sich dann also allmählich

00:53:48: Gedanken gemacht zu seinem weiteren Fortkommen. Er war

00:53:51: jetzt ja sicherlich finanziell nicht gerade schlecht

00:53:53: aufgestellt, aber er hatte noch ein bisschen bis zur Rente, er

00:53:57: hat dann also beschlossen, in den Versicherungsmarkt

00:54:00: einzutreten und gründete 1955 die "Dr. Otto Wolff

00:54:03: Versicherungen KG".

00:54:05: Das ist einigermaßen erstaunlich insofern, als dass viele Alt-

00:54:08: Nazis natürlich auch wirtschaftlich erfolgreich

00:54:11: waren, aber dass die dann die Firma auch noch nach sich selbst

00:54:15: benannten, wenn man so doch ziemlich öffentlich bekannt war,

00:54:19: das war tatsächlich selten. Das hat also auch René Martens in

00:54:23: einem lesenswerten Artikel in der "taz" und der "Jüdischen

00:54:26: Allgemeinen" erschienen, eben auch so festgestellt und dabei

00:54:30: auch wiederum Frank Bajohr zitierte, der sagte, es gibt

00:54:34: also keinen vergleichbar

00:54:35: hochrangigen NS-Funktionsträger und SS-Mann, der es riskiert

00:54:39: hätte, seiner Firma seinen eigenen verfänglichen Namen

00:54:42: aufzudrücken und Frank Bajohr vermutet, das war schlicht und

00:54:45: einfach Eitelkeit. Etwas anderes kommt ihm dann auch nicht in

00:54:48: den Sinn. Es war jetzt aber nicht nur der Name der Firma

00:54:51: kurios, sondern auch der Teilhaber.

00:54:54: Er machte das nicht alleine mit der Firma, sondern er wählte als

00:54:58: Teilhaber seinen früheren Vorgesetzten, den ehemaligen NS-

00:55:01: Gauleiter Hamburgs und Reichsstatthalter Karl Kaufmann. Das war der Lyriker.

00:55:07: Karl Kaufmann, genau, der lyrische Romantiker, den Goebbels

00:55:10: offensichtlich nicht ganz so gern hatte. Was Kaufmann nicht

00:55:13: besser machte, der hatte einigermaßen erfolgreich gegen

00:55:16: Ende und nach dem Krieg das Gerücht gestreut, er habe ja das

00:55:19: Schlimmste für Hamburg verhindert. Aus heutiger Sicht

00:55:22: war es eigentlich eher so, dass Kaufmann einigermaßen gerissen

00:55:26: gesehen hatte, da ist nichts mehr zu machen und hat also

00:55:29: seine Schäfchen ins Trockene gebracht, hat rechtzeitig

00:55:32: Genussgüter und Lebensmittel gehortet, die er

00:55:35: dann entsprechend auch verkaufen konnte und hat sich dann in der

00:55:38: Tat rechtzeitig kapitulierend dann irgendwie auch an die

00:55:41: Alliierten gewandt. Aber eben jetzt nicht, weil irgendwie ein

00:55:45: beinharter Anti-Nazi gewesen wäre, sondern ganz

00:55:48: einfach um den eigenen Arsch zu retten, muss man mal sagen, so

00:55:51: viel wie davon ging und er war damit eben auch noch erfolgreich.

00:55:54: Diese Legende wurde relativ breit gestreut, aber wie man im

00:55:57: vorhergehenden auch schon gesehen hat, also Karl Kaufmann

00:56:00: war alles andere als ein Anti- Nazi, der war auch schon sehr

00:56:04: frühes NSDAP Mitglied mit der Mitgliedsnummer

00:56:06: 26 meine ich also, also wirklich ganz, ganz frühes Mitglied,

00:56:10: einer der ganz ältesten Unterstützer und er war auch

00:56:13: nach dem Krieg noch aktiv. Es gab da zum Beispiel 1953 eine

00:56:17: Affäre um den sogenannten Naumann-Kreis, das war also eine

00:56:21: größere Verschwörung, die das Ziel hatte, unter anderem durch

00:56:25: Unterwanderung der FDP einen rechten Umsturz auszulösen, und

00:56:28: Karl Kaufmann war tatsächlich, er wurde 1953 als Mitglied des

00:56:32: Hamburger Zirkels des Naumann- Kreises auch noch verhaftet.

00:56:37: Muss man sagen, relativ dreister Move dann zwei Jahre

00:56:40: später zu sagen, hey, guter Typ, mit dem mach ich jetzt meine Firma

00:56:43: auf, es war offensichtlich schlicht und einfach ziemlich

00:56:47: scheißegal. Otto Wolff wusste auch, dass er so in den Kreis

00:56:50: der richtigen Hanseaten sowieso nicht aufgenommen werden würde.

00:56:54: Das funktionierte nicht, aber was wirklich sehr gut

00:56:57: funktionierte, war wohlsituiert zu leben, auch weiterhin mit

00:57:00: Profiten und Gewinnen, die ganz eindeutig noch aus der

00:57:04: "Arisierungszeit" stammten, das hat er längst nicht alles

00:57:07: abgeben müssen.

00:57:08: Die Wiedergutmachungsverfahren waren verhältnismäßig, im Verhältnis

00:57:12: zum Schaden, also auch eher ein Witz. Er musste beispielsweise

00:57:16: dann mal 20.000 Mark an die Erben des vorigen Eigentümers eines

00:57:20: Hauses zahlen, was er dann also bekommen hatte, er blieb aber

00:57:24: Besitzer des Hauses.

00:57:26: Also der Profit dürfte auch größer gewesen sein als das.

00:57:30: Die Naumann-Affäre ist übrigens zeitweise so ein bisschen

00:57:33: kontrovers gewesen, weil manche auch sagten, na komm,

00:57:36: so schlimm war das nicht. Der Historiker Wolfgang Wippermann

00:57:40: jedenfalls ist sich sicher, er sagt, es sei damals also

00:57:43: keineswegs nur so ein bisschen um Rehabilitierung des

00:57:45: Nationalsozialismus gegangen, was ja schon schlimm genug wäre. Es ging,

00:57:49: so Wippermann, um den Versuch, einen neuen Faschismus von oben

00:57:52: aus der Mitte der Gesellschaft zu etablieren.

