#19 Viva La Primärquelle! Braun-weiße Zeitkapseln

Shownotes

In der 19. Folge von FCSP-Geschichte(n) enträtseln Celina, Christoph und Christopher nach dem Rosebud-Prinzip große und kleine Mysterien der Vereinsgeschichte. Christoph lüftet die Geheimnisse der allerersten VIVA-Stadionzeitung. Christopher beschäftigt sich mit einem 73 Jahre alten Derby-Skandal, und Celina liest aus der verschollen geglaubten ersten Nachkriegsvereinszeitung des FC St. Pauli.

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00:00:00: Hat da nicht Tibet gewonnen oder so? Thomas? Thomas? Ja ne, Ihr

00:00:04: merkt, ohne Thomas schlittern wir über die Fakten, als wären sie

00:00:08: ein gefrorener See. Was haltet Ihr davon, wenn wir ihm einfach

00:00:12: den Rohschnitt schicken und er darf dann noch so einen

00:00:16: Kommentar einsprechen? Genau.

00:00:20:

00:00:24:

00:00:29:

00:00:30:

00:00:36: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von FCSP-

00:00:42: Geschichte(n), das n in Klammern. Folge 19 wenn ich richtig

00:00:48: gezählt habe. Ich bin Christopher und neben mir sitzt

00:00:55: Celina. Hallo. Und Christoph. Moin Moin. Und eine Stimme fehlt und

00:01:00: zwar die von Thomas, unserem Don't Call Him Schiedsrichter,

00:01:04: der ist leider krank, wir hoffen auf baldige Genesung und dann

00:01:09: wieder Thomas hier im Podcast

00:01:12: bei uns an der Seite zu haben. Absolut gute Besserung, Thomas

00:01:15: und du wirst diese Folge hoffentlich aber sehr kregel

00:01:19: dann schon wieder hören. Genau die Nerveneinbrüche kriegt er

00:01:22: dann alleine im Bett, wenn er die ganzen faktischen Fehler von

00:01:26: uns hört. Ja das ist jetzt die gesetzlose Folge, das ist die

00:01:29: Folge, in der einfach jeder Humbug gesagt wird und kein

00:01:33: Mensch macht was dagegen. Bevor wir anfangen,

00:01:37: wollten wir noch erwähnen, weil die letzte Folge schon etwas her

00:01:40: ist, dass wir auch Fanpost bekommen haben, unter anderem

00:01:44: von unserem Hörer Pascal, der uns gleich nicht nur ein,

00:01:47: sondern mehrere gute Themenvorschläge geschickt hat.

00:01:50: Wir haben ja drum gebeten, schickt uns Eure

00:01:52: Themenvorschläge und um ein Exempel zu statuieren,

00:01:56: haben wir gesagt. Natürlich nehmen wir jetzt auch eins von den

00:01:59: Themen, von den vielen guten Themen, die Pascal vorgeschlagen

00:02:03: hat und als Dank fürs regelmäßige Hören und für das

00:02:06: ganze Lob, was wir gekriegt haben, und für den Vorschlag

00:02:09: einer Folge kriegt Pascal natürlich eine, vielleicht wisst

00:02:13: Ihr es noch, Postkarte von Harry Wunstorf selbst geknipst. Das

00:02:16: ist auf jeden Fall kein

00:02:19: kleiner Preis, aber auch eben für einiges an Gedankenzufuhr

00:02:22: auch für uns, denn Pascal hat ja gleich mehrere Themen geschickt

00:02:25: und wir verraten die anderen nur deswegen nicht, damit Ihr denkt,

00:02:29: wir wären selber auf die Bombenideen gekommen. Ja, wir

00:02:32: freuen uns wirklich immer sehr über Eure Fanpost. Besonders

00:02:35: gefreut habe ich mich auch über einen Mitgliedsantrag, der

00:02:38: neulich eingegangen ist. Und da gibt es immer dieses Feld, ich

00:02:42: wurde geworben von, und dann stand in diesem Feld "Von Eurem

00:02:45: großartigen Podcast".

00:02:47: Das war natürlich auch vorbildlich, das hat uns alle

00:02:49: sehr gefreut, also gerne beides tun, Mitglied werden und Lob

00:02:52: oder auch Kritik loswerden. Ich bin Mitglied geworden, damit Ihr

00:02:55: endlich diesen Podcast vernünftig macht, man kann das

00:02:58: ja sonst dann auch hier einbringen. Das wäre ja auch ein

00:03:01: Thema für die nächste

00:03:03: Mitgliederversammlung, könnte man das ja einbringen. Genau. Antrag

00:03:06: auf Abschaffung des Podcasts? Auch das ist möglich, wir sind

00:03:09: ja demokratisch veranlagt. Satzungsänderung genau, Kultur

00:03:12: und Geschichte und so weiter außer Podcast. Kritik sind nur

00:03:15: dornige Chancen.

00:03:16: Um bei dem Vorsitzenden einer Niedrigprozent-Partei zu

00:03:20: bleiben. Sehr gut. Ja. Dornige Chancen, das ist nicht ganz das

00:03:25: Konstruktionsprinzip dieser Folge, aber wir haben uns auf

00:03:29: jeden Fall ein bisschen was Avantgardistisches vorgenommen

00:03:33: und würden das, was wir heute tun möchten, mit der Bezeichnung

00:03:38: "Das Rosebud-Prinzip" beschreiben. Was meinen wir damit?

00:03:43: Da kann man jetzt vielleicht ein bisschen dramatische Filmmusik

00:03:48: und ein Flüstern einspielen. "Rosebud". Ja, das habt Ihr

00:03:52: natürlich sofort erkannt, das war Orson Welles im

00:03:56: Filmklassiker "Citizen Kane", und er äußerte gerade in seiner

00:04:01: Rolle als dieser Citizen Kane sein letztes Wort "Rosebud", zu

00:04:05: deutsch Rosenknospe.

00:04:07: Und der Film basiert ja auf der Frage, was um Himmels willen hat

00:04:11: er damit gemeint, was kann ihn dazu getrieben haben, das zu

00:04:15: sagen, denn eigentlich war das jetzt kein Lyriker und auch kein

00:04:19: Blumenzüchter, sondern die Figur im Film ist ja ein Pressemagnat,

00:04:23: der quasi die ganze Medienwelt seines Landes, der USA dann

00:04:27: erobert, also auch auf einer realen Figur, Randolph

00:04:31: Hearst, basiert. Man lernt dann, dass diese Frage, kann ein ganzes

00:04:35: Menschenleben in einem Wort zusammengefasst werden, dass

00:04:39: diese Frage eigentlich hier bedeutet, es kann zumindest

00:04:43: durch einen Gegenstand sehr beeinflusst werden, das heißt,

00:04:47: dieser Gegenstand, der wird dann auch gezeigt, man sieht dann, ah

00:04:52: Rosebud ist ein Schlitten, Donnerwetter.

00:04:55: Oder zumindest der Markenname auf einem Schlitten, der dann

00:04:59: auch noch von achtlosen Nachlassverwaltern verbrannt

00:05:01: wird, so dass das Geheimnis quasi den Figuren im Film nicht

00:05:05: klar wird, sondern nur den Zuschauer*innen, die das dann

00:05:08: also gesehen haben. Ja, dieser Rosebud-Schlitten, davon haben

00:05:11: wir jeder einen mitgebracht und wie wir vielleicht feststellen,

00:05:15: denn ohne Thomas ist ja Gesetzlosigkeit hier, wir haben

00:05:18: uns kurz ausgetauscht, was wir mitgebracht haben, dieser

00:05:21: Schlitten ist aus Papier, was natürlich auf der Metaebene

00:05:24: wieder fantastisch

00:05:25: zur Handlung des Pressemagnaten Citizen Kane passt also. Die

00:05:29: Idee ist, dass jeder eine Quelle mitbringt. Anhand dieser Quelle

00:05:33: kann man unheimlich viel über den FC St. Pauli erlernen und

00:05:37: erfahren und an diesen Quellen entlang wollen wir uns dann hier

00:05:41: hinein erzählen und das ist vielleicht auch deswegen für

00:05:44: Podcast auch etwas gewagt, weil man natürlich die Quelle jetzt

00:05:48: nicht einfach in die Kamera halten kann, aber dann wäre es

00:05:52: ja auch langweilig.

00:05:54: Wir werden Euch ein Bild malen mit Worten. Genau darum geht's

00:05:58: ja. Ich glaube, ich gucke mal kurz in die Runde, ist das

00:06:02: Konstruktionsprinzip der Folge damit so ein bisschen

00:06:06: dargestellt. Absolut und um vielleicht da schon mal

00:06:09: einen kleinen Spannungsbogen rauszunehmen. Es handelt sich um

00:06:14: Vereinszeitungen, beziehungsweise offizielle

00:06:17: Vereinspublikationen, denn genau genommen haben wir nicht alle

00:06:21: Vereinszeitungen.

00:06:22: Genau, aber das werdet Ihr gleich noch erfahren. Mehr

00:06:26: wissen wir auch nicht, wir sind quasi gespannt, was wir alle

00:06:29: gegenseitig uns präsentieren. Die hohe Kunst des Erzählens ist

00:06:33: ja auch, den Spannungsbogen immer gleich am Anfang schon mal

00:06:36: rauszunehmen. Das habe ich so gelernt, als ich mal zwei Tage lang

00:06:40: ein Drehbuchseminar besucht habe. Sehr gut. Wichtig ist

00:06:43: Spannung rausnehmen, willkommen beim Tatort.

00:06:46: Na dann, aber noch wissen die Leute ja auch gar nicht, wer

00:06:49: erzählt, was als erster und was passiert jetzt eigentlich, wenn

00:06:52: niemand da ist um das zu regeln. Im Grunde genommen haben

00:06:56: wir jetzt den Punkt, wo wir hier sitzen und darauf warten, dass

00:06:59: Thomas ne Ansage macht und lost. Aber wir haben das dann ja

00:07:02: anders gemacht und schlicht und einfach. Christoph fängt einfach

00:07:05: an. Der redet ja eh gerade schon. Eben ja, da müsst Ihr

00:07:08: Euch nicht so umgewöhnen.

00:07:10: Ja, mein Beitrag steht unter dem Motto "Das liest doch sowieso

00:07:14: kein Mensch" und ist eine kleine Liebeserklärung an ein, sagen

00:07:18: wir mal, langsam verschwindendes Medium, das mir persönlich aber

00:07:22: sehr gefällt und das auch einiges mit meinem persönlichen

00:07:25: FC St. Pauli-Werdegang zu tun hat. Es war halt so, dass

00:07:29: beziehungsweise nein, ich fange jetzt mit dem Gegenstand an, das

00:07:33: wollten wir ja tun. Ich habe in meiner Hand

00:07:36: ein DIN A3-Blatt, ein DIN A3- Prospekt. Er ist vierseitig, Ihr

00:07:41: hört ihn vielleicht hier auch ein wenig rascheln. Das ist der

00:07:46: Tatsache geschuldet, dass damals die Idee

00:07:50: war, tatsächlich eine Stadionzeitung zu machen. Das

00:07:54: wurde dann auch schon nach einer Saison wieder aufgegeben, aber

00:07:59: das war damals für ein Jahr lang die offizielle Stadionzeitung

00:08:04: des FC St. Pauli.

00:08:06: Man kann hier noch weiter sehen. Es gibt einen roten Kopf, da

00:08:10: steht "Viva St. Pauli", dann sehen wir hier das Logo des FC

00:08:13: St. Pauli mit dem Motto "Non established since 1910".

00:08:17: Daher schon mal die erste, heute nicht mehr benutzte Formel. Das

00:08:20: gibt es seit ich meine zehn Jahren ungefähr nicht mehr. Es

00:08:23: gibt einen Zeitpunkt, an dem man das festmachen kann, wo der FC

00:08:26: St. Pauli aufgehört hat, das "non established" unter dem Logo zu

00:08:30: führen. Nachdem wir total established waren

00:08:32: wahrscheinlich. So ist es, ich weiß aber, dass es 2010 auf

00:08:35: jeden Fall noch geführt wurde, da ist es sogar auf einem Buch

00:08:38: drauf, was ich mit Michael Pahl geschrieben habe, da mussten wir

00:08:41: das auch extra da drauf machen, finde ich heute ein bisschen

00:08:44: schade.

00:08:45: Das sieht dann so ein bisschen alt aus damit. Aber ja,

00:08:49: also da haben sich Leute auch viele Gedanken gemacht, diesen

00:08:53: Claim zu haben. "Non established since 1910", der steht oben

00:08:57: rechts da drauf. Unter dem roten Kopf "Stadionzeitung des FC St.

00:09:01: Pauli, abhängig, parteiisch, kostenlos". Und, auch ganz

00:09:05: interessant, das Ganze hat tatsächlich nur rot als

00:09:08: Schmuckfarbe, es gibt also keine vierfarbigen Bilder, die wurden

00:09:12: erst später eingeführt.

