#6 Should I Stay or Should I Go?
Shownotes
Seit mehr als 110 Jahren wird auf St. Pauli Fußball gespielt. Ebenso lange schon dreht sich am Millerntor das Transfer-Karussell. In der sechsten Folge "FCSP-Geschichte(n)" erzählen Christopher, Celina und Thomas braun-weiße Transfer-Storys, die es in sich haben. Es geht – wie so oft – um Skandale, Pleiten, Pech und Pannen. Außerdem erklären wir, wie László Gergely zum Phantom im FC St. Pauli-Trikot wurde und wie Altona 93 und die Rama-Margarine-Werke Anfang der 30er-Jahre das deutsche Fußball-"Reinheitsgebot" ins Schlingern brachten.
Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), NEUSTART KULTUR, der Kulturstiftung der Länder und KULTUR.GEMEINSCHAFTEN – dem Förderprogramm für digitale Content Produktion in Kultureinrichtungen.
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00:00:00:
00:00:24: Herzlich willkommen zu FCSP-Geschichten, das n in Klammern, dem offiziellen Podcast des FC St. Pauli Museums. Ich
00:00:31: bin Celina und ich sitze hier mit meinen Kollegen Christopher und Thomas. Guten Morgen. Moin. Was
00:00:38: Euch gleich direkt auffällt, Christoph Nagel ist nicht dabei, wir müssen heute leider auf ihn verzichten, weil ihn die Sommergrippe
00:00:44: erwischt hat. Wir werden unser Bestes geben, ihn zu ersetzen und hoffen, Ihr habt trotzdem Spaß mit dieser
00:00:50: Folge, in der es um, Trommelwirbel, die wunderbare Welt der
00:00:56: Fußballtransfers. Wir sind gerade mitten in der Phase, also Stand jetzt sind
00:01:04: wir gerade mitten in der heißen Phase der Transferperiode. Da ist dann jetzt eigentlich auch die Frage
00:01:10: erstmal, was ist eigentlich ein Transfer und wo kommt das her und wie
00:01:16: ist die Geschichte dahinter? Das Museums-Lexikon. Unter einem Spielertransfer im Fußball versteht
00:01:22: man den Vereinswechsel eines Vertragssportlers, der meist gegen Geld aus einem noch laufenden Vertrag herausgelöst wird. Der
00:01:29: sogenannte Marktwert eines Spielers bietet dabei meist einen Spiegel, wie viel ein Verein durch den Erlös erzielen könnte. Wenn
00:01:35: ein Verein einen Spieler verkaufen muss oder möchte, so setzt er ihn auf die Transferliste. So weit,
00:01:41: so klar. Wir sind auf St. Pauli auch ablösefreie Transfers unserer
00:01:47: talentiertesten Spieler leidlich gewohnt, das hat uns dieses Jahr gerade mit Leart Pacarada getroffen.
00:01:53: Dafür einen Dank an Jean-Marc Bosman. Wer ist das jetzt schon wieder? Ja, wer ist
00:02:00: das eigentlich? Wer ist das eigentlich? Der Mann vom Urteil. Genau, das 'Bosman-Urteil'. Der belgische Profi zog
00:02:06: Anfang der 90er-Jahre gegen seinen Arbeitgeber RFC Lüttich vor Gericht. Dieser verweigerte Bosman trotz auslaufendem
00:02:12: Vertrag einen Wechsel zum französischen Zweitligisten Dunkerque, indem er umgerechnet fast eine Million Euro
00:02:18: für den Mittelfeldspieler forderte. Damals eine völlig utopische Summe, vor allem für einen Spieler wie Bosman. Bosman
00:02:25: gewann die Klage. Im Dezember 1995 fiel das Bosman-Urteil und brachte so die zentralen Eckpfeiler des europäischen
00:02:31: Transfersystems zum Einsturz. So konnten Spieler nun ohne Ablöse nach Vertragsende den Verein wechseln,
00:02:37: also die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Ebenso kippte die Beschränkung der Anzahl von Spielern mit
00:02:43: der Staatsangehörigkeit anderer EU-Mitgliedstaaten, die im Wettkampf aufgestellt werden dürfen. Ein Erdbeben
00:02:50: und somit der Beginn der Transfer-Gigantomanie, die wir heute kennen. Das Urteil stärkte die Verhandlungsposition der
00:02:56: Spieler gegenüber ihren Vereinen. Durch den Wegfall der Ablösesummen nach Vertragsende hatten die Vereine eine wesentliche Quelle
00:03:02: finanzieller Entschädigung verloren, die beim Auslaufen eines Vertrages für sie entstanden wäre. Wollten
00:03:08: die Vereine den entsprechenden Spieler nun nicht ohne Entschädigung nach Vertragsende ziehen lassen, mussten
00:03:14: sie ihn anderweitig von einem Verbleib überzeugen, was sich hauptsächlich in höheren Gehältern und anderen Sonderzahlungen wie zum Beispiel
00:03:20: Handgeldern zum Ausdruck brachte. Also auch der Start von utopischen Gehältern. Dazu
00:03:28: habe ich noch mal ein paar Statistiken rausgesucht, interessant ist nämlich die Veränderung der Ablösesumme seit Mitte der 90er, also seit dem
00:03:34: Bosman-Urteil. In der Saison 96/97 gaben die Bundesligisten umgerechnet knapp
00:03:40: 51 Millionen Euro, ich hab das schonmal in Euro umgerechnet, knapp 51 Millionen Euro für Transfers
00:03:46: aus. Rekordtransfer der Bundesliga-Saison 96/97 war Jörg Albertz vom HSV, er
00:03:52: wechselte - nicht verwandt und nicht verschwägert! Müssen wir auch noch mal dazusagen - er wechselte für 4,5 Millionen
00:03:58: Euro zu den Glasgow Rangers. Nur fünf Jahre später hatte
00:04:04: sich die Summe in der Saison 2001/2002 bereits vervierfacht. Also wir reden hier von fast 200 Millionen
00:04:10: Transferausgaben. Der FC St. Pauli lebte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls auf großem Fuß und verpflichtete
00:04:16: Ugur Inceman für 1,38 Millionen Euro von Alemannia Aachen. Bis heute ist er der
00:04:23: Rekordtransfer am Millerntor. Es wird langsam eng für
00:04:29: ihn. Wahrscheinlich werden wir ihn irgendwann demnächst überholen, aber David Nemeth, der ja noch aktuell da ist, hat
00:04:35: laut, nehmen wir jetzt mal transfermarkt.de als Quelle, da stehts ja immer ganz genau. 1,3
00:04:41: Millionen steht da nämlich, also knapp dahinter. Und gleiche Summe Cenk Şahin tatsächlich, nun gut.
00:04:48: Wir erinnern uns. Dafür haben wir bei Verkäufen aber deutlich mehr eingenommen immerhin. Also die Spitze
00:04:54: hat da Daniel-Kofi Kyereh tatsächlich letztes Jahr. Kommt nicht überraschend. 4,5 Millionen soll das gebracht haben
00:05:00: und dahinter Marcel Halstenberg, da hat uns Leipzig 3,5 Millionen wohl überwiesen und Mats
00:05:06: Møller Dæhli für 2,5 Millionen, das sind so die Spitzenwerte, die wir da haben. Marvin Ducksch soll
00:05:12: übrigens 2 Millionen eingebracht haben. Heute auch schon andere Preise für ihn aufgerufen. Wahrscheinlich.
00:05:20: Den absoluten Peak erreichte die Bundesliga übrigens kurz vor der Corona-Pandemie zur Saison 2019/2020
00:05:26: mit Ausgaben von fast einer Milliarde Euro, allein 80 Millionen Euro zahlte der FC
00:05:32: Bayern für Lucas Hernandez von Atletico Madrid. Da wir uns in der heutigen Folge mit
00:05:38: Transfers beschäftigen, kann man eigentlich nur sagen, ein Verein wie kein anderer tätigt
00:05:45: auch Transfers wie kein anderer. Steile These. Immerhin sind wir nicht bei Millionenwerten glaube ich
00:05:51: bei unseren Geschichten, wenn ich das richtig sehe. Nein, aber es wird. Das
00:05:57: auf jeden Fall. Wollen wir losen? Auf jeden Fall. Genau, seit letzter
00:06:04: Folge losen wir ja die Reihenfolge der Texte aus und ich habe hier drei Lose wieder vorbereitet,
00:06:10: dann eins zu Seite gelegt, weil Christoph ja nicht da ist und blättere sie auf oder blättere eins natürlich nur
00:06:16: auf und habe da mich gefunden. Klasse. Super. Dann
00:06:23: fange ich doch mal an. Sehr gerne. Genau, ich bin beim Blättern
00:06:29: bei unserer Lieblings-Fotoagentur Witters auf ein Foto gestoßen von einem Menschen im offensichtlich
00:06:35: St. Pauli-Trikot und bin vor allem bei dem Namen, der da drunter stand, aufmerksam geworden, da mir der nichts sagte. Und
00:06:41: da ich in den letzten Monaten glaube ich alle Spieler unserer ersten Mannschaft der letzten über 100 Jahre irgendwie mal vor der Nase
00:06:47: hatte. Weird facts but okay. Kam mir dann aber eben unbekannt vor
00:06:53: und habe dann einfach ein bisschen schon nachgeforscht und habe dann auch eine ziemlich wilde Geschichte gefunden. Es geht um László Gergely,
00:06:59: sagt Euch bestimmt was. Na klar. Auf jeden Fall. Ausgeschrieben übrigens Gergely, aber
00:07:05: da es eine ungarische Herkunft des Namens gibt, soll das wohl >Gergey< heißen.