00:57:57: Ja, so der Teilhaber. Und Otto Wolff wie gesagt machte das

00:58:01: mit der Versicherung dann noch ne Weile weiter. 1976 verkaufte

00:58:05: er dann sein Geschäft. Was ist eigentlich aus seiner Firma

00:58:09: geworden, die ja nun nach diesem

00:58:13: sehr bekannten, profilierten Herrn hieß.

00:58:16: Die "Dr. Otto Wolff Versicherungen KG" wurde wie gesagt

00:58:19: 1976 verkauft. Dann wurde der Hauptsitz verlegt, dann wurde

00:58:22: was umgewandelt, dann wurde die Firmierung etwas geändert, aber

00:58:26: tatsächlich noch 2017, als wir die Ausstellung zum FC St.

00:58:30: Pauli im sogenannten "Dritten Reich" machten, gab es

00:58:33: tatsächlich die "Dr. Otto Wolff Vermittlungsgesellschaft für

00:58:36: Versicherungen GmbH und Co. KG" immer noch unter diesem Namen.

00:58:40: Sie gehörte und gehört auch immer noch zur Götte-Gruppe.

00:58:44: 2022 endlich vermeldete dann also die Götte-Gruppe "Um die

00:58:48: Kräfte innerhalb der Götte- Gruppe noch stärker zu bündeln,

00:58:52: haben sich die Inhaber entschieden, die Struktur zu

00:58:55: verschlanken. So wurde die "Dr. Otto Wolff

00:58:58: Vermittlungsgesellschaft für Versicherungen GmbH und Co. KG"

00:59:01: auf die "Karl M. Götte KG" verschmolzen." Und erst jetzt ist

00:59:05: dann also auch Otto Wolff auch als Handelsname aus der

00:59:08: deutschen Versicherungswelt verschwunden. Seine Erinnerung

00:59:12: aber wird mit Sicherheit noch lange ein sehr, sehr

00:59:15: schwarzer Fleck in der braun- weißen Geschichte sein.

00:59:20: Ja, vor allem gibt es da ja noch, also hinten raus, der war ja

00:59:24: wirklich irgendwann schon mal bekannt, der Name dann doch.

00:59:27: Also ist natürlich ganz lange verschwunden gewesen aus dem

00:59:31: öffentlichen Fokus. Ist dann ja in diesem Gutachten von Frank

00:59:35: Bajohr zum Thema Wilhelm Koch das erste Mal wieder aufgetaucht im

00:59:38: Endeffekt, weil Bajohr ihn schon kannte eben durch seine Arbeit

00:59:42: zu diesem Thema, in Anführungsstrichen "Arisierung"

00:59:45: der Hamburger Wirtschaft und ist dann aber trotzdem nicht weiter

00:59:49: verfolgt worden. Also auch das Gutachten war ja öffentlich

00:59:52: einsehbar.

00:59:53: Es ist trotzdem auch in der Fanszene, sag ich mal, überhaupt

00:59:56: nicht weiter verfolgt worden. Da haben wir uns auch ein bisschen

00:59:59: ausgeruht auf dem Thema. Gut, das mit dem Wilhelm Koch

01:00:02: und dem Stadionnamen haben wir jetzt irgendwie hingekriegt, und das

01:00:05: ist dann auch erstmal gut gewesen. Und das ist dann noch lange

01:00:08: einfach so liegen geblieben, bis dann auch wirklich René Martens

01:00:12: auch da wieder, wie schon beim Thema Wilhelm Koch, sich ein

01:00:15: bisschen rangesetzt hast. Du hast eben schon die Artikel erwähnt, die dann in

01:00:18: verschiedenen Zeitungen erschienen sind, auch in

01:00:21: Büchern. Es gibt da einen Sammelband "Hakenkreuz und rundes Leder" von

01:00:24: Lorenz

01:00:24: Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling, da ist dann auch 2008 ein

01:00:28: Artikel eben über Otto Wolff drin gewesen. Und dann hat sich so

01:00:31: langsam mal was in Bewegung gesetzt und dann ist ja

01:00:35: endlich auch, zum Beispiel hatte er immer noch die offiziell die

01:00:39: Goldene Ehrennadel des FC St. Pauli inne und die wurde ihm

01:00:42: dann auf einer Mitgliederversammlung, ich glaube das war dann 2010, wenn

01:00:45: ich das richtig weiß. Ja, 14. November 2010. Genau, wurde ihm die dann endlich

01:00:48: aberkannt, nachdem dann auch eine Faninitiative sich da

01:00:51: sozusagen

01:00:53: dem Thema angenommen hat und diesen Antrag einfach mal

01:00:56: gestellt hat in der Mitgliederversammlung, eben

01:00:59: diese Ehrennadel-Würde ihm abzuerkennen, was dann auch zum

01:01:03: Glück problemlos angenommen wurde. Aber das hat einfach noch

01:01:06: gedauert bis einfach dieses Thema überhaupt mal sich dem

01:01:09: angenommen wurde.

01:01:12: Ja, und im Thema unserer Sendung sehen wir hier also eben auch

01:01:15: einen FC St. Pauli, der dann also tatsächlich sehr machtnah

01:01:19: an der Politik war. Ansonsten ist ja tatsächlich die Politik

01:01:22: beim FC St. Pauli in aller Regel machtkritisch.

01:01:25: Und das war ganz anders. Und letzten Endes hat der Verein

01:01:29: wahrscheinlich relativ stark von dieser Beziehung auch und den

01:01:33: Einflüssen von Otto Wolff profitiert. Auch da wieder ein

01:01:37: indirekter Schluss, der so nicht sauber zu ziehen ist. Aber das

01:01:41: hinterher diese Elogen auf ihn gesungen wurden, hatte

01:01:45: möglicherweise eben auch einiges damit zu tun, dass in der

01:01:49: Wahrnehmung auch der alten Vereinsmitglieder der Otto so

01:01:52: manche Unbill irgendwie half, vom FC St. Pauli fernzuhalten.

