#18 Sonderausstellung: „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“
Shownotes
Vom 24. Oktober 2014 bis zum 02. Februar 2025 zeigt das FC St. Pauli-Museum die Wanderausstellung „Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute“ der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. In dieser Sonderfolge von FCSP-Geschichte(n) sprechen Celina und Christopher mit Ibrahim Arslan (politischer Bildner und Überlebender des rassistischen Brandanschlags von Mölln) und Lennart Onken (Kurator / Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte) über die Hintergründe der Ausstellung.
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00:00:05:
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00:00:18:
00:00:23: Herzlich Willkommen zu einer Sonderfolge von FCSP-
00:00:27: Geschichte(n), dem offiziellen Podcast des FC St. Pauli-
00:00:31: Museums.
00:00:32: Seit dem 24. Oktober zeigen wir im Museum eine Sonderausstellung
00:00:36: mit dem Titel "Rechte Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute".
00:00:39: Diese Ausstellung haben nicht wir kuratiert, sie ist
00:00:42: eine Wanderausstellung der Stiftung Hamburger Gedenkstätten
00:00:45: und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen und
00:00:48: war Anfang des Jahres auch schon im Hamburger Rathaus zu sehen.
00:00:51: Wir haben der Ausstellung noch ein bisschen was hinzugefügt,
00:00:54: wir haben einen Teil ergänzt über Rechte Gewalt am
00:00:57: Millerntor, aber dazu später mehr.
00:00:59: Wir möchten heute ein bisschen über die Hintergründe der
00:01:02: Ausstellung sprechen und haben uns dazu zwei Gäste eingeladen, die
00:01:05: sehr aktiv mitgewirkt haben an der Ausstellung, nämlich Lennart
00:01:08: Onken und Ibrahim Arslan. Mögt Ihr Euch einmal kurz vorstellen
00:01:11: und uns erzählen, wie Ihr dazu gekommen seid, an dieser
00:01:14: Ausstellung zum Thema Rechte Gewalt mitzuarbeiten?
00:01:17: Ja Moin und vielen Dank erstmal für die Einladung. Ich bin
00:01:20: Lennart Onken, ich hab jüdische Studien, Geschichte und
00:01:23: Kulturwissenschaften studiert und arbeite jetzt seit 2019 an
00:01:27: der KZ-Gedenkstätte Neuengamme beziehungsweise der Stiftung
00:01:30: Hamburger Gedenkstätten und Lernorte und bin bei uns für die
00:01:33: Sonderausstellungen zuständig. Hab in den letzten Jahren einige
00:01:37: Wanderausstellungen zur Geschichte
00:01:39: nationalsozialistischer Verfolgung oder zu
00:01:41: unterschiedlichen Aspekten nationalsozialistischer
00:01:44: Verfolgung
00:01:45: kuratiert und jetzt zuletzt eben mit meiner Kollegin Alyn Sisic und
00:01:49: dem Journalisten Andreas Speit auch die Ausstellung "Rechte
00:01:52: Gewalt in Hamburg von 1945 bis heute". Ja, mein Name ist Ibrahim
00:01:56: Arslan, ich bin Opfer und Überlebender der rassistischen
00:01:59: Brandanschläge von Mölln 1992. Ich bin auch politischer Bildner
00:02:03: und reise durch das ganze Land, unterrichte Schüler und
00:02:06: Schülerinnen, gebe Workshops, aber als Ehrenamt. Hauptamtlich
00:02:10: bin ich bei der Stadt Hamburg eingestellt.
00:02:14: Genau. Ich begleite Betroffene von rechter, rassistischer Gewalt,
00:02:17: ich empowere sie. Ich versuche mit denen gemeinsam eine neue,
00:02:20: bessere und würdevolle Gedenkkultur in Deutschland zu
00:02:23: gestalten. Ja, sehr schön, dass Ihr da seid. Vielleicht könnt
00:02:27: Ihr einfach mal ein bisschen erzählen, wie es überhaupt zu
00:02:30: der Idee kam, wie die Idee hinter dieser Ausstellung
00:02:33: entstanden ist.
00:02:35: Ja, die Idee zu der Ausstellung kam eigentlich schon Ende 2019/
00:02:39: Anfang 2020, also nach dem Mord am Kasseler
00:02:42: Regierungspräsidenten Walter Lübcke, dem Anschlag von Halle,
00:02:45: dem Anschlag von Hanau und dem damit verbundenen Gefühl, dass
00:02:49: sich gerade gesellschaftlich was ändert, dass Rechte Gewalt
00:02:53: wieder auf dem Vormarsch ist, wieder alltäglicher wird,
00:02:56: auch wieder heftiger wird.
00:02:59: Und daraus entstand bei uns so ein bisschen der Eindruck, dass auch
00:03:03: wir als NS-Gedenkstätten uns diesem Thema irgendwie annehmen
00:03:06: müssen, das thematisieren müssen, uns da positionieren
00:03:10: müssen und dann haben wir uns dazu entschieden,
00:03:13: zum 27. Januar, zum Tag des Gedenkens an die Opfer des
00:03:17: Nationalsozialismus, eine Ausstellung vorzubereiten, die
00:03:20: sich eben der Geschichte Rechter Gewalt widmen sollte.
00:03:24: Eigentlich war die Eröffnung schon für 2021 vorgesehen, dann
00:03:27: kam aber Corona dazwischen. Dann hatten wir noch andere
00:03:30: Ausstellungen, die wir sozusagen noch zwischenschieben mussten,
00:03:34: weil es da ein paar Kooperationsvereinbarungen und
00:03:36: ähnliches gab, und deswegen hat sich das dann länger gezogen.
00:03:40: Wir haben es jetzt im Januar im Hamburger Rathaus eröffnet, aber
00:03:43: das Thema hat ja, irgendwie muss man sagen leider, absolut
00:03:46: nichts an Aktualität eingebüßt. Genau, es heißt ja auch 1945
00:03:50: bis heute, und das ist natürlich ein ziemlich langer Zeitraum.
00:03:54: Wie seid Ihr das Thema denn angegangen? Also welche
00:03:56: Schwerpunkte habt Ihr da gesetzt? Genau, also am
00:03:59: Anfang waren uns eigentlich gleich zwei Überlegungen relativ
00:04:02: schnell klar, wie wir die Konzeptionierung dieser
00:04:05: Ausstellung angehen wollen. Das eine war, dass wir mit dem
00:04:08: Konzept der integrierten Geschichte arbeiten wollten, wie
00:04:11: es der Holocaust-Überlebende und Historiker Saul Friedländer
00:04:14: geprägt hat und wie es eigentlich aus der modernen
00:04:16: Gedenkstättenarbeit heute auch gar nicht mehr wegzudenken ist.
00:04:19: Und das bedeutete für uns ganz konkret, dass wir natürlich über
00:04:23: die Taten, über Rechte Gewalt sprechen wollen, über die
00:04:26: Täterinnen und Täter, über die Netzwerke, Strukturen, die
00:04:29: dahinterstehen, aber auch nicht vergessen wollen, die
00:04:31: gesellschaftlichen Reaktionen, den gesellschaftlichen Umgang
00:04:34: mit diesen Taten zu thematisieren und vor allen
00:04:37: Dingen auch die Perspektiven und Stimmen von Betroffenen
00:04:40: einzuholen und in der Ausstellung tatsächlich zu Wort
00:04:43: kommen zu lassen. Und das ist auch der Grund, warum unsere
00:04:45: Ausstellung mit den Geschichten von fünf Hamburger Todesopfern
00:04:48: beginnt.
00:04:49: Und warum unsere Ausstellung mit einem Kurzfilm,
00:04:52: zusammengeschnitten aus Interviews, die wir mit
00:04:55: Angehörigen von Opfern und Überlebenden von Anschlägen,
00:04:58: unter anderem mit Ibo, geführt haben, dann sozusagen beenden.
00:05:01: Dass sozusagen das erste und das letzte Wort eigentlich nicht bei
00:05:05: uns liegt, sondern bei den Betroffenen dieser Gewalt. Und
00:05:08: der zweite Ansatz, der relativ schnell klar war, war, dass wir
00:05:12: die Ausstellung chronologisch gliedern wollen, also
00:05:15: tatsächlich eine sozusagen Kontinuitätslinie von 1945 bis
00:05:18: ins heute
00:05:19: ziehen wollen. Zum einen, weil wir direkt am Anfang der
00:05:22: Recherchen gemerkt haben, dass, wenn man heute über sozusagen ne
00:05:26: Zunahme rechter Gewalt spricht, da in der Regel ein bisschen das
00:05:29: historische Bewusstsein dafür fehlt, dass Rechte Gewalt nie
00:05:33: weg war, sondern fester Bestandteil der deutschen
00:05:35: Nachkriegsgeschichte und auch der Hamburger Geschichte ist.
00:05:38: Und das lässt sich eben an so einer langen Kontinuitätslinie
00:05:42: ganz gut aufzeigen. Und das andere war auch so ein bisschen,
00:05:45: dass als wir angefangen haben zu recherchieren,
00:05:48: nicht nur die gesamtgesellschaftliche
00:05:50: Aufarbeitung Rechter Gewalt, sondern auch vor allen Dingen
00:05:53: die zeithistorische Forschung zu Rechter Gewalt, quasi kaum bis
00:05:57: gar nicht existent war. Das heißt, wir mussten erstmal uns
00:06:00: das Ganze selber strukturieren und das funktioniert eben ganz
00:06:03: gut über so ne Periodisierung und wir haben dann schnell
00:06:06: gemerkt, dass tatsächlich anhand dieser Jahrzehntseinteilung in
00:06:09: der Ausstellung sich gewisse Entwicklungslinien innerhalb der
00:06:12: extremen Rechten ganz gut aufzeigen lassen und man daran
00:06:15: eben
00:06:16: sozusagen vieles nachvollziehen kann und dann auch oft entdeckt,
00:06:19: dass viele Diskurse, die heute so virulent sind wie über Rechte
00:06:23: Gewalt sprechen, auch nicht so neu sind, sondern eben teilweise
00:06:26: schon aus den 1980er-Jahren kommen. Du hast es eben
00:06:29: schon gesagt, die Geschichten und die Namen der Betroffenen
00:06:32: stehen sehr stark im Vordergrund der Ausstellung, könnt Ihr oder
00:06:35: kannst Du Ibrahim vielleicht einfach auch noch mal sagen,
00:06:38: warum das so unglaublich wichtig ist in der Bildungs- und
00:06:41: Erinnerungsarbeit?
