#13 Trockenschwimmen im Haifischbecken: Der FC St. Pauli und seine Trainer
Shownotes
Ohne sie geht es nicht (mehr), mit ihnen manchmal auch nicht: In der 13. Folge FCSP-Geschichte(n) sprechen Celina, Christoph, Chrstopher und Thomas über legendäre und weniger legendäre Übungsleiter beim FC St. Pauli.
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00:00:00: Habt Ihr Euch entschieden, Christoph oder Celina? Ja, ich,
00:00:03: ich mach. Stimmt Christoph war beim letzten Mal dran. Nee, das
00:00:06: war ich. Ich verwechsle Euch. Nee ich hab das letzte
00:00:09: Mal auch gemacht. Du auch. Drei gleichzeitig. Alle.
00:00:16:
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00:00:28:
00:00:36: Moin, mein Name ist Celina. Ich bin Christopher. Ich bin Thomas.
00:00:40: Ich bin Christoph. Herzlich willkommen zu FCSP-Geschichte(n),
00:00:43: das n in Klammern, dem offiziellen Podcast des FC St.
00:00:46: Pauli-Museums. Ja schön, dass Ihr wieder eingeschaltet habt,
00:00:50: schön dass wir wieder zusammen sind hier in den Räumen des FC St.
00:00:53: Pauli-Museums. Ja und heute? Wir machen es kurz und knackig, denn
00:00:57: es hat sich beim letzten Mal rentiert, wir hatten quasi eine
00:01:01: knackige Sendung, damit wollen wir sozusagen weitermachen, denn
00:01:04: wir haben heute ein Thema ausgesucht, was
00:01:07: glaub ich eigentlich ganz gut passt zur aktuellen Lage oder
00:01:10: gepasst hat, denn es hat sich ja in Wohlgefallen aufgelöst und
00:01:13: zwar das Thema Trainer, über Trainer beim FC St. Pauli.
00:01:16: Einmal bevor wir jetzt in unsere Geschichten gehen,
00:01:20: hab ich mir ein bisschen was zusammengelesen, denn ich hab
00:01:22: mich gefragt, was sind eigentlich Trainer und wo kommt
00:01:25: das eigentlich her und gibt es eigentlich Trainer schon genauso
00:01:28: lange wie es Fußball gibt? 11 gegen 11 und hat es da
00:01:31: eigentlich zu Beginn schon direkt jemanden gegeben, der das
00:01:34: irgendwie angeleitet hat. Nach der Henne und dem Ei quasi. Es
00:01:37: wäre toll gewesen, wenn erst die Trainer da waren und dann der
00:01:40: Fußball. Ich bin sehr dafür, schon mal diese These allein, weil sie
00:01:43: mir sympathisch ist.
00:01:45: Also Trainer, aus dem englischen to train. Also ausbilden oder
00:01:49: dressieren. Ja, ein Job mit Entlassungsgarantie kann man ja
00:01:53: auch dazu sagen.
00:01:55: Ich hab mal nachgeschaut, also von allen Bundesliga-Teams ist
00:01:58: der VfB Stuttgart alleiniger Tabellenführer bei der Anzahl
00:02:01: der Trainer seit Beginn der Bundesliga. 61 Trainer waren es,
00:02:04: da die Bundesliga vor 61 Jahren an den Start ging, kann
00:02:08: man sagen, statistisch gesehen jedes Jahr ein Trainer beim VfB
00:02:11: Stuttgart, das finde ich schon respektabel. Aber wie ging es
00:02:14: eigentlich los? Also gab es
00:02:17: bei den ersten Teams auch direkt einen Trainer?
00:02:21: Ja und Nein. Wie wir wissen, entstand Fußball, wie wir ihn
00:02:25: heute kennen und schätzen, in England. Mit der frühzeitigen
00:02:28: Professionalisierung des Sports wurden auch bereits in der Pionierzeit
00:02:31: die ersten Trainer installiert. Während in Deutschland noch
00:02:35: Jahre die Aufstellung und Trainingszeiten vom
00:02:37: Mannschaftskapitän oder dem sogenannten Fußballausschuss der
00:02:41: jeweiligen Vereine festgelegt wurde. Zum Beispiel auch beim FC
00:02:44: St. Pauli bzw. dem St. Pauli Turnverein, war das auch so.
00:02:48: Da waren Trainer in England bereits Institutionen, zum Beispiel
00:02:51: George Ramsay, der zwischen 1893 und 1900 fünfmal die englische
00:02:55: Meisterschaft mit Aston Villa gewinnen konnte. 1893
00:02:58: schon der erste Trainer. Oder Tom Watson, der erste
00:03:01: Trainer Englands, der mit zwei verschiedenen Teams Meister
00:03:04: werden konnte. 1894 mit AFC Sunderland und 1901 mit dem FC
00:03:07: Liverpool. Man merkt auch, dass diese Vereine alle sehr, sehr
00:03:10: alt sind.
00:03:12: Dieses Überangebot an gut ausgebildeten Trainern führte
00:03:15: dazu, dass sich vermehrt britische Fußballlehrer auf dem
00:03:18: europäischen Festland nach Jobs umsehen mussten. Denn
00:03:22: so viele Vereine gab es nicht, die einen Trainer brauchten in
00:03:24: England. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass fast jedes
00:03:27: europäische Top-Team der 10er- und 20er-Jahre von britischen
00:03:30: Trainern angeleitet und manchmal gar gegründet wurde.
00:03:33: Besonders deutlich wird dies an der Personalie Samuel
00:03:36: Wolstenholme.
00:03:38: Dieser spielte Anfang des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20.
00:03:41: Jahrhunderts, Entschuldigung,
00:03:43: für den FC Everton und die Blackburn Rovers. Nach einer
00:03:45: Kopfverletzung beendete Wolstenholme seine
00:03:47: Spielerkarriere und ging aufgrund mangelnder Perspektiven
00:03:50: in England, wie ich es gerade schilderte,
00:03:52: als Trainer nach Deutschland. Er wurde im Frühjahr 1914 als
00:03:55: erster Trainer für die Norddeutsche Fußballauswahl
00:03:58: angestellt.
00:03:59: Und trainierte fortan vor allem Hamburger Fußballgrößen wie Otto
00:04:03: Harder, auch genannt Tull, und Adolf Jäger. Der Spitzname
00:04:07: Harders geht übrigens zurück auf den englischen Stürmer Walter
00:04:10: Tull.
00:04:11: Also alles sehr englisch geprägt, doch keine drei Monate
00:04:14: nach Wolstenholmes Dienstantritt brach der Erste Weltkrieg aus
00:04:18: und der Brite wurde als "feindlicher Ausländer" im Lager
00:04:21: Ruhleben bei Berlin interniert.
00:04:23: Dort traf er auch viele andere britische Mithäftlinge, wie zum
00:04:26: Beispiel Fred Pentland, den Trainer der Deutschen Fußball-
00:04:30: Olympiaauswahl, Steve Bloomer, den Trainer von Britannia 92
00:04:33: Berlin, James Cameron, Trainer des Dresdner SC, und John
00:04:36: Brearley, Trainer von Viktoria Berlin.
00:04:39: Ja, man merkt, es waren sehr viele englische Trainer in
00:04:42: Deutschland vorm Ersten Weltkrieg aktiv. Sie gründeten die
00:04:45: Ruhleben Football Association und organisierten ein Cup- und
00:04:48: Liga-System im Internierungslager Ruhleben mit
00:04:50: bis zu 1.000 Zuschauern pro Spiel.
00:04:53: Diese Erfahrung hielt aber auch englische Trainer nicht davon
00:04:56: ab, nach dem Ersten Weltkrieg weiterhin ihr Glück in
00:04:59: Deutschland zu suchen. Der bekannteste englische Trainer-
00:05:02: Pionier war William Townley. Er führte den DFC Prag 1903 ins
00:05:06: Finale der Deutschen Meisterschaft und gewann unter
00:05:08: anderem mit dem Karlsruher FV um die Stars Gottfried Fuchs und
00:05:12: Julius Hirsch 1910 den deutschen Meistertitel. Neben dem FC Bayern
00:05:16: München trainierte er auch den Hamburger SV, SC Victoria und SV
00:05:19: St. Georg. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute gab es in
00:05:22: Deutschland tatsächlich auch nur noch einen einzigen englischen
00:05:26: Trainer.
00:05:27: Wisst Ihr, wer das war?
00:05:29: Bin gespannt.
00:05:31: Also ich weiß es, weil ich Dein Skript vorher lesen
00:05:34: durfte. Bobby Charlton. Bobby Charlton war in der
00:05:37: Bundesliga, das wär mir neu. Bobby Charlton bei der TSG
00:05:40: Hoffenheim. Nein, ist das Steve McClaren beim VfL Wolfsburg.