01:01:57: Natürlich auch sonstige Drähte von Wilhelm Koch. Man sollte

01:02:01: das auch nicht überbewerten, aber man kann es auch nicht

01:02:04: unterbewerten. Auf keinen Fall. Denn es ist einfach ein bisschen

01:02:08: arg viel Einfluss und Rang, um dann für den FC St. Pauli ohne

01:02:12: tatsächlich damals positive Konsequenzen aus Sicht des

01:02:15: Vereins dann geblieben zu sein. Aus heutiger Sicht ist es

01:02:19: natürlich

01:02:20: etwas außerordentlich Negatives. Zum Glück hat der

01:02:23: Verein das inzwischen aufgearbeitet, aber natürlich

01:02:26: wird es niemals entfernt sein. Unfassbar ist das wirklich,

01:02:30: mich macht das immer wieder auch einfach fassungslos,

01:02:33: also auch die, ich finde, am schlimmsten ist fast, dass

01:02:37: sie das

01:02:39: dann nicht nur ignoriert haben quasi, sondern dass sie

01:02:42: sich dann auch noch so drüber lustig machen. Also über diese

01:02:45: Neumünster-Geschichte in diesem Gedicht so. Ja genau, das war so

01:02:48: ein bisschen so, als wäre er irgendwie im ICE

01:02:51: irgendwo liegen geblieben oder so, weil die Klimaanlage kaputt

01:02:54: war, so ungefähr kommt das damals rüber. Es wird also

01:02:57: wirklich sehr stark verniedlicht und man versteht dann auch warum

01:03:00: vielleicht Otto und Paul Lang zum Beispiel, die Gründer der Rugby Abteilung,

01:03:03: nicht so wahnsinnig viel Lust hatten in den FC St. Pauli

01:03:06: zurückzukehren, für die die ganze Geschichte eben natürlich alles

01:03:09: andere als zu verharmlosen

01:03:11: war.

01:03:12: Also man verschloss die Augen psychologisch ein Mechanismus,

01:03:15: der nachvollziehbar ist, aber natürlich in keiner Weise zu

01:03:18: entschuldigen.

01:03:22: Nachvollziehbar nur, damit man das nicht falsch versteht, weil

01:03:26: auch insgesamt das natürlich sehr stark gemacht wurde. Aber

01:03:29: man versteht natürlich auch die Wut, die dann wiederum entstand

01:03:33: bei Menschen, die auch noch live beiwohnen mussten, dass

01:03:36: also die Täter da grinsend durch die Gegend liefen, schicke

01:03:40: Wohnungen hatten, Bonzenkreise gründeten übrigens, das hieß

01:03:43: tatsächlich so, es gab einen Kreis mit 13 recht gut betuchten

01:03:47: Hamburgern, dem gehörte auch Otto Wolff an, und der war da

01:03:50: wohl ein bisschen so als Beschaffer

01:03:53: ganz, ganz hoch angesehen. Also wenn man jetzt irgendwie ein

01:03:56: besonderes Luxusgut direkt nach dem Krieg wollte. Otto Wolff

01:03:59: wusste, wie man es kriegt.

01:04:02: Das ist ja, also wenn man sich dann, wie

01:04:05: sich das anfühlen muss, als jemand, der von ihm enteignet

01:04:09: und quasi komplett um die Existenz gebracht wurde, dann

01:04:13: dieses Entnazifizierungsverfahren mit

01:04:15: dieser Geldstrafe von 5.000 DM zu sehen, das muss

01:04:18: unfassbar gewesen sein. Ach ja, ich kann noch einen drauf

01:04:22: setzen, das hatte ich auch nicht erwähnt, in diesem Verfahren gab

01:04:26: es ja auch fünf Stufen, in die man dann eingestuft wurde. Fünf war

01:04:30: entlastet und vier war dann das nächste.

01:04:33: Das war dann der sogenannte Mitläufer. Aus Gründen, die ich

01:04:36: absolut nicht nachvollziehen kann, wurde tatsächlich Otto

01:04:39: Wolff als Mitläufer Stufe Vier eingestuft.

01:04:42: Das ist ja anhand, also einfach nur anhand dieser Ämter ja schon

01:04:45: nicht nachvollziehbar. Jetzt unabhängig davon, wie er diese

01:04:48: Ämter ausgefüllt hat, aber einfach nur diese Ämter qua Name oder qua

01:04:51: Funktion sind ja schon mehr als Mitläufer.

01:04:54: Absolut, ja.

01:04:58: Wir haben hier noch ein Los rumliegen. Ich kann mir schon

01:05:02: vorstellen, wer drauf ist. Ich eigentlich auch, aber ich öffne

01:05:05: das mal und ja,

01:05:07: Du hast gewonnen, Christopher. Sehr gut. Ich bin gespannt. Genau,

01:05:10: ich möchte euch von einer vergessenen und vielleicht auch

01:05:13: einer der bittersten Niederlagen des FC St. Pauli in den 90ern erzählen.

01:05:17: Genau, ich rekapituliere mal ganz kurz, also bevor es

01:05:20: beim FC St. Pauli hoch herging, dauerte es ja ein

01:05:22: bisschen, wir wissen das. Der biedere Stadtteilclub war Mitte

01:05:25: der 80er-Jahre erst kurz davor zu dem zu werden, was er heute

01:05:28: ist oder wie Ted Gaier zusammenfassen würde: "Ich glaube

01:05:31: das war dann der Aufstieg '88 oder so, da war ich im Stadion

01:05:34: und da fiel mir zum ersten Mal auf, dass das plötzlich hip war

01:05:38: zu St. Pauli zu gehen. Davor war das eher ein Rentnerverein

01:05:41: mit diesen paar Zecken." Ja, mit dem Aufstieg 1988 unter

01:05:45: Helmut Schulte und Spielern aus der Region wie André Trulsen,

01:05:49: Jürgen Gronau, André Golke und natürlich Volker Ippig gelang

01:05:52: nicht nur ein sportlicher Aufstieg, es änderte sich auch

01:05:56: noch mehr. Ralf Gauger, damals Punker und Fußballfan, heute

01:05:59: Unternehmer auf St. Pauli und aktiv bei "Viva la Bernie",

01:06:03: schilderte es ungefähr so: "Wir gehen zum FC St. Pauli und

01:06:06: werden immer mehr und plötzlich

01:06:08: waren ganz viele, die immer gedacht haben, ich kann nicht

01:06:11: zum Fußball gehen, weil da ist ja die Gefahr, dass ich

01:06:14: vielleicht eins aufs Maul kriege, von irgendeinem rechtslastigen Rocker

01:06:17: oder Hooligan oder Skinhead oder sonst was. Wir gehen da jetzt

01:06:21: einfach hin und so viele haben offensichtlich nur darauf

01:06:24: gewartet und plötzlich hast du gemerkt, aha, da sind so viele,

01:06:27: die auch gerne wieder zum Fußball wollen und sich diesen

01:06:30: Fußball wieder zurückholen wollen und so ging es eigentlich

01:06:33: los." Ja, die Geburtsstunde des FC St. Pauli, wie wir ihn

01:06:36: heute kennen, eine Erfolgsgeschichte, die

01:06:38: ihresgleichen sucht.