00:07:11: Wer ist denn das überhaupt? László Gergely wurde 1941 im damals ungarischen,
00:07:18: heutigen rumänischen Baia Mare geboren. Hat dann eine Karriere vor allem bei Dinamo Bukarest gehabt,
00:07:24: wurde da dreimal Meister in Rumänien und wechselte als 36-facher Nationalspieler
00:07:30: 1970 zu Hertha BSC. Wobei Wechsel ist jetzt eher, das klingt ein bisschen sehr normal. Er ist nach der WM
00:07:36: des Jahres in Mexiko, hat er sich abgesetzt von der Nationalmannschaft und ist dann nach Deutschland gekommen und eben dann
00:07:43: in Berlin gelandet bei Hertha. Warte mal, abgesetzt, das heißt, er ist quasi aus sowjetischem Einflussgebiet geflohen?
00:07:49: Wenn man das so nennen möchte, ja. Also eben aus dem Ostblock, es war ja damals auch für Spieler eben nicht möglich
00:07:55: in der Regel, dann in den Westen, wenn man es so nennen möchte, zu wechseln.
00:08:01: Wie das genau abgelaufen ist, weiß ich nicht, er ist dann nach der WM in Mexiko nicht wieder zurück nach Rumänien gekehrt, sondern eben ist in Deutschland gelandet
00:08:07: und eben bei Hertha. Hat dann in der Saison 70/71 da auch die meisten Spiele in der Bundesliga gespielt,
00:08:14: in der Saison danach nur noch eher sporadisch. Wichtiger ist aber bei der ganzen Geschichte, László Gergely war
00:08:21: einer der Hertha-Spieler, die in den Bundesligaskandal 1971 verwickelt waren und der wurde daraufhin
00:08:27: vom DFB im Januar '72 auf Lebenszeit gesperrt. Das hätte
00:08:34: jetzt schon das Ende der Geschichte sein können, ist es aber natürlich nicht, das wär jetzt ein bisschen langweilig. Magst Du noch vielleicht kurz den Bundesligaskandal
00:08:40: noch mal ausführen? Ja, kurz. Also auf jeden Fall ging es darum, ich habe jetzt nicht mehr ganz alle
00:08:46: Beteiligten im Kopf. es ging auf jeden Fall darum, dass es Absprachen gab und Geldzahlungen im Abstiegskampf,
00:08:52: wo einige Mannschaften haben sich da, besonders Arminia Bielefeld, die sind
00:08:59: dann irgendwie zwangsabgestiegen und alle Punkte wurden ihnen aberkannt, aber auch
00:09:05: andere Vereine haben sich da hervorgetan. Teilweise viele Spieler wurden dann zu verschiedener Strafen verurteilt, Hertha
00:09:11: und Schalke waren da sehr groß dabei, aber auch andere Vereine. Herausgekommen ist das durch
00:09:17: eine sehr berühmte Pressekonferenz des Offenbacher Präsidenten Canellas damals.
00:09:23: Horst-Gregorio Canellas. Ich glaub bei seiner Geburtstagsparty im Garten hat er dann irgendwelche Tonbänder laufen lassen mit abgehörten Telefongesprächen
00:09:31: und ähnlichem. Also auch eine sehr wilde Geschichte, die man sicherlich auch, wenn man wollte, noch mal erzählen
00:09:38: könnte. Aber da war offensichtlich Gergely auch darin verwickelt in irgendeiner Form,
00:09:44: ist dann eben gesperrt worden, ist dann nach Südafrika ausgewandert daraufhin, hat bei Durban City gespielt und wurde Polizist
00:09:50: in Südafrika, in den Siebzigern, nun gut. Ja, ist aber dann wie
00:09:56: viele Spieler aus diesem ganzen Bundesligaskandal-Umfeld begnadigt worden vom DFB im August
00:10:02: '73 und er war aber auch in der Zwischenzeit schon wieder in Berlin und hat gearbeitet beim damaligen Hertha-Manager
00:10:08: und späteren Präsidenten Wolfgang Holst in dessen Kneipe. Von Fußball war also nicht so richtig viel mehr zu hören und
00:10:14: zu lesen, aber es ging dann so, dass er, wohl nicht nur er, wahrscheinlich auch andere Spieler, im November
00:10:20: '73 wieder eine Lizenz erhalten sollte, dass er wieder hätte spielen dürfen und in der Zeit und endlich kommt
00:10:27: jetzt auch der FC St. Pauli ins Spiel, zu der Zeit hat er schon an Probetrainings hier Hamburg teilgenommen beim FC St. Pauli im November
00:10:33: '73. Ich muss einmal kurz nachhaken, innerhalb von zwei Jahren ist das alles passiert, was Du gerade gesagt hast?
00:10:39: Ist ja ganz schön wild. Ja, also genau, ist alles ne sehr wirre Geschichte
00:10:45: allein das schon, aber das wird noch wirrer. Genau, dieses Foto, was ich da erwähnt habe am Anfang, das ist auch
00:10:51: aus dieser Probetrainingszeit, da ist er nämlich in der Kabine mit einem St. Pauli-Trikot und dem damaligen Trainer Karl-Heinz Mülhausen
00:10:58: zu sehen und da war man wohl ganz begeistert grundsätzlich von ihm, aber es war anfangs wohl noch eine Forderung von Hertha
00:11:04: BSC, eine Ablöseforderung von 200.000 Mark stand noch im Raum. Aber man
00:11:10: ist sich wohl doch irgendwie einig geworden, im 'Abendblatt' vom 9. November sagt der damalige Geschäftsführer Walter Windte
00:11:16: "Wir sind uns mit Gergely und Hertha einig. Die Ablösesumme liegt bei weniger als 100.000 D-Mark". Wobei ich jetzt aber
00:11:22: sagen muss, für damalige Zeiten und einen Zweitligisten wie FC St. Pauli ist 100.000 Mark glaube ich immer noch ziemlich viel gewesen. Auf jeden
00:11:29: Fall. Aber irgendwie hat man sich wohl gehofft mit ihm ein bisschen den mittelmäßigen Saisonstart
00:11:35: etwas korrigieren zu können. Ja, aber wenige Tage später wieder das 'Abendblatt', Schlagzeile
00:11:42: "Wort gegeben. Nicht gekommen", denn Gergely hatte zwischenzeitlich bei Tennis Borussia Berlin das
00:11:48: Training aufgenommen und Geschäftsführer Windte vermutete da "private Dinge", denn es
00:11:54: war auch zu lesen, dass Frau Gergely gerne in Berlin bleiben wollte. Das hätte ja schon wieder das Ende
00:12:00: der Geschichte sein können, aber wenige Tage später, 16. November, Gergely ist wieder in Hamburg und absolviert ein erneutes
00:12:06: Probetraining bei St. Pauli und verkündet "Ich spiele dort, wo ich am meisten Geld verdienen kann". Sympathische Ansage. Erfrischend
00:12:12: ehrlich immerhin. Schön ist auch, wieder im Probetraining, man weiß
00:12:19: ja nicht was passiert ist in den zwei Wochen dazwischen. Was er bei Tennis Borussia alles verlernt hat wieder oder so, wer weiß.
00:12:26: Wir sind jetzt also, es schien jetzt also doch ein gutes Ende zu geben. Am 01.12. sollte die Freigabe vorliegen. Seine
00:12:33: künftigen Mitspieler haben das wohl etwas kritisch gesehen das Ganze, weil die kolportierten Summen und vermutlich dann auch der nicht ganz unerhebliche
00:12:40: Vertrag, haben wohl nicht gerade so für gute Stimmung im Team gesorgt, wenn da jemand von außen kommt und offensichtlich
00:12:46: vermutlich mehr Geld als die Alteingesessenen verdienen wird. Aber
00:12:53: diese Spielgenehmigung, das hat sich dann doch alles noch sehr hingezogen den ganzen Dezember über. Er sollte dann bei einem Freundschaftsspiel gegen
00:12:59: den HSV kurz nach Weihnachten eingesetzt werden. Das war damals fast jährlich glaube ich so, dass es um Weihnachten rum oder teilweise auch
00:13:05: direkt am 2. Weihnachtstag so ein Spiel gegen den HSV gab, das wurde aber auch nichts. Und dann endlich 9. Januar
00:13:12: 1974 die Meldung wieder im 'Abendblatt': "Die Freigabe für Gergely ist da". Juhu. Zwischenzeitlich
00:13:19: hatte er sich dann eine Einzimmerwohnung auf St. Pauli eingerichtet, seine Frau war nämlich tatsächlich in Berlin geblieben und
00:13:25: er freute sich über den guten Service. Bei seinem Einzug fand er nicht nur Radio, Fernseher und Plattenspieler vor, sondern auch einen
00:13:31: wohlgefüllten Kühlschrank. Also der Verein hat sich offensichtlich sehr um ihn bemüht. Es waren die goldenen Zeiten anscheinend. Offensichtlich,
00:13:38: wer weiß. Welche Straße, wo genau er gewohnt hat, weiß ich leider nicht, wäre auch interessant zu wissen. Aber
00:13:44: es stand also das Debüt kurz bevor, 13. Januar sollte es gegen den VfB Oldenburg gehen, aber zwei
00:13:51: Tage zuvor, also auch zwei Tage erst nach dieser erfolgten Freigabe, kam dann der Hammer: Achillessehnenriss
00:13:57: im Training. Ta da da... Genau. Folge natürlich
00:14:03: Operation, es gibt auch noch ein schönes Foto aus dem Krankenhaus, wie er mit Franz Gerber Schach spielt im Bett liegend. Ah, der
00:14:09: ist das, ich kenn das Foto. Ja genau. Das kenne ich auch. Das ist es. Das ist er.