00:06:44: Weil wir keine Statisten sind, sondern die Hauptzeugen des
00:06:47: Geschehenen. Also Lennart hat es ja auch noch mal deutlich
00:06:50: gemacht, dass es sehr wichtig ist, das Schlusswort den
00:06:53: Betroffenen zu geben. Es hängt damit zusammen, dass wir in der
00:06:56: Geschichte, dass es aus der Geschichte heraus so ist,
00:06:59: dass Betroffene einfach vergessen werden, sie werden
00:07:02: unter den Teppich gekehrt, man spricht nicht über sie, man
00:07:05: spricht meist über die Täter und über die Tat, und es ist ja auch
00:07:08: kein Wunder, dass ich als Betroffener aus Mölln in einem
00:07:11: Projekt auftauche,
00:07:13: was in Hamburg stattfindet und Hamburger Bezüge hat. Das hat
00:07:16: den Hintergrund, dass wir partizipativ als Betroffene in
00:07:20: den Vordergrund treten und sagen, unsere Perspektiven
00:07:23: gehören zusammen, weil es eine Kontinuität zwischen den Taten
00:07:26: von damals bis heute gibt und auch zwischen den Taten in
00:07:30: Mannheim oder in Hanau und in Rostock und in Mölln gibt es
00:07:33: einen Zusammenhang, die Täter haben gleich agiert, sie waren
00:07:37: in der gleichen Täterstruktur, sie
00:07:39: haben die gleichen Waffen benutzt und der gleiche Staat
00:07:42: hat diese Menschen beschützt und deswegen sind wir alle
00:07:45: Betroffenen von der gemeinsamen gleichen Tat auch betroffen und
00:07:48: aus diesem Grund gehören wir auch immer wieder zusammen in
00:07:52: der Geschichtserzählung und dass wir das partizipativ machen und
00:07:55: auch wirklich Widerstand leisten, immer in der
00:07:58: Öffentlichkeit auftreten, hat den Hintergrund, dass wir
00:08:01: ansonsten keine Anerkennung bekommen.
00:08:03: Keiner redet über uns, wenn wir schweigen und
00:08:07: aus diesem Grund ist es super wichtig, über die Tat zu
00:08:10: sprechen mit Betroffenen, nicht über sie, sondern mit denen, und
00:08:14: das machen wir halt überall, das ja nicht die erste und auch
00:08:18: nicht die letzte Ausstellung, die wir gemeinsam konzipieren.
00:08:21: Wichtig ist für uns, in der Konzeption eines Projektes
00:08:25: eingeflossen zu werden, nicht am Ende oder mittendrin gefragt zu
00:08:28: werden, sondern von Anfang an, und das hat Lennart Onken mit
00:08:32: seinem
00:08:33: Projekt auch so gemacht, dass wir von Anfang an gemeinsam
00:08:36: drüber geschaut haben, welchen würdevollen Platz bekommen
00:08:38: Betroffene? Man kann natürlich die Ausstellung noch mal mit
00:08:42: anderen Betroffenen sich anschauen, mit einem kritischen
00:08:44: Blick und auch schauen, was könnte man ergänzen und
00:08:47: hinzufügen, wichtig ist aber grundsätzlich, dass wir drin
00:08:50: auftauchen, und zwar mit unseren Stimmen, nicht dass jemand über
00:08:53: uns spricht, sondern dass wir sprechen.
00:08:58: Lennart da wäre dann ja noch mal die Frage, zum Beispiel, wie
00:09:01: Dein Team oder Ihr dann im Kuratorium, wie Ihr den Kontakt
00:09:06: zu Betroffenen und Angehörigen aufgebaut habt. Also bestand
00:09:10: der schon oder habt Ihr quasi bei Null angefangen, musste dann
00:09:13: erstmal Überzeugungsarbeit geleistet werden? Also im
00:09:17: Prinzip haben wir so mehr oder weniger bei Null angefangen, muss
00:09:21: ich sagen, also Ibo und ich haben uns auch erst über das
00:09:24: Projekt sozusagen kennengelernt.
00:09:28: Wir sind es so angegangen, dass wir uns ne sozusagen Gliederung, ein
00:09:31: Konzept überlegt haben, was aus unserer Sicht irgendwie sinnvoll
00:09:35: wäre und wie ne Ausstellung irgendwie aussehen könnte. Und
00:09:38: haben dann tatsächlich sehr früh, wie Ibo schon meinte, im
00:09:41: Projekt den Kontakt insbesondere erstmal zur Initiative zum
00:09:44: Gedenken an Ramazan Avcı und die Initiative zum Gedenken an Châu
00:09:48: und Lân aus der Halskestraße
00:09:50: gesucht und mit denen und den darin organisierten Überlebenden
00:09:54: und Angehörigen von Opfern dann sozusagen das Gespräch gesucht
00:09:58: und sehr intensiv die Biografietafeln am Anfang eben
00:10:02: mit den Angehörigen und Familien, Überlebenden, Freunden
00:10:06: entwickelt und dann eben in der gesamten Ausstellung, wo Bezüge
00:10:10: zu den Betroffenen waren, das sehr intensiv sozusagen gemeinsam
00:10:14: erarbeitet.
00:10:15: Und da haben wir auf jeden Fall als Ausstattungsteam auch noch
00:10:19: mal sehr, sehr viel dazugelernt, weil man eben merkt, die
00:10:23: Gewalttaten, mit denen wir in NS- Gedenkstätten zu tun haben, die
00:10:28: sind schon ein bisschen länger her, und hier geht es eben um
00:10:32: einen Schmerz, der noch überhaupt gar nicht verblasst
00:10:35: ist, der noch überaus präsent ist und bei dem man auch merkt,
00:10:39: wie alleingelassen viele Betroffene eigentlich im Laufe
00:10:43: der Jahre waren.
00:10:44: Und am Anfang haben wir schon gespürt, dass die Furcht
00:10:47: bestand, dass auch in unserem Projekt Überlebende oder
00:10:51: Betroffene ein bisschen so als eine Art Feigenblatt vor sich
00:10:54: hergetragen werden, dass sie also irgendwie vermeintlich mit
00:10:57: eingebunden werden, aber eigentlich eben in ein ganz strenges
00:11:00: Korsett gepresst werden, indem sie das sagen, was irgendwie
00:11:03: genehm ist und so weiter und haben gemerkt, dass das
00:11:06: natürlich überhaupt nicht gewünscht ist. Aber zum Glück
00:11:09: wollten wir das auch gar nicht, sondern wollten eben wirklich
00:11:12: einen Raum bieten,
00:11:14: in dem Betroffene selber berichten können und selber zu
00:11:18: Wort kommen können. Und ich hoffe, dass uns das so halbwegs
00:11:21: gelungen ist zumindest. Weil die Frage mir so richtig wichtig
00:11:25: ist, sozusagen auch noch mal auszuweiten, warum Betroffene
00:11:28: jetzt sprechen beziehungsweise wie man sozusagen, also wie man
00:11:32: es schafft, Betroffene zu treffen oder sie anzufragen.
00:11:36: Auch das hat ja sozusagen eine wichtige
00:11:39: Geschichtserzählung so, also
00:11:41: es gibt Betroffene, die reden. Ja, es gibt Betroffene, die man
00:11:45: kontaktieren kann, man muss nur anfangen, sie zu kontaktieren.
00:11:48: Also wenn wir mit diesem Narrativ leben, dass Betroffene
00:11:51: nicht sprechen können oder beziehungsweise dass wir uns
00:11:54: nicht trauen können, sie zu fragen, dann wäre das ziemlich
00:11:57: falsch, weil Betroffene, sieht man auch in diesem Projekt, sind
00:12:00: in der Lage, selbstständig zu sprechen, und man kann sie auch
00:12:04: direkt anfragen und sie sind auch nicht abgeneigt von einem
00:12:07: Projekt, die machen direkt mit.
00:12:09: Meistens ist das so beim Betroffenen-
00:12:11: Netzwerk, ich sag mal dazu ein Netzwerk, dass Betroffene erst
00:12:14: so Pioniere brauchen, die vor denen sprechen. Wir hatten ja
00:12:16: auch unsere Pioniere, Shoah- Überlebende haben uns das
00:12:19: beigebracht, dass es möglich ist, in der Öffentlichkeit zu
00:12:22: sprechen, das ist ja noch mal ganz wichtig, das ist da so ein
00:12:24: Empowerment-Prozess für Betroffene, dass sie sehen, ok,
00:12:27: einer spricht dann, es besteht für mich auch die Möglichkeit zu
00:12:30: sprechen.
00:12:30: Und in diesem Bereich ist es super wichtig, erst mal
00:12:33: sozusagen Betroffene anzufragen, die dann andere Betroffene auch
00:12:36: anfragen. Und so sieht man, es gibt ein verstecktes Netzwerk
00:12:39: von Betroffenen, die sich gemeinsam empowern und auch
00:12:41: Erfahrungsaustausch miteinander machen.
00:12:43: Nur allerdings läuft das alles so ein bisschen sehr
00:12:47: langsam dadurch, dass alles ehrenamtlich passiert und keine
00:12:50: Institution dahinter steckt. Und man muss halt jemanden finden,
00:12:53: der andere Betroffene kennt. Und so ist auch dieses Projekt
00:12:56: beispielsweise entstanden und unsere Projekte laufen permanent
00:13:00: so, was eigentlich auch ziemlich schade ist. Und auch was ich
00:13:03: hier skizziere, ist ein beschämendes Bild, weil wir
00:13:05: reden über Shoah-Überlebende, das ist eine Geschichte, die
00:13:08: über 100 Jahre alt ist und die Geschichte von uns und wir
00:13:12: sind gemeinsam vernetzt und wir
00:13:13: versuchen, irgendwie in der Gesellschaft unsere Stimme zu
00:13:16: erheben. Allerdings passiert das alles ehrenamtlich, und wenn wir
00:13:19: mit dieser Erkenntnis leben, dass es sehr
00:13:22: besonders ist, Betroffene einzusetzen, und das haben wir
00:13:24: hier auch gerade wieder festgestellt, dann müssen wir
00:13:27: auch versuchen, diese Netzwerke zu stärken. Deswegen wollte ich
00:13:30: noch mal eingreifen und sagen, wie wichtig das ist, auch
00:13:32: darüber zu sprechen, wie Betroffene eigentlich sprechen
00:13:35: können.
00:13:36: Du hast ja schon gesagt, Lennart, vorhin, oder du hast das so
00:13:39: angerissen, dass die Aufarbeitung und die
00:13:41: Kontinuitäten von Rechter Gewalt in Hamburg, aber vermutlich auch
00:13:44: deutschlandweit gar nicht so weit fortgeschritten ist, wie
00:13:47: man das eigentlich erwarten und denken würde. Wie seid Ihr denn
00:13:50: in die Recherchen eingestiegen? Also habt Ihr irgendwie
00:13:53: versucht, das aus der medialen Berichterstattung
00:13:56: abzuleiten, habt Ihr Euch Zeitungsartikel angeguckt, ist
00:13:59: das da, taucht das da, wurde das da überhaupt umfänglich bearbeitet,
00:14:02: wie seid Ihr vorgegangen?
00:14:05: Also eins der Hauptprobleme, wenn wir über
00:14:08: Rechte Gewalt sprechen, ist ja tatsächlich, und das ist
00:14:11: spätestens mit Bekanntwerden des NSU, der Selbstenttarnung des
00:14:15: "Nationalsozialistischen Untergrunds" 2011, ja deutlich
00:14:18: geworden, dass sehr, sehr, sehr, sehr viele rechte Gewalttaten
00:14:22: gar nicht als solche anerkannt werden, gar nicht als solche
00:14:25: erkannt werden, sondern vermeintlich Streitereien unter
00:14:28: Migrant*innen oder sowas sind, aber ganz bestimmt eben keine
00:14:31: rechten Gewalttaten.