00:05:43: Ah. Kleine Ergänzung noch zu William Townley. Sein Sohn hat
00:05:47: tatsächlich auch dann gespielt, als er bei Victoria Trainer
00:05:51: war. Hat dann der Sohn Jimmy Townley nämlich für Victoria
00:05:54: gespielt und hat auch mindestens viermal gegen St. Pauli
00:05:58: gespielt zwischen 1921 und 1923. So, da ist sie wieder, da ist
00:06:02: der Bogen zu St. Pauli. Eben, den brauchten wir jetzt noch
00:06:05: schnell. Also es gab beide Szenarien quasi, es gab
00:06:08: Hühner, die Eier gelegt haben quasi und ihre eigenen Vereine
00:06:12: gegründet haben und es gab
00:06:15: Eier, die sich Hühner ausgebrütet haben, also mal nicht hundertprozentig,
00:06:19: aber ihr wisst, was ich meine. Es ist tatsächlich
00:06:22: ein Faktor der Professionalisierung, denn in
00:06:25: Ungarn zum Beispiel gab es auch eine Art von Profifußball, so in
00:06:29: den 1910er Jahren, und als dann viele von denen geflüchtet sind
00:06:33: nachdem 1919 ein Militärregime in Ungarn an die
00:06:36: Macht gekommen ist mit antisemitischen Gesetzen, sind
00:06:40: viele ungarische Trainer und Spieler ins Europäische, also
00:06:43: nach Westeuropa gegangen.
00:06:46: Und deshalb waren sehr, sehr viele sehr hoch angesehene
00:06:50: Trainer in den 20er Jahren Ungarn in Europa. Zum Beispiel
00:06:54: Béla Guttmann bei Benfica Lissabon. Da gab es so einige.
00:06:57: Konrad in Nürnberg und auch der Meistertrainer der
00:07:01: Bayern '32 war. Dombi und Gyula Kertész ist glaube ich im VfB
00:07:06: Leipzig entweder Meister geworden oder Vizemeister. Also
00:07:10: da gab es auf jeden Fall einige Jahre... Nee, wir sind keine
00:07:14: Nerds, nein, nein, wir sind jetzt, wir sind jetzt
00:07:17: Loser*innen.
00:07:18: Soll ich mal losen, wer von Euch anfängt? Loser*innen, nicht
00:07:22: etwa Looser*innen? Nein, nein, nein, niemals. Es
00:07:26: ist ja so, wer das nicht so oft hört, weiß es vielleicht nicht.
00:07:30: Wir haben Euch drei Geschichten zu bieten und Thomas als
00:07:33: gnadenloser und absolut unbestechlicher Schiedsrichter
00:07:36: lost aus, wer wann drankommt. Genau und jetzt ist dran
00:07:40: Celina. Ich habe letztes Mal schon angefangen.
00:07:44: Das Los ist unbestochen. Das Los ist gnadenlos.
00:07:48: Ok, es ist ein verregneter Montag im November.
00:07:53: Über der Stadt hängt eine graue Wolkendecke, es ist ungemütlich
00:07:57: und kalt.
00:07:59: In einer noblen Elbchaussee- Villa im Hamburger Westen
00:08:01: treffen sich nach Anbruch der Dunkelheit sechs Männer, um einen
00:08:04: Deal auszuhandeln, wie es ihn in der Geschichte des deutschen
00:08:07: Fußballs zuvor noch nicht gegeben hat.
00:08:10: Es geht um Geld.
00:08:13: Um viel Geld.
00:08:17: Was klingt wie eine Szene aus einem mittelmäßigen deutschen
00:08:21: Fernsehkrimi, ist tatsächlich so passiert am 9. November 1987.
00:08:26: Die Protagonisten auf der einen Seite: HSV-Präsident Ernst
00:08:30: Naumann, sein Schatzmeister Horst Becker und Felix Magath,
00:08:34: Manager.
00:08:36: Auf der anderen Seite Dr. Otto Paulick, FCSP-Präsident, Jurist
00:08:40: und Inhaber der besagten Elbchaussee-Villa. Sein
00:08:43: Stellvertreter Heinz Weisener und FCSP-Manager Georg Volkert.
00:08:47: Der hatte so einen Spitznamen. Was hast du vorhin gesagt? Schorsch.
00:08:51: St. Pauli spielt zu diesem Zeitpunkt sehr erfolgreich in
00:08:54: der 2. Bundesliga und steuert zum zweiten Mal in Folge
00:08:57: auf den Aufstieg zu, während der HSV glücklos im Mittelfeld der
00:09:00: 1. Liga rumdümpelt.
00:09:02: Die HSV-Verantwortlichen sind mit der sportlichen Situation
00:09:05: unzufrieden, der Trainer auch. Nach 15 Spieltagen am Volkspark
00:09:09: wirft Josip Skoblar, dem Ernst Happels Fußstapfen wohl ein
00:09:12: bisschen zu groß waren, das Handtuch und bittet um die
00:09:15: Aufhebung seines Vertrags.
00:09:17: Die HSV-Vereinsführung stimmt zu und verkündet noch am selben Tag,
00:09:21: Sonntag, öffentlich einen Wunsch- Nachfolger für die vakante
00:09:24: Position.
00:09:25: Und damit sind wir beim Grund für das konspirative
00:09:28: Montagstreffen in Paulicks Villa. Denn für den sportlichen Erfolg
00:09:32: des FC St. Pauli ist zumindest in den Augen der
00:09:34: Volksparkdelegation vor allem ein Mann verantwortlich:
00:09:37: Cheftrainer Willi Reimann.
00:09:39: Und den möchte der HSV verpflichten, sofort mitten in
00:09:42: der Saison aus einem laufenden Vertrag heraus. Warum es
00:09:45: unbedingt Reimann sein muss, versteht niemand so richtig, am
00:09:49: wenigsten Willi Reimann. Der gelernte Karosseriebauer ist mit
00:09:52: 37 Jahren alles andere als ein erfahrener Übungsleiter, die
00:09:55: Stationen seiner Trainerkarriere sind überschaubar. SC Egenbüttel, ich
00:09:59: weiß, was Ihr Euch jetzt fragt, die Antwort ist Rellingen,
00:10:02: Kreis Pinneberg.
00:10:05: Altona 93, FC St. Pauli, das wars.
00:10:10: Trotzdem, Felix Magath ist sich sicher, dass nur Reimann
00:10:13: den HSV an die Spitze der Bundesliga führen kann und die
00:10:15: Raute im Herzen will, was sie will. Was abgefahren ist, weil
00:10:18: Felix Magath dann ja offensichtlich jemand anders
00:10:21: empfiehlt als sich selbst. Das ist ja
00:10:24: komplett undenkbar. In späteren Jahren auf jeden Fall. Ich hätte gedacht, ab Kindergartenalter
00:10:29: immer gesagt hat, ich alles.
00:10:33: Das ist ja Kühne, der das immer sagt, dass Felix Magath der Trainer
00:10:36: werden soll. Ein anderer Präsident hätte dem HSV mitten
00:10:39: im Aufstiegsrennen vermutlich eine Absage erteilt, nicht Dr.
00:10:43: Otto Paulick. Es sind
00:10:45: finanziell schwierige Zeiten am Millerntor. Ah. Nanu. Komm 3-4
00:10:49: Monate mal, denn sonst waren wir immer prosperierend. Die
00:10:52: Sportpresse bezeichnet den FC St. Pauli Ende der 80er gerne
00:10:55: als "Armenhaus der Liga". Hat eigentlich keiner "FC St. Pleite"
00:10:58: gemacht, das muss man, musste doch mit Sicherheit. Ach das
00:11:02: wird schon irgendwo mal gestanden haben, das würde mich
00:11:05: wundern.
00:11:07: Kein Zweitliga-Verein operiert zu diesem Zeitpunkt mit einem
00:11:10: knapperen Budget und so wittert der gewiefte Geschäftsmann
00:11:12: Paulick in der Verzweiflung des Stadtrivalen eine Chance und
00:11:15: lädt die HSV-Vereinsführung kurzerhand zu sich nach Haus
00:11:18: ein.
00:11:19: Am Dienstag nach der nächtlichen Verhandlungsrunde tritt Ernst
00:11:23: Naumann vor die Presse und verkündet: "Erfolgreiche
00:11:26: Gespräche. Eine Einigung steht bevor." St. Pauli will Reimann
00:11:30: ziehen lassen, unter einer Bedingung, die Nachfolge muss
00:11:33: geklärt sein.
00:11:34: Wunschkandidat am Millerntor: HSV- Legende und Kopfballungeheuer
00:11:39: Horst Hrubesch. Was? Ja, das wäre es gewesen.
00:11:45: Identifikation mit dem Verein. Drei Worte nur, großartige
00:11:49: Idee.
00:11:52: Als dieser allerdings kalte Füße bekommt und kurzfristig absagt,
00:11:55: gerät der ganze Deal dann noch mal kurz ins Wanken. Komisch.