01:06:39: St. Pauli und Politik war von nun an untrennbar miteinander

01:06:43: vereint. Naja, fast.

01:06:46: Thomas hat es schon in einem Räuspern schon angemerkt, so

01:06:49: leicht war es dann doch nicht. Rechte Hools, Gruppen wie "United",

01:06:53: Reichskriegsflagge in der Nord, Neonazi-Angriffe auf kurdische

01:06:56: Aktivisten im Stadion, 1991 Affenlaute gegen Souleymane Sané.

01:07:00: Der tägliche Rassismus in den Fußballstadien der BRD machte

01:07:03: auch vor dem Millerntor nicht halt. Anders als bei anderen Vereinen

01:07:07: würde dies aber nicht stillschweigend akzeptiert,

01:07:09: sondern mit handfesten Argumenten Stück für Stück in

01:07:12: den Kurven geregelt. Also alles gut? Wir machen mal einen

01:07:15: Zeitsprung.

01:07:17: Es gibt ja immer wieder so Saisons, da fällt es mir

01:07:20: irgendwie schwer, mich zu erinnern, was da eigentlich

01:07:22: sportlich so los war. Ich weiß nicht, es geht Euch wahrscheinlich auch so oder

01:07:25: so.

01:07:26: Wenn ich jetzt zum Beispiel zurückdenke, dann würde ich

01:07:30: sagen, die Saison 93/94,

01:07:32: was war da eigentlich los? 1991 stieg der FC St. Pauli nach drei

01:07:36: Jahren tränenreich aus der 1. Bundesliga ab und

01:07:39: Katerstimmung machte sich breit. Führungspersönlichkeiten wie Jens

01:07:43: Duve und André Golke waren weg und die absolute

01:07:46: Identifikationsfigur für die Fanszene und Verein und Team,

01:07:50: Volker Ippig, musste seine Karriere verletzungsbedingt

01:07:53: beenden. Und dann war sie erstmal da sozusagen, die graue

01:07:57: normale

01:07:58: Fußballzeit beim FC St. Pauli am Millerntor. Kurz vorher in der

01:08:03: Mammutsaison 92/93, in der erstmals 24 Teams in der 2.

01:08:06: Bundesliga teilnahmen, kam es am letzten Spieltag am Millerntor zu

01:08:10: einem Showdown. St. Pauli musste gegen Hannover 96

01:08:14: gewinnen, um die Klasse zu halten. Wir können mal kurz

01:08:18: beim NDR reinhören: "Martin!

01:08:22: Seppo Eichkorn rief nach seinem Stürmer Martin Driller, der sich

01:08:27: schon lange an der Seitenlinie warmgelaufen hatte. Radio-Infos

01:08:31: für den Coach, war etwa in Braunschweig etwas passiert?

01:08:35: Immer 0:0, dann Knäbel, es wurde langsam eng, denn Unterhaching

01:08:40: führte zu diesem Zeitpunkt 2:0.

01:08:43: Noch 17 Minuten. Der eingewechselte Driller trifft

01:08:47: Gronau am Rücken, präzise dessen Flanke. Leonardo Manzi, der Rest

01:08:52: war Jubel.

01:08:59: Einer geht noch, einer geht noch rein."

01:09:03: Ja, einer geht noch, einer geht noch rein, beziehungsweise

01:09:07: nein, es ging keiner mehr rein. Es blieb beim 1:0. Leo

01:09:12: halt wie immer der Mann für die wichtigen Tore. Das war wirklich eine

01:09:16: wilde Saison irgendwie mit 46 Spieltagen und sieben Absteigern, also

01:09:21: das war schon sehr, sehr aufregend und aufreibend.

01:09:25: Ein Spiel aber, was Leo Manzi zur absoluten Legende

01:09:29: machte, er wurde auf Händen aus dem Stadion

01:09:33: getragen, der sonst ja oft unglücklich agierende Leo Manzi

01:09:37: als der große Held und Retter vor dem Absturz in den

01:09:41: Amateurfußball. So war es.

01:09:45: Was Ihr nicht sehen könnt, weil das hier ein Podcast ist, Thomas hat gerade im

01:09:48: Hintergrund noch ein bisschen wieder mitgejubelt beim Spielbericht.

01:09:52: Wir machen irgendwann mal über die seltsamsten Tormusiken

01:09:55: des FC St. Pauli noch eine Sendung, denn einer geht

01:09:59: noch rein, ist auch glücklicherweise ausrangiert.

01:10:02: Ja, aber zurück

01:10:04: zum Ende der Saison 92/93, also der FC St. Pauli hat den Abstieg

01:10:08: vermieden. Mit Ach und Krach.

01:10:11: Kapitän am Millerntor zu dieser Zeit war ein Mann, den man liebevoll

01:10:15: nur "Eisen-Dieter" gerufen hat, Dieter Schlindwein.

01:10:19: 1989 von Eintracht Frankfurt ans Millerntor gewechselt, ein

01:10:22: eisenharter Manndecker aus der berühmt-berüchtigten Waldhof

01:10:26: Mannheim-Schule, auch genannt die Waldhof-Buben, für die er über

01:10:29: 200 Spiele bestritt.