00:14:33: Und wir haben tatsächlich angefangen, Zeitungsartikel
00:14:36: erstmal auszuwerten und in viele AntiFa-Archive zu gehen, also
00:14:40: ins apabiz in Berlin, ins Archiv der sozialen Bewegung
00:14:43: hier in Hamburg, bei einigen Privatpersonen auch so private
00:14:47: Sammlungen sozusagen ausgewertet und haben da schon festgestellt,
00:14:51: dass selbst das, was sozusagen Niederschlag in Zeitungen fand
00:14:54: oder in die Broschüren gewandert ist,
00:14:57: eine Chronik ergeben hat, die viel zu viele Einträge enthalten
00:15:01: hat, um das in irgendeiner Form sozusagen rüberzubringen. Also
00:15:04: unsere Grundidee, von der wir dann aber schnell Abstand
00:15:07: genommen haben, war tatsächlich irgendwo in der Ausstellung einen
00:15:10: Screen zu platzieren, in der dann so ne Chronik quasi
00:15:13: durchläuft, wo dann alle Gewalttaten, die wir finden
00:15:16: konnten, einmal irgendwie aufgelistet sind, und das ist
00:15:19: nicht nur pädagogisch natürlich überhaupt nicht sinnvoll, weil
00:15:22: was soll man damit anfangen, wenn man sich da 1000-2000 Fälle
00:15:26: anguckt?
00:15:27: Sondern es ist auch tatsächlich gar nicht möglich, ne wirklich
00:15:31: erschöpfende Aufzählung Rechter Gewalttaten von 1945 bis heute
00:15:34: irgendwie zu garantieren, weil eben immer klar ist, die
00:15:38: Grauzone dessen, was gar nicht erst erkannt wird, ist viel zu
00:15:41: hoch sozusagen.
00:15:43: Und deswegen haben wir zwar sehr intensiv an dieser Chronik
00:15:46: gearbeitet, aber das eher als Grundlage genommen, um dann zu
00:15:49: gucken, was wirklich Eingang in unsere Ausstellung findet und
00:15:52: was dann eben Fälle sind, die so ein bisschen repräsentativ für
00:15:55: das jeweilige Jahrzehnt stehen. Aber eigentlich die
00:15:58: wichtigsten Quellen für uns waren tatsächlich
00:16:00: Zeitungsartikel, Private Sammlungen, AntiFa-Archive und so
00:16:03: ein ganz bisschen auch ein paar Akten im Staatsarchiv.
00:16:07: Und abgesehen von der schlechten Informationslage und
00:16:10: der schlechten Aufarbeitung, was würdet Ihr sagen, waren so
00:16:14: besondere Herausforderungen bei der Konzeption dieser
00:16:17: Ausstellung? Also ich würde sagen, also es
00:16:20: gab einige Herausforderungen, auf jeden Fall, ich würde so zwei
00:16:24: vielleicht so ein bisschen an dieser Stelle mal versuchen
00:16:27: herauszuheben. Das eine ist die Frage dessen,
00:16:30: wie sich Rechte Gewalt überhaupt darstellen lässt, also vor allen
00:16:34: Dingen bildlich repräsentieren lässt. Weil zum einen natürlich
00:16:37: der direkte Moment der Rechten Gewalttat selten fotografisch
00:16:41: festgehalten wird, das ist natürlich auch mal der Fall,
00:16:44: aber nicht bei jeder Gewalttat ist das eben fotografisch
00:16:47: festgehalten worden.
00:16:50: Und selbst wenn es das ist, stellt sich natürlich die Frage,
00:16:53: möchte man das Foto so zeigen, reproduziert das unter Umständen
00:16:57: diese Gewalt eher, wenn es dann ein Foto der sozusagen Betroffenen,
00:17:00: der Opfer in dieser Situation gibt, muss man sich auch fragen,
00:17:03: möchte ich dieses Foto zeigen, dehumanisiert das nicht
00:17:07: eventuell den Betroffenen noch mal oder bietet es sogar die
00:17:10: Möglichkeit für Retraumatisierung beispielsweise.
00:17:12: Wir haben also auch eine Ausstellungstafel zu
00:17:15: institutionellem Rassismus oder zu Debatten über
00:17:18: institutionellen Rassismus.
00:17:20: Auf der wir auch ein Foto eines Polizeiübergriffs in Hamburg-
00:17:24: Horn, ich weiß nicht mehr 2018/ 2019 war das glaube ich, zeigen
00:17:29: und wir hatten auch sehr, oder wir hatten auch Kontakt zur
00:17:33: Initiative zum Gedenken an Yaya Jabbi, der ja auch sozusagen in
00:17:38: in Haft in Hahnöfersand verstorben ist, sagen wir mal
00:17:42: so.
00:17:44: Und haben denen eben auch unser Konzept sozusagen vorgestellt
00:17:46: und auch gesagt, hier auf dieser Tafel, wo wir Yaya Jabbi
00:17:49: berichten wollen, würden wir auch gerne dieses Foto zeigen.
00:17:51: Dann wurde uns eben auch noch mal gesagt, dass wir aufpassen
00:17:54: müssen, dass wir da nicht Retraumatisierung bei
00:17:56: Besuchenden auslösen, weswegen wir uns da dann dafür
00:17:58: entschieden haben, da so eine kleine Klappe drüber zu machen
00:18:01: mit so einer Triggerwarnung und dass nur der oder diejenige, die
00:18:04: das auch wirklich sehen wollen, sich das dann da angucken
00:18:06: können, das heißt für dieses Foto oder für diesen
00:18:09: Umgang mit Fotos Rechter Gewalt haben wir in der Ausstellung
00:18:12: würde ich sagen, unterschiedliche
00:18:14: Lösungen gefunden für diese
00:18:16: Herausforderungen und unser Titelbild der Ausstellung zeigt
00:18:20: ja die Entfernung eines Hakenkreuzes am internationalen
00:18:23: Mahnmal auf dem Gelände der KZ- Gedenkstätte Neuengamme 1985 und
00:18:27: auch über dieses Titelfoto haben wir sehr, sehr lange debattiert.
00:18:31: Weil auf der einen Seite passt es aus meiner Sicht immer noch
00:18:35: sozusagen perfekt für diese Ausstellung, weil es auf den
00:18:38: ersten Blick klar macht, es geht irgendwie um was Rechtes, also
00:18:41: um ein Hakenkreuz. Das Hakenkreuz wird aber gerade entfernt, das
00:18:44: heißt, es ist sozusagen auch irgendwie ein Momentum des
00:18:47: dagegen etwas Unternehmens mit abgebildet, aber man muss
00:18:50: natürlich auch ehrlich sagen, dass das nicht die krasseste
00:18:53: Gewalttat ist, die wir in Hamburg irgendwie zu verzeichnen
00:18:56: haben, sondern dass das eher so was
00:18:59: noch Alltäglicheres als alle anderen Angriffe ist, dass
00:19:02: irgendwo was vollgeschmiert wird. Das heißt jetzt nicht so
00:19:05: ganz repräsentativ eigentlich für den Titel dieser
00:19:07: Ausstellung, aber wir haben uns dann trotzdem dafür entschieden,
00:19:10: weil gerade auf die Titeltafel ein Foto von einer krassen
00:19:13: Gewalttat zu nehmen ist irgendwie natürlich auch nicht
00:19:16: so ganz das Richtige, aber das war so ein Spannungsverhältnis,
00:19:19: in dem man sich immer bewegt hat, weil uns natürlich als NS-
00:19:22: Historiker auch klar ist, dass
00:19:23: Gewalt nicht dadurch verschwindet, dass man sie nicht
00:19:26: zeigt, sondern die Gewalt bleibt ja bestehen, die Betroffenen
00:19:29: bleiben davon sozusagen irgendwie, müssen damit
00:19:32: irgendwie umgehen, und es ist für uns auch keine Lösung, auf
00:19:35: diese Gewalt eben komplett zu verzichten, weil sie eben
00:19:38: einfach da ist. Und auch wenn es unangenehm ist, man irgendwie
00:19:41: auch als Mehrheitsgesellschaft sich dazu verhalten muss und
00:19:44: damit irgendwie umgehen muss. Die andere oder
00:19:48: die zweite große Herausforderung
00:19:51: würde ich sagen, war die Frage, wie schaffen wir es, über Rechte
00:19:54: Gewalt zu sprechen, ohne das zu externalisieren, also ohne zu
00:19:57: sagen, ok, wir sprechen jetzt hier über Rechte Gewalt, aber
00:20:00: zum Glück geht uns das ja alles gar nichts an, sondern das ist
00:20:03: nur ein Problem der extremen Rechten und halt vielleicht von
00:20:06: den Leuten die betroffen sind, sondern eben klarzumachen, dass
00:20:09: diese Taten nicht im luftleeren Raum passieren, sondern immer
00:20:12: rückgebunden sind an gesellschaftliche Bedingungen,
00:20:15: Verhältnisse und Diskurse, und deshalb haben wir in der
00:20:17: Ausstellung viele Tafeln integriert,
00:20:20: die genau dieses Verhältnis von extrem Rechts und
00:20:23: Mehrheitsgesellschaft versuchen, so n bisschen zu thematisieren
00:20:26: und die Besuchenden sozusagen einladen, sich da selber
00:20:29: Gedanken zu machen. Also es gibt einen eine Tafel beispielsweise,
00:20:32: auf der ein Ratespiel ist. Die hat es leider nicht ins FC St.
00:20:35: Pauli-Museum geschafft, aber der Katalog wird auch verkauft da
00:20:39: hab ich gehört, das heißt da kann dann jede und jeder
00:20:42: Besucher*in sich das noch mal nachvollziehen.