00:11:58: Hrubeschs fadenscheinige Begründung "Ich suche eine Aufgabe, bei der ich
00:12:01: etwas bewegen kann, bei St. Pauli läuft alles so super, da
00:12:04: hätte ich keine Akzente setzen können."
00:12:09: Wer will schon aufsteigen? Ich brauche so einen Verein, der so
00:12:13: richtig am Boden ist.
00:12:16: Paulick bleibt nichts anderes übrig, als FCSP-Co-Trainer
00:12:18: Helmut Schulte die alles entscheidende Frage zu stellen.
00:12:21: "Trauen Sie sich das zu oder brechen Sie mir unter der Last
00:12:24: der Verantwortung zusammen?" "Wenn ich mir das nicht zutrauen
00:12:26: würde, wäre ich ja der falsche Co-Trainer gewesen", antwortet
00:12:29: Schulte selbstbewusst. Also alles geklärt.
00:12:32: Am Mittwoch um 10:00 Uhr, 72 Stunden nach Skoblars Kündigung,
00:12:35: tritt Willi Reimann seine neue Position als Cheftrainer an. Ernst
00:12:39: Naumann gibt gegenüber der Presse hörbar erleichtert zu
00:12:42: Protokoll, St. Pauli habe sich freundschaftlich und fair
00:12:45: verhalten.
00:12:47: Wie das so unsere Art ist. Auch Paulick gibt sich versöhnlich,
00:12:50: "Willi Reimann war mit seinen Gedanken schon beim HSV und der
00:12:53: Schritt ist uns nicht leicht gefallen, doch wir wollten ihm
00:12:56: keine Steine in den Weg legen".
00:12:58: Was beide Seiten an dieser Stelle
00:13:01: unerwähnt lassen, die noble Freundschaftsgeste des FC St.
00:13:04: Pauli kostete den HSV 600.000 D-Mark,
00:13:06: heute umgerechnet 650.000 Euro.
00:13:10: Es war das erste Mal überhaupt im deutschen Fußball, dass für
00:13:14: einen Trainer offiziell eine Ablösesumme gezahlt wurde.
00:13:18: Der Willi Reimann kam halt nicht vom AC Mailand.
00:13:21: Nee. Sondern aus der 2. Liga. Ja. Ich find ja selber jetzt noch
00:13:25: 600.000 Euro für einen Trainer schon viel. Schon
00:13:29: abgefahren. Wenn es nicht gerade die oberste Klasse ist definitiv ja. Aber
00:13:33: also ich glaub die höchste.
00:13:36: Das hab ich neulich noch. Thomas, kannst du das
00:13:38: nachgucken? Ich hab gerade noch gesehen, was die höchste glaube
00:13:41: ich jemals verzeichnete Ablösesumme für einen Trainer
00:13:44: ist.
00:13:45: Kommt aus Deutschland. Nagelsmann. Ich wollt grad sagen,
00:13:48: war das nicht Nagelsmann? Das war aber Nagelsmann von Leipzig zu
00:13:51: Bayern.
00:13:52: Für aber mehrere Millionen auf jeden Fall 7.000.000 also.
00:13:57: Erster Eintrag, über 20.000.000 ja, das waren glaub ich wirklich
00:14:00: tatsächlich.
00:14:02: Von Bayern an Leipzig. Ja, also steht hier jetzt so quasi nicht
00:14:06: nur deutscher Rekord, sondern globaler Rekord, wenn
00:14:11: ich das richtig verstanden hab. Und man die nach zwei Jahren
00:14:14: wieder so, naja egal. Durchlaufender Posten oder so.
00:14:16: Kann man sicher gut absetzen von der Steuer. Manchmal muss man ja
00:14:20: Verluste machen. Die Kirsche auf dem Deal war
00:14:23: übrigens Jens Duve, der spielte schon seit einem Jahr oder rund
00:14:26: einem Jahr auf Leihbasis für St. Pauli und wechselte im Zuge des
00:14:29: Reimann-Deals endgültig und dann quasi ablösefrei, wenn man so
00:14:33: will ans Millerntor. Da gab es relativ heftige Streitigkeiten,
00:14:36: ich glaube da gab es auch schon einen Termin vorm DFB-
00:14:39: Schiedsgericht, quasi gab es schon Schlichtungstermine und
00:14:42: mit dem Deal haben sie es dann quasi endgültig geklärt.
00:14:49: Ja, der HSV verbessert sich unter Reimann am Ende immerhin
00:14:52: von Tabellenplatz 9 auf Tabellenplatz 6.
00:14:56: Und St. Pauli? Helmut Schulte macht als Notlösung alles
00:14:59: richtig, nämlich erstmal nicht viel. Die Mannschaft ist topfit,
00:15:02: perfekt eingestellt und nach wie vor auf Erfolgskurs. Als sich
00:15:05: immer mehr Führungsspieler hinter Schulte stellen, wird
00:15:08: der Interimstrainer vom FCSP- Präsidium schließlich zum
00:15:11: jüngsten Cheftrainer im deutschen Fußball befördert. Das
00:15:13: erste Spiel in Oberhausen 6:1 gewonnen, das war natürlich ein
00:15:17: guter Start, da hat er viele Argumente auf seiner Seite
00:15:19: gehabt definitiv. Das ist so, ja.
00:15:22: Anders als Reimann, der als harter Hund gilt, ist Helmut
00:15:26: Schulte bei den Fans und beim Team beliebt. Kleiner Exkurs.
00:15:31: Bei seinem ersten Spiel am Millerntor wurde Reimann von den
00:15:35: Rängen ausgepfiffen und mit "Willi du Arschloch"-Rufen
00:15:38: bedacht. Wisst ihr, warum? Altona 93. Eher, weil er früher beim HSV
00:15:42: gespielt hat ja auch, das war ja wahrscheinlich auch ein
00:15:45: Mitgrund möglicherweise für den HSV, sich für ihn zu
00:15:48: entscheiden, weil er eben aber direkt als Spieler da schon.
00:15:52: Also ich glaube so ein Hauch Altona 93 kam damals auch nicht so gut an.
00:15:55: Echt waren die nicht komplett egal damals? Naja er hat, das
00:15:59: Ding ist, er hat relativ kurz vor seinem Wechsel zu St. Pauli sehr
00:16:03: lautstark und quasi ohne Not verkündet, er würde niemals zu
00:16:06: den ich zitiere "Braunen" gehen.
00:16:11: Ein Mann steht zu seinem Wort, würde ich sagen. Deshalb waren
00:16:14: die St. Pauli-Fans nicht so begeistert, als er dann
00:16:17: aufgelaufen ist. Am Ende der Saison 87/88 ist es Helmut
00:16:20: Schulte, der nach dem Aufstieg in Ulm von St. Pauli-
00:16:23: Fans auf Händen vom Platz getragen wird. Es ist Helmut
00:16:26: Schulte, der beim Autokorso vom Hamburger Flughafen nach St.
00:16:29: Pauli mit Volker Ippig auf dem Dach des Mannschaftsbusses
00:16:32: feiert und es ist Helmut Schulte, der bis spät in die
00:16:35: Nacht mit der Mannschaft und den Fans auf dem Kiez feiert. Aber
00:16:38: das ist eine andere Geschichte.
00:16:41: Willi Reimanns Liaison mit dem Hamburger SV hält bis Januar
00:16:45: 1990, es folgen Gastspiele bei Norderstedt, Lurup, Wolfsburg
00:16:48: und Nürnberg. Im Februar 1999 kehrt Reimann für viele
00:16:51: überraschend noch einmal als Trainer ans Millerntor zurück,
00:16:55: als Nachfolger von Gerhard Kleppinger.
00:16:58: Nach knapp einem Jahr bittet er Heinz Weisener, mittlerweile
00:17:01: Präsident, um vorzeitige Vertragsauflösung. Angeblich,
00:17:05: weil er die hohen Erwartungen wegen der finanziellen Lage
00:17:08: nicht erfüllen konnte. Das Ruder übernimmt Dietmar Demuth.
00:17:12: Und damit endet die Willi Reimann/FC St. Pauli-
00:17:15: Geschichte. Ja, da kann ich mich sehr, sehr gut dran erinnern an
00:17:20: die Zeit unter Willi Reimann, '99 das geile Jahr.
00:17:25: Mit wundervollen Spielern. Ich hab komischerweise so ein, das
00:17:28: hat sich so eingebrannt, ich hab ein Testspiel gesehen, damals hat
00:17:31: St. Pauli ganz oft Testspiele am Borgweg gemacht bei VfL 93
00:17:34: auf der Anlage und da hab ich ein Testspiel gesehen, ich
00:17:37: weiß nicht mehr gegen wen.