01:10:31: In Mannheim entdeckt und gefördert wurde Schlindwein übrigens von Klaus

01:10:35: Schlappner. Ja, der Mann, mit dem Pepita-Hut

01:10:38: wurde er in der Presse genannt. Klaus Schlappner

01:10:41: kandidierte 1968 in seiner Heimatstadt Lampertheim für die

01:10:45: NPD, um laut eigener Aussage gegen die 68er zu

01:10:48: protestieren. 1969 trat er aus der NPD aus, da ihm dämmerte,

01:10:51: dass die Chancen mit der NPD am großen politischen Rad zu

01:10:55: drehen, doch eher gering waren. Zitat Schlappner: "Ich schrei

01:10:58: mir doch für null und nix Prozent doch nicht die Lunge aus dem

01:11:01: Hals."

01:11:03: Ja, so sieht jemand aus, der sein eigenes politisches Handeln

01:11:07: nicht überdenkt oder überdacht hat.

01:11:10: Ja, und das führte auch zu einem, wenn nicht sogar dem

01:11:13: ersten politischen Banner am Millerntor. Am 10. Oktober 1987

01:11:17: hing bei einem Heimspiel gegen die von Schlappner trainierten

01:11:20: Lilien aus Darmstadt ein Transparent mit der relativ

01:11:24: klaren Botschaft "Schlappner, verpiss Dich".

01:11:28: Ja, alles gesagt. Da muss man nicht viel sagen. Es war übrigens auch bei

01:11:32: dem, auf dem Banner noch, auf seine NPD-Zeit

01:11:36: wurde auch noch hingewiesen, also damals schon 1987 gut

01:11:40: informierte Fans mit klaren Aussagen.

01:11:44: Zurück zu Schlindwein. Dieser erlangte aufgrund seiner

01:11:48: robusten Spielweise am Millerntor natürlich auch schnell

01:11:51: Kultstatus, was zu der damaligen Zeit auch nicht unüblich war.

01:11:55: Wenn du irgendetwas besonders gut oder auch besonders schlecht

01:11:58: warst, dann ging das relativ schnell, genau und auch die

01:12:02: Saison 93/94 fing dann wieder mäßig an und der damalige Co-

01:12:05: Trainer Seppo Eichkorn, also der Interimstrainer wurde zum Chef

01:12:09: befördert.

01:12:11: Hatte aber auch seine liebe Mühe, wieder so etwas wie

01:12:13: Aufbruchsstimmung am Millerntor zu verbreiten. Ja, das führte auch

01:12:16: dazu, dass direkt von Anfang an eigentlich seinen Stuhl wackelte

01:12:20: und auch Heinz Weisener eigentlich immer ein klares

01:12:22: Bekenntnis zu Seppo Eichkorn vermied, das heißt, die Stimmung

01:12:25: im Verein war eher mediumgut. Im Januar 1994 ging es dann für eine

01:12:28: Woche ins Trainingslager nach Cadiz und abgeschottet von

01:12:31: Journalisten ging es im Trainingslager auch direkt zur

01:12:34: Sache. In einem harten Zweikampf grätschte Leo Manzi den Kapitän

01:12:37: Dieter Schlindwein um, dieser beleidigte Manzi daraufhin

01:12:40: mehrfach mit "Was soll das, Du schwarze Sau?"

01:12:43: Ronald Wollmann, Physiotherapeut des Teams, erinnert sich: "Leo

01:12:48: haut Schlindi um, aber die hatten ja schon immer, sag ich

01:12:52: mal, einen Kleinkrieg die beiden. Auf jeden Fall hat Leo Schlindi von

01:12:57: hinten dermaßen umgesäbelt und da hat er gesagt "Was soll das, Du

01:13:01: schwarze Sau" oder irgendwie so. Es war kein Journalist da,

01:13:06: es hätte gar keiner mitbekommen, außer wir, die nun

01:13:10: beim Training waren. Ein Spieler

01:13:14: hat das der "MoPo" gesteckt." Ja, ein Spieler steckt es der "MoPo"

01:13:19: und Leo Manzi redete mit dem "Übersteiger".

01:13:23: Er sagte: "In dem Moment hat er mich mehrfach hintereinander

01:13:26: beleidigt. Das rutscht nicht nur so raus. Ich muss

01:13:29: leider sagen, dass es bei Dieter schon das zweite Mal war."

01:13:32: Ja, die Aufregung war groß im Verein. Vizepräsident Christian

01:13:36: Hinzpeter war ebenfalls fassungslos: "Ich bin entsetzt,

01:13:39: dadurch kann vieles von dem kaputt gemacht werden, was wir

01:13:42: hier aufgebaut haben." Durch den Rassismus, richtig? Richtig, es

01:13:46: ging Christian Hinzpeter lobenderweise. Ihr werdet gleich

01:13:49: erfahren, warum lobenderweise ich dazu sagen muss, ging es um den

01:13:52: rassistischen, die rassistische Beleidigung von Schlindwein.

01:13:56: Und Schlindwein musste zum Rapport beim Präsidium. Es soll

01:14:00: wohl auch ein lauteres Gespräch geworden sein, in dem Christian

01:14:04: Hinzpeter sehr deutlich klargemacht hat, dass er sowas

01:14:07: nicht toleriert.

01:14:09: Als einer der wenigen im Verein, denn die sportliche Führung um

01:14:12: Trainer Eichkorn war nicht etwa wegen der rassistischen

01:14:15: Beleidigung Schlindweins in Aufruhr, sondern wegen dem Maulwurf, der der

01:14:19: Presse gesteckt hat, dass es überhaupt eine rassistische

01:14:22: Beleidigung im Trainingslager gab und schoss gegen erzürnte Fans.

01:14:25: Eichhorn in der "MoPo": "Ich appelliere an alle Fans, sich

01:14:28: nicht um die Sachen zu kümmern, die sie nicht einschätzen können."

01:14:32: Ahja. Für Iris Jensen, Mitbegründerin des "Millerntor Roar", wir

01:14:35: haben sie ja schon im Celinas Story gehört, war das quasi auch ein

01:14:38: Bruch mit dem Verein:

01:14:40: "Das ist dann jedenfalls an die Presse gelangt, was ich auch

01:14:44: richtig finde im Übrigen, ich finde das gehört an die Presse,

01:14:47: das ist im Verein so schlecht aufgearbeitet worden. Ich

01:14:51: habe da Sachen miterlebt, die mit meinem Verständnis, wie der

01:14:54: FC St. Pauli sich selber verstehen sollte, einfach

01:14:57: überhaupt nicht übereingestimmt haben."