00:14:15: Und schließlich natürlich letztlich, was heißt natürlich, aber schließlich das Karriereende. Er war halt 32 dann auch schon, in Anführungsstrichen. Ohne
00:14:22: jemals in einem Spiel für den FC St. Pauli gegen den Ball getreten zu haben. Interessant dazu noch,
00:14:28: bei der Vertragsunterzeichnung mit Hertha war ein Freundschaftsspiel gegen eben Hertha BSC vereinbart worden Das
00:14:34: fand dann tatsächlich im November '74, also fast ein Jahr später nach dieser ganzen Geschichte, statt, an einem
00:14:40: Mittwoch um 10:45 Uhr. Das sind so die Dinge, die man abarbeiten muss. Es
00:14:46: waren dann wohl 800 Menschen im Stadion. Immerhin. Und St. Pauli hat gegen den Bundesligisten 3:2 gewonnen, immerhin auch. Aber
00:14:55: trotzdem sehr merkwürdig, also wenn man sowas schon hat, dann kann man vielleicht auch ein paar Einnahmen mehr versuchen zu generieren,
00:15:02: aber na gut, das war halt so. Ja, Gergely ist dann halt in Berlin dann doch verblieben und hat später die Vereinsgaststätte
00:15:08: des 1. FC Wilmersdorf geführt. Danach verliert sich die Spur, also er ist offensichtlich
00:15:14: möglicherweise noch am Leben, ich habe jedenfalls kein Todesdatum oder ähnliches gefunden. Ja, das ist also die
00:15:20: Geschichte, die jetzt also wirklich eigentlich kein Transfer war, aber trotzdem eine sehr wirre Transfer-Geschichte der
00:15:27: goldenen 70er. Theoretisch war es ein Transfer, er war ja schon Spieler für St. Pauli. Also interessant wäre, das habe
00:15:33: ich jetzt noch nicht rausfinden können, die Frage ist, haben wir jetzt wirklich weniger als 100.000 Mark an Hertha bezahlt und dafür
00:15:39: nie was bekommen sozusagen, das wäre noch mal interessant. Was ist der Zeitzeuge, den wir dazu befragen müssen? Walter Windte.
00:15:45: Walter Windte lebt nicht mehr. Ich hab es befürchtet. Wir werden tiefer recherchieren. Vielleicht muss man
00:15:51: da noch in irgendwelche Bilanzen dieser Jahre zurückgehen. Ich weiß nicht, ob wir das wollen, Bilanzen aus
00:15:58: den Jahren angucken. Wahrscheinlich nicht, aber das ist natürlich schon wirklich schräg, jetzt unabhängig von dem
00:16:04: Spieler selber, wenn man Spieler verpflichtet, der sich zwei Tage vorm ersten Spiel dann wirklich so schwer verletzt, dass er die Karriere
00:16:10: beenden muss, ist natürlich schon, also für den Spieler selber natürlich hart, aber auch für den Verein, der da mit ihm gerechnet hat im wahrsten Sinne
00:16:16: des Wortes. In der nächsten Folge FCSP Geschichten, das n in Klammern, hört Ihr dann die schönsten
00:16:22: Verletzungen, die zu Karriereenden führen. Nein. Ich glaube nicht. Vielleicht die schönsten
00:16:28: Freundschaftsspiele fänd ich noch ganz nett. Genau. Mittwoch vormittags. Das gegen Hertha klang
00:16:34: auf jeden Fall schon ganz fantastisch. Das klang auf jeden Fall nach ganz viel Spaß. Genau, das war dann
00:16:41: der Zufallsfund sozusagen, aber wenn man erstmal anfängt zu recherchieren, findet man doch einiges
00:16:47: an merkwürdigen Seiten-Geschichten sozusagen. Ja, vielen Dank auf jeden Fall, Thomas, für Deine sozusagen
00:16:53: die erste Geschichte, die Du jetzt in diesem Podcast zugeliefert hast. Ich sag
00:16:59: mal, so ein paar kleine Sachen waren ja immer schon mal dabei. Absolut. Genau,
00:17:07: wollen wir dann noch mal weiter losen? Sehr gerne. Moment, das ist natürlich dann schon gewesen. Der ist da hinter Deinem Laptop
00:17:13: verkeilt. So, dann würfeln wir das Ganze noch mal und
00:17:19: finden, wen finden wir? Christopher finden wir.
00:17:26: Sehr gut. sehr gut. Dann hören wir mal zu.
00:17:32: Schön, dass Thomas schon die seltsamen Transfers des FC St. Pauli schon quasi schon angeteast hat,
00:17:38: denn nur fünf Jahre später kam es zu
00:17:44: einem weiteren sehr denkwürdigen Transfer beim FC St. Pauli, ich nenne das Ganze "Der Fall Frantz Mathieu oder auch True
00:17:50: Crime am Millerntor". Ui. Ich habe ein bisschen das Gefühl, so hießen alle Deine Geschichten, die Du erzählt hast, also
00:17:56: außer Frantz Mathieu. Ist ja eigentlich auch egal, welche Vorgaben Ihr mir gebt, ich suche immer die
00:18:03: gleiche Story und quetsch das in irgendwas, was Ihr als Vorgabe da genommen habt. Ja, steigen
00:18:09: wir ein in das Jahr 1978. Der Sender CBS strahlt die erste Folge "Dallas" aus. In London wird das
00:18:15: erste Kind durch künstliche Befruchtung gezeugt. Sigmund Jähn fliegt als erster Deutscher ins Weltall. Der 1. FC Köln wird am
00:18:22: letzten Spieltag der Saison durch einen 5:0-Auswärtssieg gegen St. Pauli Deutscher Fußballmeister und St. Pauli
00:18:28: ist mal wieder aus der Bundesliga abgestiegen. Shalala. Ich muss mich korrigieren, ist natürlich nicht mal wieder
00:18:34: abgestiegen. In der Rückschau betrachtet eins der vielen Male, damals das erste Mal. Genau.
00:18:41: Ja, das Ende des Traumes der Bundesliga und der Anfang von etwas, was man pures Chaos nennen könnte.
00:18:49: Mit vollem finanziellen Risiko ging der FC St. Pauli das Projekt Bundesliga-Aufstieg '77 an. Mit waghalsigen Plänen
00:18:55: versuchte der Präsident Ernst Schacht, der damalige Präsident und Nachfolger von Wilhelm Koch, und seine Vizes Max Uhlig
00:19:01: und Werner Velbinger den Stadtteil-Club im Profifußball zu etablieren. "St. Pauli
00:19:08: auf dem Weg zur Spitze" diktierte Millionär und Finanzexperte Velbinger den Journalisten während seines Sommerurlaubs auf Sylt aus einem
00:19:14: Strandkorb heraus ins Mikrofon. Natürlich. Der Aufstieg gelang, doch die Finanzen sahen schlecht aus. Zwar
00:19:20: wurde nach Abschluss der Bundesliga-Saison 77/78 ein Gewinn von rund 250.000 D-Mark angegeben,
00:19:26: was noch mal die Relation gibt zu 80.000 D-Mark für László Gergely, doch die Lage blieb angespannt.
00:19:33: Bereits während der laufenden Bundesliga-Saison wurde Vizepräsident Werner Velbinger entmachtet und später aus dem Verein ausgeschlossen. Schacht
00:19:40: schob die finanzielle Schieflage auf Velbinger: "Er lässt uns mit 3 Millionen Verbindlichkeiten sitzen". Trotzdem war das Ziel klar,
00:19:46: Wiederaufstieg. Leistungsträger wie Franz Gerber, Wolfgang Kulka, Manfred Mannebach, Walter
00:19:52: Oswald oder Erfolgstrainer Diethelm Ferner verließen den Verein. Mit Arno Steffenhagen kam ein Altstar auf
00:19:59: Leihbasis aus Chicago und mit Holger Hieronymus war ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent in die erste Mannschaft gerutscht.