00:17:39: Ich glaub es war irgendeine zweitklassige Mannschaft aus
00:17:43: Belgrad und ich glaube, das Spiel ging auch nicht gut aus
00:17:46: und ich weiß noch, dass damals Willi Reimann dann
00:17:51: einen Spieler vom VfL Wolfsburg geliehen hat, Dragan Stevanović
00:17:55: und der war so unfassbar schlecht und daran erinnere mich
00:17:58: einfach. Und wie alt war ich da, 12/13 glaube ich und ich erinnere
00:18:02: mich aber an dieses Spiel, weil es doch geregnet und Willi
00:18:05: Reimann sah einfach aus wie jemand, der sich einfach
00:18:08: durchgängig nur ärgert und einfach wütend ist. Und ich
00:18:12: glaube, das war vielleicht gar nicht so eine falsche Annahme.
00:18:17: Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie er auf dem
00:18:20: Mannschaftsbus, aus dem Dach des Mannschaftsbusses hängt und
00:18:23: feiert. Die Feiern wären auf jeden Fall anders gewesen und
00:18:26: die Feiern dann wären auch anders gewesen. Wer Lust hat,
00:18:29: kann sich das alles ja auch gerne bei uns im Museum
00:18:32: anschauen, denn dieses Kiezbeben steht ja nach wie vor im
00:18:35: Zentrum
00:18:36: tatsächlich der Ausstellung und hat ja auch dann fulminante
00:18:39: Auswirkungen auf die Vereinsgeschichte und die
00:18:42: Rezeption des Vereins. Die mediale Rezeption des Vereins
00:18:46: gehabt, in Verbindung natürlich mit diversen anderen Faktoren.
00:18:50: Aber dafür kommt Ihr ja dann auch ins Museum. Oder wisst Ihr
00:18:53: auch schon. Genau, und wer aber sonst, wenn man so das Interesse
00:18:56: daran hat, mal grantige alte weiße Trainer, die mit dem FC
00:18:59: St. Pauli aufsteigen, wie die dann feiern. Es gibt ein paar gute
00:19:02: Berichterstattungen über Uli Maslow und den Aufstieg '95.
00:19:05: 95/96 dann die Bundesligasaison.
00:19:10: Ja, da sind auch schöne Bilder und Uli Maslo, das alte
00:19:13: Feierbiest. Wo ich ja immer noch so ein bisschen rätsele ist irgendwie,
00:19:18: warum saß den Rauten bei Reimann das
00:19:20: Portemonnaie so dermaßen locker?
00:19:24: Hatten die wirklich keine Kontakte? Verzweiflung vielleicht? Ich
00:19:27: mein, das waren doch die globalen Player, die mit, ich
00:19:30: dachte, die rufen einfach an. Die waren aber auch schon ein bisschen auf dem
00:19:32: absteigenden Ast, oder?
00:19:34: Na ja, gut, die hatten ja dann noch mal mit glaub ich in der
00:19:37: letzten Saison mit Ernst Happel ja noch mal den
00:19:40: Pokal geholt, dann eben im Sommer '87 war das dann ja meiner
00:19:43: Ansicht nach und dann eben Happel weg, die große
00:19:47: Ära ist vorbei, der neue Trainer scheint es offensichtlich nicht zu sein
00:19:50: und man war da wahrscheinlich, wir müssen doch dranbleiben,
00:19:54: wir müssen noch, also das ist jetzt so meine Interpretation
00:19:57: einfach. Aber warum auf einen Zweitliga-Trainer aus der
00:20:00: der eigenen Stadt sozusagen zurückgreifen und nicht
00:20:03: irgendwie größer denken,
00:20:04: gute Frage. Vielleicht waren es die Reisekosten. Felix Magath
00:20:07: hat damals in Interviews so oft betont, dass es sich um den
00:20:10: absoluten Wunschkandidaten und nicht um eine Notlösung
00:20:12: gehandelt hat, dass ich mir absolut sicher bin, dass es sich
00:20:15: um eine Notlösung handelt. Hundertprozentig. Das ist
00:20:18: auch gut möglich, ja.
00:20:20: Ach ja, sobald Magath dabei ist, ist irgendwie auch immer so ein
00:20:22: bisschen absurd. Das find ich ganz schön.
00:20:24: Wenn du Spieler bist, wirst du es anders sehen wegen der
00:20:28: Medizinbälle und so. Aber na ja. Ich hätte hier noch zwei Lose. Ja,
00:20:33: Christoph. Alsdann.
00:20:34: Genau die gleiche Reihenfolge. Ich kann es doch nicht ändern. Wenn Ihr das noch wisst.
00:20:38: Soll ich die noch doch mal zinken oder so, ich weiß es
00:20:41: nicht, aber das ist halt so. Thomas, du darfst der dunklen Seite
00:20:45: der Macht nicht nachgeben. Ja danke. Wir glauben
00:20:48: an Dich.
00:20:50: Das Publikum auch. Und also bestechungsfrei, nicht etwa mit
00:20:53: den Resten der Reimann-Millionen gekauft. Mein Startplatz 2,
00:20:57: Christopher lehnt sich n bisschen zurück, hat schon die
00:21:00: Schlafbrille übergeschoben. Ich bin noch gar nicht dran.
00:21:04: Ja, genau, und ich erzähle euch von einem Menschen, den ich mal
00:21:09: nenne: Der Mann, dem niemand das Wasser reichte.
00:21:14: Wird gleich noch näher erklärt. Ich hab mir nämlich einen echten
00:21:17: Erfolgstypen ausgesucht, das ist aber noch nicht die Erklärung
00:21:21: als Spieler zweifacher deutscher Meister, zweifacher
00:21:24: Pokalsieger, Mannschaftskapitän mit 21. Ok, das wohl nur weil
00:21:27: Zitat "die Älteren sich nicht einigen konnten", so hat es mir
00:21:30: ein ehemaliger Mitspieler von meinem Kandidaten erzählt, aber
00:21:33: vielleicht passt das auch ganz gut, denn Heinz Hempel, über den
00:21:37: will ich jetzt was erzählen, der war als Spieler wie als Trainer
00:21:40: ein Typ, der Konflikte entschärfte, der sich in den
00:21:43: Dienst der Mannschaft stellte und auf den
00:21:45: sich buchstäblich viele einigen konnten. Und Heinz Hempel war
00:21:50: und ist nicht weniger als der Rekordtrainer des FC St.
00:21:54: Pauli.
00:21:55: 11 Jahre Chefcoach von 1952 bis 1963, das hat Heinz Hempel bis
00:21:59: heute keiner nachgemacht. Übrigens, vielen Dank für die
00:22:02: geballten Feierfäuste, Christopher. Als FC St. Pauli-
00:22:06: Mitglied bin ich natürlich geschädigt, wenn jemand zwei Arme
00:22:09: hochreißt und ich dachte schon ach du Schande, Christopher will
00:22:13: was zur Satzung sagen.
00:22:16: Da habe ich noch zwei Fragen, Satzungsabstimmung nachts um Zwei,
00:22:18: das ist doch einfach mal das allerschönste und das schon nach
00:22:21: dem dritten Absatz.
00:22:24: Könnte mir aber auch denken, dass dieser Rekord auch in alle
00:22:28: Ewigkeit bestehen wird. Denn elf Jahre lang wird glaube ich nie
00:22:31: wieder ein Trainer hier am Stück Trainer sein. Das
00:22:34: würde mich echt sehr wundern. Wie war das in Freiburg, die sind ja
00:22:38: auch immer gerne mal sehr lange dabei. Ja da, sowohl
00:22:41: Finke als auch jetzt Streich. Ich glaube Freiburg hatte in den
00:22:44: letzten 25 Jahren glaube ich drei Trainer oder vier. Aber ja,
00:22:48: solange hier keine Stuttgarter Verhältnisse einkehren. Wir sind
00:22:51: ja auch nicht der HSV. Allerdings nicht, welche Metapher
00:22:54: man wohl in Freiburg verwendet, weil ein Karussell ist das dann
00:22:57: ja nicht, da rotiert ja
00:22:59: überhaupt nichts. Eine Langlaufloipe, immer geradeaus.
00:23:02: Trainerloipe, sehr schön. Ja genau, also für uns
00:23:06: jetzt in der Trainerloipe Hempels Heinz. Ich weiß nicht ob
00:23:09: er Wintersport konnte, er ist gebürtiger Dresdner, weiß nicht
00:23:13: ob man das da kann oder nicht, jedenfalls was hat Heinz Hempel
00:23:17: denn vor 1952 gemacht? Das könnt ihr unter anderen in diesem
00:23:20: historischen Spielbericht von 1944 hören. Er stammt aus einer
00:23:24: Wochenschau, damals zugleich die wichtigste Nachrichten- wie auch
00:23:28: Propaganda-Sendung im nationalsozialistischen
00:23:31: Deutschland. Gezeigt wird ein Spiel, das aufgrund seiner
00:23:34: Beteiligten spannend ist. Der Dresdner SC, unter anderem eben
00:23:38: mit Heinz Hempel gegen den Hamburger Luftwaffen SV, unter
00:23:41: anderem mit Karl Miller. Wer unsere
00:23:44: Ausstellungen "Lebenswege" oder "Fußball in Trümmern" gesehen hat
00:23:47: oder wer sich allgemein mit braun-weißer Geschichte
00:23:49: auskennt, weiß Karl Miller war einer der wenigen
00:23:51: Nationalspieler des FC St. Pauli. Und ja, wir hören jetzt
00:23:54: mal in diesem Spielbericht von 1944 rein.