00:09:15: Das alles war tatsächlich eine spannende Entwicklung. Das kam

00:09:18: auch daher, dass der FC St. Pauli sich nun nach seinem

00:09:21: Absturz in die dritte Liga neu aufstellte. Man darf sich das

00:09:24: Millerntor ja damals sehr, sehr anders noch vorstellen als

00:09:27: heute, das war ja tatsächlich noch das alte Millerntor, das man

00:09:30: bei uns im FC St. Pauli-Museum auch sehen kann.

00:09:33: Das hatte, weil es ja vom Platz her überhaupt nicht mehr

00:09:37: reichte, längst Anbauten bekommen in Form von Containern.

00:09:40: Und in diesen Containern wohnten, in Anführungsstrichen, Personen

00:09:44: mit verschiedenen Funktionen, und eine davon war Thomas

00:09:48: Wegmann, der also gerade neuer Vermarktungsleiter geworden war

00:09:52: beim FC St. Pauli. Heute ist Thomas Wegmann übrigens

00:09:55: Geschäftsführer beim Modehaus Ladage und Oelke, auch ein ganz

00:09:59: interessanter Werdegang.

00:10:02: Genau. Und ja, viele Grüße Thomas, tatsächlich. Thomas

00:10:04: wiederum kannte meinen damals Kommilitonen Michael Pahl, den

00:10:07: hatte ich ein paar Jahre aus den Augen verloren, das

00:10:10: passierte immer mal wieder im Zusammenhang mit dem FC St.

00:10:13: Pauli, dass ich Michael Pahl aus den Augen verlor. Unter anderem

00:10:17: auch bei gemeinsamen Stadionbesuchen, wo ich dann in

00:10:19: irgendwelchen Bussen mit HSV-Hools gelandet bin, aber

00:10:23: macht nichts Michael, ich habe sie schon alleine klar gemacht

00:10:26: und kam dann tatsächlich unverletzt da raus. Wir hatten

00:10:29: beide damals keine Handys.

00:10:31: Nein, Michael spielte mit Thomas Fußball und zufälligerweise

00:10:34: liefen wir uns dann über den Weg. Aus heutiger Sicht, wo man mehr

00:10:37: über Günther Grass weiß, bisschen peinlicherweise bei

00:10:40: einer Lesung von Günther Grass am Millerntor. Und ja, Michael

00:10:43: meinte "Ja, ich habe hier gerade Thomas kennengelernt, der

00:10:46: ist Vermarktungsleiter, will die Stadionzeitung neu machen und

00:10:49: braucht noch Leute, die schreiben können, hast Du nicht

00:10:52: Lust?" Und ja, hatte ich natürlich, war ja spannend und

00:10:55: also

00:10:56: stapfte ich dann die Treppen auf, weil es waren die oberen

00:10:59: Container, die waren ja noch ein bisschen spannender als die

00:11:02: unteren Container und durfte ich dann so Treppen am Millerntor

00:11:06: hochsteigen bei einem Container und bei dieser Stadionzeitung

00:11:09: dann mitarbeiten. Dass die so rot und schwarz und weiß war,

00:11:13: das hängt eben auch alles damit zusammen, dass der FC St. Pauli

00:11:17: damals tatsächlich schon echt in seinem zweiten Drittligajahr

00:11:21: in Konzepten gedacht hat. Es gab ein Motto, das hieß "Viva St.

00:11:25: Pauli, Kampf der Drittklassigkeit", und dieses

00:11:29: Motto findet man hier oben dann eben schon mal wieder und es

00:11:33: gibt dann also auch einen ganzen Prospekt mit Fanartikeln, der

00:11:37: also dann hier so im revolutionären Stil gemacht ist.

00:11:41: Also so ein bisschen wie Che Guevara-Wandgemälde und stencils

00:11:46: dann aussehen

00:11:48: auf Kuba zum Beispiel. Von hier aus sehe ich schon einen

00:11:51: Mourad Bounoua in Che Guevara- Pose. Genau der, also es sieht

00:11:54: schick aus, sie haben sich wirklich Mühe gegeben mit diesem

00:11:58: Prospekt, der Verein hat damals tatsächlich dann auch den

00:12:01: deutschen Sportmarketingpreis für diese Kampagne gewonnen. Mit

00:12:04: der "Viva St. Pauli", darf ich verraten, haben wir nie einen

00:12:07: Blumentopf gewonnen, sondern wurden mehrfach zur vermeintlich

00:12:11: schlechtesten Stadionzeitung

00:12:13: der zweiten Liga ausgezeichnet und ich war dann immer der, der

00:12:16: wenn schon wieder jemand diese E- Mail geschrieben hat und das

00:12:19: gepostet hat, gesagt hat, ihr wisst schon, dass das damit

00:12:21: zusammenhängt, dass sie Kriterien wie Seitenzahl und

00:12:24: Vierfarbigkeit haben, oder?

00:12:26: Weil mit einer vierseitigen Stadionzeitung in schwarz-weiß,

00:12:29: egal, ob sie kostenlos verteilt wird und ob da ein paar

00:12:32: originelle Ideen drin sind, gewinnst Du natürlich

00:12:35: keinen Blumentopf. Wer kürt die schlechteste

00:12:38: Stadionzeitung? Ja, das waren halt so Stadionzeitungssammler.

00:12:42: Das sind also Privatleute. Genau Privatleute,

00:12:45: und die hatten eine Jury aus Stadionzeitungssammlern und die

00:12:48: haben die Stadionzeitung dann so ein bisschen dahingehend gekürt,

00:12:52: was sie halt gerne sammeln. Ich glaube Union Berlin mit seinem

00:12:55:

00:12:56: handlichen Format, aber ordentlich Seiten und

00:12:58: vierfarbig, die kamen dann halt gut an, wir eher schlecht. Der

00:13:01: "Übersteiger" feierte auch unser neues Erscheinen, ich glaube es

00:13:04: gab dann auch gerade mal zu irgendeinem dringenden

00:13:06: Finanzthema ein "Übersteiger"- Special, wo man ganz nebenbei

00:13:09: noch mal kurz unterbrachte, dass der FC St. Pauli irgendwie auch

00:13:12: so ein neues Faltblatt da rausgebracht hätte und nicht mal

00:13:14: mehr eine vernünftige Stadionzeitung zustande kriegen

00:13:17: würde. Ich weiß gar nicht, was war denn vor der "Viva"?

00:13:20: Vor der "Viva" gab es ein Jahr lang eine Stadionzeitung, die

00:13:24: glaube ich sogar 1€ gekostet hat. Ich habe gerade vergessen,

00:13:28: wie sie noch mal hieß, aber die hatte ein DIN A5-Format, da gab

00:13:32: es ja dann auch jeweils so einen Aufmachartikel drin, also

00:13:36: relativ klassisch gehalten. Also Stadionzeitungen gab es bei uns

00:13:41: seit 1974 wohl, allerdings fehlen uns da die ersten

00:13:44: Jahrgänge komplett leider, wie so oft in diesem in diesem Archiv.

00:13:50: Die Stadionzeitung direkt vor der "Viva" im Jahr 2003/04

00:13:54: hieß einfach nur "sanktpauli" klein geschrieben und zusammen.

00:13:59: Das war aber zwar offiziell von der Marketing GmbH

00:14:03: herausgegeben, aber eher eine Privatinitiative was das

00:14:08: inhaltliche angeht, da der Verein dafür 2003 direkt nach

00:14:13: dem Abstieg in die Regionalliga keine Kapazitäten hatte.

00:14:19: Aber das hatte wohl nicht so gut funktioniert und deswegen fand

00:14:22: Thomas Wegmann halt, wir wollen die jetzt bewusst kostenlos

00:14:25: machen, um wenigstens die Chance zu haben, dass alle eine

00:14:28: mitnehmen. Und sicherlich war der Gedanke auch, dass man dann

00:14:31: für Werbekunden auch ein Argument mehr hat. Ihr könnt

00:14:34: jetzt auch in der Stadionzeitung sein. Tatsächlich waren die

00:14:37: Werbekunden gar nicht mal so wahnsinnig anders. Auf der ersten

00:14:40: Seite siehst du hier unten rechts eine knallrote Anzeige

00:14:43: eines Bierherstellers.

00:14:45: Ich glaube, man darf ruhig Astra sagen, weil ist ja auch die

00:14:49: Stadion-Biermarke, die man da immer noch auszeichnen muss. Auf

00:14:52: Seite 2 gibt es schwarz-weiß Werbung für Bommerlunder.

00:14:55: Eisgekühlt aber. Und das war es eigentlich auch schon mal. Auf

00:14:59: der Rückseite gibt es eine interessante Werbeanzeige und

00:15:02: die eben auch in schwarz-weiß gehalten, also das Konzept wurde

00:15:05: auch durchgezogen.

00:15:07: St. Pauli sucht Paten und damit ging es dann um das Thema

00:15:11: Rasenpaten und wer jetzt wissen möchte, was

00:15:15: Rasenpat*innen waren, der hört sich einfach unsere Folge

00:15:19: zum Thema Titel an, denn da packt Thomas mal so richtig aus

00:15:23: zum Thema. Richtig, der FC St. Pauli hat ja inzwischen einen

00:15:27: preisgekrönten Stadionrasen und das kommt in dieser Folge vor.

00:15:32:

00:15:32: Diese Zeitung dagegen gewinnt ihren Zeitkapselwert dann auch

00:15:36: durch andere Dinge, zum Beispiel das ausgesprochen klassische

00:15:41: Visual vorne drauf. Es ist ein schwarz-weiß Mannschaftsfoto,

00:15:45: Schlagzeile "Alles Neu(barth) bei Holstein Kiel".

00:15:49: Passt besonders gut, weil diese Folge am Tag des Heimspiels in

00:15:53: der ersten Bundesliga gegen Holstein Kiel stattfindet, und

00:15:58: das ist natürlich schon etwas, was damals 2004/05 am

00:16:02: 6.8.2004 ziemlich genau, das war auch ein Abendspiel übrigens

00:16:06: Freitag 6.8.2004 19:30 Uhr FC St. Pauli gegen Holstein Kiel,

00:16:10: das war natürlich etwas, was alle rasant unrealistisch

00:16:14: gefunden hätten, weil also das waren zwei Mannschaften am Fußball-

00:16:18: Arsch der Welt, also die dritte Liga ist ja nun wirklich nicht

00:16:22: gerade das Highlight und insbesondere damals.

00:16:26: Und übrigens Hossa, heute noch für den "Übersteiger" tätig

00:16:30: und ja auch lange Zeit Herausgeber eines

00:16:32: Amateur-Fanzines gleichen Namens. Hossa, Sven Klein, hallo,

00:16:36: hat diesen Aufmacher geschrieben und hat auch sehr viel Spaß

00:16:39: gemacht, da zusammenzuarbeiten, weil es war wirklich ne andere

00:16:43: Art des Arbeitens damals auch noch. Wir haben diese, wir haben

00:16:47: die Artikel zwar nicht auf der Schreibmaschine geschrieben.

00:16:51: Aber das Korrekturlesen fand tatsächlich im, je nachdem

00:16:54: überheizten oder kalten, auf jeden Fall immer etwas feuchten

00:16:58: Container oben bei Thomas statt. Da wurde dann das PDF von den

00:17:02: Layoutern ausgedruckt und man hat dann mit rot rechts daran

00:17:06: markiert. Und die Spieler, die dann dabei waren. Mourad Bounoua

00:17:09: hattest Du schon genannt. Ja, zum Beispiel auf die

00:17:13: Bildunterschrift zeichnet sie alle auf. Yusuf Akbel haben wir

00:17:17: hier und Heiko Ansorge, Frank Dröge, Willem Hupkes.

00:17:21: Mein Lieblingsspieler. Ja, nicht mal alle so ganz bekannt. Ich

00:17:24: meine Florian Lechner, natürlich immer noch bekannt, Achim

00:17:28: Hollerieth, Mathias Hinzmann und so weiter. Also war schon

00:17:31: eine andere Fußballwelt. Hintere Reihe, vielleicht mal kurz,

00:17:35: damit nicht nur die vorne, die sich nach vorne gemogelt haben,

00:17:39: drankommen. Hintere Reihe von links Andreas Mayer, Fabio

00:17:42: Morena, Festus Agu, immer einer meiner ganz besonderen

00:17:46: Lieblinge.

00:17:47: Philip Albrecht, Ralph Gunesch, Benjamin Adrion, Cosmin Uilacan,

00:17:51: Hauke Brückner, heute beim FC St. Pauli-Medienzentrum tätig,

00:17:55: Sebastian Wojcik und Ifet Taljevic. Der kam von Chemnitz. Ja

00:17:58: Ifet Taljevic natürlich gut, ich glaub da war auch noch irgend so

00:18:02: ne wilde Story, da gab's dann später auch noch mal was, dass

00:18:06: er irgendwie auch, aber da möchte ich jetzt ja auch nichts

00:18:09: behaupten, was ... aber da kann man vielleicht schon mal fast

00:18:13: unvergessen draus machen, Ifet Taljevic.