01:15:00: Ja, schlecht aufgearbeitet.

01:15:02: In das gleiche Horn blies auch die "taz" zur

01:15:05: Causa Schlindwein, denn sie schrieb: "Der Mythos des FC St.

01:15:08: Pauli als etwas anderer Verein hat durch die Entgleisung von

01:15:11: Mannschaftskapitän "Eisen-Dieter" Schlindwein einen herben Dämpfer

01:15:14: erhalten.

01:15:16: Für Trainer Seppo Eichkorn gibt es nur ein Ziel. Er will wissen,

01:15:19: wer der Verräter ist, der die Informationen weitergegeben hat.

01:15:22: Es ist schon etwas einfältig, wenn der Trainer des FC St.

01:15:24: Pauli den Informanten zum Sündenbock macht und den Täter

01:15:27: Schlindwein noch den Rücken stärkt. Armes St. Pauli."

01:15:30: Ja, also klare Worte in der "taz". Das ist auch, ja.

01:15:34: Ja, aufgrund des öffentlichen Drucks sah sich dann auch die

01:15:38: sportliche Leitung genötigt, Schlindwein zu verwarnen und ihm

01:15:43: eine Geldstrafe aufzudrücken. Das waren 250 Mark. Ui, ja. Wird ihn

01:15:47: zum Nachdenken gebracht haben. Genau, das bewusste Präsidium

01:15:51: wiederum, auch hier wieder federführend Christian

01:15:54: Hinzpeter, erhöhte auf 5.000 Mark, die der Kapitän als Spende an ein

01:15:58: antirassistisches Projekt weitergeben sollte. Er hat also dasselbe

01:16:02: gezahlt wie Otto Wolff in seinem Entnazifizierungsverfahren.

01:16:06: Auch im Team war die Diskussion groß. In einer geheimen

01:16:09: Abstimmung wurde dem Team die Möglichkeit gegeben, sich für

01:16:12: oder gegen Schlindwein als ihrem Kapitän auszusprechen, dazu

01:16:16: wieder die "taz": "Die Spieler hatten noch die Möglichkeit, den

01:16:19: Fans gegenüber noch ein wenig glaubwürdig zu bleiben, doch

01:16:22: diese ließen sie aus.

01:16:25: In einer geheimen Abstimmung wurde der Kapitän mit 19:1

01:16:29: von der Mannschaft in seinem Amt bestätigt." 19:1.

01:16:35: Eine Mannschaft gespickt mit braun-weißen Recken und

01:16:38: bekannten Spielern wie Martin Driller, Carsten Pröpper, André

01:16:42: Trulsen, Klaus Thomforde, Jürgen Gronau,

01:16:45: Marcus Marin, Bernd Hollerbach war sich einig, Eisen-Dieter ist

01:16:50: und bleibt unser Kapitän. Dazu Iris Jensen:

01:16:55: "Es gab dann eine Abstimmung

01:16:57: über diese Person innerhalb der Kabine, ob diese Person noch

01:17:01: Kapitän bleiben soll und alle außer Martino haben sich dagegen

01:17:05: entschieden. Martino hat gesagt, du bist nicht mein Kapitän." Der

01:17:09: hier angesprochene Martino Gatti, für ihn war es quasi der

01:17:13: Anfang vom Ende. In der Hinrunde war der Techniker mit Kämpferherz

01:17:17: noch Stammspieler, fand sich nach dem Eklat jedoch regelmäßig

01:17:20: auf der Bank oder Tribüne wieder. Seine eigentlich schon

01:17:24: fixe Vertragsverlängerung lag erst auf Eis und wurde dann

01:17:27: komplett verworfen.

01:17:29: Man warf ihm intern vor, die Geschichte an die Presse gegeben

01:17:32: zu haben und ein Nestbeschmutzer zu sein. Wie wir

01:17:35: heute wissen, er hat es nicht an die Presse weitergegeben, wir

01:17:37: wissen von verschiedenen Quellen, dass es sich um einen

01:17:40: anderen Spieler handelt, den Namen nennen wir nicht.

01:17:43: Aber klar ist, es gab Vorwürfe gegenüber Martino Gatti, die

01:17:47: sich nicht bestätigten. Vor allem Eichkorn tat sich hervor,

01:17:51: Martino Gatti als den Maulwurf zu benennen. Daraufhin nannte

01:17:55: Gatti seinen Trainer öffentlich einen Lügner.

01:18:00: Eine Geldstrafe und eine Abmahnung folgten.

01:18:03: Für Gatti, genau, also eine Abmahnung für Gatti. Martin

01:18:07: Driller nannte Eichkorn daraufhin wegen dessen

01:18:10: zögerlicher und inkonsequenter Art bei Taktik und

01:18:14: Mannschaftsansprache einen Amateur, hier wurde aber auf eine Strafe

01:18:18: verzichtet, also zweierlei Maß am Millerntor. Ja, und zum

01:18:22: Auftaktspiel der Rückrunde gegen Homburg kündigten einige Fans

01:18:26: einen Protest an. Daraufhin fragte das "Hamburger Abendblatt"

01:18:30: relativ investigativ mal direkt beim Täter nach.

01:18:34: "Herr Schlindwein, haben Sie Angst vor den Fans?"

01:18:39: Schlindwein darauf: "Ich hoffe, dass die Fans mitbekommen haben,

01:18:42: dass da alles bereinigt worden ist. Ich werde 5.000 Mark an

01:18:45: "Terre des Hommes" für das Wohnschiff-Projekt für Flüchtlinge in Hamburg

01:18:48: überweisen. Wenn die Fans mich jetzt noch auspfeifen, pfeifen

01:18:51: sie damit die Mannschaft aus."

01:18:55: Ja, der betroffene Leo Manzi widersprach im "Übersteiger" den

01:18:58: Presseberichten und auch Schlindwein und sagte,

01:19:00: Schlindwein hätte sich nicht bei ihm entschuldigt. Weiter sagte

01:19:03: er, dass die Sache für ihn anders als für Schlindwein nicht

01:19:06: geklärt wäre.