00:23:58: "Vor Zehntausenden von Soldaten und Rüstungsarbeitern treffen
00:24:01: die Mannschaften des Dresdner Sportclubs und des
00:24:03: Luftwaffensportvereins Hamburg im Endspiel um die fünfte
00:24:06: deutsche Kriegsmeisterschaft zusammen. Ein Prachtschuss des
00:24:09: Dresdners Schön geht an den Pfosten.
00:24:13: Der Nachschuss übers Tor. Im Laufe des Spiels wird Dresden durch
00:24:17: besseres technisches Können überlegen und gewinnt klar mit 4:0
00:24:21: Toren."
00:24:24: Helmut Schön, oder? Das war in der Tat Helmut Schön damals schon.
00:24:28: Wo ist der eigentlich? Den habe ich lange nicht gesehen,
00:24:32: ja, allerdings, also der ist vermutlich beim Hamburger SV.
00:24:36: Nee, in Wiesbaden.
00:24:38: Ihr könnt auf jeden Fall den Filmausschnitt im digitalen
00:24:41: Lesesaal des Bundesarchivs im Web anschauen. Vergleichsweise
00:24:45: subtiles Stück Propaganda aber natürlich diente der
00:24:48: Wochenschaubericht, wie alles in dieser Zeit, der NS- und
00:24:51: Kriegsagenda. Die Menschen im Publikum tragen Uniform,
00:24:54: jedenfalls sehr viele, jede Nahaufnahme von ihnen zeigt, es
00:24:58: sind Kriegszeiten. Doch was die Nahaufnahmen eben auch zeigen,
00:25:02: gut gelaunte Gesichter, wohlgenährte Menschen, weiße
00:25:05: Zähne, adrette in Anführungsstrichen,
00:25:07: Frauenzimmer, um
00:25:09: in der Sprache der Zeit das darzustellen. Fröhliche Kinder
00:25:13: mit Tröten, Lachen und Applaus. Ein ausverkauftes Olympiastadion
00:25:17: in Berlin mit dem Meisterschaftsfinale mitten im
00:25:20: Zweiten Weltkrieg, 1944, weil wir es können, so die Botschaft.
00:25:25: Und dessen müssen wir uns natürlich bei allen braun-weißen
00:25:28: Legenden der Kriegs- und Nachkriegszeit bewusst sein.
00:25:30: Also alle, die in dieser Zeit sportlich erfolgreich waren, die
00:25:33: wurden alle auch Teil der Propagandamaschine. Nach allem,
00:25:36: was wir wissen, waren weder Heinz Hempel noch zum Beispiel
00:25:38: Karl Miller glühende
00:25:40: Nazis, aber sie spielten natürlich schon mit, unter
00:25:43: anderem übrigens auch im Propaganda-Kinofilm "Das große
00:25:47: Spiel", 1942 mit viel Aufwand und zum Teil in Farbe gedreht.
00:25:52: Heinz Hempel wurde im Kriegsjahr 1918 geboren und zeigte früh
00:25:56: enormes Talent, ab 1934 beim Dresdner SC, wo auch sein Vater
00:26:00: schon gespielt hatte. Zwar ist seine eigentliche Position
00:26:03: Mittelstürmer dort schon besetzt, doch Heinz Hempel, auch
00:26:07: hier mannschaftsdienlich, lässt sich einfach zum
00:26:11: Verteidiger umschulen. Ein Jahr später gewinnt er mit der
00:26:14: sächsischen Juniorenmeisterschaft seinen
00:26:17: ersten Titel und rückt in die erste Herren auf, mit nur 17
00:26:20: Jahren und dann wurde er einer von sechs Spielern des Dresdner SC,
00:26:24: die an allen Meisterschaftsendrunden von 1939
00:26:27: bis 1944 beteiligt waren und den Titel zweimal auch gewann,
00:26:31: nämlich 1943 und Ihr habt es gerade gehört 1944.
00:26:35: Hinzu kommen zwei Siege im Tschammerpokal, dem
00:26:37: Vorgängerwettbewerb des DFB- Pokals. Beim Dresdner SC, auch
00:26:41: das für die braun-weiße Geschichte nicht ganz unwichtig,
00:26:44: lernte Heinz Hempel dann nämlich auch Karl Miller kennen, jenen
00:26:47: braun-weißen Nationalspieler, der zu Kriegszeiten als
00:26:50: sportliche Ressource heiß begehrt war.
00:26:53: Und seinen Militärdienst zum Teil in Dresden, später dann wieder
00:26:57: in Hamburg, ableistete, damit er spielen konnte. Man schmückte
00:27:00: sich gerne mit ihm, bei Heinz Hempel wird es ähnlich gewesen
00:27:03: sein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Heinz Hempel
00:27:07: dann Teil der legendären Wunderelf des FC St. Pauli, die
00:27:10: nicht nur die Hamburger Stadtmeisterschaft gewann,
00:27:12: sondern ernsthaft um die Deutsche Meisterschaft
00:27:15: mitspielte. 1948 kam er nun gemeinsam in einem Team mit
00:27:18: Miller und Größen wie Harald Stender bis ins Halbfinale der
00:27:21: Deutschen Meisterschaft und schied gegen den FC Nürnberg
00:27:25: unglücklich aus.
00:27:27: Dass so einer ein gutes Standing hatte, als der FC St. Pauli 1952
00:27:30: einen Trainer suchte, das wundert nicht. Mit 33 Jahren
00:27:33: hatte Heinz Hempel seine aktive Karriere als Spieler beendet und
00:27:37: er stand zur Verfügung.
00:27:40: Keine einfache Zeit, die Granden der Wunderelf waren zu Anfang
00:27:43: der 50er-Jahre in die Jahre gekommen und dankten nach und
00:27:47: nach ab. Heinz Hempels erste Saison 1952/53 stand im Zeichen
00:27:51: der Tristesse, so stand es dann auch in der Presse.
00:27:55: Ich zitiere: "Es gab einmal eine Zeit, da verband sich mit dem
00:27:59: Namen St. Pauli nicht nur der Begriff fröhlicher Nächte,
00:28:02: sondern auch die Vorstellung einer großartigen
00:28:05: Oberligamannschaft." So schrieb das 'Hamburger Abendblatt' damals.
00:28:09: Und weiter: "Wer die Niederlage gegen Bremerhaven 93 am
00:28:13: Millerntor gesehen habe, der wird mit einer gewissen
00:28:17: Resignation zugeben, dass die Epoche jener großen
00:28:20: Millerntorelf endgültig vorbei ist."
00:28:24: Ja, keine gute Presse. Heinz Hempel hat sich da durchgetankt,
00:28:28: St. Pauli wurde immerhin Neunter, aber gegenüber den
00:28:32: früheren Ansprüchen war das natürlich ein Abglanz. 1953/54
00:28:36: feierte der FC St. Pauli dann unter demselben Heinz Hempel
00:28:40: berauschende Siege. 4:0 gegen Werder Bremen, 6:0 gegen
00:28:44: Bremerhaven 93, 7:0 gegen Göttingen 05. Klare Siege auch
00:28:48: in beiden Derbys gegen den HSV, 3:0 am Millerntor, 2:0 am Rothenbaum, so hat man
00:28:52: das doch gerne. Nur eine Mannschaft war in dieser Saison
00:28:56: besser als die Boys in Brown und das war Hannover 96, der spätere
00:29:01: Deutsche Meister. St. Pauli wurde Zweiter und hatte nichts davon,
00:29:05: denn 1954 wurde die Meisterschaftsendrunde aufgrund
00:29:09: der Fußballweltmeisterschaft verkürzt. Nur die ersten und als
00:29:13: einziger Vizemeister die Eintracht vom
00:29:16: DFB-Sitz Frankfurt spielten um den Titel. Der FCSP kam in eine
00:29:20: Toto-Vergleichsrunde und fegte andere zu kurz gekommene wie
00:29:24: Pirmasens und Minerva Berlin vom Platz. Pirmasens, Pirmasens
00:29:28: verdammte Axt, da kommt der nächste, die nächste
00:29:33: dann irgendwie wahrscheinlich auch freundliche Ermahnung.