00:20:05: Er soll bei einem anderen Klub aus Hamburg danach ganz passable Erfolge gefeiert haben. Mit
00:20:11: Sepp Piontek holte man einen gestandenen Trainer, der als Nationaltrainer Haitis im Frühjahr '78 knapp die Qualifikation für
00:20:18: die WM in Argentinien verpasst hat. Piontek war eigentlich schon im Flieger nach Fidschi, bis
00:20:24: St. Pauli um die Ecke kam. Auf Fidschi sollte er Nationaltrainer werden und bei St. Pauli sollte er den Wiederaufstieg eintüten. Schwere
00:20:30: Wahl. Schwere Wahl, ich hätte glaube ich Fidschi genommen. Ich hätte definitiv Fidschi genommen.
00:20:37: Mit einigen Startschwierigkeiten rumpelte sich der Absteiger dann auch in die Zweitliga-Saison 78/79,
00:20:43: aber nach einigen Rückschlägen etablierte man sich im oberen Drittel der Tabelle.
00:20:49: Doch eine Lücke wollte Piontek dann doch noch schließen, denn mit 26 Gegentoren nach 16 Spielen war klar, ein robuster
00:20:56: Abwehrmann muss her. Piontek erinnerte sich an seine Zeit in Haiti und einen dort sehr gefürchteten Verteidiger,
00:21:02: Frantz Mathieu. Da ist er. Im November 1978
00:21:08: lud Piontek den haitianischen Nationalspieler zum dreiwöchigen Probetraining ein. Das war damals scheinbar irgendwie noch ein
00:21:14: Trend, um ihn auf seine Brauchbarkeit zu testen. Der knochenharte und kopfballstarke Defensivspezialist
00:21:21: wusste zu überzeugen und so flog Piontek kurze Zeit später höchstpersönlich nach Haiti, um Mathieu für 4.000
00:21:27: US-Dollar von seinem Stammverein AC Violette Port-au-Prince loszueisen. Wie viel
00:21:33: waren denn diese 4.000 US-Dollar damals so wert? Schwer zu sagen, müssten wir noch mal umrechnen. Ich frage mich auch, wie teuer der
00:21:39: Flug nach Haiti war, aber... Und als Piontek wiederkam, waren mit Rolf
00:21:45: Höfert und Klaus Beverungen gleich zwei Leistungsträger ohne sein Wissen vom Präsidium verkauft worden. Doch
00:21:51: statt hinzuwerfen, sagte er nur "Ich kann doch meine 15 Mann jetzt nicht im Stich lassen", also auch die Kadergröße schien sehr
00:21:58: überschaubar gewesen zu sein. Ja, Mathieu unterschrieb für zweieinhalb Jahre und entwickelte sich zur erhofften
00:22:04: Verstärkung. Defensiv stabil und trotzdem technisch beschlagen. Das 'Abendblatt' titelte bereits beim Debüt gegen Preußen Münster
00:22:10: Anfang Dezember "Er war mit Feuereifer bei der Sache und wurde von den Zuschauern mit Beifall und Bravo-Rufen überschüttet".
00:22:17: Er bildete übrigens auch mit Walter Frosch ein knochenhartes Innenverteidiger-
00:22:23: Duo. Das hätte man gerne erlebt. Wir hören einmal kurz in einen Bericht aus der Zeit: "Selbst ein
00:22:30: sonstiger Leistungsträger wie der 13-malige dänische Nationalspieler Niels Tune-Hansen spielte bei den Gästen ebenso
00:22:36: weit unter Form, wie sein Namenskollege und Landsmann Allan Hansen auf Berliner Seite. Frantz Mathieu, oftmaliger
00:22:43: Nationalspieler aus Haiti, ließ Hansen nie zur Geltung kommen. Die beste TeBe-Möglichkeit ergab sich durch diesen Hansen-
00:22:49: Freistoß, doch Rynio war nicht nur in dieser Situation der große Rückhalt seiner Elf." Wir
00:22:56: hören also, er hatte seine Gegenspieler gut im Griff. Und sein ehemaliger Mitspieler Rolf-Peter
00:23:02: "Buttje" Rosenfeld erinnert sich auch gut an Frantz Mathieu: "Sepp hat Frantz Mathieu mitgebracht
00:23:09: von Haiti und ich weiß gar nicht mehr, der kam ein bisschen später. Ganz am Anfang war der noch nicht
00:23:15: da, aber irgendwann war der dann auch sehr präsent. Ich
00:23:21: weiß noch wie heute, wie Sepp Piontek den Frantz immer
00:23:29: angesprochen hat, nämlich auf Französisch. Seine Hauptaussage war und das hat er dann auch
00:23:35: durch eine Gestik untermalt "Frantz, tacklé, tacklé", das heißt schön draufgehen,
00:23:42: knallhart dazwischengehen." Schön knallhart dazwischengehen. Doch keine zwei
00:23:48: Wochen nach Mathieus Debüt regierte das Chaos. Der FC St. Pauli war nicht mehr in der Lage die Spielergehälter zu bezahlen. Die Spieler
00:23:54: drohten mit Streik und obendrauf legte der kälteste Winter seit Wetteraufzeichnung Norddeutschland und Teile Europas komplett lahm.
00:24:00: Stimmt. "Guten Abend, meine Damen und Herren. Das nördliche Europa kämpft
00:24:06: gegen Schnee. Glatteis, meterhohe Schneeverwehungen und Hochwasser verursachten in Schottland, im Norden der Bundesrepublik
00:24:12: Deutschland und in der DDR, sowie in Dänemark ein Verkehrschaos. Zerstörte Versorgungsleitungen
00:24:19: führten zu Stromausfall und verschärften die Situation. Nördlich des Nord-Ostsee-Kanals
00:24:25: brach der Verkehr bei pausenlosem Schneefall und starken Oststurm fast völlig zusammen. Die Autobahn Hamburg-Flensburg
00:24:32: wurde zwischen Schuby und Schleswig gesperrt. Die Übergänge nach Dänemark waren am Nachmittag geschlossen. Stundenlang
00:24:38: mussten Autofahrer in ihren Wagen ausharren, nur im Schritttempo können sie jetzt weiterfahren." Ich bin ein
00:24:44: bisschen zu spät geboren, aber Thomas, Du hast es miterlebt. Ja, also mit ungefähr zehn Jahren, insofern also
00:24:50: ganz genau, aber auf jeden Fall gab es diesen sehr, sehr starken Winter, ich glaube auch in der Stadt, sprich Lübeck war
00:24:56: da, also wir hatten auch durchaus mal schulfrei da zwischendurch. Macht Sinn. Dann doch. Auch
00:25:03: wenn ich da relativ in der Nähe der Schule wohnte, aber andere kamen da wahrscheinlich schlechter hin, insofern das war
00:25:09: schon einer der härtesten Winter. Ich hab da eher so Bilder im Kopf von irgendwelchen Autos, die auf Autobahnen in irgendwelchen
00:25:15: Schneeverwehungen steckengeblieben sind und ähnliches, so Hubschrauber-Aufnahmen und so. An Fußball war natürlich eigentlich nicht zu denken, doch
00:25:21: auf St. Pauli wurde weiter trainiert. Buttje Rosenfeld erinnert sich: Frantz war ein ganz toller Bursche,
00:25:28: der hat allerdings ganz fürchterlich gelitten in dem Extremwinter 1978/79,
00:25:35: als in Hamburg ein Meter hoch Schnee gelegen hat und das war mörderisch kalt.
00:25:42: Wir mussten uns ja alle wehren gegen die Kälte. Wir haben uns Plastiktüten, ganz banale Plastiktüten über
00:25:48: die Strümpfe gemacht und dann sind wir in den Schuh reingegangen. Das hat so ein bisschen die
00:25:54: die Kälte abgehalten." Der FC St. Pauli versank nicht nur im Schnee, sondern auch in einer nie dagewesenen Schlammschlacht zwischen
00:26:01: Ex-Vizepräsident Werner Velbinger auf der einen und dem übriggeblieben Präsidium um Ernst Schacht und Max Uhlig auf der anderen Seite. Nach einer
00:26:07: Prozesslawine verurteilte das Hamburger Landesgericht im Februar '79 den Verein dazu, mehr als eine Viertelmillion D-Mark an
00:26:13: Darlehen sofort an Velbinger zurückzuüberweisen. Bei so viel Schlammschlacht
00:26:19: bekam kaum jemand mit, dass die Fußballer trotz widriger Umstände die Saison auf einem passablen sechsten Platz abschließen
00:26:26: konnten. Doch am 12. Mai 1979 der Schock, der DFB verweigerte dem FC St. Pauli die
00:26:32: Lizenz für die kommende Zweitliga-Saison. Der Verein ging in Berufung und hoffte auf einen gnädigen DFB.
00:26:38: Auf der Busfahrt zum letzten Spiel der Saison bei Preußen Münster erreichte die Mannschaft die Nachricht des Verbandes, dem
00:26:44: Verein wird auch in zweiter Instanz die Lizenz verweigert. Spieler Horst Neumann erinnert sich an diese legendäre Busfahrt:
00:26:50: "Nach Münster, wo wir dann im Bus gesagt haben, hörten mir dann im Bus eben die Nachricht, St. Pauli kriegt keine Lizenz.