00:18:16: Unvergessen genau, fast unvergessen, so ist es. Das Ding

00:18:19: ist deswegen übrigens so rot, schwarz, weiß gewesen, weil die

00:18:22: Inspiration dazu waren tatsächlich Sportzeitungen der

00:18:25: 50er/60er-Jahre und auch so ein bisschen, weil man wollte ja

00:18:29: auch irgendwie Klassenkampf und so weiter vermitteln,

00:18:32: tatsächlich auch kommunistische Kampfblätter, und das kann man

00:18:36: hier jetzt vielleicht auch noch mal erzählen aus dem Nähdöschen.

00:18:39: Ich habe leider die gesamte Namensliste nicht mehr gefunden,

00:18:43: aber

00:18:44: kurz vor knapp hat eine Person, die auf der ersten Seite

00:18:47: abgebildet ist, verhindert, dass die Stadionzeitung so heißen

00:18:51: sollte, wie sie eigentlich mal heißen sollte. Die

00:18:54: Stadionzeitung des FC St. Pauli hätte nämlich beinahe "Zeitung

00:18:58: des 15. Mai" geheißen. Nach Gründung des FC St. Pauli. Genau,

00:19:02: nach dem fiktiven Gründungsdatum des FC St. Pauli, weil

00:19:06: der 15. Mai, das ist ja inzwischen gründlich

00:19:09: untersucht worden. Genau der 15. Mai hat eigentlich wenig zu

00:19:13: sagen. Grundsätzlich so 1910 natürlich das Jahr, wo die

00:19:16: ersten Pflichtspiele stattfanden, das Gründungsjahr

00:19:19: macht durchaus Sinn, aber genau der Tag eigentlich nicht so

00:19:23: sehr, aber das war dann so angelehnt an revolutionäre

00:19:26: Straßennamen und so weiter. Fand Corny Littmann zu wenig

00:19:29: einleuchtend, da wurde der Name also kassiert, andere hatten wir

00:19:33: schon selber kassiert.

00:19:34: Wie zum Beispiel "Der Masochist", "Das optimistische Manifest" oder

00:19:38: auch "Wunschkonzert". Ich selber war auch zwischendurch stark

00:19:42: dafür, das Ding einfach gleich "Klassenkampf" zu nennen,

00:19:45: quasi dass genau das draufsteht, was auch drin

00:19:48: stehen soll, weil genau das der Verein ja macht. Das hat sich

00:19:52: aber alles nicht so richtig durchgesetzt. "Fröhlich sein und

00:19:56: singen" als direkter Ostimport auch auf den Namensvorschlägen.

00:20:00: Ja ich meine

00:20:02: man möchte vielleicht so auf lange Sicht sagen, dass Corny

00:20:05: namensmäßig nicht den allerschlechtesten Instinkt gehabt

00:20:08: hat, aber "Zeitung des 15. Mai" wäre auf jeden Fall origineller

00:20:11: gewesen. Ich hätt's gut gefunden, vielleicht auch

00:20:13: "Auferstanden aus Ruinen", sonst auch noch. Genau, ja, es geht um

00:20:17: den Klassenkampf, Leute, steht hier in einem nie

00:20:19: veröffentlichten Editorialentwurf im besten Sinne

00:20:22: oder wollt ihr ewig in der dritten Liga bleiben? Na also.

00:20:25: Hier sind wir also, 25 Revolutionäre auf dem Rasen,

00:20:28: 17.000 auf den Rängen, 6 in unserer roten Revolutions-

00:20:31: Redakteurs-Gummizelle und wollen alle nur rauf. Ja, das hätte man

00:20:35: vielleicht so ähnlich dann machen können, haben wir aber

00:20:38: eben nicht gemacht, weil die Zeitung hieß dann ja anders und

00:20:41: es, sagen wir mal, vom Konzept her wurde es dann auch ein

00:20:44: bisschen weniger revolutionär, auch weil man hat hier so eine

00:20:48: ganz

00:20:48: klassische wilde Schrift, die jetzt auch quasi einen Edgar

00:20:51: Wallace-Film betiteln könnte. Oben den Titel genommen, die

00:20:54: gefällt mir immer noch dafür irgendwie ziemlich gut, weil sie

00:20:58: für die Stadionzeitung ungewöhnlich ist. Ja, aber das

00:21:01: Konzept hörte dann schon bei der Fließtextschrift auf, das ist

00:21:04: die Futura-Schrift auch hier eine interessante Brücke zur

00:21:07: Gegenwart, denn wir wissen ja, die FC Sans Pauli hat ja hohe

00:21:10: Wellen geschlagen, die der Verein jetzt als Schrift neu

00:21:13: eingeführt hat.

00:21:15: Ich bin kein Typograf, aber eins kann ich sagen, dass die

00:21:19: Schrift von Viva St. Pauli höchstens rechtskursiv ist. Ach

00:21:22: so, ja genau das ist sie. Die Titelschrift ist tatsächlich

00:21:26: leicht rechtskursiv. Diese Kursivität der Schriften, ob das

00:21:29: inklusiv ist oder nicht, hat ja auch heiße Diskussionen

00:21:33: ausgelöst. Ich sag jetzt mal, aus ästhetischem Punkt ist es

00:21:36: so, dass ich die Futura für den FC St. Pauli und seid

00:21:40: meinetwegen böse mit mir, keinen Verlust finde.

00:21:43: Also ich kann das gut verstehen, dass da eine andere Schrift

00:21:46: gewählt wurde. Man spart ja tatsächlich

00:21:48: Schriftlizenzgebühren, aber tatsächlich ist es schon

00:21:51: markant, die ganze Inklusivität, also ob man auch die

00:21:54: linkskursiven Varianten gut lesen kann, ist natürlich ein Thema,

00:21:57: wo ich schlicht und einfach sagen muss, kann ich nicht so

00:22:01: gut beurteilen. Es gibt ja auch andere Schriftvarianten, die

00:22:04: glaube ich von der Lesbarkeit ja auch unkontrovers sind. Ich kann

00:22:07: den Verein also auch verstehen, dass er es gemacht hat und quasi

00:22:11: ein gutes Beweisstück

00:22:13: was glaube ich, Martin Drust gar nicht besitzt, ist diese "Viva

00:22:17: St. Pauli" für 2004/05 oder findet Ihr die sieht gut aus? Ich bin

00:22:21: Futura-Fan, muss ich jetzt an dieser Stelle einmal gestehen.

00:22:26: Auch Futura Condensed für die Fließtextschrift? Gerade Condensed. Ich

00:22:30: bin auch großer Fan von Condensed- Schrift-Schnitten. Ja da seht Ihr

00:22:34: mal was hier für Gräben durch diesen Raum laufen.

00:22:38: Christopher hat noch ein bisschen Angst. Ich habe nämlich

00:22:42: auch eine Glasflasche stehen. Ich bin da komplett neutral. Ich

00:22:46: finde, das sieht aus, wie so ein weiß nicht, also bisschen wie

00:22:50: das, was mir neulich irgendwie so ein Typ von der SPD in die

00:22:54: Hand drücken wollte, als ich da gerade am Parteibüro

00:22:57: vorbeigegangen bin. Aber ja.

00:23:01: Das passt auch farblich gut zu der Astra Werbung, die

00:23:05: neben dem Titel das einzig andere farbige Element auf der Titelseite.

00:23:09: Ich sag mal so aus historischen Gründen

00:23:13: würde ich sagen, dass die Entscheidung für rot weiß

00:23:16: schwarz durchziehen so ein bisschen unglücklich ist

00:23:20: vielleicht. Ja die rot weiß schwarz Ecke. Das stimmt. Altona 93

00:23:24: sag ich. Zum Beispiel, genau das meinte ich, genau Altona 93.

00:23:29: Stimmt das tatsächlich, wurde aber also jetzt, es gab jetzt

00:23:32: keinen Shitstorm oder sowas deswegen, sondern die Kritik war

00:23:36: dann eher zum Beispiel das Zeitungsformat sei doch

00:23:38: reichlich unpraktisch, deswegen wurde es nach nur einer Saison

00:23:42: auf quasi MoPo mäßiges kleineres Format umgestellt. Ja,

00:23:45: das war super zum drauf sitzen, hat man auch zu zweit drauf

00:23:48: gepasst. Also auch das. Was übrigens damit impliziert, dass Celina

00:23:51: da tatsächlich einfach dann drauf saß offensichtlich. Ja.

00:23:54: Das ist schon mal gut, also ich finde wirklich ja, weil also ich...

00:23:58:

00:23:59: Da sind schon auch Artikel drin, die also, beziehungsweise die

00:24:03: Artikel sind natürlich alle mit Liebe geschrieben. Ich glaube

00:24:06: manche sind vielleicht sogar auch ganz unterhaltsam zu lesen

00:24:09: und zumindestens sind sie nicht so wie die Artikel in anderen

00:24:12: Stadionzeitungen, was ja auch bei den Fanzines des FC St.

00:24:15: Pauli immer eine Stärke war. Und bei den Fotos muss man sagen, da

00:24:18: sind auch ganz viele Fotos von Antje Frohmüller übrigens drin.

00:24:22: An die ich hier auch noch mal gerne erinnern würde, weil Antje

00:24:26: war quasi die Viva-Fotografin und ihre Fotos, obwohl sie

00:24:28: eigentlich in schwarz-weiß gemacht wurden, machen sich

00:24:31: tatsächlich in also auf, zumindest auch bei späteren

00:24:34: Ausgaben oft. Da wurden wir bei der Bildwahl auch noch so ein

00:24:37: bisschen mutiger. Es gibt hier ne Ausgabe zum Beispiel in der

00:24:40: Hand FC St. Pauli gegen Hertha BSC Amateure mit der Schlagzeile

00:24:44: "Play Football Tante" mit einem ziemlich coolen Foto, was Antje

00:24:47: hier geschossen hat, wo du eigentlich,

00:24:50: wo du quasi Dom-Flair und einen gesprungenen Mehrkampf im

00:24:54: Strafraum aus ungewöhnlicher Perspektive siehst. Wer sich die

00:24:58: noch mal ergoogelt ist wirklich eine schöne Ausgabe mit einem

00:25:02: sehr, sehr schrägen Kasten übrigens drunter. "St. Pauli-Fan

00:25:06: meets Imam Beckenbauer" auch das nochmal ein Teil Zeitkapsel-Effekt.

00:25:10: Der St. Pauli-Fan der da abgebildet ist Krista Sager

00:25:14: von Bündnis 90/Die Grünen.

00:25:16: Imam Beckenbauer ist tatsächlich der türkische Staatschef

00:25:19: Erdogan. Der bekommt hier ein St. Pauli-Trikot überreicht. Von

00:25:24: Krista Sager? Von Krista Sager. Damals galt er nämlich so quasi

00:25:28: als Speerspitze der Demokratie und hochmoderner

00:25:32: Staatslenker mit viel Potenzial. Und ja, hier steht "Sager ist

00:25:36: bekennender St. Pauli-Fan und wollte dem türkischen

00:25:39: Ministerpräsidenten auf diese Weise ein Stück Heimat als

00:25:43: Gastgeschenk mitbringen."

00:25:46: Klasse, das ist doch schön. The Times They Are a-Changin’. Grüße nach

00:25:49: Ankara. So sieht das aus und da merkt man eben auch, dass in 20

00:25:54: Jahren wirklich wahnsinnig viel passiert ist, sowohl in der

00:25:57: Klassigkeit des FC St. Pauli als auch in seinen

00:26:01: Vereinsmedien. Die "Viva" gibt es heute ja noch als "Viva Flyer",

00:26:05: den man sich auch bei jedem

00:26:07: Spiel mitnehmen kann. Das ist natürlich auch der Tatsache

00:26:09: geschuldet, dass Leute heute auch sehr viel auf Smartphones

00:26:12: ihre Informationen rezipieren, darum gibt es also seit

00:26:15: der letzten Saison,

00:26:17: also diese ja auch und die letzte, gibt es dann halt ne

00:26:20: richtige Stadionzeitung nicht mehr, sondern diesen Flyer mit

00:26:22: Poster hinten drauf, wo man aber auch die wichtigsten Infos zum

00:26:25: Mitnehmen hat. Ich persönlich find es praktisch, weil wenn das

00:26:28: Netz zusammenbricht, kannst du immer noch mal nachgucken,

00:26:31: wenn du ne Spielernummer vergessen hast.

00:26:33: Und ja, nehmt Euch die mit, die gibt es überall im Stadion und

00:26:36: kann das also auch verstehen, dass das umgestellt wurde.

00:26:39: Gleichzeitig kann man vielleicht verstehen, dass ich immer ein

00:26:43: Herz für diese Stadionzeitung behalten habe, weil für die "Viva"

00:26:46: schreibe ich immer noch, also seit 2004. Was ich nicht mehr

00:26:49: mache, sind Fortsetzungsromane schreiben,

00:26:52: weil das gab es in der "Viva St. Pauli" nämlich auch, es gab immer

00:26:55: ein bisschen was bewusst merkwürdiges, und so gab es also

00:26:58: auch den Fortsetzungsroman "2010, das Jahr, in dem wir Meister

00:27:02: wurden".