00:29:36: Schönen Gruß genau nach Trittau, FK Pirmasens oder wie war's denn.
00:29:40: Die Klub. Das wird Französisch ausgesprochen.
00:29:44: Pirmasens und das dritte Tor. Die Klub werden die genannt,
00:29:47: die Klub, die Klub, die Klub. Ganz einfach, sollte man da in
00:29:51: der Region nicht so heftig hinterfragen, bestimmte also
00:29:54: jedenfalls schönen Gruß ans große P. Ich traue mich nicht
00:29:58: mehr das auszusprechen, aber Grüße an Pirmasens gehen raus. Eine so
00:30:01: gute Platzierung erreichte der FC St. Pauli unter Heinz Hempel
00:30:05: und in der gesamten Oberliga Nord-Zeit nie wieder. Er spielte
00:30:08: zwar locker mit, doch sein Tabellen-Territorium war das
00:30:12: Niemandsland irgendwo im Mittelfeld.
00:30:15: Wie wurde damals eigentlich trainiert?
00:30:17: Besonderen Wert legte Heinz Hempel auf körperliche und
00:30:20: läuferische Fitness. Keeper Hansi Thoms erzählt im
00:30:23: Zeitzeugeninterview für unser 1910-Archiv darüber: "Damals
00:30:27: unser Trainer war Heinz Hempel und wie gesagt, das war sehr
00:30:31: abwechslungsreich, aber hart.
00:30:34: Wie ich von diesem Lehrgang kam, hatte ich neun Kilo zugenommen. Da
00:30:38: sagte der zu mir, Hansi wie siehst Du aus, sagt er, ich gebe Dir drei
00:30:41: Wochen, sonst hat sich dein Vertrag erledigt. Ich habe
00:30:44: geackert wie ein Pferd, bis ich meine Kilos wieder hatte."
00:30:47: Herbert Kühl, Verteidiger zu einer Zeit, als es Verteidigern
00:30:50: ausdrücklich untersagt war, die Mittellinie zu
00:30:53: überschreiten, erinnert sich in einem Interview, dass er mir
00:30:56: 2008 fürs Jubiläumsbuch des FC St. Pauli gab, an umfangreiche
00:31:00: Laufeinheiten auf dem Heiligengeistfeld. Damals
00:31:02: trainierte man in aller Regel tatsächlich im Stadion, weil
00:31:05: extra Trainingsground hatte man halt nicht. Also O-Ton
00:31:09: Herbert Kühl: "Ich hatte von zehn Jahren St. Pauli
00:31:14: neuneinhalb Jahre
00:31:16: Heinz Hempel als Trainer, der ist ja auch beschrieben, laufen,
00:31:19: laufen war also auch wirklich so. Es war auch wirklich so, wir
00:31:23: mussten also
00:31:25: bei einer Vielzahl der Trainings erst mal zehn Runden um den
00:31:28: Platz laufen. Training war dann wahrscheinlich am späten
00:31:31: Nachmittag, damit dann vorher noch gearbeitet, also 5, 5:30
00:31:34: Uhr, die meisten waren ja berufsbedingt. Ja, also Herbert
00:31:37: Kühl, die Soundqualität... Mit dem Ball haben sie auch was gemacht? Ich glaube
00:31:40: dann irgendwann schon, aber auf jeden Fall die
00:31:42: Laufgeschichte war Hempel wohl sehr, sehr wichtig. Übrigens,
00:31:45: sorry für die Soundqualität, das war damals halt noch so, hatten
00:31:48: wir letztes Mal auch schon, 8 bit Digital-
00:31:51: Aufnahmegerät, aber immerhin die Dateien haben bis heute überlebt
00:31:54: dabei und was
00:31:56: Herbert Kühl noch zu erzählen hatte, fand ich jetzt
00:31:59: auch sehr interessant, weil denn die Strapazen wurden halt durch
00:32:02: eine damals sehr verbreitete Überzeugung nicht erträglicher
00:32:06: und die verfocht auch Heinz Hempel. Zu dieser Zeit, also in
00:32:09: den 50er-Jahren, galt Wasser trinken als leistungsmindernd.
00:32:12: Christopher hat jetzt schon einen halben Liter von unserem
00:32:15: Sponsorenwasser drinne, wundert euch also nicht, wenn er gleich
00:32:18: als dritter drankommt, das wird nicht mehr viel werden. Das war
00:32:21: definitiv leistungshemmend was ich hier gerade gemacht habe.
00:32:25: Absolut, ja. Aber was war dann besser, rauchen?
00:32:28: Unter anderem also eigentlich alles. Man sollte auch kein Eis
00:32:31: essen vorm Spiel, das kann ich ja noch einigermaßen
00:32:33: nachvollziehen, aber aus irgendeinem Grund, als ob das
00:32:36: Trinken quasi dann die Physis verwässern würde. Also man kann
00:32:39: ja auch denken, jetzt mal theoretisch, dass man dann mehr
00:32:42: Gewicht mit sich rumschleppt, dass man so
00:32:46: irgendwie. Bodybuilder schwitzen dann ja auch alles Mögliche aus
00:32:50: und vielleicht war das so ein ähnliches Ethos. Herbert Kühl
00:32:53: erinnert sich jedenfalls genau: "Wir durften während des Spiels kein Wasser trinken.
00:32:58: Auch vorher möglichst wenig und dies war noch in den ersten
00:33:03: zehn Jahren meiner Trainertätigkeit genauso
00:33:09: absolute Lehrmeinung." Das klingt echt nicht gesund. Es ist auch
00:33:12: einfach generell, wenn man Sport treibt. Vorher darfst du kein
00:33:15: Wasser trinken, nachher eigentlich auch nicht,
00:33:17: eigentlich gar nicht. Ich krieg schon beim Zuhören
00:33:20: echt Kopfschmerzen. Erstmal Wasser aufmachen. Trink erst mal
00:33:22: schönen Espresso, vielleicht danach zur Abkühlung. Wirklich
00:33:25: trockene Zeiten, also Kühl hatte ja selber dann auch
00:33:28: Trainererfahrung und hat das auch erzählt mit dem
00:33:31: Blick von einem, der natürlich weiß, wie absurd das war.
00:33:35: Aber so war es halt, damals dachten das alle, die Spieler
00:33:39: hatten auch keine bessere Quelle und also wurde schön
00:33:42: geschwitzt, aber nix nachgekippt. Wenn der Trainer
00:33:44: das sagt, stimmt das, Punkt. Wahrscheinlich waren die Spieler
00:33:48: dann tatsächlich leichter, wenn sie dann zum Spiel antraten. Wie
00:33:51: es in Sachen Taktik lief, dazu gibt es unterschiedliche
00:33:54: Aussagen. Ex-Spieler Uwe Stothfang sieht gewisse Defizite.
00:33:58: "In heutigem Wissen hat er uns nichts beigebracht. Heute weiß
00:34:02: ich mehr. Ich bin selbst Trainer gewesen und so, er hat niemals
00:34:07: gesagt, Uwe hier, du musst so spielen oder Ingo, du musst so
00:34:11: spielen, oder.
00:34:13: Kannten wir nicht von ihm Kumpeltyp." Ja schön, dass er mit
00:34:16: Ingo so ein Kumpel war, aber es ist auch elf Jahre dafür, dass er
00:34:19: ihm nichts beigebracht hat, auch steil. Ja, also ich bin mir auch
00:34:23: nicht ganz sicher, ob es wirklich so ganz ansagelos
00:34:25: geblieben ist. Dann wären sie ja wirklich nur gelaufen und
00:34:28: hätten dann vielleicht noch ein kleines Testspielchen gemacht
00:34:32: und dann wäre es schon wieder vorbei gewesen. Aber die Tabelle
00:34:35: lügt ja auch nicht. Naja, aber er hat ja durchaus auch Spieler so
00:34:38: weit gebracht, dass sie da nach Hempel richtig zu
00:34:41: Leistungsträgern auch wurden oder schon auch während seiner
00:34:44: Trainerzeit
00:34:44: Leistungsträger geworden sind. Eben genau dieser Ingo Porges
00:34:47: kam ja sehr jung dann in die Mannschaft, der wurde dann auch
00:34:50: Nationalspieler, war zwar nur eins, aber immerhin und war
00:34:52: Mannschaftskapitän. Rolf Bergeest, Oschi Osterhoff und so weiter,
00:34:55: die haben alle bei Hempel angefangen und zumindest das
00:34:57: Fußballspielen sagen wir mal nicht
00:34:59: verlernt. Insofern Hansi Thoms, der Keeper hat da auch ne etwas
00:35:03: andere Meinung als Uwe Stothfang: "Mein bester Trainer war Heinz
00:35:08: Hempel und Jockel Krause.