00:26:57: In dem Moment waren wir alle arbeitslos. Musst du ja erstmal wissen, was jetzt, wie lebst du weiter, was passiert jetzt mit
00:27:03: dir selbst auch. Und dann merkte man das eben auch und dann ging es mit der Lizenz und in Münster,
00:27:09: wir sind aber noch angetreten in Münster, das weiß ich noch. Weil der Piontek gesagt hat, kommt das ist auch für Münster und das
00:27:15: ist auch für eure Ehre. Ihr könnte nicht einfach sagen, ihr spielt jetzt nicht mehr, weil wir keine Lizenz gekriegt haben. Lasst uns das
00:27:21: einfach noch durchziehen." Man verlor ohne jegliche Gegenwehr das Spiel bei Preußen Münster mit 0:4. Kurios
00:27:27: dabei, auch Preußen Münster wurde im Mai die Lizenz verweigert, anders als St. Pauli wurde ihnen aber an dem Tag die
00:27:33: frohe Kunde übermittelt, dass sie die Lizenz doch bekommen hätten. Also wären St. Pauli quasi die Arbeit eingestellt hat,
00:27:39: war Preußen Münster euphorisiert und schoss uns quasi ab. Motivation ist alles.
00:27:47: Genau. Mathieu blieb trotz Abstieg in die Amateur-Oberliga beim FC St.
00:27:53: Pauli, mehr oder weniger freiwillig. Für Frantz Mathieu ging es um die Existenz, mit dem Gehalt eines Spielers im Amateurfußball
00:27:59: war in Deutschland eben kein Leben zu bestreiten. Während der Sommerpause weilte Mathieu in den USA, um
00:28:05: sich bei verschiedenen Teams der NASL, der North American Soccer League, anzubieten. Auch Werder Bremen und 1860
00:28:11: sollten Interesse gezeigt haben. In einem Telefonat der raueren Sorte forderte Vize-Präsident Uhlig Mathieu
00:28:18: auf, sofort wieder nach Hamburg zurückzukehren und er solle aufhören Unruhe zu stiften. Auf
00:28:24: die Frage, was dran war an den Gerüchten um einen Wechsel in die USA, sagte der Haitianer "Ich habe nichts unterschrieben und ich
00:28:30: bleibe bestimmt in Hamburg." Was Mathieu zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnte: er wurde bereits
00:28:36: verkauft. Das Abendblatt schrieb am 12. September 1979
00:28:42: dazu einen sehr eindrücklichen Bericht, den lese ich mal kurz vor. "Bevor er ging, verkaufte
00:28:48: er Mathieu", ist die Überschrift. "Die Hiobsbotschaften beim FC St. Pauli, reißen nicht ab. Das
00:28:54: neueste Possenstück um den finanziell arg bedrängten Zweitliga-Absteiger. Max Uhlig, Ex-Vizepräsident am Millerntor,
00:29:00: hat schon am 22. August, fünf Tage vor seinem Rücktritt, den Haitianer Frantz Mathieu für, in Anführungszeichen,
00:29:07: lumpige 15.000 Dollar an Chicago Sting verschleudert, so St. Paulis Vereinssprecher
00:29:13: Thomas Nissen. St. Paulis neues Präsidium hatte mehrere Fernschreiben in den
00:29:19: Händen. Ein Telex vom 20. August, in dem Max Uhlig ich den Haitianer den Amerikanern anbietet, die Freigabe
00:29:25: zum 30. September erteilt und eine Scheckzahlung an seine Privatadresse erbittet. Zwei Tage später
00:29:31: antwortet Chicago, fordert aber trotz Zahlung eine Zustimmung des Spielers. Dieser hatte bereits 2.000 Mark
00:29:38: von Max Uhlig erhalten. Sein Gehalt in Chicago 12.000 Dollar monatlich. Nissen: "So
00:29:44: viel können wir ihm nicht bieten. Unfassbar aber, mit welchen Machenschaften der alte Vorstand unseren Club besudelt. Wenn ich in der
00:29:50: Haut der Herren Schacht, Uhlig steckte, würde ich zu Hause die Spiegel abschaffen"." Klare
00:29:57: Worte. Ich habe eine wichtige Frage, was ist ein Telex? Ist das
00:30:03: nicht ein Fax? Für Fax war es da noch ein bisschen früh. Telex war schon
00:30:10: so eine Art Briefübermittlung, wenn man so will. Es gab dann so Geräte,
00:30:16: die mit Lochstreifen auch gearbeitet haben und die dann aber so eine Art schreibmaschinenmäßiges Aussehen
00:30:22: hatten und dann aber auch entsprechend schreibmaschinenmäßige Ausdrucke hervorbrachten
00:30:29: sozusagen, ist jetzt so schnell schwierig zu erklären. Ich kenne solche Geräte noch aus Büros meiner
00:30:35: Mutter zum Beispiel im Reisebüro, da stand sowas auf jeden Fall früher rum. Ja,
00:30:41: das war auf jeden Fall so ein Vorläufer, wenn man so will, ein Vorläufer vom Fax, kann man schon sagen, ja. Im Katastrophen-Winter kam
00:30:47: die Schulabsage per Telex. Sowas hatte man aber in der Regel nicht zu Hause, das war das schon für Firmen und Behörden
00:30:53: und so gedacht. Ja, zusammengefasst, kurz bevor er zurücktrat, hat Max
00:31:00: Uhlig Frantz Mathieu ohne dessen Wissen in die USA verkauft und komischerweise auch noch seine privaten
00:31:06: Bankkonten beim Scheck angegeben. Das muss ein Versehen gewesen sein, oder? Kann ja mal passieren, war
00:31:13: bestimmt ein Fehler. Ja und man kann sich vorstellen, dass die Amerikaner,
00:31:19: also die Funktionäre von Chicagos Sting jetzt auch nicht besonders erfreut waren über diese seltsamen Geschäftsgebaren des
00:31:26: FC St. Pauli. Das neue St. Pauli Präsidium um Schacht-Nachfolger Wolfgang Kreikenbohm bat eine äußerst
00:31:32: verärgerte und irritierte Delegation aus Chicago nach Hamburg und einigte sich auf einen Kompromiss. Mathieu durfte
00:31:38: per Sondergenehmigung noch bis Dezember 1979 für braun-weiß in der Oberliga auflaufen,
00:31:44: während Chicago Swing bereits sein Gehalt zahlte. Oh. Auch ein seltsamer Kompromiss. Für St. Pauli
00:31:52: ja nicht schlecht ein. Da hat Kreikenbohm relativ stabil verhandelt. Klassischer win-lose Kompromiss.
00:31:59: Im Januar 1980 wurde der Wechsel in die NASL dann vollzogen. Mathieu
00:32:06: wurde in seiner neuen Heimat direkt zum Star. Er gewann 1981 gemeinsam mit seinem Ex-St. Pauli-Kollegen Arno Steffenhagen
00:32:12: den Meistertitel mit Chicagos Sting und wurde zum Man of the Match im Finale gegen New York Cosmos gewählt. Damals
00:32:19: ja wurde die NASL ja noch als Operettenliga verschrien. Spieler wie Pelé und Franz Beckenbauer ließen da ihre Karriere
00:32:25: ausklingen. Und am Ende der Saison wählte man ihn zum Most Valuable Player of the Year.
00:32:31: Wobei Beckenbauer seine Karriere ja eher hier beim HSV hat ausklingen lassen danach. Stimmt. Beim Operettenverein HSV.
00:32:39: Der FC St. Pauli verbrachte ohne Frantz Mathieu die nächsten Jahre in der Amateur-Oberliga.
00:32:45: Die Sportpresse schrieb von ewig währenden Anti-Fußball und Ex-Vizepräsident Werner Velbinger, der
00:32:51: sich nun wieder häufiger auf der Haupttribüne blicken ließ, sagte halb geschockt und halb enttäuscht, "So schlimm hatte ich mir das alles
00:32:57: nicht vorgestellt". Für Mathieu lief das sportlich deutlich besser. Nach einem weiteren NASL-Titel 1984
00:33:04: und zwei Berufungen in das All-Star-Team wechselte Mathieu in die US- Hallenliga und beendete 1988 seine Karriere
00:33:10: in den USA. Er trainierte diverse College-Teams und leitete das Women Soccer Team des North Central College
00:33:16: in Illinois. Und sein Förderer und man könnte sagen Entdecker, Trainer
00:33:22: Sepp Piontek, wurde kurz nach dem Lizenzentzug des FC St. Pauli Trainer von Dänemark und gilt heute immer
00:33:29: noch als der Erfinder und Schöpfer des berühmten dänischen Power-Fußballs, dem Danish Dynamite und
00:33:36: war für eine der erfolgreichsten Phasen des dänischen Fußballs verantwortlich. Real
00:33:42: Madrid, Tottenham Hotspur und sogar der DFB klopften an, um Piontek für sich zu gewinnen. Ja,
00:33:48: aber nachdem Piontek mit Dänemark die Qualifikation für die WM 1990 verpasste, suchte er eine neue Herausforderung. Nicht
00:33:55: Real, nicht Tottenham, sondern... der DFB?