01:19:08: Manzi im "Übersteiger": "Es ist gut, dass so viel darüber

01:19:11: gesprochen wird, weil er dann vielleicht mal nachdenken und

01:19:14: daraus lernen wird. Es sind fast 20.000 bei jedem Spiel die Eisen-

01:19:17: Dieter zujubeln und beim Training benimmt er sich dann

01:19:19: so, das sollen die Leute auch mal erfahren."

01:19:23: Ja, für viele Fans ist diese ganze Causa eine Zäsur. Für Iris

01:19:26: Jensen, die damals mit Martino Gatti liiert war und hautnah

01:19:29: mitbekommen hat, wie im Verein Stimmung gegen kritische Fans

01:19:33: und Gatti als

01:19:34: in Anführungszeichen "Abtrünnigen" gemacht wurde, war es dann auch

01:19:38: das Ende ihrer aktiven Zeit am Millerntor. "Es gab

01:19:41: wirklich eine Vorverurteilung, weil Martino der einzige war,

01:19:45: der sich irgendwie gegen den Kapitän damals ausgesprochen

01:19:48: hat, dass der nicht eine Minute mehr gespielt hat und

01:19:51: diese Geschichte in einer Art und Weise aufgearbeitet worden

01:19:55: ist, die ich echt nicht tolerieren kann, das muss ich

01:19:58: einfach sagen." Auch andere Fans kehrten dem Millerntor

01:20:01: enttäuscht den Rücken, denn Sport für Politik schien jetzt das neue

01:20:04: Credo

01:20:05: im Verein zu sein.

01:20:06: Ja, ein tiefer Riss durch die Fanszene. Fundis gegen Realos,

01:20:10: könnte man sagen, während die Redaktion des "Übersteiger"

01:20:14: eher noch versuchte, vermittelnd zu agieren, war die Sache für

01:20:17: "Unhaltbar!", das damalige Fan- Magazin klar, Schlindwein musste

01:20:21: weg, und zwar sofort. Rainer Trampert, linker Publizist, Autor

01:20:25: für "Konkret" und Mitbegründer der Grünen, schrieb in einem

01:20:28: Gastbeitrag für "Unhaltbar!", dass er dem FC St. Pauli von nun an

01:20:32: fernbleiben würde, seine Dauerkarte hatte er schon

01:20:35: abgegeben. Einen offenen Brief der Spieler an die Fans, der

01:20:39: am 18. Februar 1994 in der "MoPo" erschien, beschrieb Trampert

01:20:43: in "Unhaltbar!" folgendermaßen: "Die Mannschaft wendet sich in

01:20:46: einem offenen Brief an die Fans, deren Willfährigkeit bis dahin

01:20:50: noch nicht bekannt ist, und macht darin aus dem Täter das

01:20:53: Opfer. Schlindwein habe "unter den Folgen seiner Äußerungen

01:20:57: genug gelitten", die Fans sollten ihre gegenüber Ausländern

01:21:00: vorbildliche vorgelebte Toleranz jetzt auch auf einen

01:21:03: altgedienten Spieler, der jahrelang alles für den Verein

01:21:07: gegeben hat, übertragen, um die angestrebten Ziele

01:21:10: zu erreichen."

01:21:11: What the fuck? Das wurde am 18. Februar 1994 als Offener Brief der

01:21:16: Mannschaft in der "MoPo" publiziert.

01:21:19: Klassische Täter-Opfer-Umkehr. Ja, und auch für den Publizisten

01:21:24: und ehemaligen Grünen-Politiker Thomas Ebermann, der jahrelang

01:21:29: mit Trampert ans Millerntor ging, war die Sache ebenfalls klar: "Es gab

01:21:33: ein gutes Grundgefühl, und das ist für mich dann richtig

01:21:37: zerstoben durch die Affäre Schlindwein.

01:21:41: Es gibt die Affäre Schlindwein, man liest darüber, man

01:21:44: diskutiert, man sitzt im "Golem".

01:21:47: Man sagt, er darf nie wieder aufgestellt werden.

01:21:51: So, und plötzlich bist du umzingelt, der sagt plötzlich, in der

01:21:55: Lage können wir auf "Eisen-Dieter" nicht verzichten.

01:21:58: Und du denkst, sag mal, ich will nicht sagen, dass Du mein bester

01:22:03: Freund warst. Aber irgendwie haben wir jetzt ein paar Jahre

01:22:06: in dieser Kneipe gedacht, wir sind auf derselben Schiene so.

01:22:11: Nee, und das ist das ist doch nur die "Morgenpost", ist sowieso

01:22:15: für HSV, das haben die nur veröffentlicht um

01:22:19: St. Pauli zu schwächen, also richtig

01:22:22: verschwörungstheoretische Idiotien hörst du." Steile Thesen.

01:22:31: Ja, Trampert fand auch noch deutliche Worte für die Causa

01:22:34: Manzi/Schlindwein. "Die Atmosphäre am Millerntor war

01:22:37: kälter geworden. Die Reaktion auf die rassistische Diskriminierung

01:22:40: war das Bekenntnis zur Kälte. Wer mir heute erzählt, die Verhältnisse

01:22:44: seien schon immer so gewesen, will einen miesen Zustand

01:22:47: retten. Wer Rassismus in den eigenen Reihen derart

01:22:49: verharmlost, muss sich nicht wundern, wenn er vorhandene

01:22:52: Geister enthemmt. Ich werde in Zukunft Fußballanhänger bleiben,

01:22:56: aber ohne Heimatverein. Ob St. Pauli ein Tor

01:22:58: mehr schießt oder nicht, kann mir gestohlen bleiben. Auf meine

01:23:01: Dauerkarte wartet vielleicht jemand, der vor Freude aus dem

01:23:04: Häuschen gerät, wenn "Eisen- Dieter" einen Gegner umhaut." War

01:23:07: sehr konsequent. Wenn man zusammenfasst, Iris Jensen,

01:23:10: Rainer Trampert oder Thomas Ebermann gingen, Martino Gatti

01:23:13: musste den Verein verlassen.

01:23:15: Doch, ja, Schlindwein blieb.