00:27:03: Damals wirkte 2010 noch unendlich weit weg und darum

00:27:06: hatte ich dann dieses Jahr gewählt. Wie man feststellte,

00:27:09: sind wir 2010 dann nicht Meister geworden. Wer sich den Plot

00:27:12: nicht rekonstruieren kann, weil man findet ihn glaube ich ja

00:27:15: kaum noch im Netz. St. Pauli wurde dann nicht Meister, weil

00:27:19: der FC St. Pauli sportlich so überlegen war,

00:27:22: sondern weil aufgrund von Umständen, die man aus der

00:27:25: Handlung dann erfährt, die anderen 17 Vereine alle

00:27:27: disqualifiziert wurden, aber sie wurden Meister.

00:27:31: Ja, und ich glaube, mit diesem kleinen, meisterlichen Blick auf

00:27:35: eine Zeit, als wir unter anderem gegen Wuppertal gespielt haben,

00:27:39: Wuppertaler SV Borussia und solche Geschichten und gegen die

00:27:43: dann auch noch nicht allzu gut ausgesehen haben. Aber gut, wir

00:27:47: haben immerhin auswärts 0:1 gewonnen, so ging die Saison

00:27:50: dann los, würde ich mich dann aus dieser Zeitkapsel dann auch

00:27:54: wieder verabschieden. Sehr schön, da kommen auf jeden Fall

00:27:58: Erinnerungen hoch.

00:28:00: Ich glaube, das erste und das einzige Foto, was es von mir im

00:28:03: Stadion gibt. Da sitze ich auf einer "Viva" und lese die "Viva". Ah

00:28:07: hervorragend. Die Kunst war immer gleich mehrere

00:28:10: mitzunehmen, damit man dann noch diesen Höhenunterschied auf den

00:28:13: alten Gegengeradenstufen damit ausgleichen konnte. Das erklärt,

00:28:17: warum wir eine Auflage von 50.000 für ein Stadion von weniger als

00:28:20: 30.000 hatten, weit weniger damals ja nur knapp über 20.000.

00:28:24: Ich erinnere mich aber auch sehr gut an diese ganze kubanisch

00:28:27: angehauchte Viva

00:28:29: St. Pauli-Kampagne, die ja schon auch, also mit Trainingslager in

00:28:32: Kuba dann ja auch noch eine Vollendung gefunden hat. Auf

00:28:35: dem so einiges passiert ist. Und wenn wir eine Rechtsabteilung

00:28:38: hätten, dann würde sie spätestens jetzt an die Tür

00:28:41: trommeln und sagen, wir sollten uns doch lieber eine andere

00:28:43: Geschichte ausdenken. Genau, ich habe es gerade schon, ich habe

00:28:47: es gerade schon klicken gehört in der Leitung. Ungewöhnlich war

00:28:50: es ja auf jeden Fall. Genau, die kubanische Nationalmannschaft

00:28:53: kam dann ja auch noch zur Eröffnung der Südtribüne, wie

00:28:55: wir uns erinnern.

00:28:57: Ich glaube, 5:1 oder wie war das nochmal damals? Das ist also

00:29:00: komplett weg. Ich weiß nur, dass ich St. Pauli gegen Trinidad &

00:29:04: Tobago gesehen habe, glaube ich kurz vor der WM 2006 am Millerntor.

00:29:08: Und wie ist das ausgegangen? Keine Ahnung, das weiß ich tatsächlich

00:29:11: auch nicht mehr. War das Teil des Fifi Wild Cups? Nee, das

00:29:15: war das, Fifi Wild Cup war was anderes, da hat glaube ich, hat

00:29:19: da nicht Tibet gewonnen oder so? Thomas! Ich hab da mal

00:29:22: rumrecherchiert weil auswendig weiß ich das dann auch nicht

00:29:25: alles.

00:29:27: Gegen Trinidad & Tobago, das Spiel 2006 wurde mit 1:2

00:29:31: verloren. Das Spiel gegen Kuba 2008 wurde glatt mit 7:0

00:29:36: gewonnen und der berühmte Fifi Wild Cup, da war Tibet zwar

00:29:40: dabei, aber war das schlechteste der sechs Teams. Gewonnen hat am Ende

00:29:44: Nordzypern gegen Sansibar. Ja wollen wir weitermachen? Ja, ich

00:29:49: würde sagen wir machen heute einfach quasi Lebenserfahrung

00:29:53: rückwärts.

00:29:56: Ich hab auf Facebook gelernt, man nennt das nicht

00:30:00: Alter, sondern man nennt das Lebenserfahrung. Okay, das war

00:30:04: die sehr komplizierte Art zu sagen, Christopher ist jetzt

00:30:08: dran. Zweitältester Sack. Da bin ich ja froh, dass

00:30:13: ich nicht der älteste bin, so dieses Stigma. Man sieht es mir

00:30:18: kaum an. Ich nenne diese Geschichte also für Podcast

00:30:22: Folge 19 "Lucian und der kalte Strahl

00:30:25: oder die ersten Verbannten von Millerntor". Ja, also im

00:30:29: Gegensatz zu Christoph habe ich jetzt keine physische

00:30:34: Vereinszeitung vor mir, aber ich widme mich der Vereinszeitung

00:30:39: des FC St. Pauli aus dem April 1951. Christopher hätte

00:30:43: tatsächlich die Vereinszeitung aus dem April 1951 auch in der

00:30:48: Hand halten können während der Aufnahme.

00:30:52: Denn die haben wir tatsächlich im Original vorliegen. Das ist

00:30:56: bei Weitem nicht bei allen der Fall. Viele haben wir auch nur

00:30:59: als Scan, immerhin, aber diese spezielle ist vorhanden und ist

00:31:03: aus dem Nachlass von Harald Stender zu uns gekommen. Wir

00:31:07: machen jetzt mal einen kleinen Ritt durch die Fußballhistorie,

00:31:10: also quasi vom Kleinen ins Große und Mini zum Makro und Ihr

00:31:14: wisst, wie es läuft.

00:31:16: Man hat es ja auch nicht leicht am Millerntor, vor allem nicht

00:31:20: in der Oberligasaison 1950/51. Im April qualifizierte sich der

00:31:24: FC St. Pauli zwar mit einem 2:0 gegen Holstein Kiel für die

00:31:27: Endrunde um die deutsche Meisterschaft 1951, doch so

00:31:30: richtig zufriedenstellend war das alles nicht. Man war

00:31:34: Erfolgreicheres gewohnt, tatsächlich andere Zeiten. So

00:31:37: stellte man also in der Vereinszeitung fest: "Schon zu

00:31:41: Beginn der nun erfolgreich überstandenen Spielserie begann

00:31:44: unsere Pechsträhne.

00:31:47: Herboldsheimer blieb trotz Vertrag in Nürnberg, Hanke

00:31:49: wurde nicht freigegeben und ging ins Ausland. Dazu dauernde

00:31:52: Ausfälle durch Krankheit und Verletzung, monatelang ohne

00:31:55: Dzur, dann fiel auch noch Hempel aus und so ging es in

00:31:58: einem Fort und noch heute müssen wir auf Stender, Woitas und

00:32:01: Schönbeck verzichten." Also Verletztensorgen und Spieler

00:32:04: sind nicht gekommen, da mal ein kurzer Einwurf, um wen geht es

00:32:07: denn da eigentlich?

00:32:09: Erstgenannter, der erwähnte Helmut Herboldsheimer vom

00:32:13: 1. FC Nürnberg war nach 1945 einer der technisch elegantesten

00:32:16: Rechtsaußen Deutschlands und bildete mit dem wohlbekannten

00:32:20: Max Morlock ein gefährliches Angriffsduo beim 1. FC

00:32:23: Nürnberg. Dies bekam auch der FC St. Pauli im Halbfinale um die

00:32:27: deutsche Meisterschaft 1948 zu spüren, als man in der

00:32:31: Verlängerung 2:3 gegen die Clubberer verlor.

00:32:34: Aber zwei Jahre später sollte Herboldsheimer dann mit seinem

00:32:37: Nürnberger Kollegen Robert, genannt Zapf, Gebhardt ans

00:32:41: Millerntor wechseln. Der Vertrag war auch schon unterschrieben,

00:32:44: doch die Legende sagt, dass Herboldsheimer bereits auf Höhe

00:32:47: von Würzburg das Heimweh plagte und er direkt wieder in den

00:32:51: gegenüberliegenden Zug stieg und zurück nach Nürnberg fuhr. Zapf

00:32:54: Gebhardt ist allerdings nach Hamburg gekommen, ist zum FC St.

00:32:58: Pauli gewechselt. Der zweite Name, der hier fiel, ist Hanke.

00:33:02: Nicht Stephan, nicht Rico, sondern Jiri. Jiri Hanke,

00:33:06: auch genannt "Der Papagei", war ein tschechischer

00:33:10: Mittelfeldspieler, der bereits als junger Mann große Erfolge

00:33:14: mit Slavia Prag feiern konnte. Am 6. Mai 1945 entschlossen sich

00:33:18: Wehrmachtsoldaten nach Aufständen der Prager

00:33:21: Bevölkerung das Vereinsheim und das Stadion von Slavia Prag in

00:33:26: Flammen zu setzen.

00:33:27: Verschiedene Prager Widerstandsgruppen und Spieler

00:33:30: von Slavia Prag verteidigten ihren Verein, bewaffnet mit

00:33:33: Maschinengewehren, unter ihnen Karel Keval und Jiri Hanke,

00:33:37: Spieler von Slavia Prag. Keval wurde einen Tag später von der

00:33:40: Wehrmacht auf offener Straße in Prag erschossen, Jiri Hanke

00:33:44: überlebte und spielte bis 1949 für Slavia Prag. Ähnlich wie Ivo

00:33:47: Knoflicek, aber 38 Jahre früher, flüchtete Jiri Hanke nun aus

00:33:51: der kommunistischen Tschechoslowakei und sollte der

00:33:53: neue Starspieler für den FC St. Pauli werden.

00:33:56: Doch aufgrund fehlender Papiere kam es nur zu einem

00:34:00: Freundschaftsspieleinsatz beim 4:3 gegen den AC Mailand für den

00:34:05: FC St. Pauli. Er bekam keine Freigabe und wechselte

00:34:10: über Kolumbien und RC Lens 1952 dann beim großen FC Barcelona,

00:34:14: wo er vier Jahre lang bleiben sollte und 2006 dann in der

00:34:19: Schweiz starb. Ein kurzer Exkurs. Wer war eigentlich

00:34:23: Hanke?

00:34:24: Aber zurück zur Vereinszeitung des FC St. Pauli vom April 1951. Ich

00:34:27: zitiere aus der Vereinszeitung: "Nun geht es in den Kampf um die

00:34:31: Deutsche Meisterschaft. Wir sind uns vollkommen klar, dass wir

00:34:34: mit den in den letzten Spielen gezeigten Leistungen keine

00:34:37: rühmliche Rolle im Konzert der Acht spielen werden, aber wir haben

00:34:40: auch nicht vergessen, dass wir in den letzten Jahren die

00:34:43: Hamburger Farben im Kampf um die Victoria am besten vertreten

00:34:46: haben und

00:34:47: das Ziel auch in diesem Jahre zu erreichen, werden wir

00:34:50: bestrebt sein. Die nächsten Wochen hat Walter Risse das

00:34:53: Wort, und wenn jeder Spieler der ersten Mannschaft seinen Weisungen

00:34:57: folgt und eisern an sich arbeitet, ist es bei der in der

00:35:00: Mannschaft herrschenden Kameradschaft durchaus möglich,

00:35:03: das Ziel zu erreichen, Deutscher Meister 1951 zu werden." Ja,

00:35:07: Walter Risse könnt Ihr gerne nachhören in der Folge 13

00:35:10: unseres Podcasts, ein Mann mit Herz.

00:35:14: Und seine Verstrickungen mit NSDAP und SA. Aber zurück zu

00:35:17: diesem Eintrag in der Vereinszeitung. Der FC St.

00:35:20: Pauli, also im Konzert der Großen des deutschen Fußballs,

00:35:23: die erwähnte Victoria war der ab 1903 verliehene Wanderpokal für

00:35:27: den Gewinner der Deutschen Meisterschaft. Etwas fragwürdig

00:35:31: mutet die Phrase an Kampf um die Victoria im Jahr 1951 denn die

00:35:34: Victoria wurde nach 1944 gar nicht mehr vergeben, die Statue

00:35:38: ging in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs verloren.

00:35:42: Vermeintlich. Sie soll einem Berliner Fußballfan in die Hände

00:35:46: gefallen sein, der sie in einem Ost- Berliner Kohlekeller versteckte,

00:35:49: wo sie 45 Jahre lang liegen geblieben sein soll. Ex-

00:35:52: Bundestrainer und Ex-FC St. Pauli-Spieler Helmut Schön,

00:35:55: übrigens mit dem Dresdner SC der letzte offizielle Gewinner der

00:35:58: Victoria, er gab 1980 in seiner Autobiografie an, er hätte 49/50

00:36:02: den Versuch unternommen, die Victoria in den Westen zu

00:36:05: schmuggeln, doch dies gelang nicht und der damalige FDJ-Chef

00:36:08: Erich Honecker drohte Schön mit weitreichenden Konsequenzen.