00:35:10: Das waren meine besten Trainer, erstens menschlich gesehen top
00:35:15: und die haben einem auch was beigebracht. Auch taktisch waren
00:35:19: die sehr
00:35:20: versiert." Ah ja, das geht also stark auseinander. Ja, was denn
00:35:23: nun Hansi? Vielleicht haben ja auch einige
00:35:26: Spieler das einfach nicht verstanden, was der Trainer ihnen
00:35:29: beibringen wollte. Weil sie zu
00:35:32: dehydriert waren. Ja genau. Ja, in der Tat, also fürs Gedächtnis
00:35:35: ist es glaube ich totale Dehydrierung auch überhaupt
00:35:37: nicht gut, da bleibt also auch für die Forschung noch ein
00:35:40: bisschen was zu tun und für Folge Zwei des Trainerkarussells,
00:35:43: das Thema ist ja eigentlich auch sehr ergiebig, wenn wir dann
00:35:46: Neues zu Heinz Hempel haben oder wenn Ihr etwas Neues zu Heinz
00:35:49: Hempel habt, lasst es uns gerne wissen. Zum Beispiel die geheime
00:35:52: Taktiktafel von Hempels Heinz, das wäre wirklich sehr gut zu
00:35:55: wissen, denn sowas gibt es von ihm nicht, von seinem
00:35:57: Nachfolger tatsächlich ist das so, der hat behauptet, er sei
00:36:00: sehr analytisch gewesen und da gibt es dann auch tatsächlich,
00:36:03: der hat uns damals fürs Jubiläumsbuch schon Skizzen und
00:36:06: was alles überlassen, kann das also glaubhaft nachweisen.
00:36:09: Jedenfalls eine Sache ist auf jeden Fall sicher. Das hat auch
00:36:13: keiner bestritten, Meister hin oder her. Heinz Hempel stellte
00:36:16: sich bedingungslos in den Dienst des FC St. Pauli und kannte
00:36:19: keine Starallüren.
00:36:21: Klaglos übernahm er sogar Zeugwartfunktion, das heißt
00:36:24: also, er hängte Hemden auf, stellte Fußballstiefel hin. Dann
00:36:27: und wann putzte er die auch, also da war er sich wirklich für
00:36:31: nichts zu schade und auch der Kontakt zum Präsidium gehörte zu
00:36:35: Heinz Hempels Aufgaben.
00:36:36: Das ist ja dieses Multifaktorelle, das ist ja
00:36:38: schon was wir ja schon bei Eugen Igel hatten, so Leute müssen mal
00:36:41: alles machen.
00:36:43: Warum nicht auch Zeugwart? Das war damals alles noch nicht so
00:36:46: geregelt und ja, anscheinend gab es dann durchaus mal dreckige
00:36:49: Fußballstiefel, die noch zu regeln waren.
00:36:52: Und dann eben auch die Vereinsführung. Ingo Porges, den
00:36:56: ich eben schon erwähnte, der 1956 zur Mannschaft gestoßen
00:37:00: war, der erzählte es so, dass am Montagabend immer Präsident
00:37:04: Wilhelm Koch kam, um das Spiel zu resümieren.
00:37:07: "Und wenn wir verloren hatten", so Ingo Porges, "dann war das ein
00:37:10: Canossa-Gang. Ich hörte dann immer "Heinz Hempel" und dann
00:37:13: musste Heinz Hempel zum Rapport, ich hab
00:37:17: ihn richtig bemitleidet, wenn er die Leviten gelesen bekam."
00:37:21: So läuft das in der Kabine. So ungefähr war das. Und da auch
00:37:25: Wilhelm Koch traditionell immer gerne noch ein Herrengedeck dazu
00:37:29: nahm oder so ähnlich, so war es doch. Doornkaat. Also er hatte also auf
00:37:32: jeden Fall ein festes Getränkeregime, was dann
00:37:36: zu reichen war, war seinerseits der rhetorische Schwung quasi
00:37:40: garantiert.
00:37:42: Aber eben trotz der präsidialen Kritik, Hempel blieb Jahr
00:37:46: für Jahr. Anfang der 60er-Jahre zeigten sich allerdings dann
00:37:49: gewisse Abnutzungserscheinungen auch in der Beziehung zur
00:37:53: Vereinsspitze. Am 24. März 1963 beispielsweise, es war die
00:37:56: letzte Saison vor der Bundesliga- Gründung, da verlor der FC St.
00:38:00: Pauli gegen den VfV Hildesheim 1:2. Klingt erstmal nicht so
00:38:04: schlimm, aber das Spiel war offenbar noch wesentlich
00:38:07: schlimmer als es das Ergebnis ahnen lässt.
00:38:11: "Eine trostlose Partie von uns", rügte der Spielbericht in der
00:38:14: Vereinszeitung, erstmals seit langer Zeit nicht mit dem Namen
00:38:17: des Trainers unterzeichnet, denn auch die Spielberichte schrieb
00:38:20: sonst Heinz Hempel, genau. "Einfach unverständlich unsere
00:38:23: Mannschaft", und dann noch hinzugefügte als Hinweis in
00:38:27: Klammern "unverständlich, enttäuschend, unglückliche
00:38:29: Aufstellung, die Redaktion".
00:38:33: Spontan-Entmachtung. Klingt tatsächlich so. Das 'Hamburger
00:38:37: Abendblatt' deutete tatsächlich dann in deren Bericht an, dass
00:38:41: eben diese Aufstellung nicht unbedingt auf den Trainer
00:38:44: zurückging. So stand das da. "Hempel ist nicht der Mann, der
00:38:47: Verteidiger Deininger auf den rechten Flügel stellte und den
00:38:51: Linkser Gieseler als rechten Verteidiger versuchte", offenbar
00:38:54: sei es zu Einflussnahmen verdienter Spieler früherer
00:38:57: Jahre gekommen. Da sind sie wieder. Die Kabinenintrigen,
00:39:00: genau. Ja, wer auch immer das gewesen ist. Ob das jetzt
00:39:04: tatsächlich Millers Karl, der damals glaube ich auch noch durchaus
00:39:07: lebte. Das war bestimmt Henner Appel.
00:39:08: Henner Appel, genau kann sein. Genau die Spieler waren
00:39:12: dann ja so ne Art von Beratergremium, die irgendwo
00:39:15: zwischen Mannschaft und Vereinsführung rumgeisterte.
00:39:18: Also das kann schon gut sein. Und vermutlich war es dann eben
00:39:21: auch wirklich so, dass man nun elf Jahre hinter sich hatte, dass
00:39:25: man halt leider nicht wieder in Aufstiegsrunden dann oder
00:39:28: Meisterschaftsendrunden gekommen war, das war damals ja noch so
00:39:31: und dass man jetzt dann auch noch extra nervös war, weil
00:39:35: jetzt war ja nun die Bundesliga gegründet, da wollte man
00:39:38: eigentlich nochmal eine richtig tolle Platzierung erreichen.
00:39:42: Weil man ja immer noch ein bisschen hoffte, vielleicht
00:39:45: mitmachen zu dürfen. Die Hoffnungen waren, wie man heute
00:39:48: weiß, komplett unbegründet, wir hätten vermutlich selbst als
00:39:52: unangefochtener Erster mit irgendwie 300 Punkten Vorsprung
00:39:55: und ebenso vielen Toren nicht teilnehmen dürfen, weil der HSV
00:39:58: quasi gesetzt war, ja.
00:40:01: So sehen tatsächlich Demontagen aus. Und tatsächlich,
00:40:05: im selben Monat, also auch im März 1963, gab der Verein
00:40:08: bekannt, dass Hempels Vertrag nicht
00:40:11: verlängert werden sollte. Er wechselte dann ausgerechnet zum
00:40:15: VfV Hildesheim.
00:40:18: Hempels braun-weiße Zeit war damit allerdings noch nicht ganz
00:40:22: zu Ende, als es unter Kurt Krause 1967 sportlich schlecht
00:40:25: lief, kam es zur ersten vorzeitigen Trainerentlassung
00:40:28: der Vereinsgeschichte, unter anderem wohl auch deshalb, weil
00:40:32: Krause zu große Nähe zum Kiez vorgeworfen wurde, etwa durch
00:40:36: gemeinsame Kartenrunden und den ein oder anderen Umtrunk mit
00:40:39: Kiezgrößen. "Es wurde geredet", so ein Spieler, das wäre mit Heinz
00:40:43: Hempel nicht passiert, und deshalb kam Heinz Hempel dann
00:40:47: tatsächlich noch einmal zurück für eine kurze Zeit. Auch
00:40:50: kreativ dann. Ja in der Tat, genau er war dann so der
00:40:53: Notnagel, der in so einer Situation als grundsolider Typ
00:40:57: gerade recht kam.
00:40:58: Bis Ende der Saison 1967/68 stieg die Wunderelf-Legende
00:41:01: wieder ein, die zwischenzeitlich die Amateurmannschaft des FC
00:41:04: St. Pauli trainiert hatte. Sagt uns auch, beim VfV lief es
00:41:08: dann wohl auch nicht so toll, war jedenfalls relativ kurz.