00:34:02: 1991 war sich Piontek erneut mit St. Pauli einig. Da sprang der Verein kurzfristig wieder
00:34:08: ab und hielt doch Trainer Horst Wohlers für die bessere Wahl. Schließlich musste man die Finanzen im Auge behalten,
00:34:14: denn St. Pauli war mal wieder aus der Bundesliga abgestiegen. Geschichte wiederholt sich.
00:34:20: Immer. Wir müssen ja noch mal losen. Ja, noch mal Christopher, den Witz mache
00:34:26: ich auch jedes Mal. Dann losen wir doch jetzt mal die dritte Geschichte aus. Jetzt bin ich aber gespannt. Und lassen uns
00:34:32: überraschen von dem Namen, der hier erscheint. Celina. Christoph Nagel.
00:34:39: Nein. Habt Ihr den Schnaps parat? Ach so,
00:34:46: da war was. Geht es wieder in die Frühzeit? Vielleicht, vielleicht, lasst Euch verzaubern. Ich
00:34:54: fange mal mit einer Frage an. Wir haben jetzt schon gelernt seit wann die Transferzahlungen in Deutschland in astronomische
00:35:00: Höhen schießen dürfen. Wisst Ihr denn, seit wann in Deutschland überhaupt Transferzahlungen erlaubt sind?
00:35:09: Wissen jetzt nicht ganz konkret, ich könnte es mir vorstellen, dass das in etwa mit der Einführung der
00:35:15: Bundesliga einherging, mehr oder weniger jedenfalls. War nicht irgendwas mit Uwe
00:35:21: Seeler und Inter Mailand und einem Koffer und nicht abgeholt? Innerhalb von Deutschland. Innerhalb von Deutschland. Vielleicht war der Koffer auch eher Handgeld für Uwe gewesen und keine Zahlung an den HSV.
00:35:33: Uwe hat das nicht gemacht. Er hat das nicht nötig gehabt mit seiner Adidas-Vertretung.
00:35:40: Geregelt könnte ich mir vorstellen Bundesligastart oder so.
00:35:46: Das ist richtig. Also Transferzahlungen innerhalb von Deutschland sind offiziell
00:35:53: erlaubt seit Einführung der Bundesliga. Wie wir alle wissen, war die Einführung der Bundesliga in der Saison. 63/64.
00:36:00: Absolut korrekt. Transferzahlungen waren damals zunächst gedeckelt auf maximal 50.000 D-Mark
00:36:06: und auch das Handgeld für die entsprechenden Spieler durfte maximal 8.000 D-Mark betragen. Die Einführung
00:36:13: der Bundesliga war außerdem der Startschuss für das Lizenzspielertum. Also mit Einführung der Bundesliga in Deutschland durften
00:36:19: Spieler auch erstmals bezahlt werden für ihre Tätigkeit als Fußballer. Das heißt vorher waren
00:36:25: das denn also quasi waren es dann keine festen Gehälter. Aufwandsentschädigung und
00:36:31: sowas gab es schon. Punktspielprämien. Aber diese Festgehälter gab es in dem Sinne nicht. Aber auf jeden Fall war das glaube ich so, dass
00:36:37: vorher in der Oberliga die Spieler immer noch einen Beruf haben mussten, also auch nachweisen mussten. Das haben uns auch einige unserer Zeitzeugen schon mal erzählt,
00:36:43: dass man immer noch glaub ich dem Verband oder wie auch immer nachweisen musste, ich habe noch den und den Beruf oder was
00:36:50: auch immer neben meinem Hobby, was ich ein bisschen auch bezahlt kriege natürlich. Genau, ja.
00:36:56: Also wie gesagt mit der Einführung der Bundesliga durften dann offiziell Spielergehälter bezahlt
00:37:02: werden, die waren aber auch gedeckelt. Also, das war jetzt auch nicht quasi open end, sondern waren maximal 1.200 D-Mark plus
00:37:09: Prämien, was ist dann natürlich Personen schon auch möglich gemacht hat vom Fußballspielen zu leben im Endeffekt.
00:37:15: Aber es war jetzt immer noch weit weg von dem, was wir heute kennen an Spielergehältern. Natürlich war diese Entscheidung eine
00:37:21: Riesenzäsur in der deutschen Fußballgeschichte und in gewisser Weise auch der Startschuss für die Kommerzialisierung des deutschen Fußballs. Warum
00:37:28: in gewisser Weise? Weil Geld im Fußball, auch im deutschen Fußball, natürlich niemals keine
00:37:34: Rolle gespielt hat- Ich meine, ist ja ganz klar, dass Vereine sich auch von Anfang an irgendwie finanzieren mussten. Trikots
00:37:40: bezahlen sich nicht von selbst. Plätze müssen gepachtet werden. Fußbälle kaufen sich nicht von selbst ein.
00:37:46: Ihr kennt den Struggle. Nicht persönlich, aber...
00:37:53: Grundsätzlich kennt Ihr den Struggle, dass Dinge Geld kosten. Ist mir neu. Und zu
00:37:59: Beginn der, ich sags wie es ist, in der anarchischen Frühzeit des deutschen Fußballs... Zum Wohl. Prost. ...haben
00:38:06: sich Vereine, Fußballvereine aber auch andere Vereine, in erster Linie finanziert über Mitgliedsbeiträge und
00:38:12: aber auch von Anfang an über Eintrittsgelder. Spätestens ab dem Moment, wo sich Menschen Fußballspiele
00:38:18: angeguckt haben, ist irgendjemand auf die Idee gekommen, Mensch, dann können wir ja vielleicht auch mal Eintritt erheben. Das
00:38:25: war beim FC St. Pauli jetzt auch nicht viel anders. Der erste überlieferte Beleg dafür, dass am Millerntor Eintritt erhoben
00:38:31: wurde, war 1911, Ostern 1911. Ich glaub wir haben sogar schon mal drüber gesprochen in diesem Podcast.
00:38:37: Da wurden dann extra riesige Segeltuchplanen angeschafft plus das zugehörige
00:38:43: Gestänge, um quasi das Spielfeld abzugrenzen und Menschen, die nicht bereit waren zu
00:38:49: zahlen, aktiv auszuschließen. Ja, sagen wir wie es ist. Wir halten fest, Vereine verdienten
00:38:55: schon damals kräftig mit am Fußballhype und es liegt auf der Hand, je attraktiver eine Party war, also je hochklassiger
00:39:02: das Spiel, desto höher waren die Einnahmen, weil sich mehr Leute dafür interessiert haben. Kleine Anekdote am
00:39:08: Rande, es gab In der Saison 1928/29, sogar mal eine Revolte. Da haben sich zehn
00:39:14: erfolgreiche oder spielstarke norddeutsche Mannschaften zusammengeschlossen und
00:39:21: beschlossen, den regulären Spiel- und Ligabetrieb zu boykottieren und quasi eine eigene Super League zu gründen. Die
00:39:29: erfolgreichsten Zehn quasi, eben mit dem ganz klaren kommerziellen Interesse,
00:39:35: mehr Geld zu verdienen mit Zuschauereinnahmen. Ist komplett nach hinten losgegangen, die Zuschauer*innen
00:39:41: fanden das so dermaßen beschissen, auf Deutsch gesagt, dass sie dann diese Super League boykottiert
00:39:47: haben und nicht zu den Spielen gegangen sind. Kurzer Einschub dazu, der FC St. Pauli
00:39:53: zählte nicht zu diesen Zehn. Absolut nein, aber der HSV. Unter anderem ja, also ich glaube es waren
00:39:59: sogar neun Hamburger Vereine plus Holstein Kiel. Der Effekt dazu war,
00:40:05: dass in dieser Saison 28/29 der FC St. Pauli keinerlei Ligaspiele ausgetragen hat, weil es eben keine Erste
00:40:12: Liga neben dieser komischen 'Runde der Zehn' gab. Der Ligabetrieb ist zusammengebrochen. Also untere Ligen,
00:40:18: die haben schon gespielt, aber die übergebliebenen Erstligavereine haben einfach nicht spielen können, jedenfalls
00:40:24: nicht um Punkte. Am Ende gab es dann einen Kompromiss mit dem Norddeutschen Sportverband, diese
00:40:31: Top 10 Vereine haben im Endeffekt fast bekommen, was sie wollten, es kam dann zur Einführung der Oberliga oder des Oberliga-
00:40:37: Systems in Norddeutschland. Also es gab dann in Hamburg eine Oberliga mit 14 Mannschaften und zwei Unterligen
00:40:43: mit jeweils acht Mannschaften. Das Problem des FC St. Pauli war dann auch, dass er in der Saison davor zu schlecht war, um
00:40:50: in dieser neuen Ersten Liga spielen zu dürfen. Wir halten fest, die Fußballvereine haben schon relativ früh mit
00:40:56: Fußball Geld verdient. Wer kein Geld verdienen durfte mit Fußball, waren die Spieler.