00:36:13: Ja, und jetzt kommt etwas in dieser Vereinszeitung, was etwas

00:36:18: für die Geschichtsbücher ist, auf mehreren Ebenen. Ich tease

00:36:22: an, es geht um Stadionverbote, es geht um die Polizei, es geht

00:36:27: um Pressefreiheit, es geht um Freibeuter auf den Rängen, ein

00:36:31: Mann namens Lucian und der Angst vor dem "kalten Strahl". Dabei

00:36:36: fing es alles so schön an, 5:0, so titelte die

00:36:40: Vereinszeitung

00:36:41: mit der ich mich hier beschäftige auf Seite 2. 5:0

00:36:45: schlug man den Hamburger Sportverein am 1.

00:36:49: April 1951. Bereits im Hinspiel gewann man gegen die Rothosen

00:36:53: mit 3:0, also High Times am Millerntor. "Der FC St. Pauli ist

00:36:58: wieder da", Ausrufezeichen in der Vereinszeitung, aber ich hatte

00:37:02: es ja schon eingangs erwähnt, man hat es nicht leicht am

00:37:06: Millerntor, es könnte alles so schön sein, wäre da nicht "Der

00:37:11: Sport".

00:37:13: Und nicht der Sport im Allgemeinen. Auch unter dem hat

00:37:16: der FC St. Pauli in 114 Jahren Bestehen oft gelitten. Aber ich

00:37:20: rede nicht von dem Fußball und nicht vom Sport im Allgemeinen,

00:37:25: sondern von der Zeitschrift "Der Sport", eine Hamburger

00:37:29: Lokalzeitung. Diese Lokalzeitung berichtete also vom 5:0-

00:37:33: Heimsieg des FC St. Pauli über den HSV in seiner Ausgabe am 9.

00:37:37: April mit dem Titel "Ein einzigartiger Skandal".

00:37:40: Was war passiert? Das Stadtderby zwischen St. Pauli und dem HSV

00:37:44: war bereits Anfang der 50er Jahre ein absoluter

00:37:47: Kassenschlager, zu diesem Zeitpunkt wollten knapp 28.500

00:37:50: Menschen dieses Spiel sehen. Aufgrund des großen Andranges

00:37:54: kam es beim Spiel am 1. April zu tumultartigen Szenen, die der

00:37:57: Verein offiziell mit folgenden Worten in der Vereinszeitung

00:38:01: beschrieb: "Wir rechneten mit einem starken Besuch und

00:38:04: versuchten daher in mehreren Verhandlungen die starke

00:38:07: Beschneidung unseres Platzes an der Tribünenseite,

00:38:10: die uns den Eingang und die Toiletten zugunsten der

00:38:13: landwirtschaftlichen Ausstellung genommen hat, auf einen

00:38:16: Zeitpunkt nach dem 1. April zu setzen, also nach dem HSV-Spiel.

00:38:19: Leider vergeblich, so dass wir uns gezwungen sahen, die 3.000

00:38:22: Tribünenbesucher durch den Haupteingang und kurz vor der

00:38:25: Tribüne durch ein sehr schmales Tor zu schleusen. Wir hatten aus

00:38:28: diesem Grund die Presse gebeten, die Sitzplatzkarteninhaber

00:38:31: aufzufordern, ihre Plätze mindestens 20 Minuten vor

00:38:34: Spielbeginn bitte einzunehmen. Gelesen habe ich diesen Hinweis

00:38:37: allerdings nur im Abendblatt",

00:38:39: gibt das Vereinsmedium zu Protokoll. "Trotzdem waren wir

00:38:43: der Ansicht, dass es nicht nötig sei, den Hamburg von einem

00:38:47: anderen Spiel bekannten kalten Strahl der Feuerwehr einsetzen

00:38:51: zu müssen." Der kalte Strahl? Was ist der kalte Strahl der

00:38:55: Feuerwehr? Vermutlich bezieht sich der Verein in der

00:38:59: Vereinszeitung auf dieses Ereignis aus dem Jahr 1948:

00:39:03: "Großkampftag im Hamburger Fußball.

00:39:06: Zum Spiel der beiden führenden Vereine in der Oberliga

00:39:09: Hamburger Sportverein gegen St. Pauli setzt eine reine

00:39:12: Völkerwanderung ein. Seit Wochen sind die Karten ausverkauft, vor

00:39:15: dem Eingang gibt es schwarze Karten zu enormen Preisen. Der

00:39:18: Platz des Hamburger Sportvereins ist viel zu klein für dieses

00:39:22: große Treffen, das Gedränge wird lebensgefährlich und so muss die

00:39:25: Polizei die anstürmende Menge mit Feuerwehrtechnik abwehren."

00:39:28: Flotte Musik.

00:39:29: Und lebensgefährliches Gedränge am Rothenbaum beim Hamburger

00:39:33: Sportverein. Was man quasi erahnen kann, aber natürlich

00:39:37: nicht sehen, weil wir sind ja ein Podcast.

00:39:40: Die Polizei rückt mit Feuerwehr an und spritzt die Fans, die die

00:39:44: Rothenbaumchaussee fluten, mit einem Strahl von der Straße weg.

00:39:48: Wobei der Wasserwerfereinsatz ja auch nicht zum Skandal wurde

00:39:52: anscheinend, sondern es gibt, also ich meine mich auch zu

00:39:56: erinnern, dass da rundrum eigentlich immer mehr kritisiert

00:39:59: wird, dass die Polizei das ja gezwungen war damit zu arbeiten

00:40:03: und dass das nicht andersrum diskutiert wurde, transportiert

00:40:07: natürlich auch ne ganze Menge Zeitgeist.

00:40:10: Ja, "der kalte Strahl musste nicht eingesetzt werden, hatten

00:40:13: wir doch über 150 in vielen Großspielen bewährte Ordner

00:40:16: eingestellt, die den Zuschauerstrom lenken sollten.

00:40:19: Leider hatten wir zwei Vorkommnisse nicht einkalkuliert, einmal,

00:40:22: dass die Polizei es nicht verhindert hat beziehungsweise

00:40:25: nicht verhindern konnte oder wollte, dass Hunderte über die

00:40:28: Einfriedung kletterten und somit Karteninhabern die Plätze nahmen.

00:40:32:

00:40:33: Und zum anderen, dass Provokateure auf der

00:40:35: Tribünenseite vor dem Spiel auf die Bänke stiegen und die Massen

00:40:39: mit Schimpftiraden und Schimpfreden auf unseren Verein

00:40:42: aufputschten und zur Disziplinlosigkeit direkt

00:40:45: aufforderten. So kam es zu den unerfreulichen

00:40:48: Begleitumständen, die niemand mehr bedauert als die

00:40:51: Vereinsleitung selbst. Hierüber soll heute hier nichts mehr

00:40:55: gesagt werden, da wir nicht in ein schwebendes Verfahren

00:40:58: eingreifen möchten." Schimpftiraden?

00:41:01: Aufgeputschte Massen? Klingt alles ziemlich aufregend. Der Verein

00:41:05: wollte sich also bedeckt halten und sagte, dass man nicht in ein

00:41:08: schwebendes Verfahren eingreifen wollte, nur um dann einen Absatz

00:41:12: später doch konkret zu werden. Ergebnis: "Der Verein hat durch

00:41:16: Vorstandsbeschluss vom 2. April gegen die Berichterstatter L. C.

00:41:19: May und den Redakteur Günther Rackow ein Platzverbot verhängt."

00:41:23: Ja, also zwei Menschen haben also Stadionverbot bekommen, ein

00:41:27: Berichterstatter, ein Redakteur, um genau zu sein.

00:41:30: Günther Rackow und L. C. May. Wer waren diese Leute? Beide waren

00:41:35: bekannte Hamburger Sportjournalisten, letzterer L. C.

00:41:38: May auch mit vollem Namen Louis Carl May war auch unter den

00:41:42: Pseudonymen "LCM" oder "Lucian" bekannt, mit denen er oft seine

00:41:47: Berichte unterschrieb. Aber was genau haben jetzt die beiden

00:41:51: denn getan, um Stadionverbot zu erhalten?

00:41:55: So schreibt es die Vereinszeitung: "Am 1. April

00:41:59: hat Herr May alias "Lucian" allem die Krone aufgesetzt. Mit der

00:42:02: Behauptung "Unfähigkeit, Gleichgültigkeit und

00:42:05: Rücksichtslosigkeit" des Vereins beziehungsweise der

00:42:08: Vereinsführung hätten die unerwünschten Zustände, die sich

00:42:11: am 1. April hauptsächlich auf der Tribünenseite abgespielt

00:42:15: haben,

00:42:15: hätten sie diese Umstände geschaffen und verbindet er

00:42:19: gleich alles mit dringenden Forderungen. Und zwar fordert er

00:42:23: nichts Geringeres, als dass der FC St. Pauli bei

00:42:26: Großkämpfen die Organisation entzogen und in fähige Hände

00:42:30: gelegt werden soll. Wahrhaftig eine Diffamierung, deren

00:42:33: Einmaligkeit Herrn May vorbehalten bleibt. Man darf uns

00:42:36: wohl einräumen, dass wir Herrn May gegenüber langmütig genug

00:42:40: gewesen sind, aber schließlich läuft einmal der größte Topf

00:42:44: über.

00:42:44: Soweit die Angelegenheit May alias Lucian", schreibt die

00:42:47: Vereinszeitung. "Herr Günther Rackow hat sich vor dem Spiel

00:42:50: bemüßigt gefühlt, auf seinen Sitzplatz zu steigen und

00:42:53: Brandreden gegen den FC zu halten. Er hat die Zuschauer

00:42:56: direkt zu Disziplinlosigkeit aufgefordert und Reden geführt,

00:42:59: die inhaltlich festgehalten worden sind. Wir wussten gar

00:43:02: nicht, dass der Volksredner Günther Rackow Propagandaleiter

00:43:05: der Gesellschaft für Hamburger Fußballwetten und gleichzeitig

00:43:08: Redakteur beim "Sport" war.

00:43:10: Das hat erst unser Ehrenvorsitzender Henry Rehder

00:43:13: herausgefunden, als er ein Wortgefecht mit Rackow führte."

00:43:16: Also Günther Rackow hat also ein Wortgefecht mit dem

00:43:20: Ehrenvorsitzenden des FC St. Pauli, Henry Rehder und dem ersten

00:43:23: Präsidenten geführt. Ja, sehr interessant, es wird noch mal

00:43:27: betont, dass man Günther Rackow nicht wegen seiner Profession

00:43:31: als Journalist

00:43:32: ein Stadionverbot gegeben hat, sondern aufgrund seiner

00:43:35: Brandreden gegen den FC. Also auch nicht wegen des Springens

00:43:39: auf den Sitz, was ja möglicherweise auch. Da hat

00:43:41: man halt noch ein Auge zugekniffen. Ja, aber man muss

00:43:44: aber schon sagen, das ist schon krass, wie niedrig die

00:43:48: Schwelle zum Stadionverbot war, also einfach mal Verein

00:43:51: kritisieren, wupps bist du weg. Da gehen wir noch mal in den

00:43:54: nächsten kleinen Exkurs, denn L. C. May ist in der Tat kein

00:43:58: Unbekannter im Hamburger Fußballsport gewesen.

00:44:01: Im Gegenteil, er spielte bereits 1912 für den SC Concordia und

00:44:05: wechselte später zum größeren SC Victoria und war dort auch auf

00:44:09: Funktionärsebene aktiv. Bereits während seiner aktiven Zeit

00:44:12: schrieb May für diverse Publikationen. Nach dem Krieg

00:44:16: schrieb May für die bereits erwähnte "Der Sport" und

00:44:19: für das renommierte Magazin "Der Kicker"

00:44:24: Im September 1920 wiederum veröffentlichte May unter dem

00:44:27: Kürzel LCM folgendes in der "Turnen, Spiel und Sport", eine der

00:44:30: wichtigsten norddeutschen Sportzeitungen: "In Deutschland

00:44:34: ist das letzte Wort gefallen. Die künftige Gestaltung des

00:44:37: deutschen Fußballsportes befindet sich in der Schwebe.

00:44:40: Berufssport ist die Vernichtung des Geistes, Berufssport ist die

00:44:44: Vernichtung des Volkssportes, Berufssport ist Schmarotzertum

00:44:48: am Staate, es steht mehr auf dem Spiel als der Gewinn einiger

00:44:52: gieriger Söhne Israels."

00:44:55: Begriffe wie "Männer reinen, gesunden Blutes" und

00:44:58: "minderwertige Volkselemente" fallen ebenfalls in diesem

00:45:01: Artikel. May alias Lucian war einer der größten Gegner bei der

00:45:05: Einführung des Berufsspielertums in Deutschland und schmückte

00:45:09: dies mit antisemitischen Erzählungen und Beleidigungen.

00:45:12: Dieser Mann schrieb also nun im April 1951 über die Tumultszenen

00:45:16: beim Stadtderby gegen den HSV, in "Der Sport" und

00:45:19: nannte es eben einen einzigartigen Skandal. Auch

00:45:22: wieder toll, dass das, was er sonst so geschrieben hat,

00:45:26: überhaupt gar keine Rolle gespielt hat dann. Nein. In seinem

00:45:30: Artikel vom 9. April stellte er dem Verein in seinem Bericht sechs

00:45:34: Fragen, die dieser doch bitte beantworten solle.