00:20:45: Aber auf dieser Tafel haben wir eben Aussagen ganz
00:20:48: unterschiedlicher Leute zu sogenannten Ausländer*innen,
00:20:51: Migrant*innen, Asylant*innen, in Anführungsstrichen natürlich,
00:20:54: gesammelt und laden die Besuchenden eben ein, einmal zu
00:20:57: überlegen, können sie alle Zitate zu den korrekten Personen
00:21:00: zuordnen oder geraten sie hier und da mal ins Schlingern? Und
00:21:04: warum ist das eine von jemandem, den man nicht als extrem Rechts
00:21:07: bezeichnen würde? Und warum ist das andere Zitat, das inhaltlich
00:21:10: vielleicht sich gar nicht so krass unterscheidet,
00:21:14: von jemandem, der ganz eindeutig der extremen Rechten zuzuordnen
00:21:18: wäre und besonders früchtetragend, würde ich sagen,
00:21:21: war dieser Ansatz in den Tafeln, die sich um die
00:21:24: 1980er-Jahre drehen, weil gerade diese 1980er-Jahre glaube
00:21:28: ich hinsichtlich Rechter Gewalt ganz, ganz entscheidend sind. In
00:21:32: der zeithistorischen Forschung wird das sowieso als so ne Art
00:21:35: Scharnierzeit in die Gegenwart begriffen, also man geht davon
00:21:39: aus, dass in dieser Zeit sich ganz viel
00:21:42: durchgesetzt hat, was unsere Jetztzeit, unsere Gegenwart
00:21:45: heute sozusagen prägt. Und das trifft hinsichtlich Rechter
00:21:48: Gewalt auf ganz vielen Ebenen zu. Zum einen ist Rechte Gewalt
00:21:51: in den 80er-Jahren in Hamburg von einer absoluten Entgrenzung
00:21:54: geprägt, das heißt, sie wird noch alltäglicher, es gibt
00:21:57: eigentlich wirklich täglich Berichte über gewaltsame
00:22:00: Übergriffe auf Migrant*innen, auf Punks, auf Linke, auf
00:22:03: Alternative, die Hafenstraße wird regelmäßig angegriffen, im
00:22:06: Karoviertel gibt es die ganze Zeit Schlägereien, aber auch in
00:22:09: allen anderen Gegenden Hamburgs, in Bergedorf, in
00:22:12: Harburg, eigentlich überall kommt es immer wieder zu krassen
00:22:15: Gewalttaten, zu versuchten Brandanschlägen, zu
00:22:17: erfolgreichen Brandanschlägen, zu Mordtaten. Das heißt, da
00:22:20: passiert sozusagen auch durch das Aufkommen der Skinhead-
00:22:23: Bewegung ganz, ganz viel, dass es nicht mehr alles organisiert
00:22:26: werden muss vorher, sondern einfach mal abends die Skinheads
00:22:29: losgehen, ein Bierchen trinken und sich dann halt überlegen,
00:22:33: wen sie angreifen, und das trifft aber auch hinsichtlich
00:22:35: des sozusagen staatlichen Umgangs mit diesen Gewalttaten
00:22:38: zu, weil genau in dieser Zeit
00:22:40: setzt sich die Rede vom "bedauerlichen Einzelfall"
00:22:43: eigentlich durch, die ja sozusagen unsere Diskussion,
00:22:47: unsere Wahrnehmung Rechter Gewalt bis ins Heute prägt. 1985
00:22:51: zum Beispiel wird im Sommer Mehmet Kaymakcı von Skinheads
00:22:55: ermordet, und der sagt dann im im Prozess aus, "wir wollten
00:22:59: den Türken fertig machen" und trotzdem erkennen Polizei und
00:23:03: Staatsanwaltschaft kein extrem Rechtes Tatmotiv.
00:23:07: Ein Staatsschützer sagt dann sogar, dass es sich bei Frank-
00:23:10: Uwe P. seiner Meinung nach nicht um ein Neonazi handeln könne und
00:23:14: er den Hitlergruß nur gemacht habe, um zu provozieren. Und der
00:23:18: zuständige Staatsanwalt spricht im Verfahren dann von einer
00:23:22: "gewöhnlichen Wirtshausschlägerei", die halt
00:23:24: leider ganz tragisch geendet hat, und dann ist sozusagen der
00:23:28: Mordfall auch gar kein Mordfall mehr, sondern ein Totschlag und
00:23:32: wird dann einfach sozusagen direkt wieder vergessen.
00:23:35: Ein halbes Jahr später, nicht mal ein halbes Jahr später, wird
00:23:39: dann Ramazan Avcı am 21. Dezember 1985 von Neonazis, von
00:23:43: Rechten Skinheads erschlagen, stirbt drei Tage später. Und ja, da
00:23:47: gibt es dann tatsächlich danach eine etwas größere Debatte, auch
00:23:51: weil sich Betroffene das erste Mal zusammenschließen und sagen,
00:23:55: es reicht uns jetzt langsam, wir lassen das nicht mehr mit uns
00:23:59: machen, auch anfangen tatsächlich, sich zur Wehr zu
00:24:02: setzen.
00:24:03: Und auch dieser Mord wird eigentlich nicht als Mord
00:24:06: juristisch gewertet, sondern als Totschlag. Und der damalige SPD-
00:24:09: Innensenator sagte in einem Interview gegenüber der
00:24:12: 'Hamburger Rundschau' dann, dass das Opfer, Zitat, "genauso gut ein
00:24:15: Deutscher hätte sein können und oder wir sind uns
00:24:18: darüber einig, dass dieser schreckliche Vorfall kein
00:24:21: Beispiel hat und ein Einzelfall ist". Das heißt, es sind fünf Monate
00:24:24: nach dem Mord an Mehmet Kaymakcı, dass schon wieder
00:24:27: völlig vergessen ist, dass eigentlich kurz vorher schon
00:24:30: jemand aus genau den gleichen Motiven auf genau die
00:24:32: gleiche
00:24:33: bestialische und brutale Art ermordet worden ist. Man tut
00:24:36: einfach so, als hätte das alles nichts mit nichts zu tun,
00:24:39: sondern sei eben Einzelfall. Und das lässt sich an dieser Zeit
00:24:43: ganz wunderbar beobachten. Und erschwerend hinzu kommt noch,
00:24:46: dass genau in den 80er-Jahren, nämlich Ausländerpolitik, die
00:24:49: "Asylantenfrage", in Anführungszeichen, allmählich
00:24:52: bestimmendes Wahlkampfthema wird, und das ist ja heute so, ein
00:24:55: bisschen kann man das zumindest auch
00:24:58: wiedererkennen, dass Rechte Gewalt eben nicht dadurch
00:25:01: abnimmt, dass man Rechte Positionen oder rassistische
00:25:05: Positionen übernimmt, sondern eventuell Leute sich dadurch
00:25:08: eher dazu ermutigt fühlen können, den imaginierten
00:25:12: Volkswillen dann tatsächlich irgendwie zu exekutieren, indem
00:25:16: sie dann auf der Straße sozusagen zuschlagen. Ja, aber
00:25:19: auch für uns gab es besondere Herausforderungen, an dem
00:25:23: Projekt teilzunehmen, und zwar
00:25:25: es ist ein Projekt von einem weißen Mann. Er kommt einfach
00:25:29: und möchte mit uns von Betroffenen Rechter,
00:25:31: rassistischer Gewalt ein Projekt konzipieren. Da bedarf es einem
00:25:35: hohen Vertrauensaufbau und es ist so, dass es klar ist,
00:25:39: dass Betroffene nach so einer juristischen Herangehensweise,
00:25:43: die ja eigentlich nicht im Sinne der Betroffenen ist und auch die
00:25:47: mediale Herangehensweise von der Dominanzgesellschaft, von einer
00:25:51: weißen Dominanzgesellschaft, die ja auch noch mal rassistisch
00:25:54: ist
00:25:56: ein Vertrauensbruch bei Betroffenen und Betroffenen-
00:25:59: Netzwerken und wenn ein weißer Mann kommt, ist man immer so
00:26:02: skeptisch, so was will er jetzt von uns, möchte er noch mal
00:26:05: Gewalt anwenden und da ist es halt super wichtig, auch noch
00:26:09: mal ergänzend zu sagen, Betroffene sind in diesem
00:26:12: Projekt involviert, weil sie ein Vertrauen in dieses Projekt
00:26:15: schenken und das ist sehr wichtig das noch
00:26:18: mal in die Öffentlichkeit zu tragen, weil
00:26:25: Vertrauen kann man aufbauen, indem man wirklich
00:26:28: zeigt, dass man, dass man dahinter steht, hinter diesem
00:26:31: Projekt, aber auch hinter den Betroffenen und auch
00:26:34: sie zu Wort kommen lässt. Und das hat einen sehr langen
00:26:37: Prozess, der geführt werden muss. Und auch dort müssen
00:26:40: Betroffene eingesetzt werden, die andere
00:26:43: Betroffene sozusagen überreden zu sagen, ok, Ihr könnt diesem
00:26:46: Projekt vertrauen und
00:26:48: das war auch n langer Prozess. Weil
00:26:51: man muss sich das so vorstellen, ohne das
00:26:55: Wissen der Betroffenen können wir diese Taten nicht aufdecken,
00:26:59: ganz wichtig.
00:27:00: Und auch bei der Polizeiarbeit, bei der Recherchearbeit der
00:27:04: Polizei oder die Ermittlungsarbeiten ist es total
00:27:07: wichtig zu erwähnen, dass das Wissen der Betroffenen dazu
00:27:11: beiträgt, die Täter sozusagen zu entlarven, ja,
00:27:14: in ganz vielen Fällen der Rechten und rassistischen Gewalt
00:27:18: ist es ja kaum möglich, weil ja der Staat auch
00:27:21: involviert ist in diese Taten und auch kapitalistische Gründe
00:27:24: dahinter stecken, weil wenn du eine rassistische Tat als Staat
00:27:28: anerkennst, dann musst du ja auch Entschädigungen zahlen und
00:27:31: in ganz vielen Fällen da, was Lennart auch noch mal hier
00:27:33: erwähnt hat, bei Mehmet Kaymakcı, bei der Familie von Ramazan Avcı,
00:27:37: wo ein rassistisches Motiv halt sehr schwer war nachzuweisen,
00:27:40: was wirklich Jahrzehnte gedauert hat, haben die Betroffenen keine
00:27:43: Entschädigung bekommen, und auch das ist ein Vertrauensbruch an
00:27:46: den Staat.
00:27:47: Und auch in ganz vielen Fällen, die wir gemeinsam noch weiter
00:27:50: recherchieren und auch, wo wir sagen, da muss ein rassistisches
00:27:53: Motiv anerkannt werden, gibt es Betroffene heute noch, die keine
00:27:56: Entschädigung bekommen haben und in diesem Prozess ist
00:27:59: halt auch noch mal wichtig zu erwähnen, dass
00:28:02: Betroffene an solchen Projekten definitiv mitmachen, auch noch
00:28:05: mal zu zeigen, ey Leute, wir haben weiterhin keine
00:28:07: Entschädigung bekommen und unsere Taten werden nicht
00:28:10: anerkannt, aber sie müssen in so einem Projekt einfließen, wo es
00:28:13: um rassistische Gewalt geht, also heißt es ja auch im
00:28:15: Umkehrschluss.
00:28:16: Auch wenn der Staat das nicht anerkennt, dass es als ein
00:28:19: rassistisches Motiv ist. Wir erkennen es an. Für uns ist
00:28:22: wichtig, auch diese Kontinuität zu zeigen, aber auch
00:28:24: gleichzeitig zu zeigen, wir werden nicht
00:28:27: aufgeben, wir werden Widerstand leisten, bis der Staat das
00:28:30: anerkennt, dass es ein rassistisches Motiv ist, damit
00:28:33: die Betroffenen eine Entschädigung bekommen, und es
00:28:35: geht nicht um die materielle Entschädigung, es geht auch um
00:28:38: die Aufarbeitung und auch um die Anerkennung der Tat, das ist
00:28:41: wichtig, auch noch mal zu erwähnen.