00:41:02: Logisch. Ganz logisch. Weil Fußball rein
00:41:08: bleiben sollte, waren Spielergehälter und Transferzahlungen vom DFB streng untersagt. Das
00:41:15: war so ein deutscher Sonderweg. Es war natürlich so, dass es in anderen Ländern längst Profiligen gab, auch schon Mitte der 20er-
00:41:22: Jahre. In England gibt es die Profiliga in dem Sinne, dass Spieler auch bezahlt
00:41:28: werden dürfen quasi seit 1888, aber auch zum Beispiel Österreich hat schon
00:41:34: 1924 eine Profiliga eingeführt. Also es war wirklich ein deutscher Sonderweg, der natürlich zu einem Dilemma
00:41:40: geführt hat. Also wenn sich mit Spitzenspielen am meisten Geld verdienen lässt, braucht man auch eine
00:41:46: Spitzenmannschaft und wie kriegt man die zusammen, wenn man Spieler weder bezahlen
00:41:52: darf noch von anderen Vereinen abwerben darf? Das ist das Dilemma, die Lösung liegt
00:41:58: auf der Hand. Gute Jugendarbeit, bessere Bedingungen
00:42:05: schaffen. Die Spieler selber heranbilden. Ihr habt vollkommen recht, die Lösung heißt Bestechung. Das
00:42:12: wäre jetzt die zweite Variante gewesen. In Deutschland kam es in den 20er-/30er-Jahren immer wieder zu
00:42:18: sogenannten Handgeld-Skandalen. Und einen solchen Skandal, quasi den ersten Transfer-Skandal des FC St. Pauli, habe
00:42:25: ich recherchiert und Euch heute mitgebracht. Macht euch gefasst auf den Fall Alex
00:42:31: Schmidt. Das klingt auch... Wer ist das? Ein
00:42:37: durchaus nicht unerfolgreicher Spieler seinerzeit. Alex Schmidt war quasi
00:42:44: Gewächs aus der eigenen Jugend, hat als Jugendlicher schon angefangen beim FC
00:42:50: St. Pauli, war es ja damals schon, Fußball zu spielen und hat sich dann auch relativ schnell
00:42:56: für die 1. Mannschaft durchgesetzt. War ein sehr begabter flinker wendiger Mittelfeldspieler, ein Mittelläufer heißt
00:43:02: es im damaligen Fußballjargon quasi und wir bewegen uns jetzt im Jahr 1933, wo
00:43:09: sich dieser Skandal zugetragen hat, von dem ich Euch gleich erzählen werde. Alex Schmidt ist also Teil
00:43:15: der Stammelf des FC St. Pauli. Genau, seit ungefähr 1930. Der
00:43:21: Skandal um Alex Schmidt entfaltete sich im Frühjahr 1933 kurz vor den Endspielen um die Norddeutsche
00:43:27: Meisterschaft und zwar insofern, als dass Alex Schmidt von einem Tag auf den
00:43:33: anderen auf einmal nicht mehr beim FC St. Pauli spielte, sondern bei Altona 93. Das
00:43:40: ist ja an und für sich erstmal nicht so skandalös, Spieler können wechseln, waren damals auch nicht an
00:43:46: Saisons geknüpft oder an das Auslaufen von Saison, sondern konnten das im Prinzip frei nach Schnauze tun, aber
00:43:53: was im Fall Alex Schmidt relativ schnell auffiel war, dass er nicht nur spontan den Verein wechselte, sondern auch
00:43:59: spontan einen neuen Job hatte. Aha. Dazu würde ich Christopher bitten, einen
00:44:05: Artikel aus der 'Turnen, Spiel und Sport' vorzulesen. "Alex Schmidt scheint seine Farben
00:44:11: endgültig verlassen zu haben. Von jüngster Jugend auf hat er den Dress des FC St. Pauli getragen und immer
00:44:17: war er stolz drauf. Aber in Altona ist die Frage des Mittelläufers noch immer nicht gelöst. Und Schmidt
00:44:23: war stellungslos und so finden wir heute Alex Schmidt bei den Rama-Werken. Die engen Beziehungen Rama - Altona 93
00:44:29: kennt jeder. Es ist kein Wunder, dass man in Kreisen des FC St. Pauli über diese Methoden empört
00:44:36: ist. Wie wir darüber denken, haben wir oft genug gesagt. Merkwürdig, dass immer die Führer derjenigen
00:44:42: Vereine für den reinen Amateursport an nachdrücklichen eintreten, mit Worten, die in
00:44:48: ihrer eigenen Liga Leute aus eigenem Nachwuchs überhaupt nicht mehr haben." Noch mal zusammengefasst, Altona
00:44:54: hat Alex Schmidt mit einem Job bestochen, nämlich mit einer Führungsposition
00:45:01: bei den Rama-Margarine-Werken und der FC St. Pauli hat sich sehr darüber aufgeregt. Zurecht.
00:45:07: Wenn man sich die Chronologie der Ereignisse anguckt, ist das schon auch wirklich relativ verdächtig. Am 12. März 1933
00:45:13: ist Alex Schmidt beim FC St. Pauli ausgestiegen, am 13. März 1933 hat er sich bei Altona
00:45:19: angemeldet und am 20. März ist er dann den neuen Job bei den Rama-Margarine-Werken angetreten. Alles Zufälle. Das bedeutet alles nichts. Man hätte ja vielleicht noch an einen Zufall glauben können, aber Altona war tatsächlich
00:45:34: dafür bekannt, ich zitiere, "die sorgsam aufgezogenen Früchte anderer Vereine einfach skrupellos
00:45:40: zu ernten". Ein Zitat aus der 'Hanseatischen Sportzeitung'. Dieser Verstrickung zwischen Altona
00:45:46: und Rama-Margarine-Werken gingen so weit, dass Sportjournalisten teilweise nicht vom Fußballclub
00:45:53: Altona oder von Altona 93 gesprochen haben, sondern von Rama Altona. Interessant, interessant. Das ist auf jeden Fall dann deutlich.
00:45:59: Wobei diese Praxis, sozusagen Spieler mit Jobs zu ködern, die irgendwelche
00:46:05: Vereinssponsoren oder ähnliches da bereitstellen, das ist nicht ganz ungewöhnlich gewesen. Also auch schon in den 20ern, es
00:46:12: ist jetzt so einer dieser Wege eben gewesen, um da Spieler zu locken. Ja, es war natürlich moralisch verpönt, es war
00:46:19: nicht erlaubt, aber es wurde gemacht, weil es halt eben der Ausweg aus diesem Dilemma war, über das wir vorhin
00:46:25: gesprochen haben. Was diesen Fall in dem Sinne so besonders macht ist, dass
00:46:31: er sich so weit hochgeschaukelt hat, dass Altona quasi so in Bedrängnis geraten ist, dass sie sich öffentlich
00:46:37: dazu verhalten mussten und dann mit einem öffentlichen Brief sogar von der Teilnahme am sogenannten Schöning-Pokal
00:46:43: zurückgetreten sind. Ich zitiere aus dem Brief: "Infolge unüberbrückbarer Gegensätze der
00:46:49: Auffassung in Sachen Spieleraufnahme". In diesem selben Brief wirft die Vereinsführung von Altona
00:46:55: dann auch den Sportjournalisten noch vor, komplett maßlos die Tatsachen zu verdrehen. War
00:47:02: also richtig Krieg quasi. Was diesen Fall auch noch unterscheidet von anderen Fällen in dieser Art ist, dass der FC
00:47:08: St. Pauli tatsächlich so angepisst war, dass sie sich nicht nur darüber aufgeregt haben und Altona öffentlich
00:47:14: angezählt haben, sondern auch offiziell Beschwerde eingereicht haben beim Norddeutschen Sportverband.