00:45:38: Diese sechs Fragen wurden dann in der Vereinszeitung wie folgt

00:45:41: beantwortet und ich zitiere wieder aus der Vereinszeitung,

00:45:44: denn dort wurden diese sechs Fragen, die in "Der Sport" am 9. April

00:45:48: publiziert wurden, aufgegriffen und einmal beantwortet. "Der

00:45:51: Sport stellte uns unter dem Artikel "Ein einzigartiger

00:45:54: Skandal" vom 9. April sechs Fragen, die wir nachstehend beantworten

00:45:58: wollen. Frage 1 lautet

00:46:00: "Wird bestritten, dass vor dem Platz und in den anliegenden

00:46:03: Straßen noch Karten verkauft wurden, obwohl der Platz

00:46:05: überfüllt und die Zugänge zu den Stehtribünen bereits geschlossen

00:46:08: waren?" Unsere Antwort: Nach Schließung des Platzes wurden an

00:46:11: unseren Kassen keine Karten mehr verkauft. Wenn in den

00:46:14: umliegenden Straßen oder vor dem Platz noch Karten verkauft

00:46:17: worden sind, entzieht sich das unserer Kenntnis. Zweite Frage:

00:46:20: "Warum wurde der Platz nicht im weiten Umkreis wie bei anderen

00:46:23: Großspielen polizeilich abgesperrt?" Unsere Antwort:

00:46:27: Am 1. April wäre wegen der Sperrung der Glacischaussee

00:46:30: eine Absperrung im weiten Umfang auch schon verkehrstechnisch

00:46:33: nicht möglich gewesen. Umso mehr, als auf dem Gelände der

00:46:36: ehemaligen Volksoper gleichzeitig auch noch Dom war."

00:46:39: Es kommt uns irgendwie auch alles manchmal ein bisschen

00:46:42: bekannt vor. "Frage 3: "Wäre nicht dadurch verhindert worden, dass

00:46:46: die Tausende ohne Karten über die Hecken kletterten und ein

00:46:49: unerträgliches Gedränge auf den Rängen hervorriefen?" Ja, das

00:46:52: wäre verhindert worden, unsere Antwort eben,

00:46:55: aber aus der zu 2 genannten Antwort nicht mehr möglich

00:46:59: gewesen. Frage 4: "Weshalb gab es auf dem Platz keine

00:47:03: Ordnungspolizei, die das Eindringen der Massen auf das

00:47:07: Spielfeld verhindern konnte?" Unsere Antwort: Auf dem Platz war

00:47:11: Polizei anwesend, aber auch die Polizei war nach eigener Aussage

00:47:16: machtlos." Frage 5 ist meine Lieblingsfrage, denn sie ist

00:47:20: quasi ein Vorshadowing auf 40 Jahre danach.

00:47:24: "Warum wurden vom FC St. Pauli keine Versuche unternommen, die

00:47:29: Sitzplatztribüne vor dem Ansturm von Freibeutern zu sichern?"

00:47:34: Unsere Antwort: Frage 5 ist mit Frage 4 bereits beantwortet." Das

00:47:39: ist immer das beste. "Letzte Frage von "Der Sport": "Ist vom FC St.

00:47:43: Pauli nicht bemerkt worden, dass zahlreiche Frauen bewusstlos aus

00:47:48: dem Gedränge fortgeschafft wurden?"

00:47:51: Antwort: Ja, leider eine Erscheinung, die auch bei

00:47:54: anderen Großveranstaltungen vorkommt und sehr bedauerlich

00:47:58: ist." Ende der Antwort, der Verein gibt weiter an in der

00:48:01: Vereinszeitung: ""Der Sport" zieht in seinem Artikel einen Brief,

00:48:05: den der FC ihm geschrieben hat, an und erklärt, die vollständige

00:48:09: Wiedergabe des Briefes verböte sich aus Gründen der

00:48:12: Selbstachtung.

00:48:14: Wir sind der Meinung, wenn ein Satz des Briefes zitiert wird,

00:48:18: kann man auch den ganzen Brief veröffentlichen, wieso darunter

00:48:21: die Selbstachtung leiden soll, ist uns nicht ganz verständlich."

00:48:25: Ja, also der FC St. Pauli gegen "Der Sport".

00:48:30: In der Hamburger Presse schlug übrigens auch das

00:48:32: Platzverbot für Rackow und May große Wellen. Sogar so große

00:48:36: Wellen, dass sich FDP-Politiker Dr. Alfred Frankenfeld,

00:48:39: Vorsitzender der Berufsvereinigung der Hamburger

00:48:41: Journalisten und später Vorsitzender des Deutschen

00:48:44: Presserats und Träger des Bundesverdienstkreuzes,

00:48:47: veranlasst sei, ein Artikel mit der Überschrift

00:48:49: "Meinungsfreiheit!" zu publizieren, indem er den Verein

00:48:52: bat, seine Handlung noch einmal zu überdenken.

00:48:55: Doch der FC St. Pauli blieb seinen Prinzipien treu. Man

00:48:58: hätte ein gutes Verhältnis zur Hamburger Sportpresse, doch die

00:49:01: Herren May und Rackow sind nicht länger erwünscht. Und so schloss

00:49:05: der Artikel in der Vereinszeitung mit: "Anpöbeleien

00:49:08: ihrer Zeitung sind wir nachgerade gewöhnt und nehmen

00:49:10: sie daher auch nicht tragisch. Den Herrn Lucian möchten wir

00:49:14: künftig auf unserem Platze nicht mehr sehen, wir bitten Sie, uns

00:49:17: den für diesen Herrn ausgestellten Presseausweis

00:49:20: umgehend zurückzusenden. Hochachtungsvoll, der FC St.

00:49:23: Pauli von 1910 e.V."

00:49:25: Hausrecht! Hausrecht. Da wurde mit eisernem Besen gekehrt. Die

00:49:31: ersten Platzverbote am Millerntor.

00:49:35: Ich fände es auch sehr interessant, wenn der FC St.

00:49:38: Pauli heute noch auf alle an ihn gerichteten Fragen dann also

00:49:42: ausführlich schriftlich dann antworten würde in einem

00:49:45: gedruckten Organ, was von allen zugänglich ist. Das könnte sehr

00:49:49: interessant werden. Frage 4 ist mit Frage 2 direkt beantwortet.

00:49:52: Genau das finde ich auch, das kann man direkt durchreichen

00:49:55: ans Social Media Team des FCSP. Das ist mit der vorigen

00:49:59: Antwort bereits hinreichend beantwortet, sehr gut. So

00:50:02: Stadionverbote für

00:50:03: irgendwas mit Bild und Zeitung und Sport vielleicht. Ja. Ja, da

00:50:08: kann man ja auch noch mal neu denken. Ja, ich habe mir auch

00:50:12: eine Vereinszeitung angeguckt, surprise. Am 31 Juli 2023 lag ich

00:50:17: mit meiner Freundin Kim in Dänemark am Strand und wollte

00:50:21: eigentlich keine Arbeitsnachrichten lesen, als

00:50:24: eine Meldung in unserem Recherche-Chat aufgeploppt ist.

00:50:28: Und ich zitiere an dieser Stelle Thomas.

00:50:32: Er fehlt uns so. "Die Haustechnik hat in irgendeiner Stadionecke zwei

00:50:36: verdreckte Kisten mit Wimpeln und anderem Zeug gefunden und

00:50:39: das Rainer übergeben. Der hat das gereinigt und sortiert,

00:50:42: gehört offensichtlich der Rugby- Abteilung. Und ganz nebenbei

00:50:45: erzählt er mir vorhin, da sind auch alte Vereinszeitungen drin."

00:50:49: Wer diesen Podcast schon etwas länger hört, weiß, unser Archiv

00:50:52: hat größere Lücken. Was nicht unsere Schuld ist, sondern

00:50:55: einfach daran liegt, dass der FC St. Pauli sehr, sehr lange

00:50:59: überhaupt kein Archiv hatte und das

00:51:01: erst mit Gründung des Museumsvereins eingerichtet

00:51:04: wurde, und das ist ja gerade mal ein bisschen mehr als zehn Jahre

00:51:08: her. Also fehlen uns große Mengen an Vereinszeitungen aus

00:51:11: den 20er-, 30er- und 40er-Jahren, und deswegen ist es immer

00:51:14: besonders aufregend, wenn dann solche Schätze auftauchen, und

00:51:18: Thomas hat dann diese ganzen Vereinszeitungen an sich

00:51:21: genommen, hat die direkt digitalisiert, so dass ich sie

00:51:24: dann auch in Dänemark am Strand direkt lesen konnte.

00:51:27: Und war ganz begeistert, dass da unter anderem auch eine

00:51:31: Vereinszeitung von 1946 drin war, nämlich die allererste

00:51:35: Vereinszeitung des FC St. Pauli nach Ende des Zweiten

00:51:39: Weltkriegs. Genau, also nach Ende des Zweiten Weltkriegs liegt

00:51:43: die Entnazifizierung Hamburgs in den Händen der Briten, Hamburg

00:51:47: war ja britische Besatzungszone, und

00:51:50: die Sportvereine, die dem Nationalsozialistischen

00:51:53: Reichsbund für Leibesübungen unterstellt waren, galten als

00:51:56: Teil der NSDAP-Gliederung. Deswegen war ihnen im Sommer

00:52:00: 1945 zunächst die Tätigkeit untersagt worden, also jegliche

00:52:03: Tätigkeit. Und als Bedingung für die Wiederaufnahme dieser

00:52:06: Tätigkeiten beziehungsweise des Spielbetriebs wird dann die

00:52:09: Entnazifizierung der Vorstände vorausgesetzt, beziehungsweise

00:52:13: festgelegt. Der genaue Passus lautet

00:52:15: "Der erste und der zweite Vorsitzende des Vereins dürfen

00:52:19: der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen niemals angehört

00:52:23: haben." Deshalb muss auch Wilhelm Koch, Präsident des FC St. Pauli

00:52:28: und seit 1937 Mitglied der NSDAP, zurücktreten. Er legt

00:52:32: sein Amt am 19. Oktober 1945 nieder und am 20. Oktober

00:52:36: übernimmt Hans Friedrichsen seine Nachfolge.

00:52:40: Friedrichsen war niemals Mitglied der NSDAP und laut

00:52:43: eigener Aussage immer ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen.

00:52:47: Er habe nur mit großer Mühe der Einlieferung in ein

00:52:50: Konzentrationslager entgehen können, außerdem habe er einen

00:52:53: Juden in seinem Haus versteckt. Ob das wirklich stimmt, lässt

00:52:57: sich jetzt im Nachhinein nicht mehr so richtig nachvollziehen.

00:53:00: Ich finde das auch immer... Er ist nicht

00:53:04: das einzige Vereinsmitglied des FC St. Pauli, was im Nachhinein

00:53:08: angegeben hat,

00:53:09: einen Juden bei sich versteckt zu haben, die nennen aber

00:53:13: komischerweise nie Namen. Also das sind immer so namenlose

00:53:16: Juden, und ich habe immer das Gefühl, wenn alle Deutschen, die

00:53:20: nach Kriegsende behauptet haben, sie hätten Jüdinnen*Juden bei

00:53:24: sich zu Hause versteckt, dann hätte es die Shoah wahrscheinlich

00:53:28: nie gegeben, zumindest nicht an den deutschen Juden. Aber wie

00:53:31: gesagt, es lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Er war definitiv

00:53:35: nicht in der NSDAP, das ist belegt, und er hat dann eben

00:53:38: diese

00:53:39: Präsidentschaft übernommen, als Wilhelm Koch sie nicht mehr inne

00:53:43: haben durfte. Und er war dann eben auch Präsident, als diese

00:53:47: erste Vereinszeitung des FC St. Pauli nach Kriegsende erschien

00:53:51: und von ihm stammt auch der Leitartikel, den ich im

00:53:54: Nachfolgenden vorlesen und ein bisschen mit Euch zusammen

00:53:58: kontextualisieren möchte. "Hamburg im Juni 1946. ...und neues Leben

00:54:02: blüht aus den Ruinen.

00:54:04: Endlich ist es uns möglich, unseren Mitgliedern und Freunden

00:54:08: nach langer, zwangsläufiger Unterbrechung die so sehr

00:54:11: entbehrte Vereinszeitung wieder zuzustellen, wenn auch vorerst

00:54:14: nur in einer Auflage von 500 Exemplaren und einer Stärke von

00:54:18: vier Seiten. Wir möchten nicht verfehlen, der britischen

00:54:21: Militärregierung unseren Dank zum Ausdruck zu bringen, dass

00:54:24: sie uns die Genehmigung hierzu erteilt hat, trotz der immer

00:54:28: noch akuten Papierknappheit." Das ist der erste Absatz.