00:28:45: Und ich würde auch, also da noch mal sozusagen ergänzend auch
00:28:47: zustimmend irgendwie sagen, dass genau diese Vertrauensarbeit, das
00:28:50: fordert natürlich auch viel Zeit, also nicht nur
00:28:53: weil sozusagen die Betroffenen selber natürlich knapp ist,
00:28:56: sondern ja mitunter auch in diesen ganzen Projekten
00:28:58: irgendwie knapp sein kann, weil man eben Deadlines hat, weil man
00:29:01: das irgendwann abgeben muss, weil das irgendwann stehen muss
00:29:04: und so weiter aber das kann kein Grund sein, sich diese Arbeit
00:29:06: eben nicht zu machen, weil unsere Ausstellung, würde ich
00:29:09: sagen, lebt ganz doll davon,
00:29:11: dass eben Betroffene sich eingebracht haben, die lebt
00:29:14: eigentlich wirklich von der Kraft, von dem
00:29:17: Mut der Betroffenen, von Ihren Perspektiven. Und ich glaube,
00:29:20: Ibo kann auch ein Lied davon singen, wie schlecht das in
00:29:23: anderen Ausstellungen tatsächlich laufen kann, und
00:29:26: wie entsetzlich eigentlich der Umgang damit ist. Also da musste
00:29:29: ich einiges mal den Kopf schütteln, wenn ich mit Ibo
00:29:32: darüber gesprochen habe. Also Du hast
00:29:35: das auch anders erlebt, Du hast auch krasse negative Erfahrungen
00:29:38: gemacht?
00:29:39: Ja, klar. Also wir machen fast nur negative Erfahrungen damit,
00:29:42: wenn weiße Menschen antirassistische Projekte
00:29:45: konzipieren, möchten sie auch die Macht darüber haben, zu
00:29:48: entscheiden, was dort gesprochen wird und was gemacht wird,
00:29:52: und wir sagen definitiv, wenn man uns in einem
00:29:55: Projekt mit reinholt, möchten wir gemeinsam entscheiden, wir
00:29:59: möchten auch Entscheidungsträger sein und auch da kann auch
00:30:03: wahrscheinlich Lennart auch ein Lied von singen,
00:30:06: hängt es meistens an Ressourcen. Ja, also meistens gibt es nicht
00:30:09: viel Geld irgendwie für solche Projekte. Und für solche
00:30:12: Projekte, die wir machen, antirassistische Projekte gibt
00:30:15: es eigentlich fast nie Geld und Betroffene leben halt auch
00:30:18: tatsächlich, sie haben auch einen schlechten Lebensstandard,
00:30:22: sie haben durch die Anschläge auch meistens Ihre
00:30:25: komplette Existenz verloren, ja die müssen
00:30:28: sie erst aufbauen.
00:30:29: Und viele Betroffene sagen ja auch in solchen Projekten. Na
00:30:32: ja, wenn wir kein Geld bekommen, können wir nicht mitmachen, weil
00:30:36: wir leben davon. Und an solchen antifaschistischen
00:30:38: Projekten sollte man mehr Geld fließen lassen, damit wir auch
00:30:41: die Betroffenen mit reinholen können, aber wir
00:30:44: lernen immer wieder, wenn wir Projektanträge zum
00:30:47: Beispiel stellen, als Betroffene, als Netzwerk, wir
00:30:50: sind ja ein inoffizielles Netzwerk, wir haben ja keinen
00:30:53: Verein, der hinter uns steht, werden die meistens abgelehnt.
00:30:56: Und das sind halt staatliche Gelder, die wir immer wieder
00:30:59: sozusagen als Projektantrag stellen. Und dann, wo wir
00:31:02: denken, eigentlich ist doch das Geld genau für dieses Projekt
00:31:05: da. Und warum bekommt jetzt ein ein weißer Verein, ein
00:31:08: Verein, wo weiße Menschen arbeiten, diese Projektanträge
00:31:11: durch und wir nicht, das ist für uns auch ein Missverständnis.
00:31:15: Wo wir denken, ok, dann sollten wir vielleicht noch
00:31:18: mal jeden davon überzeugen, dass wir ein Verein werden oder dass
00:31:21: wir eine Institution werden oder dass es eine Institution geben
00:31:25: muss.
00:31:25: Dass wir nicht abhängig sind von diesen Geldern, wo wir
00:31:28: Entscheidungsfreiheiten haben. Und das sind halt Hürden, die
00:31:32: wir immer noch seit Jahrzehnten durchboxen und erinnern ist
00:31:35: halt kämpfen, ist halt so, wir müssen immer wieder kämpfen
00:31:38: und Widerstand leisten. Wie kann man das denn unterstützen, wie
00:31:42: kann man denn da Eure Bestrebungen am besten
00:31:44: unterstützen? Jegliche Art von Intervention ist ja eine
00:31:47: Unterstützung für uns, also das, was wir heute hier machen, ist
00:31:51: ja auch eine
00:31:52: Art von Unterstützung für uns. Lennart mit seinem Projekt ist
00:31:55: eine Unterstützung für uns und andere Projekte, die wir halt
00:31:59: selbst konzipieren, sind jeweils Unterstützungen für uns. Wir
00:32:02: finden das immer wichtig, dass privilegierte Menschen, die
00:32:06: wirklich an Ressourcen sitzen, also die Ressourcen einnehmen,
00:32:09: Ihre Privilegien abgeben und auch die Ressourcen abgeben, so
00:32:13: an Menschen, die es wirklich nötig haben, das wäre
00:32:16: die größte Unterstützung, glaube ich in dieser Gesellschaft, und
00:32:20: wir müssen
00:32:21: wirklich mit dieser Erkenntnis leben, wenn Betroffene sprechen,
00:32:24: da müssen wir dankbar sein, wir müssen dankbar sein, dass sie
00:32:27: überhaupt sprechen, sie müssen nicht mit uns sprechen
00:32:29: und erst recht nicht mit weißen Menschen müssen sie sprechen,
00:32:32: die Rassismus anwenden. Und sie sprechen aber, sie haben
00:32:35: trotzdem Vertrauen, sie sind hier, sie bleiben hier.
00:32:38: Also mich hat dieser Satz immer von Betroffenen der Shoah
00:32:41: geprägt, ja, die gesagt haben, wir werden nicht gehen,
00:32:44: wir werden hier in diesem Land, wo Faschismus gemacht wurde,
00:32:47: antifaschistische Arbeit machen.
00:32:50: Und wir werden hier bleiben und genau mit diesem Leitsatz
00:32:53: leben ganz viele Betroffene in Deutschland und dafür müssen
00:32:56: wir dankbar sein. Was ja auf jeden
00:32:58: Fall Teil der Ausstellung ist, und das hattest Du auch schon
00:33:01: gesagt, ist die Rolle von staatlichen Institutionen, von
00:33:04: Ermittlungsbehörden, von der Polizei.
00:33:07: Was ich auch noch mal wirklich ganz eindrücklich finde an der
00:33:10: Ausstellung und ganz wichtig ist, man spricht ja
00:33:13: immer von den von den sogenannten
00:33:14: Baseballschlägerjahren, und viele haben dann, glaube ich,
00:33:17: das als so ein ostdeutsches Phänomen im Hinterkopf, dass das
00:33:20: halt eben, dass Hamburg auch Baseballschlägerjahre hatte, ob
00:33:22: es jetzt der Baseballschläger als Waffe war oder nicht, ist
00:33:25: vielleicht auch nicht so wichtig, aber dass das
00:33:28: halt kein ostdeutsches Phänomen ist. Ich glaube, dass
00:33:30: viele Ausstellungsbesucher*innen, die sich mit dem Thema noch
00:33:33: nicht so viel beschäftigt haben, auch
00:33:36: dann noch mal verstehen und sehen, dass Hamburg da
00:33:39: überhaupt keine Ausnahme war. Das fand ich auch noch mal sehr,
00:33:43: sehr eindrücklich und sehr wichtig. Ja, tatsächlich würde
00:33:46: ich sagen, war das auch eine der Quintessenzen, die wir mit der
00:33:50: Ausstellung rüberbringen wollten, dass nämlich Hamburg,
00:33:53: obwohl es über Jahrzehnte hinweg muss man eigentlich sogar
00:33:56: sagen,
00:33:57: eines der Zentren der extremen Rechten in der Bundesrepublik
00:34:01: gewesen ist und wirklich ein Ausgangs- und auch Tatort extrem
00:34:04: Rechter Gewalt gewesen ist, diese Geschichte in der
00:34:07: Hansestadt heute eigentlich weitestgehend verdrängt und
00:34:10: vergessen wurde. Und unser Anspruch war tatsächlich, genau
00:34:14: diese verdrängte Geschichte wieder ein bisschen stärker ins
00:34:17: Bewusstsein zu rücken. Von daher freut mich das sehr. Wie ist
00:34:21: denn die
00:34:22: bisherige Resonanz denn gewesen? Also da
00:34:25: könnt Ihr jetzt ja mit Sicherheit schon mal irgendwie
00:34:27: zu sagen, also für alle, die es nicht wissen, die Ausstellung
00:34:31: lief dann ja im Januar im Rathaus, dann wurde sie glaube
00:34:34: ich auch noch mal im Bezirksamt Nord glaube ich, gezeigt,
00:34:37: ist das irgendwie? Genau. Wie ist so Eure beider
00:34:39: Erfahrungen, was sind so die die jeweiligen Resonanzen die Ihr so
00:34:43: erfahren habt, also gerade von Menschen die Ihr vielleicht auch
00:34:46: nicht kennt.
00:34:48: Also ganz generell kann man glaube ich sagen, dass das
00:34:52: tatsächlich bisher die am besten besuchte Ausstellung ist,
00:34:55: Wanderausstellung, die wir gemacht haben. Allein bei der
00:34:59: Eröffnung waren 500 bis 600 Leute im Hamburger Rathaus im
00:35:03: großen Kaisersaal heißt der glaube ich da, das war also
00:35:06: ziemlich krasse Resonanz, überhaupt schon zur
00:35:10: Eröffnung, dann haben die Ausstellung innerhalb der
00:35:14: dreieinhalb Wochen, die die im Rathaus stand, ungefähr 8.000
00:35:17: Leute besucht. Wir haben ein sehr umfangreiches
00:35:20: Begleitprogramm gemacht, bei dem Ibo auch an einigen Stationen
00:35:24: dann dabei gewesen ist, mit Filmvorführungen im Abaton, mit
00:35:28: einem Podiumsgespräch, mit einer Filmvorführung im
00:35:31: Abaton, mit einem Podiumsgespräch, mit ein paar
00:35:34: Vorträgen, mit Rundgängen und
00:35:36: eigentlich war wirklich jede Veranstaltung restlos
00:35:40: ausgebucht. Das Highlight dieses ganzen Begleitprogramms war ein
00:35:44: Podiumsgespräch unter dem Titel "Unvergessen. Angehörige und
00:35:48: Betroffene Rechter Gewalt berichten" oder erzählen und an
00:35:52: diesem Podiumsgespräch, auf dem ganz viele offensichtlich auch
00:35:56: das erste Mal seit längerer Zeit mal wieder zusammengekommen
00:36:00: sind, um von Ihren Erfahrungen zu berichten,
00:36:03: waren über 100 Leute zu Gast bei der Veranstaltung. Die
00:36:06: Ausstellung ist seitdem extrem nachgefragt, die war erst im
00:36:09: Bezirksamt Mitte zu sehen, dann war sie im Schloss in Reinbek zu
00:36:13: sehen, dann war sie noch mal bei uns in Neuengamme zu sehen, dann
00:36:17: war sie im Bezirksamt Nord zu sehen, jetzt ist sie im FC St.