01:23:18: Dazu hat auch der "Übersteiger" nochmal eine Zusammenfassung der

01:23:21: Lage geschrieben: "Dieters Herabsetzung von Leo Manzi ist

01:23:24: zunächst einmal unentschuldbar. Und nicht wenige Mitglieder der

01:23:28: "Übersteiger"-Redaktion plädierten spontan für eine

01:23:31: heftige Abrechnung mit dem Kapitän des FC St. Pauli. Doch

01:23:34: war uns, der Redaktion, sehr bald klar, dass es mit einer

01:23:37: Abstrafung von Dieter mitnichten getan wäre. Vielmehr muss es um

01:23:41: eine Aufarbeitung mit dem Gesamtkomplex FC St. Pauli

01:23:44: gehen. Was eigentlich macht den vermeintlichen Mythos des

01:23:47: Vereins aus?

01:23:48: Ist es die "andere" Vereinspolitik, der/die

01:23:52: andere FanIn, die Mannschaft oder was ist es?

01:23:55: Betrachten wir die Reaktion der Mannschaft, des Vereins sowie

01:23:58: der Fans auf das Geschehen, so müssen wir doch sehr ernüchtert

01:24:02: zur Kenntnis nehmen, dass es nur eine verschwindend geringe Menge

01:24:05: von Menschen ist, die überhaupt bereit sind, sich mit der

01:24:09: Problematik Rassismus auseinanderzusetzen." Ja, also

01:24:11: Dieter Schlindwein blieb Kapitän des FC St. Pauli in der Saison

01:24:15: 93/94, der Aufstieg wurde verpasst. In der Saison darauf

01:24:18: wurde Seppo Eichkorn entlassen, Uli Maslo übernahm, mit seiner

01:24:21: ersten Amtshandlung, Dieter Schlindwein als Kapitän und

01:24:24: Stammspieler zu entmachten.

01:24:26: Man muss sich wundern. Man muss aber auch dazu sagen, dass

01:24:30: ebenfalls auch Leo Manzi keinen Stich mehr bei Trainer Uli Maslo

01:24:34: gesehen hat. Und der dann fürderhin die Abteilung kontroverse Äußerungen

01:24:38: selber übernahm.

01:24:40: Genau.

01:24:42: Ich erinnere mich, dass viele Fans unter der Ära Heinz Weisener

01:24:46: dem Verein den Rücken gekehrt haben und nachdem Christian

01:24:49: Hinzpeter ja auch geschasst wurde, quasi ja erstmal eine

01:24:53: doch sehr trostlose Zeit in diesem Verein anfing. Es war

01:24:56: sicherlich vieles ein bisschen, man hat sich sehr viel ausgeruht auf dem, was schon

01:25:00: erreicht war, denke ich.

01:25:03: Also dann eben Mitte, Ende der 90er.

01:25:07: Und ja, also es brauchte sicherlich neue Impulse,

01:25:10: definitiv. Man muss natürlich auch immer wieder Fanszene und

01:25:14: Verein einfach auch trennen. Also der Verein hat von der

01:25:18: Fanszene profitiert und es gab verschiedene Aussagen, die ich

01:25:22: hier nicht vorgelesen hab, zum Beispiel von Heinz Weisener, der

01:25:25: dem Verein an sich sozusagen unterstellt hätte, dass wir uns

01:25:29: mit besonderer Ausländerfreundlichkeit

01:25:32: hervortun würden und allein diese Begrifflichkeit schon so

01:25:36: absurd ist, dass man einfach merkt, die haben nichts

01:25:39: verstanden.

01:25:40: Ja, also was ich noch dazu sagen kann abschließend, ich bin auf

01:25:44: jeden Fall Martino Gatti-Fan. Klingt so, als sollte man das

01:25:48: sein, ja, das war natürlich auch vor meiner Zeit. Aber das war

01:25:52: sicherlich auch vorher schon so der Fall, dass er ein sehr gutes

01:25:55: Standing in der,

01:25:57: nennen wir es mal, aktiven Fanszene hatte.

01:26:00: Nicht nur wegen personeller

01:26:02: Überschneidungen nenne ich es jetzt mal, sondern auch so. Er kam einfach gut

01:26:06: an als Typ so, das war sicherlich so, dass er auch

01:26:09: durchaus verstanden hatte, worum es den Menschen ging und so, ja.

01:26:14: Also was man vielleicht noch festhalten kann. Es ist

01:26:17: noch nicht so lange her, dass der FC St. Pauli einen Spieler

01:26:20: für sein antirassistisches Engagement abgemahnt hat quasi.

01:26:23: Wenn Euch diese Folge gefallen hat, würden wir uns freuen, wenn

01:26:27: Ihr uns eine positive Bewertung da lasst, gerne auf der Podcast-

01:26:30: Plattform Eurer Wahl.

01:26:32: Wenn Ihr Ideen und Vorschläge habt, konstruktives Feedback

01:26:35: aller Art, dürft Ihr das gerne an uns schicken. Wir freuen uns

01:26:38: darüber über alle Social Media- Messenger-Plattformen oder

01:26:41: auch gerne per mail an info@1910-museum.de und wir würden uns freuen, wenn

01:26:46: Ihr auch nächstes Mal wieder einschaltet und dabei seid. Ihr

01:26:49: könnt Euch auch eine Notification setzen, auch auf

01:26:52: der Podcast-Plattform Eurer Wahl, damit ihr keine Folge

01:26:55: verpasst. Sehr zu empfehlen.

01:26:57: Hab ich schon gemacht.

01:26:59: Das Thema der nächsten Folge, das können wir vielleicht auch

01:27:01: schon verkünden,

01:27:04: wird sein "Die größten Marketing- Fails des FC St. Pauli".

01:27:08: Arbeitstitel, aber es wird um Marketing gehen, um Marketing-Fails.

01:27:11: Da können wir uns jetzt schon auf ganz tolle Sachen freuen. Also endlich mal

01:27:15: Geld, also letztes Mal Politik, aus der nächsten Sendung gesehen,

01:27:19: und dann dieses Mal also Penunsen, Kohle, Zaster. Wir sind

01:27:23: gespannt. Ihr könnt Euch ja schon mal Gedanken machen und

01:27:27: uns auch gern schon mal schreiben was Ihr als den

01:27:30: größten Marketing-Fail empfunden habt.

01:27:33: Würde uns natürlich auch sehr interessieren.

01:27:35: In diesem Sinne bis zum nächsten Mal.

01:27:39: Tschüss, Tschüss. Bis dann. Auf Wiedersehen.

01:27:44:

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