00:54:32: Wir wissen gar nicht so richtig, wie lang diese zwangsläufige

00:54:36: Unterbrechung tatsächlich war. Die letzte Vereinszeitung des FC

00:54:40: St. Pauli vor 1945, die wir in unserem Archiv haben, ist von

00:54:43: Dezember 1938. Wie gesagt, das heißt nicht, dass zwischen 1939

00:54:47: und 1946 keine erschienen ist. Unser Archiv ist da einfach nicht

00:54:50: vollständig, wie eingangs erwähnt.

00:54:55: Aus einem Rückblick von 1949 wissen wir, dass die

00:54:57: Vereinszeitung zumindest im Jahr 1939 noch vierteljährlich und in

00:55:01: einer Auflage von 400 Stück erschienen ist. Während der

00:55:05: Kriegsjahre schickte der Verein seinen eingezogenen Mitgliedern

00:55:08: regelmäßig eine Feldpost an die Front, die einzige uns bekannte

00:55:12: erhaltene Ausgabe, die Nummer 37, wurde im November 1944 auf

00:55:16: dünnem Notpapier gedruckt. Das hat man ja ganz oft bei

00:55:19: Papierdokumenten aus der Zeit, dass die auf so einem

00:55:22: Sparpapier, so was ganz

00:55:25: Brüchiges, gedruckt sind, was wahrscheinlich auch dazu führt,

00:55:28: dass nicht mehr so viele erhalten sind. Die Idee oder

00:55:31: vielmehr der Befehl für diese Feldpost kam von ganz oben. Im

00:55:35: November 1939 forderte der Nationalsozialistische

00:55:38: Reichsbund für Leibesübungen, also die Dachorganisationen

00:55:41: quasi, alle Vereine ganz offiziell dazu auf, eigene

00:55:44: Feldpostbriefe herauszugeben und diese den Mitgliedern an die

00:55:48: Front zuschicken.

00:55:49: Es kann natürlich sein, dass die Feldpost, die natürlich auch

00:55:53: Spielberichte und Neuigkeiten aus dem Vereinsleben enthielt,

00:55:56: irgendwann nach 1939 die reguläre Vereinszeitung

00:55:59: ersetzte, dass man quasi in so ne Art Kriegsmodus umgeschaltet

00:56:02: hat. Es waren zeitweise immerhin ja mehr als 200

00:56:05: Vereinsmitglieder im Krieg, das ist relativ viel, wenn man so

00:56:09: von 550 Mitgliedern waren es damals glaub ich ausgeht.

00:56:13: Wenn man davon ausgeht, dass diese Feldpost des FC St. Pauli

00:56:16: monatlich erschienen ist und rückwärts rechnet, würde man

00:56:19: ungefähr auf 1941 kommen, also als Startdatum. Das ist aber

00:56:22: natürlich nur Spekulation, weil eventuell wurde sie auch

00:56:25: unregelmäßig publiziert oder auch vierteljährlich, wir wissen

00:56:28: es halt einfach nicht genau, weil wir nur diese eine Ausgabe

00:56:31: haben, Nummer 37. Wenn Ihr also jetzt Weihnachten nach Hause

00:56:34: fahrt, Euch mit euren Großeltern unterhaltet, die zufällig

00:56:37: Mitglied im FC St. Pauli waren, in den 40er Jahren.

00:56:42: Fragt sie doch mal, ob sie zufällig noch so Vereinszeitungen

00:56:46: aus der Zeit rumliegen haben oder wenn Ihr

00:56:50: sowas mal auf dem Flohmarkt findet, dürft Ihr auch gerne an

00:56:54: uns denken. Der Hinweis sei mir erlaubt, einmal pro

00:56:57: Podcastfolge. Das ist extrem wertvoll.

00:57:02: Fest steht jedenfalls, dass Papiermangel während des Zweiten

00:57:05: Weltkriegs ein großes Problem war und spätestens 1943 wurden

00:57:08: viele Druckprodukte auch zwangsweise eingestellt, die

00:57:11: Feldpostbriefe aber nicht. Das spricht dafür, dass diese Brücke

00:57:15: zwischen Heimat und Front den NS- Sportfunktionären offenbar sehr

00:57:18: wichtig war, sollte

00:57:21: motivierend wirken auf beide Seiten. So, weiter im Text: "Was

00:57:24: ist nun alles geschehen, seitdem unser Vereinsblatt zum Schweigen

00:57:28: gezwungen war?

00:57:29: Wegen Raummangels haben wir leider nicht die Möglichkeit so

00:57:32: eingehend zu berichten, wie wir es gerne möchten. Wir meinen

00:57:35: auch, dass wir gelegentlich unserer ersten

00:57:37: Mitgliederversammlung nach Kriegsschluss im Februar 1946

00:57:40: einen recht ausführlichen Bericht über alles Wissenswerte

00:57:43: erstattet haben und da diese Versammlung erfreulicherweise

00:57:46: eine der am stärksten besuchten war, die wir in unserer

00:57:49: Vereinsgeschichte aufzuweisen haben, wird ja auch die Mehrzahl

00:57:52: unserer Mitglieder die Berichterstattung persönlich

00:57:54: erlebt haben." Sowas lesen Historiker*innen immer wahnsinnig

00:57:57: gerne.

00:57:59: Wo ist das Protokoll? Wir wissen es nicht, aber naja. "Eines

00:58:02: möchten wir an dieser Stelle noch zusätzlich hervorheben und

00:58:05: das ist die uns alle erfreuende Tatsache, dass der FC in der

00:58:09: begonnenen neuen Sportepoche eine Spitzenstellung im Kreise

00:58:12: der Fußballvereine bezogen hat wie noch niemals seit seinem

00:58:16: Bestehen." Tatsächlich ist der FC St. Pauli in der unmittelbaren

00:58:19: Nachkriegszeit sportlich extrem erfolgreich, da haben wir ja in

00:58:23: diesem Podcast auch schon ein paar Mal drüber geredet.

00:58:26: Was die Vereinszeitung an dieser Stelle verschweigt, das lag

00:58:29: natürlich vor allem an der Fleischerei von Karl Millers

00:58:32: Vater in der Wexstraße und Millers Kontakten aus

00:58:35: Kriegszeiten. Mit den Fleischvorräten seines Vaters

00:58:38: lockte Miller damals Spitzenfußballer wie Heinz

00:58:40: Hempel, Heinz Köpping und Walter Dzur von Dresden nach Hamburg, da

00:58:43: hat Christopher eben auch schon ein bisschen was drüber erzählt

00:58:47: über die Ausläufer dieser sogenannten Wunderelf. Helmut

00:58:49: Schön zum Beispiel. Ja, aber nur ganz kurz. Wo ist der eigentlich?

00:58:53: Thomas?

00:58:55: In der britischen Besatzungszone hatte Hamburg schon im Januar

00:58:58: 1946 als erstes Gebiet überhaupt wieder einen geregelten

00:59:01: Punktbetrieb eingeführt. In der neuen Stadtliga Hamburg spielten

00:59:05: 13 Mannschaften zunächst eine einfache Punktrunde ohne

00:59:08: Rückspiele aus, zur Saison 1946/47 gab es dann wieder Hin- und

00:59:11: Rückspiele nach gewohntem Muster und der FC St. Pauli wurde mit

00:59:15: seiner Wunderelf prompt Hamburger Meister, aber das weiß

00:59:18: Hans Friedrichsen natürlich im Juni 1946 noch nicht.

00:59:22: "Wir sind von den Auswirkungen des unseligen Krieges so hart

00:59:26: wie wohl nur wenige Sportgemeinschaften Hamburgs

00:59:28: betroffen worden, sei es durch Verlust teurer Menschenleben,

00:59:32: darunter wertvollste und hoffnungsvollste Spieler, sei es

00:59:35: durch die völlige Vernichtung unseres Sportplatzes am Millerntor.

00:59:38: So standen wir am Anfang der neuen Sportepoche vor fast

00:59:41: unlösbaren Aufgaben. Wir waren zu jenem Zeitpunkt gewissermaßen

00:59:45: nur noch ein Trümmerhaufen unseres Vorkriegsgefüges,

00:59:48: besonders natürlich hinsichtlich unseres völlig zerstörten

00:59:51: Sportplatzes.

00:59:52: Und heute? In allen Abteilungen wird unermüdlich, ja mit

00:59:55: wachsendem Willen am Wiederaufbau gearbeitet, und

00:59:58: zwar mit erfreulichem Erfolg. Aus den Trümmern unseres

01:00:01: Sportplatzes am Millerntor aber wird eine Sportanlage wieder

01:00:04: aufgerichtet, die, wenn uns unser Vorhaben gelingt,

01:00:08: nicht nur unsere FCer mit stolzer Freude erfüllen, sondern

01:00:11: darüber hinaus auch einen wertvollen Beitrag für das

01:00:14: sportliche Ansehen unserer Vaterstadt Hamburg leisten wird."

01:00:20: Hans Friedrichsen, auch ein König der Bandwurmsätze.

01:00:23: Präsidial. Es ist vermutlich kein Zufall, dass Friedrichsen

01:00:26: hier noch einmal die Vorteile betont, die das neue Stadion für

01:00:30: das Image der Stadt Hamburg haben wird.

01:00:33: Vor 1945 war der FC St. Pauli nämlich immer wieder mit seinen

01:00:36: Bauplänen für ein größeres Stadion am Bauamt gescheitert.

01:00:39: Jetzt nutzte man die Wirren der Nachkriegszeit, um einfach

01:00:43: Tatsachen zu schaffen. Die Mitglieder errichteten in

01:00:45: Handarbeit, ein Stadion für 30.000 Zuschauer*innen mit

01:00:48: 17stufiger Stehtraverse und Tribüne. Die Bauarbeiten hatten

01:00:52: bereits im Herbst 1945 begonnen. Das muss man sich mal

01:00:55: vorstellen, dass das Stadion nach 1945 mehr Kapazität hatte als

01:00:58: unser Stadion heute.

01:01:01: Ja, da wurden die Leute aber auch wirklich eng gepackt und

01:01:04: standen ja quasi bis an die Außenlinie. Also von den

01:01:07: Mitgliedern selbst gebaut und auch so schön an allen

01:01:10: Sicherheitsstandards vorbei. Ich glaube, es gab auch keine

01:01:14: Wellenbrecher und diese 17 Stufen waren so hoch quasi,

01:01:17: also viel höher als man heute Steh-

01:01:21: Tribünen baut, die waren so hoch quasi, dass du da richtig

01:01:24: runterfallen konntest. Und wenn dann von hinten jemand gedrückt

01:01:28: hat und keine Wellenbrecher, dann

01:01:31: ist der Platzsturm quasi aus Versehen und im Fallen passiert?

01:01:34: Ich glaube, da gab es auch unschöne Zwischenfälle. Dann

01:01:37: gibt es den kalten Strahl. Dann gab es den kalten Strahl

01:01:40: vielleicht. Und im Juni 1946 zu dem Zeitpunkt, wo diese

01:01:43: Vereinszeitung erschienen ist, befanden sich Verein und

01:01:46: Stadtverwaltung auch gerade mal wieder im Clinch, weil die St.

01:01:49: Paulianer*innen ohne Genehmigung mehrere Behelfsbauten auf dem

01:01:52: Heiligengeistfeld abgerissen hatten, um Platz für die neue

01:01:56: Spielstätte zu schaffen.

01:01:59: Von den Hamburger Sportplätzen der Vorkriegszeit war 1945 nur

01:02:01: noch ein Drittel nutzbar. Viele Plätze waren zerstört, einige

01:02:04: wurden auch von der Militärregierung beschlagnahmt.

01:02:07: Ob der FC St. Pauli jetzt also wirklich besonders hart

01:02:09: getroffen wurde im Vergleich zu anderen Vereinen, da könnte man

01:02:12: jetzt so ein bisschen drüber diskutieren, aber Hans

01:02:15: Friedrichen schreibt das so. Nach Auswertung der vorhandenen

01:02:18: Quellen können wir außerdem davon ausgehen, dass mindestens

01:02:20: 50 Mitglieder des FC St. Pauli im Zweiten Weltkrieg gefallen

01:02:23: sind.

01:02:24: Das wäre gemessen am Vorkriegsmitgliederstand

01:02:27: ungefähr jedes 11. Mitglied. Umso wichtiger war Hans

01:02:30: Friedrichsen der Fokus auf den Nachwuchs.

01:02:35: "Unser besonderes Augenmerk gehört aber wie stets bei

01:02:37: uns der Jugend. Wir wollen mit all unserer Kraft und Hingabe

01:02:41: uns dafür einsetzen, dass sie vorerst von der Straße

01:02:43: verschwindet und wieder von uns so betreut wird, wie wir es

01:02:46: erfolgreich vor dem Hitlerjugendtum getan haben.

01:02:49: Endlich ist es vorbei mit der Schablonisierung und Drillierung

01:02:52: durch die zerstörenden Kräfte der Hitlerjugendführung. Die

01:02:55: Jugend untersteht in erster Linie endlich wieder der

01:02:58: individuellen Erziehung durch das Elternhaus.