00:36:20: Pauli Museum zu sehen, parallel dazu, wir haben jetzt einfach
00:36:24: noch ne zweite Version der Ausstellung drucken lassen, weil
00:36:27: sie parallel im
00:36:29: Körberhaus in Bergedorf beziehungsweise im Bezirksamt
00:36:32: Bergedorf da gezeigt wird und im nächsten Jahr gibt es auch schon
00:36:36: 2-3 Stationen, wo die Ausstellung noch mal zu sehen ist. Also das
00:36:40: Interesse an der Ausstellung ist immens, was aber natürlich nicht
00:36:43: nur daran liegt, dass die Ausstellung irgendwie gut wäre.
00:36:47: Was sie ist, würde ich einfach mal ganz dreist sagen, sondern
00:36:51: eben auch damit, dass das Thema einfach gerade brandaktuell ist
00:36:54: tatsächlich, und ich glaube, wir auch
00:36:57: die ersten waren, die es mal gewagt haben sozusagen diese
00:37:00: Kontinuitätslinie wirklich von 1945 bis ins heute zu ziehen und
00:37:04: das dahingehend zu untersuchen, was Rechte Gewalt eigentlich
00:37:07: ausmacht. Und die Feedbacks, die ich so bekommen habe zu der
00:37:11: Ausstellung, die waren auch relativ positiv, auch von
00:37:14: Betroffenen, aber auch von Schülern und Schülerinnen, die
00:37:17: auch im Rathaus die Möglichkeit hatten, diese Ausstellung
00:37:21: anzuschauen. Viele sagen auch, die Ausstellung ist
00:37:24: super, aber es fehlt sozusagen auch noch mal
00:37:27: explizit die Arbeit der Betroffenen da drin. Also es ist
00:37:30: natürlich die Perspektive der Betroffenen ist zwar drin,
00:37:33: aber der Widerstand und auch die Arbeit, die bis heute
00:37:36: hin sozusagen, was auch heute widerspiegelt, was
00:37:39: die Betroffenen heute machen, dieses Netzwerk der Betroffenen
00:37:42: auch, die bundesweit sozusagen aktiv läuft, die ist sozusagen
00:37:46: nicht platziert in dieser Ausstellung, da habe ich
00:37:49: auch noch mal mit Lennart drüber geredet, wie können wir das
00:37:52: ausbauen, was können wir da noch hinzufügen, da sind wir, glaube
00:37:55: ich, noch in Gesprächen
00:37:57: und ich bin auch sehr zuversichtlich,
00:38:00: dass wir gemeinsam noch die Ausstellung eventuell ausbauen,
00:38:03: wenn es Möglichkeiten gibt. Aber auch dafür braucht es Geld,
00:38:07: kommen wir immer wieder zurück zu der Geldfrage, weil
00:38:11: wie gesagt, man könnte sie noch ausbauen und vielleicht sogar
00:38:15: überlegen, weil ja die Resonanz so hoch war von Schüler und
00:38:18: Schülerinnen, ob wir schauen daraus einen vernünftigen
00:38:22: Bildungsprojekt für die Hamburger Schulen zumindest
00:38:25: anzubieten, weil
00:38:26: auch die Schüler berichten mir immer wieder ne, dass sie von
00:38:30: das noch nie gehört haben. Die haben noch nie gehört, dass
00:38:33: Ramazan Avcı in Hamburg ermordet wurde, dass Süleyman
00:38:36: Taşköprü in Hamburg ermordet wurde, ist ein NSU-Mordopfer in
00:38:39: Hamburg. Ja, und dann gibt es noch Mehmet Kaymakcı in dem
00:38:42: Projekt und aber auch wir als Familie Arslan in Mölln, wo ja
00:38:46: auch die große Demonstration in Hamburg lief, sagen die Schüler,
00:38:49: die haben das nirgendswo gelesen.
00:38:52: Die ganze bundesdeutsche Geschichte von den
00:38:55: Achtzigern bis heute existiert im Bildungsbereich nicht. Das
00:38:59: ist ja krass. Also es ist nationalsozialistische
00:39:03: Geschichte, hat nicht mit dem Nationalsozialismus angefangen
00:39:07: und hat dort geendet, sondern sie geht weiter und das
00:39:11: muss implementiert werden in dem deutschen Bildungssystem, und
00:39:15: unsere Projekte können eventuell ein Baustein dessen sein.
00:39:28: Das ist ja auch immer so ein bisschen eine kuratorische
00:39:31: Überlegung. An wen richtet sich eigentlich so eine
00:39:34: Ausstellung, wen will man erreichen, was will man damit
00:39:36: erreichen, ist auch gar nicht so einfach. Also ne
00:39:39: einfache Antwort gibt es darauf ne, also wen möchten wir
00:39:42: erreichen? Wir möchten natürlich die gesamte Gesellschaft damit
00:39:45: erreichen, aber auch heranwachsende Schüler und
00:39:47: Schülerinnen,
00:39:48: die ja irgendwann dieses Land regieren werden. Und auch
00:39:51: Polizisten werden und auch Politiker werden, die möchten
00:39:54: wir, also ich mal aus meiner Perspektive, die möchte ich erst
00:39:57: recht erreichen, weil sie sind ja auch potenzielle Täter und
00:40:00: Täterinnen, die dann diese Taten umsetzen werden, hoffentlich
00:40:03: nicht, aber die möchten wir erreichen mit
00:40:06: unseren Projekten, und wenn wir diese Möglichkeiten nicht haben,
00:40:09: sie zu erreichen in ihren Bildungsbereichen, dann
00:40:13: haben wir gnadenlos versagt als Staat, muss ich sagen.
00:40:16: Würdet Ihr dann sagen, ich frage jetzt einfach so direkt, würdet
00:40:20: Ihr sagen das klappt also kommen die richtigen Leute auch
00:40:23: zu diesen Ausstellungen oder sind ist das schon
00:40:25: so, dass dann immer eher die Leute kommen, die sich eh schon
00:40:28: für das Thema interessieren und eh schon einigermaßen informiert
00:40:31: sind. Also im Rathaus würde ich sagen, wenn ich da mal
00:40:34: vorpreschen darf, im Rathaus würde ich sagen, war die
00:40:37: Resonanz ja sehr hoch, da kam ja jeder irgendwie, auch Touristen
00:40:40: kamen zu der Ausstellung, die waren total schockiert so.
00:40:43: Die kommen als Tourist nach Deutschland, irgendwie und
00:40:46: mitten in Europa, wo eigentlich die Demokratie sozusagen
00:40:49: entworfen wurde. Und dann erleben die sowas in der
00:40:51: Ausstellung, dass hier solche Taten passieren, und wir
00:40:55: erzählen ja nur n Bruchteil dessen, was bundesweit
00:40:58: passiert, wir erzählen ja nur Hamburger Geschichten und
00:41:01: das ist schon n beschämendes Bild, dass die Leute dann
00:41:04: sagen, ey, krass, ich hab davon nichts gewusst. Und aber die
00:41:07: Resonanz war sehr hoch.
00:41:08: Ich weiß nicht, ob es negative Feedbacks zu der ganzen
00:41:11: Ausstellung gab. Das müsste vielleicht Lennart noch mal
00:41:14: sagen, ob er irgendwas zurück bekommen hat, aber ich habe rein
00:41:17: nur positive bekommen, halt ergänzend dazu, dass es viel zu
00:41:19: wenig ist für die Leute, die sagen, kommt mit unserer
00:41:22: Ausstellung zu uns genauso wie wie St. Pauli-Museum das macht,
00:41:25: dass sie sagen, ey kommt mal zu uns, die Ausstellung muss auch
00:41:28: hier gezeigt werden, es ist für uns, auch für Lennart
00:41:30: wahrscheinlich, super wichtig, dass wir das überall zeigen in
00:41:33: Hamburg, so auch in den wichtigsten Orten. Ja, da kann
00:41:36: ich auf jeden Fall nur zustimmen.
00:41:38: Vielleicht so zu der Frage, also der Vorteil an den Ausstellungen
00:41:41: im Hamburger Rathaus ist, dass man tatsächlich prinzipiell
00:41:44: damit alle erreichen kann, weil es eben n öffentlicher Ort ist,
00:41:47: in dem ganz viele Tourist*innen oder auch Hamburger*innen
00:41:49: einfach mal so reinstolpern und dann sich dann plötzlich in so
00:41:52: einer Ausstellung wiederfinden und dann halt irgendwie, wenn
00:41:54: man sie abholen kann, dann da auch relativ viel Zeit drin
00:41:57: verbringen können, also nicht nur diejenigen, die gezielt da
00:42:00: hingehen, um diese Ausstellung zu besuchen, sondern eben auch
00:42:02: einfach Laufkundschaft sozusagen, die man dann damit
00:42:05: abholen kann.
00:42:06: Und das fand ich immer wieder ne schöne Sache, wenn ich
00:42:09: dann in der Rathausdiele da stand, weil ich einen Rundgang
00:42:12: gemacht habe, weil b und ich einen Pressetermin hatten oder
00:42:16: ähnliches. Da gibt es dann natürlich auch Polizeiaufsicht,
00:42:19: die sozusagen das Rathaus bewacht und die dann mitunter
00:42:22: eben auch in dieser Rathausdiele standen und sich dann zum
00:42:25: Beispiel die Tafeln zu Süleyman Taşköprü, zu den
00:42:27: Ermittlungen im NSU-Mord, zu der juristischen Aufarbeitung oder
00:42:31: auch Nicht-Aufarbeitung des Ganzen durchgelesen haben und wo
00:42:34: man
00:42:34: dann so ein bisschen den Eindruck hatte, das ist
00:42:37: sozusagen zielgruppenspezifische Arbeit an dieser Stelle und was
00:42:41: mich echt dann sehr gefreut hat so, und was glaube ich auch ganz
00:42:44: wichtig ist in solchen Ausstellungen dann, das nicht
00:42:47: irgendwie zu dämonisieren oder sowas, sondern eben eine
00:42:50: Anregung zu schaffen, einen Punkt zu schaffen, wo dann
00:42:53: gerade diejenigen, die da irgendwie das unter Umständen
00:42:56: nötig haben könnten, weil sie in ihrer Arbeit eben öfter damit
00:43:00: konfrontiert werden,
00:43:01: dann einen Anlass finden, nachzudenken, zu reflektieren
00:43:05: und zu überlegen, wie läuft das eigentlich sozusagen heute ab.
00:43:09: Negatives Feedback hab ich eigentlich auch nicht erhalten,
00:43:13: es gab nur, dass
00:43:15: kurz bevor oder kurz nachdem unsere Ausstellung abgebaut war,
00:43:19: die AFD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft ne
00:43:22: Pressemitteilung rausgeschickt hat, in der sie von einem
00:43:25: "linksextremen Schauermärchen" und so weiter berichtet haben. Aber
00:43:29: zugegebenermaßen, wenn da jetzt gar nichts gekommen wäre, wär
00:43:33: das natürlich irgendwie auch n bisschen schade gewesen
00:43:36: insofern
00:43:37: hat man sicherlich die richtigen getriggert. Aber eine
00:43:40: Anekdote habe ich noch zum Rathaus. Und zwar hatte ich die
00:43:43: Möglichkeit gehabt, mit einem Polizisten zu sprechen, der
00:43:46: womöglich migrantischen Hintergrund hat, der mir gesagt
00:43:49: hat, als er die Ausstellung, also als er die Bilder von dem
00:43:52: Mord auch an Süleyman Taşköprü gesehen hat, wo ja echt extrem
00:43:55: heftige rassistische Ermittlungsarbeiten in Hamburg
00:43:58: gelaufen sind, hat er gesagt "und soll ich dir was sagen", hat er
00:44:01: gesagt, "aus diesem Grund bin ich Polizist geworden".