00:47:20: Und die haben dann auch eine Verhandlung einberufen und es war so eine richtige Anhörung mit Zeugen
00:47:27: und Vorladung und so allem, was so dazugehört. Und
00:47:33: im Zuge dieses Verfahrens ist dann herausgekommen, dass Alex Schmidt tatsächlich bestochen wurde, also er das dann zugegeben, hat gesagt,
00:47:39: "Ja, die haben mich gefragt, ob ich für Altona spielen will und haben mir einen Job angeboten und
00:47:45: dann habe ich gesagt, ja das mache ich. Der Job war besser bezahlt als das was ich im Moment gemacht hat und waren ja auch wirtschaftlich
00:47:52: schwere Zeiten". Genau und dann hat er sich von Altona bestechen lassen, hat er dann zugegeben und in
00:47:58: demselben Verfahren ist dann auch noch rausgekommen, dass Altona regelmäßig Spieler bezahlt hat für
00:48:04: Partien. Ich glaub es ging um 7,50 Reichsmark pro Spiel,
00:48:11: was genau die Aufwandsentschädigung war, die Vereine Spielern bezahlen durften für
00:48:17: ihre Unkosten quasi. Die hätten aber eigentlich nachgewiesen werden müssen, also die Spieler hätten
00:48:23: nachweisen müssen, dass sie tatsächlich einen Aufwand von 7,50 Mark für dieses Spiel hatten, also wegen Anreise
00:48:30: oder was auch immer. Altona hat das aber pauschal ausgezahlt, hat also quasi diese Höchstgrenze
00:48:36: ausgereizt und hat Spielern pauschal pro Spiel 7,50 Mark bezahlt. Was
00:48:43: dann rausgekommen ist in diesem Verfahren beim Norddeutschen Sportverband und daraufhin wurde
00:48:49: Altona disqualifiziert vom Ligabetrieb und sogar wirklich für mehrere Monate, also schon eine relativ heftige
00:48:55: Strafe. Und Alex Schmidt wurde auch gesperrt und zwar für zwei Jahre
00:49:02: bei Altona, also er durfte zwei Jahre lang nicht für Altona spielen und was hat er denn gemacht? Er ist zurück zum FC St. Pauli, da
00:49:08: war er nur drei Monate gesperrt und er ist dann quasi reumütig zurückgegangen und stand dann zu Beginn der nächsten
00:49:14: Saison auch wieder für den FC St. Pauli auf dem Platz. Gut für den FC St. Pauli, so ein Konkurrent
00:49:21: weniger dann. Und einen guten Spieler wieder zurück. Guter Deal. Präsident Wilhelm Koch
00:49:27: war es dann im Anschluss an den Vorfall aber auch noch mal ganz wichtig zu betonen, dass der Vorstoß gegen den Altonaer
00:49:33: Fußballclub nicht etwa aus, ich zitiere, "Erbitterung über den Verlust eines von uns mit aller Liebe aufgezogenen
00:49:39: Spielers erfolgte", sondern aus, Zitat, "Gründen der Sauberkeit unseres Sportes". Es
00:49:46: sei schließlich leicht und bequem Erfolge zu erringen, wenn man durch dicke Spesenzahlungen Spieler heranzieht und verlockt,
00:49:52: die andere Vereine zu Spitzenkönnern ausgebildet haben. Not so fun fact in
00:49:59: dem Zusammenhang: Der DFB war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon eingeknickt und hatte
00:50:05: schon '32 beschlossen bei der nächsten Tagung im Mai '33 quasi
00:50:12: eine Profiliga einzuführen und das ist dann letztendlich daran gescheitert, dass der DFB gleichgeschaltet
00:50:20: wurde mit der Machtübertragung an die NSDAP. Die haben dann ja relativ schnell angefangen auch den Sport gleichzuschalten bzw.
00:50:27: man könnte auch sagen, die DFB hat sich relativ schnell freiwillig gleichschalten lassen, aber ein anderes Thema. In jedem
00:50:34: Fall hat sich der Fokus dann verlagert von den Ligen auf die deutsche Nationalmannschaft, also die Nazis
00:50:41: hatten ein Interesse daran, dass die deutsche Nationalmannschaft das deutsche Volk
00:50:47: quasi nach außen repräsentiert und dem Deutschen Reich, in Anführungszeichen, Ehre bringt. Das
00:50:53: ist dann relativ deutlich gescheitert. Als die deutsche Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 1936
00:51:00: relativ früh ausgeschieden ist gegen Norwegen und seitdem hält sich hartnäckig das Gerücht, Hitler sei alles
00:51:06: gewesen, aber kein Fußballfan. Für Alex Schmidt aber gab es insofern ein Happy End, dass
00:51:13: er weiterhin bei den Rama-Margarine-Werken arbeiten durfte. Immerhin, also den Job durfte
00:51:19: er behalten. Thomas und ich haben dazu noch ein bisschen recherchiert gestern und Thomas hat da noch etwas interessantes
00:51:26: gefunden zur Causa Alex Schmidt und den Rama-Margarine-Werken, was er Euch jetzt einmal erzählen will. Auf jeden
00:51:33: Fall, wie schon eben erwähnt, in der Saison dann 33/34 hat Schmidt eben wieder für St, Pauli gespielt. War auch wieder eigentlich
00:51:39: im Stamm. 34/35 haben wir ihn dann nicht mehr bei uns zu finden, wo er da war, unklar.
00:51:46: Aber vermutlich beim SV Rama 1921 Hamburg, denn
00:51:52: die Rama-Werke hatten eine Betriebsmannschaft, die jetzt auch nicht nur so for fun kickte sozusagen, sondern
00:51:58: tatsächlich im Ligabetrieb unterwegs war. Und in der Saison 35/36 war der FC St. Pauli nämlich abgestiegen
00:52:04: in die zweitklassige Bezirksklasse Hamburg und dort spielten sie dann tatsächlich Punktspiele gegen diesen SV Rama und
00:52:11: jetzt raten wir mal alle, wer beim SV Rama gegen St. Pauli auf dem Feld stand. Alex
00:52:18: Schmidt? Das ist eine richtige Antwort, in beiden Spielen taucht Alex Schmidt eben im Mittelfeld
00:52:24: des SV Rama auf. Die Spiele hat beide der FC St. Pauli gewonnen, 4:3 und 5:2, aber
00:52:30: immerhin offensichtlich hat er dann wahrscheinlich auch schon im Jahr davor eben in dieser Betriebsmannschaft gespielt. Warum
00:52:38: jetzt genau, also wie jetzt dieser Wechsel sozusagen vorging oder ob das irgendwie ein Zwang war, oder was auch immer, das ist
00:52:44: unklar, es ist auf jeden Fall so gewesen. Er ist aber dann aber wieder später zum FC St. Pauli zurückgekehrt und im Januar
00:52:50: '37 spielt er dann wieder für St. Pauli, dann in der erstklassigen Gauliga dann wieder und ist dann noch ungefähr drei Jahre
00:52:56: Stammspieler und springt dann zum Kriegsende hin, 44/45 noch ein paar Mal ein. Also
00:53:02: da ist dann wahrscheinlich, also nicht nur wahrscheinlich, ziemlich sicher dann einfach die Personallage so dünn gewesen, dass er doch mal wieder
00:53:08: in der 1. Mannschaft gekickt hat. Nach dem Krieg haben wir ihn dann nicht mehr. Also, ich weiß nicht
00:53:14: genau was, oder wissen wir jetzt nicht genau, was aus ihm geworden ist, aber auf jeden Fall... Aber
00:53:20: interessant, dass es schon so Werksmannschaften gab, also habe ich so mit zumindest mit Hamburg nicht so in Verbindung
00:53:27: gebracht. Also man kennt ja Bayer Leverkusen, Bayer Uerdingen damals noch. Also es gab dann nachher, so gerade in den 30er-/
00:53:33: 40er-Jahren gab es auch so die BSG, also Betriebssportgemeinschaft der Hochbahn z.B.
00:53:39: oder ähnliches oder der Reichsbahn auch, da gab es verschiedene, die auch dann in den teilweise sogar Ersten Ligen
00:53:45: mitgeklickt haben in Hamburg, also die tauchen dann öfter mal auf. Und möglicherweise es auch noch mehr in unteren Klassen.
00:53:51: SV Polizei gab es natürlich auch. Die gab es schon immer mehr oder weniger, also wenn man so will ja auch eine Betriebssportmannschaft,
00:53:57: richtig. Später dann im Krieg gab es ja noch diesen Luftwaffen-Sportverein und ähnliche Sachen, aber das ist dann eine eigene Geschichte
00:54:03: im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, das war der Fall Alex Schmidt,
00:54:10: der vielleicht erste Transfer-Skandal des FC St. Pauli 1933. Und
00:54:16: damit sind wir auch schon wieder am Ende, kurz und knackig, drei Geschichten. Wir hoffen, es hat Euch trotzdem gefallen und
00:54:23: wie immer würden wir uns freuen, wenn Ihr uns eine positive Bewertung auf der Podcast-Plattform Eurer Wahl dalasst. Und
00:54:30: weil Ihr jetzt bis zum Ende durchgehalten habt, gibt's zur Belohnung noch ein paar Infos aus dem Museums-Kosmos.
00:54:36: Am 22. Juli ist Saisoneröffnung des FC St. Pauli,
00:54:42: wir empfangen Hapoel Tel Aviv. Und in dem Rahmen haben wir als Museum
00:54:48: die Aufstiegsmannschaft von 1988 eingeladen, die dann eine Autogrammstunde auf dem Südkurven-Vorplatz geben wird vor dem Spiel.
00:54:55: Ja, Ihr werdet uns alle da treffen logischerweise und weiterhin sind bei
00:55:01: uns im Museum auch noch "Kiezbeben", "20 Jahre Ultrà Sankt Pauli" und die Ausstellung über Max Kulik, einen
00:55:08: jüdischen Fußballer und Arzt aus St. Pauli weiterhin anzuschauen. Genau, wenn Ihr dazu die Sonderfolge noch nicht gehört
00:55:15: habt, die wir vor kurzer Zeit mit Frauke Steinhäuser aufgenommen haben, sei Euch die noch mal sehr ans Herz gelegt,
00:55:21: da reden wir über die Ausgrenzung und Verfolgung jüdischer Sportler*innen in Hamburg im Nationalsozialismus,
00:55:27: die ist super geworden, hört sie Euch an. Dann bleibt uns jetzt noch zu sagen, vielen Dank fürs Zuhören und
00:55:34: tschüss bis zum nächsten Mal. Bis zum nächsten Mal. Dann tschüss. Tschüss. Tschüss.
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