01:03:01: Wir selbst aber wollen Hand in Hand mit den Eltern und der

01:03:04: Schule in ehrlichster, selbstlosester Hingabe bestrebt

01:03:07: sein, die Jugend nach wahrhaftig demokratischen Grundsätzen ohne

01:03:11: politische Vergiftung zu betreuen, sie sportlich zu

01:03:14: ertüchtigen mit dem Ziel, saubere, brave und gesunde

01:03:17: Menschen aus ihr zu machen." Um die politische Erziehung in den

01:03:21: Sportvereinen zu steuern, hatte die NSDAP die Jugendteilungen

01:03:24: der Sportvereine der Hitlerjugend unterstellt.

01:03:28: Schon bevor die Mitgliedschaft in der HJ 1937 für alle

01:03:31: Minderjährigen zur Pflicht wurde, mussten Jugendspieler

01:03:34: regelmäßig an den sogenannten Heimabenden der HJ teilnehmen,

01:03:37: um für ihr Team überhaupt antreten zu dürfen. Da hat man

01:03:40: dann so Stempel in ein Heft bekommen und das wurde dann

01:03:43: immer kontrolliert quasi bevor man dann spielen durfte. Beim FC

01:03:47: St. Pauli wurde 1937 ein Mann namens Walter Koehler zum

01:03:50: Jugendleiter ernannt, Vereinsmitglied seit 1930, SA-

01:03:53: Mitglied seit 1932.

01:03:54: Koehler zeigte sich auch gern in seiner SA-Uniform am Spielfeldrand

01:03:58: mit Dienstdolch am Gürtel. Außerdem beschwerte er sich

01:04:02: laufend über die schlechte Zusammenarbeit des FC St.

01:04:05: Pauli mit der HJ und steckte dann auch Vereinsinterna an die

01:04:09: "Gau-Nachrichten" durch, um den Verein zu diskreditieren.

01:04:13:

01:04:16: Im März 1939 wird er deshalb von Wilhelm Koch abgesetzt, nur

01:04:20: um im Herbst 1939 erneut zum Jugendleiter ernannt zu werden.

01:04:24: Und als er 1940 zum Militärdienst eingezogen wird,

01:04:27: übernimmt Koch das Amt dann einfach selbst. Nach Kriegsende

01:04:31: ist Koehler nicht mehr für den FC St. Pauli aktiv. Trotzdem findet

01:04:35: sich sein Name in der Chronik zum 50-jährigen Jubiläum von

01:04:38: 1960 auf der Ehrentafel des Vereins. Der Hamburger

01:04:41: Fußballverband verleiht ihm in den Siebzigern sogar noch die

01:04:45: goldene Ehrennadel für sein Engagement im Betriebssport.

01:04:48: Laut Günter Peine war Koehler "der fanatischste Nazi im Verein",

01:04:52: also bezogen auf den FC St. Pauli.

01:04:56: Ja, der ist auch in der "Lebenswege"-Ausstellung, die

01:05:00: wir vom FC St. Pauli-Museum gemacht haben, drin. Könnt Ihr

01:05:04: auch online eine Version von sehen, die ja früher "Fußball in

01:05:09: Trümmern" hieß, unter fcstpauli-drittes-reich.de, das

01:05:13: natürlich bewusst mit Anführungszeichen zu denken,

01:05:17: dieser Begriff. Genau, und Hans Friedrichsen schließt dann

01:05:21: diesen Artikel mit den Worten:

01:05:24: "Und neues Leben blüht aus den Ruinen. Wir sind zwar nur ein

01:05:28: Baustein auf diesem langen, dornenvollen Wege, aber wir

01:05:31: wollen zu unserem Teil, soweit es menschlicher Kraft überhaupt

01:05:34: nur möglich ist, mitarbeiten und mithelfen am Wiederaufbau des

01:05:38: deutschen Sportes in seiner Gesamtheit. Wie von jeher wird

01:05:41: er hoffentlich in baldiger Zukunft auch diesmal wieder die

01:05:45: erste Etappe bilden auf dem Weg zur Versöhnung aller Völker

01:05:48: durch friedlichen Wettstreit in der sportlichen Arena.

01:05:52: Dabei sollte uns die olympische Idee stets als leuchtendes Fanal

01:05:56: voranschweben. Möge unser Vereinsblatt nach seinem

01:06:00: heutigen ersten Erscheinen auch in Zukunft recht schöne Erfolge

01:06:04: auf unserem weiten Wege zum Wiederaufbau melden können." Ich

01:06:08: finde es sehr spannend, dass er ausgerechnet diese olympische

01:06:12: Idee wählt, nachdem die 1936 durch die Nazis so komplett

01:06:16: instrumentalisiert wurde. Bereits im Januar 1948

01:06:20: hat der Hamburger Senat die Entnazifizierung in Hamburg für

01:06:24: abgeschlossen erklärt und danach sind sehr viele Entlassene in

01:06:29: ihre ursprünglichen Positionen zurückgekehrt. Auch 1948 ist

01:06:33: Wilhelm Koch wieder Präsident des FC St. Pauli geworden. Das

01:06:37: kann ja nur ein Zufall sein. Es ist so, dass wie gesagt, die

01:06:42: Quellenlage unglaublich dünn ist, was diese Zeit betrifft

01:06:46: rund um den FC St. Pauli.

01:06:48: Die wenigen Autoren und Historiker*innen, die sich diesem

01:06:51: Thema angenommen haben, haben also mit einer sehr mageren

01:06:55: Quellenlage gearbeitet und haben trotzdem einen unglaublich guten Job

01:06:59: gemacht finde ich. Zum Beispiel Gregor Backes hat ja ein Buch

01:07:03: geschrieben, was jedem sehr zu empfehlen ist, der sich für

01:07:06: dieses Thema interessiert hat.

01:07:09: Und es gibt die Ausstellung, über die Christoph eben schon

01:07:12: mal gesprochen hat. Und es ist aber einfach so, dass, weil

01:07:15: diese Faktenlage so unglaublich dünn ist, das einfach immer

01:07:19: wieder so was extrem besonderes ist, wenn dann was Neues

01:07:22: auftaucht. Das ist halt wirklich ein Schatz, der einem

01:07:25: einfach einen ganzen Kosmos an neuen Informationen erschließt,

01:07:28: im besten Fall. Und ich wollte einfach mal quasi so eine

01:07:31: Quelle exemplarisch vorstellen, so ein bisschen zeigen, was man

01:07:35:

01:07:35: daraus dann für Informationen filtern kann und wie man das

01:07:39: aber auch kontextualisieren muss und welche Informationen auch

01:07:43: quasi sich nicht ergeben. Zum Beispiel wenn man nur

01:07:47: Nummer 37 von offensichtlich mindestens 37 Veröffentlichungen

01:07:51: hat. Außerdem ist das halt einfach so ein Dokument,

01:07:55: was so unglaublich exemplarisch für eine bestimmte Zeit

01:07:59: steht und auch für den Versuch, sich einem neuen Zeitgeist

01:08:02: anzupassen. Also was der FC St. Pauli im

01:08:05: Nationalsozialismus ja auch gemacht hat, also jetzt weder

01:08:08: besonders in die Opposition gegangen ist, noch das Gegenteil,

01:08:11: einfach ein kompletter Mitläuferverein, weil er immer im

01:08:14: Prinzip priorisiert hat, sportlich zu funktionieren und

01:08:17: den Sportbetrieb aufrecht zu halten. Wenn man einfach sieht,

01:08:20: wie das nahtlos weitergeht,, also mit dem Regimewechsel quasi

01:08:24: mit dem Ende des NS-Regimes

01:08:26: einfach dieser Sprachgebrauch auch sofort

01:08:29: übernommen wird. Also diese ganzen Buzzwords, die im Prinzip

01:08:33: den Briten wichtig waren quasi, damit man wieder

01:08:37: als Sportverein wirken durfte, einfach so direkt übernommen.

01:08:41: Also so alles reingequetscht von Demokratie über Ablehnung des

01:08:46: NS-Vokabulars und so. Ja deswegen fand ich das einfach

01:08:50: eine sehr interessante Quelle. Absolut.

01:08:54: Was so ein Nebeneffekt, auch von der Vereinszeitung ist, ist,

01:08:58: dass damit auch eins der zumindest im Historiker*innenkreis des FC

01:09:03: St. Pauli lange ein Rätsel war, ob Hans Friedrichsen überhaupt

01:09:07: jemals Präsident war, ob es nicht nur Max Pestorf war. Wie

01:09:12: war das, man hat da ja sehr lange gesucht, es gab wenig

01:09:16: Informationen, und durch diese

01:09:18: Vereinszeitung wird eben klar, dass Hans Friedrichsen der

01:09:22: erste Präsident des FC St. Pauli nach dem Krieg war. Und

01:09:26: dann glaube ich kurz danach von Max Pestorf ab abgelöst wurde

01:09:29: und dann bis eben Wilhelm Koch dann

01:09:32: wieder sein altes Amt übernommen hat. Wobei ja

01:09:36: Hans Friedrichsen ja schon vor dem

01:09:40: Krieg tatsächlich gegen Wilhelm Koch angetreten war in einer

01:09:43: Präsidiumswahl und Wilhelm Koch in einer Kampfabstimmung

01:09:46: gegen ihn gewonnen hat, nicht zuletzt deswegen, weil

01:09:50: jemand aufstand, der Stürmer beim FC St. Pauli war und eine

01:09:53: flammende Rede pro Koch gehalten hat.

01:09:56: Und dieser jemand war Otto Wolff, der ranghöchste Nazi, der im FC

01:10:00: St. Pauli zu finden war und einer der ranghöchsten Nazis in

01:10:04: Hamburg überhaupt. Genau, dazu kann man auch noch sagen, dass

01:10:08: Hans Friedrichsen quasi aus dem, wie du es mal

01:10:11: gesagt hast, aus dem St. Pauli- Fußballadel kommt, denn schon

01:10:15: sein Vater, genannt Papa Friedrichsen, war einer der

01:10:19: ersten Betreuer der Fußballer am Millerntor und

01:10:22: Hans und sein Bruder Charles waren beide beinharte

01:10:27: Innenverteidiger beim St. Pauli Turnverein. Genau. Als kleine

01:10:32: Ergänzung noch: In der Vereinszeitung vom Juni 1946

01:10:37: ist unter anderem neben diesem Text von Hans Friedrichsen, den

01:10:42: Celina vorgelesen hat, auch eine Liste der aktuellen Funktionäre

01:10:48: des Vereins

01:10:50: vorhanden inklusive Adressen und Telefonnummern. Also Datenschutz

01:10:53: war damals noch nicht so angesagt. Eben wie wir schon

01:10:56: gehört haben, erster Vorsitzender Hans Friedrichsen,

01:10:59: zweiter Vorsitzender Max Pestorf, der dann ihn später

01:11:02: auch noch mal abgelöst hat und weitere Funktionäre sind da

01:11:05: genannt und unter anderem interessanterweise auch als

01:11:08: einer der Obleute des Liga- Ausschusses Willi Koch.

01:11:12: Also sprich, Wilhelm Koch ist nicht nur weiterhin im

01:11:16: Hintergrund tätig, was wir alle immer schon angenommen haben und

01:11:20: uns gedacht haben, sondern er ist tatsächlich auch, abgedruckt

01:11:24: in der Vereinszeitung, hat er ein Amt, wenn auch nicht mehr das

01:11:29: des Vorsitzenden, also das war dann doch offensichtlich möglich

01:11:33: im Sommer 1946. Ja, dann bleibt uns eigentlich nichts mehr zu

01:11:37: sagen, außer ich hoffe, Ihr hattet

01:11:40: Spaß beim Zuhören unserer Folge, der vielleicht letzten Folge im

01:11:45: Jahr 2024. Durchforstet eure Dachböden, bringt uns, was Ihr

01:11:48: dort findet, wenn es was mit dem FC St. Pauli zu tun hat und sehr

01:11:53: gerne die fehlenden Stadionzeitungen. Immer gerne.

01:11:56: Das wäre das schönste Weihnachtsgeschenk, was Ihr uns

01:11:59: machen könntet. Genau, wenn wir uns das wünschen dürften, dann

01:12:03:

01:12:04: dieses und was wir uns natürlich noch wünschen, sind drei Punkte

01:12:07: gegen Holstein Kiel. Ihr werdet schlauer sein als wir in diesem

01:12:10: Moment, denn wir sind ja nicht live, sondern zeichnen auf, also

01:12:14: werdet Ihr dieses Ergebnis bereits kennen, wenn wir hier

01:12:17: reden und es ist komplett obsolet, was ich eigentlich

01:12:20: erzähle. Die Postkarte von Harry Wunstorf geht raus an unseren

01:12:23: Hörer Pascal. Viele Grüße noch mal, vielen Dank. Wenn Ihr selber

01:12:27: auch Themenvorschläge habt, wenn Ihr Anregungen habt, was

01:12:30: hören wollt.

01:12:31: Ideen habt für diesen Podcast. Schreibt uns gerne an info@1910-

01:12:36: museum.de. Richtig, ich wollte es gerade sagen, dann hast Du es

01:12:40: mir aus dem Mund genommen, Betreff Podcast, genau. Dann bis

01:12:44: zum nächsten Mal. Bis zum nächsten Mal. Tschüss. Tschüss.

01:12:48:

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