00:44:10: Ibrahim, Du hattest auch schon gesagt, also dass wir dann als FC St. Pauli-
00:44:14: Museum ja auf Euch zugekommen sind und auf Lennart, um auch
00:44:19: die Ausstellung bei uns zu zeigen. Und das hatte natürlich
00:44:23: auch noch, also quasi natürlich, auch für uns sehr wichtig, denn
00:44:27: so wie Lennart das ja vorhin schon beschrieben hat, auch in
00:44:32: den 80er-Jahren in Hamburg als Zentrum
00:44:36: auch Rechter Gewalt in Deutschland war es natürlich
00:44:39: auch so, dass auch Fußball natürlich ein Abbild der
00:44:42: Gesellschaft ist und wir natürlich uns immer wieder die
00:44:45: Frage stellen, wie war es eigentlich bei St. Pauli, wie
00:44:48: war es beim HSV, beim HSV gab es dazu ja auch dann im HSV-Museum
00:44:52: mal eine Aufarbeitung der rechten Hooligan Gruppe "Die
00:44:55: Löwen" und natürlich sind manchen Fans, die sich mehr damit
00:44:59: beschäftigen, bei St. Pauli auch gewisse Themen
00:45:02: bekannt oder vielleicht noch irgendwie erinnerlich, aber auch
00:45:05: das verblasst so über die Jahre und das ist natürlich für uns
00:45:09: auch wichtig zu sagen, der FC St. Pauli war nicht immer ein
00:45:12: linker Verein und der Verein wurde das durch Fans, die eben
00:45:15: sich engagiert haben und wir haben auch diese Ausstellung von
00:45:19: Euch auch zum Anlass genommen, um noch mal zu beleuchten, was
00:45:22: eigentlich bei St. Pauli passiert ist und vor allem
00:45:25: gerade Ende der 80er-Jahre. Also man muss ja auch noch mal im
00:45:28: Ganzen sehen, dass die 80er- Jahre in Deutschland im Fußball
00:45:32: genau das widerspiegeln, was Lennart gesagt hat, und zwar
00:45:36: Rechte Strömungen in die Stadien. Fußball war verpönt,
00:45:39: das kann man glaube ich schon so sagen, es war wirklich so, dass
00:45:43: da nur noch Leute hatten, die wirklich Bock hatten auf Gewalt,
00:45:47: oft rechtsoffen waren oder vermeintlich unpolitisch, der
00:45:50: HSV hatte ja auch einen ganz niedrigen Zuschauerschnitt. Und
00:45:54: Leute wie Michael Kühnen von der NPD, die dann Leute quasi aus
00:45:58: der Kurve rekrutieren,
00:46:00: das war ja keine Seltenheit und da haben wir uns dann eben auch
00:46:04: mit dem FC St. Pauli beschäftigt und da sind natürlich dann immer
00:46:08: wieder Sachen, wo man merkt, so okay, das ist nicht mehr in der
00:46:12: im kollektiven Gedächtnis drin, wenn zum Beispiel Aufnäher in
00:46:16: den 80er-Jahren im Millerntor- Stadion, vorm Millerntor-Stadion
00:46:19: mit Reichskriegsflaggen, Aufnäher "Die Braunweiße Legion" mit
00:46:23: Eisernem Kreuz, also wirklich explizit auf den FC St. Pauli
00:46:27: auch quasi
00:46:28: gemacht und da haben wir denn jetzt versucht, auch in der
00:46:33: Ausstellung so ein bisschen auch dieses Thema zu beleuchten, und
00:46:37: ich glaube, ein ganz zentraler Moment ist der, es gab im
00:46:42: Oktober 1991, einen rassistischen Übergriff von St. Pauli-Fans
00:46:47: auf einen Fan aus dem türkischen Volkshaus. Das türkische
00:46:51: Volkshaus war ein Zentrum,
00:46:54: auch ein politisches Zentrum, damals in der Rindermarkthalle.
00:46:58: Ich glaube, bis zum Umbau der Rindermarkthalle war
00:47:02: es, glaube ich, sogar noch da vor Ort, und die Leute, die da
00:47:05: aktiv waren, sind dann so als Gruppe auch zwar nicht
00:47:09: geschlossen, aber so alle ins Stadion gegangen und tatsächlich
00:47:13: bei einem Heimspiel gegen Fortuna Köln im Oktober 1991 hat
00:47:16: dann eine Gruppe Neonazis in der Nordkurve am Millerntor, die
00:47:20: vermutlich der rechten Gruppe "United" zuzuordnen sind,
00:47:25: gerufen "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus". Das
00:47:28: wurde mehrfach im Stadion gerufen am Millerntor
00:47:32: 1991, also schon 4-5 Jahre nachdem der Totenkopf schon etabliert
00:47:37: wurde und eben quasi der große Hype um den FC St. Pauli
00:47:41: ja schon am Laufen war und daraufhin reagierte dann ein Fan
00:47:45: mit "Nazis raus" und wurde daraufhin beim Gang zum Bierstand
00:47:49: in der Nord dann von 7-8
00:47:51: Nazis zusammengeschlagen und daraufhin resultierte dann eine
00:47:55: Mobilisierung innerhalb des türkischen Volkshauses mit
00:47:58: Leuten, zum Beispiel auch eine Person, die dann damals auch mit
00:48:01: involviert war. Zum Beispiel kennt Ihr ja auch Gürsel
00:48:04: Yildirim, der auch im türkischen Volkshaus aktiv war, der auch
00:48:07: die Ausstellung "Migrantischer Widerstand", ich
00:48:10: glaube sogar kuratiert hat oder quasi auf die Beine gestellt
00:48:14: hat, und wir haben dann jetzt auch Leute interviewt, die auch
00:48:17: damals dabei waren, die aus dem Volkshaus waren, die da
00:48:20: involviert waren
00:48:21: Um auch das einfach noch mal ein bisschen zu beleuchten, denn das
00:48:26: ist eigentlich eine ziemlich wichtige Situation, denn daraus
00:48:31: folgten sehr viele Dinge. Also, denn zum
00:48:36: nächsten Heimspiel kam dann eine Gruppe aus dem
00:48:40: Volkshaus gebündelt eben ins Stadion und hat
00:48:44: dann das erste Mal quasi organisiert sich getroffen um
00:48:49: dort
00:48:51: sich den Rechten in der Nordkurve entgegenzustellen, und
00:48:54: das führte zu einer Auseinandersetzung zwischen den
00:48:56: Rechten in der Nordkurve, den Leuten aus dem Volkshaus und
00:48:59: Ordnern des FC St. Pauli. Folge war: Die Polizei wurde gerufen
00:49:03: und zwei Aktivisten aus dem Volkshaus wurden verhaftet. Das
00:49:06: ist wieder so ein klassischer Fall von die Ordner*innen haben
00:49:09: sich mit den Tätern solidarisiert und dann noch die
00:49:12: Polizei gerufen und die sind dann auch auf die
00:49:15: Betroffenen los, die sich da an der Stelle eigentlich nur
00:49:18: verteidigt haben.
00:49:19: Genau. Und daraufhin folgte dann eben tatsächlich etwas sehr
00:49:24: wichtiges, und zwar erstmals eine Banner-Aktion im Stadion im
00:49:29: November, wo erstmals der Verein als politisch aktiv mit
00:49:33: eingebunden war. Es wurden mehrere Banner gezeigt und dann
00:49:38: "Kein Fußbreit den Faschisten" und "Widerstand gegen
00:49:43: Rassismus gezeigt" von Personen aus dem Volkshaus
00:49:48: im Innenraum des Stadions zusammen mit Manfred Campe, dem
00:49:52: Geschäftsführer, dem damaligen, und das war so das erste Mal,
00:49:56: dass der Verein so wirklich involviert war in Dinge,
00:50:00: die man politisch nennen könnte, und es war sozusagen ein
00:50:04: erster Schritt. Es gab damals ein Fanzine 'Millerntor Roar!', die dann
00:50:08: auch einen offenen Brief des Volkshauses abgedruckt haben,
00:50:12: eine Stellungnahme auch des betroffenen Senol Asan und
00:50:17: daraufhin folgte tatsächlich auch der Antrag auf eine
00:50:21: Stadionordnung, die explizit rassistische Äußerungen auf
00:50:25: Transparenten, in Gesängen,
00:50:27: generelle Äußerungen, Rufe explizit am Millerntor verbietet,
00:50:30: was damit die erste Stadionordnung dieser Form im
00:50:33: deutschen Fußball war. Ja, das muss man sich auch mal vor Augen
00:50:36: führen, dass das bis quasi gar kein Thema war in Stadionordnungen
00:50:39: bis Anfang der 90er-Jahre und dann weiß ich gar nicht genau,
00:50:42: wie lange das gedauert hat, bis andere Vereine da nachgezogen
00:50:45: haben, glaube ich, das war auch noch mal eine Weile.
00:50:48: Interessant daran ist, dass es einen Film gab, auch unter
00:50:50: anderem von der Redaktion des 'Millerntor Roar!', also von dem
00:50:53: Fanzine von
00:50:54: 1991 "Und ich weiß, warum ich hier stehe", der explizit diese
00:50:58: Themen aufgreift. Und trotzdem ist es nicht in die allgemeine
00:51:02: Erinnerung oder in die
00:51:05: Kollektiverinnerung der Fanszene übergegangen. Es ist immer
00:51:09: wieder so, dass die Leute dann auf diese Reichskriegsflagge
00:51:13: gucken oder diese Aufnäher und sagen, krass, dass es das am
00:51:17: Millerntor gab, und es ist aber schon 1991 gab es schon
00:51:21: Leute, die genau das aufgezeigt haben und
00:51:25: jedenfalls war es auch so, dass wir jetzt versucht
00:51:28: haben, auch dem auch noch mal ein bisschen mehr
00:51:32: Raum zu geben, aber eben auch die Betroffenen zu Wort kommen
00:51:35: zu lassen, aber eben auch zu zeigen, was es eigentlich gab.
00:51:38: Es war dann natürlich nicht wie beim HSV, beim HSV war das
00:51:41: natürlich eine sehr tiefgehende, verwurzelte Szene, gerade im
00:51:45: Hooligan-Bereich. St. Pauli hatte auch rechtsoffene bis
00:51:47: vermeintlich unpolitische Hooligan-Gruppen oder eine
00:51:50: zumindest.
00:51:51: Aber genau das werden wir dann. In der Ausstellung könnt Ihr
00:51:55: Euch das dann gerne, für die Hörerinnen und Hörer, gerne auch
00:51:58: noch mal angucken, da gibt es einen kleinen Sonderbereich,
00:52:02: bevor es dann mit der Sonderausstellung "Rechte Gewalt
00:52:05: in Hamburg nach 45 bis heute" weitergeht. Ja, das wird auch
00:52:09: oft vergessen, dass Deutsche Fankurven auch wirklich
00:52:13: einfach Rekrutierungspools waren für die extreme Rechte,
00:52:16: wie heftig das im Fußball war zu dieser Zeit, und
00:52:20: das ist einfach
00:52:21: am Millerntor auch ein gutes Beispiel dafür, dass
00:52:24: wirklich Betroffene in Zusammenarbeit mit
00:52:26: Unterstützer*innen oder mit den Unterstützer*innen aus
00:52:29: der Hafenstraßen-Szene, also aus dem linken Spektrum, das
00:52:32: wirklich geschafft haben dann. Aber auch durch viel Druck
00:52:35: und durch wirklich massiven Druck auf die Vereinsführung und
00:52:38: immer wieder und auch natürlich einfach wirklich auch die aktive
00:52:41: Gegenwehr, die organisierte aktive Gegenwehr geschafft
00:52:44: haben, dass die Rechten aus dem Millerntor zu
00:52:46: drängen, was jetzt auch nicht heißt, dass im Stadion immer nur
00:52:51: 30.000 stabile Antifaschist*innen stehen. Also wir hatten
00:52:55: ja auch im HSV-Stadion eine Ausstellung gemeinsam mit
00:52:58: Genossen und Genossinnen aus der Fangruppe vom HSV auch
00:53:02: konzipiert und auch umgesetzt im HSV-Museum, was auch sehr schön
00:53:07: war. Aus Vereinsgeschichten vom Fußball kennt man das ja, es hat
00:53:11: Tradition, dass auch Rechte sich
00:53:14: in den Stadien treffen oder auch außerhalb des Stadions und
00:53:17: beispielsweise die Mörder von Ramazan Avcı waren auch aus der
00:53:21: HSV-Ultra-Szene und auch von Mehmet Kaymakcı kann man davon
00:53:25: ausgehen, dass die meisten halt HSV-Fans waren, was
00:53:28: aber nicht heißt, dass alle HSV- Fans jetzt irgendwie Nazis sind,
00:53:32: oder alle St. Pauli- Fans Nazis sind. Wichtig ist ja,
00:53:36: was wir auch hier gerade erwähnt haben, wie geht man mit der
00:53:40: Geschichtserzählung um und wie
00:53:42: geht man damit um und auch die Person, die angegriffen und
00:53:46: zusammengeschlagen wurde von den St. Pauli-Fans, Senol,
00:53:50: der wurde ja nicht angegriffen, weil er politisch
00:53:53: aktiv war in diesem Vereinshaus, sondern er wurde angegriffen,
00:53:57: weil er vom Aussehen her der migrantischen Szene zugeordnet
00:54:01: wird und es hätte eine x- beliebige POC- oder BPOC-Person
00:54:04: sein können, die zusammengeschlagen wird und
00:54:07: eventuell sogar ermordet wird
00:54:10: aus dem Bereich. Wichtig ist auch zu fragen, wie geht der Verein
00:54:14: mit dem Geschehnis umgibt es eine Plakette zu dem
00:54:18: zu dem Anschlag, gibt es ein Aufarbeitungs-Prozedere zu dem
00:54:21: Anschlag, wird die Familie der angegriffenen Person, also
00:54:25: der betroffenen Person eingeladen, um auch noch mal
00:54:29: Intervention zu treten im St. Pauli-Stadion oder außerhalb
00:54:32: oder hier im Podcast-Bereich beispielsweise. Das könnte man
00:54:36: auch noch mal hinterfragen ob es diese Möglichkeiten gibt.
00:54:40: Fakt ist halt, dass aber eine Art von
00:54:43: Aufarbeitung es gibt ja auch, wenn wir darüber hier jetzt
00:54:46: gerade sprechen, ist ja auch eine Art von Aufarbeitung. Wir
00:54:49: müssen halt schauen, wie wir das noch weiter
00:54:52: denken, wie wir das weiter ausbauen mit Betroffenen
00:54:55: gemeinsam, weil es ist ja kein Zufall, dass ich heute hier
00:54:59: sitze, ist auch kein Zufall, dass Lennart mit uns arbeitet,
00:55:02: sondern dass Ihr merkt das einfach, ohne die Betroffenen ist
00:55:05: es halt auch manchmal nicht möglich, eine Aufarbeitung zu
00:55:08: starten.
00:55:09: Vielleicht überlegen wir gemeinsam, wie wir genau diese
00:55:12: Geschichte, die hier erzählt wurde, auch über die St.
00:55:16: Pauli-Geschichte, es gibt noch bestimmt ganz viele unzählige
00:55:19: Geschichten, die wir nicht kennen, im Kontext von St. Pauli-
00:55:23: Fans, könnten wir gemeinsam aufarbeiten, würde ich sagen.
00:55:26: Absolut. Gerne. Da gibt es noch sehr, sehr viel zu erzählen, mit
00:55:29: Sicherheit. Erstmal freuen wir uns aber auf jeden Fall,
00:55:33: dass die Sonderausstellung seit dem 24. Oktober bis zum 2.
00:55:36: Februar bei uns
00:55:38: im FC St. Pauli-Museum zu sehen ist. Der Eintritt kostet 7 € und
00:55:41: dann seht Ihr quasi die Dauerausstellung von uns im FC
00:55:44: St. Pauli-Museum, aber eben auch die Sonderausstellung. Es
00:55:48: wird auch noch eine Reihe von Veranstaltungen geben zu
00:55:52: diesem Themenschwerpunkt, da informieren wir auf Social Media
00:55:55: und auf unserer Webseite, also guckt da immer mal wieder rein,
00:55:59: dann bekommt Ihr es auch mit, da würden wir uns natürlich auch
00:56:02: freuen wenn Ihr kommt. Ich würde gerne was ergänzen, hinzufügen
00:56:06: wenn ich darf und zwar
00:56:09: die betroffenen Gruppen und der Betroffenen-Netzwerk hat
00:56:12: ein sehr großes Vertrauen an dem Verein St. Pauli muss ich
00:56:15: sagen. Ja, also weil wir wollten vor einigen Jahren hier im St.
00:56:19: Pauli Stadion das Tribunal NSU- Komplex auflösen, noch mal
00:56:22: aufarbeiten, was wir in 2017 in in Köln konzipiert und umgesetzt
00:56:26: haben, eine gesellschaftliche Anklage, und da hat St. Pauli
00:56:29: eine ganz große Rolle auch bei den Betroffenen-Netzwerken
00:56:32: gespielt, ja, weil sie gesagt haben,
00:56:35: im St. Pauli-Stadion soll es stattfinden, nicht im Rathaus,
00:56:38: nicht auf der Straße, nicht beim HSV, sondern bei St. Pauli soll
00:56:41: es stattfinden. Deswegen gibt es einen sehr, sehr großen
00:56:45: Vertrauen zu dem Verein und auch im
00:56:47: Umkehrschluss, es hat ja nicht stattgefunden, weil Corona
00:56:51: dazwischengekommen ist und alles Mögliche, also wir
00:56:53: erwarten weiterhin vom FC St. Pauli, dass sie die Position
00:56:57: behalten und aber auch an uns rangehen, dass wir gemeinsame
00:57:00: Projekte
00:57:01: ins Leben rufen, so wie das Tribunal. Weil in Hamburg gibt
00:57:04: es ja weiterhin keinen Untersuchungsausschuss zu dem
00:57:06: NSU-Fall, obwohl es in anderen Tatorten vom NSU
00:57:09: Untersuchungsausschüsse gibt, stellt sich ja Hamburg immer
00:57:12: noch quer dazu und da könnte St. Pauli tatsächlich ein bisschen
00:57:15: vorpreschen, gemeinsam mit uns, um einige Sachen noch mal
00:57:18: aufzuarbeiten und zu sagen, Ey, wir fordern das immer noch und
00:57:21: es hat immer noch Kontinuität und Aktualität, und das
00:57:24: müssen wir gemeinsam machen, da erwarten wir vom FC St. Pauli
00:57:27: definitiv, dass sie an uns herantreten.
00:57:32: Ihr habt das letzte Wort, falls Ihr noch was sagen wollt. Da
00:57:35: muss ich einmal drüber nachdenken, was wir denn damit
00:57:37: machen. Ja, also ich freue mich auf jeden Fall auch sehr, dass
00:57:40: die Ausstellung jetzt im FC St. Pauli-Museum zu sehen ist
00:57:43: und damit sicherlich auch noch mal ein anderes Publikum
00:57:46: erreicht und vor allem würde ich mich wirklich freuen, wenn diese
00:57:50: Ausstellung eben dazu beitragen kann, ein Bewusstsein dafür zu
00:57:53: schaffen, dass Rechte Gewalt nie verschwunden war, sondern
00:57:56: wirklich ein Phänomen,
00:57:57: ein integraler Bestandteil eigentlich der Hamburger, aber
00:58:00: auch insgesamt der bundesrepublikanischen
00:58:02: Nachkriegsgeschichte ist und man sich darüber gewahr wird und
00:58:05: tatsächlich auch ein historisches Bewusstsein
00:58:08: erlangt, ein kritisches Bewusstsein darüber erlangt, wie
00:58:10: eigentlich mit dieser Gewalt in den vergangenen Jahrzehnten
00:58:13: umgegangen wurde, um daraus dann vielleicht endlich mal die
00:58:16: richtigen Schlüsse für die Jetztzeit zu ziehen. Genau
00:58:19: ergänzend würde ich einfach sagen, eigentlich gibt's nichts
00:58:22: mehr viel zu sagen, weil wir schon vieles gesagt haben, würde
00:58:25: ich noch sagen, also
00:58:27: die Betroffenen-Projekte haben wir festgestellt, sind sehr
00:58:30: besonders und die Betroffenen einzubeziehen in solche
00:58:33: Projekte ist sehr besonders, also müssten wir ab heute
00:58:36: darüber nachdenken, wie wir weitere Ideen gestalten,
00:58:38: gemeinsam mit Betroffenen- Projekte aber definitiv die
00:58:41: Betroffenen mit einbeziehen, so wie Lennart das gemacht hat, und
00:58:45: ich würde mich freuen, wenn an unseren Projekten, wir haben
00:58:48: bundesweit super viele Projekte und kann man ruhig an dem
00:58:51: Betroffenen-Netzwerk herantreten und fragen, ob wir
00:58:54: die Projekte gemeinsam ausbauen können mit
00:58:57: Menschen, die gerne solidarisch an unseren Projekten mit
00:59:00: teilnehmen möchten. Das wäre noch mal mein Appell an alle,
00:59:03: kommt und schaut Euch diese diese Ausstellung nicht nur an,
00:59:06: sondern überlegt gemeinsam mit uns weiter, wie wir diese
00:59:09: Ausstellungen noch weiter konzipieren können. Da kann man
00:59:12: nichts mehr hinzufügen. Vielen Dank, dass Ihr da wart. Vielen
00:59:15: Dank. Danke für die Einladung.
00:59:19:
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