00:41:12: Auf eigenen Wunsch wohl auch von Hempel war die Sache nur
00:41:15: zeitlich begrenzt. Immerhin erreichte der FC St. Pauli
00:41:18: unter Hempel dann noch mal einen achtbaren Platz 4. Vielleicht
00:41:22: auch deshalb, weil Heinz Hempel erfolgreich den Mannschaftsgeist
00:41:25: wiederbelebt hatte.
00:41:27: Klaus Christensen, damals Keeper, also zu Hempels zweiter
00:41:30: Amtszeit, erinnert sich: "Heinz Hempel, war einer, der wollte
00:41:33: wieder Stimmung in die Mannschaft bringen. Der hat dann
00:41:36: nach dem Training, möglichst alle dableiben, Skat spielen,
00:41:39: Klabbern oder knobeln oder sowas."
00:41:42: Klabbern oder Klabberjas, kann einer hier die Regeln? Nee,
00:41:45: ich weiß nur, dass das viele früher gespielt haben, das ist
00:41:48: irgendein Kartenspiel so, aber mehr weiß ich auch nicht, glaub
00:41:51: ich jedenfalls. Ich weiß nicht mal, was knobeln ist.
00:41:54: Das ist irgendwas. Das wird sowas wie Kniffel sein mit
00:41:57: Würfeln. Also mit Würfeln auf jeden Fall ja, aber man kann auch
00:42:00: Karten natürlich werfen, aber das ist irgendwie, das Feeling
00:42:04: ist nicht dasselbe sowas wie Schafkopf vielleicht also auch
00:42:07: hier, Kenner antiker
00:42:09: Karten- und Würfelspiele gerne mal melden.
00:42:13: Klabberjas, vielleicht erklärt es demnächst als
00:42:15: Studiogast bei uns. Den Unterschied zwischen Heinz
00:42:18: Hempels Interimstrainerschaft und dem nachfolgenden Regime des
00:42:21: als sehr analytisch geltenden Erwin Türk
00:42:24: beschreibt Klaus Christensen dann so: "Wenn wir trainiert
00:42:27: haben. Bei Hempel sind wir hochgegangen, wir sind ja noch
00:42:30: im alten Clubheim da gewesen, sind oben an den Tresen gegangen,
00:42:34: haben erstmal ein Bier getrunken und dann haben wir uns in den
00:42:37: Raum unten, wo Besprechung war und sowas, gesetzt. Bei Türk war
00:42:41: das absolut verboten." Ja, kein After-Trainingsbier bei
00:42:44: Erwin, der Spitzname Ata Türk, ja dieser Türk übrigens, das war
00:42:48: so vor Beginn der Saison 68/69 hatte der FC St. Pauli die dann
00:42:52: vakante Trainerstelle öffentlich ausgeschrieben, es begann eine
00:42:55: Zeit der akribischen Trainingspläne und
00:42:58: Spezialeinheiten zu Themen wie Tempospiel der Mannschaft und der letzte
00:43:02: Ausläufer der Wunderelf-Zeit war damit endgültig vorbei.
00:43:06: Dafür durften sie wieder Wasser trinken. Wir haben noch ein Los,
00:43:11: überraschenderweise steht... Celina noch einmal. Nein. Du kannst. Es war ein
00:43:14: verregneter Montag im November, Moment entschuldige.
00:43:18: Christopher steht tatsächlich drauf. Ja, sehr gut, ich habe
00:43:22: mir nämlich
00:43:25: fast die identische Zeit wie Christoph ausgewählt. Verrückt.
00:43:29: Jetzt geht es los. Heinz Hempel. jetzt hören wir die andere Seite
00:43:33: von Heinz Hempel. Ihr werdet es nicht glauben, aber auch Heinz
00:43:37: Hempel spielt eine kleine Nebenrolle in diesem Stück, was
00:43:41: ich nenne "Ein Mann mit Herz oder NS-Aufarbeitung made in St.
00:43:45: Pauli". Das ist aber auch so ein bisschen Dein Thema.
00:43:50: Heinz Hempel? Nazis. Nazis, ja. Wenn ein ehemaliger
00:43:53: deutscher Nationalspieler bei St. Pauli Trainer wird, dann
00:43:57: kann man sich sicher sein, dass die Aufregung grenzenlos ist.
00:44:01: Und ich rede nicht von Michael Frontzeck, sondern von einem Mann
00:44:05: namens Walter Risse.
00:44:08: Im April 1950 gelang dem FC St. Pauli-Präsident Wilhelm Koch ein
00:44:11: waschechter Coup. Er verpflichtete die HSV-Ikone und
00:44:14: ehemaligen deutschen Nationalspieler Walter Risse als
00:44:17: Nachfolger des Wunderelf- Trainers Fred Harthaus.
00:44:20: Die Wunderelf war in die Jahre gekommen und benötigte dringend
00:44:23: frischen Wind und neue Ideen.
00:44:25: Walter Risse wiederum war in Hamburg ein anerkannter
00:44:28: Fußballexperte, Teil des Hamburger Fußball-Adels und auch
00:44:30: ein echter,
00:44:32: Zitat, "Mann mit Herz", wie es das 'Hamburger Tageblatt' einst beschrieb,
00:44:35: aber dazu komme ich gleich noch.
00:44:39: Der gebürtige Düsseldorfer wechselte 1924 zum Hamburger SV,
00:44:42: wo er in neun Jahren sechsmal Norddeutscher Meister wurde und
00:44:45: einmal Deutscher Meister, und zwar 1928 und zusammen mit
00:44:49: Spielern wie Ali Beier und Tull Harder die Liga in ihre
00:44:52: Einzelteile zerlegte.
00:44:54: Bereits als Spieler übernahm Risse erste Trainertätigkeiten.
00:44:57: Er coachte unter anderem sowohl den SV Polizei Hamburg, SV
00:45:01: Polizei Lübeck und führte den Eimsbütteler TV zwischen 1940
00:45:05: und 1942 dreimal hintereinander in die Endrunde um die Deutsche
00:45:08: Meisterschaft.
00:45:10: Das Abendblatt wählte Risse 1999 unter die 100 besten
00:45:14: Hamburger Fußballer des 20. Jahrhunderts.
00:45:18: Weniger schön war Walter Risses Abgang beim Hamburger SV
00:45:21: 1933, er war an einem Komplott gegen den damaligen Präsidenten
00:45:24: Emil Martens beteiligt. Es ging um schwarze Kassen und illegale
00:45:28: Zahlungen von Martens an Spieler, was damals verboten
00:45:31: war,
00:45:32: in Anführungszeichen, "Berufsspielertum".
00:45:35: Mitarbeiter von Martens sollen Risse damals belastendes
00:45:39: Material weitergeleitet haben. Risse wollte sich an Martens
00:45:42: rächen, da ihm ein mit 1.000 Mark honoriertes Abschiedsspiel
00:45:46: verweigert wurde. Die Causa stürzte den HSV Anfang der 30er-
00:45:49: Jahre in eine seiner ersten großen Krisen, das ist aber eine
00:45:53: andere Geschichte, in die ich mich jetzt nicht weiter rein
00:45:57: begeben möchte. Vielleicht müssen wir echt mal eine
00:46:00: Rautenfolge machen, so die schmutzige Wäsche. Da gibt es
00:46:03: genug vom Rothenbaum bis zum Volkspark, die
00:46:07: HSV-Story. Schmutzige Rothosen. Erstmal sollten wir unsere
00:46:10: eigenen schmutzigen Braunhosen waschen, glaube ich. Da sieht
00:46:13: man das ja nicht so drauf. Clevere Farben. Guter, guter
00:46:16: Punkt, Thomas. Fange ich jetzt nämlich mit an, Risse
00:46:19: gehörte trotz dieser Causa beim HSV zu den Ehrengästen bei Tull
00:46:23: Harders 50. Geburtstag im November 1942, dem landesweit
00:46:26: bekannten HSV-Stürmer, der später als Kriegsverbrecher
00:46:29: verurteilt werden sollte. Neben Walter Risse gaben sich an
00:46:32: diesem Tag auch Ehrengäste wie die Altona 93-Legende Adolf Jäger
00:46:36: oder Rudolf Querner die Klinke in die Hand. Querner
00:46:39: sagt Euch vielleicht auf das erste Hören nichts. Dann erklär ich es
00:46:43: Euch. Querner war zu diesem Zeitpunkt Polizeigeneral
00:46:46: Hamburgs, Obergruppenführer und General der Waffen-SS. Querner
00:46:49: war maßgeblich für die Deportation der Hamburger Juden
00:46:52: ab Oktober '41 verantwortlich.
00:46:55: Die Nähe zu ranghohen Nationalsozialisten schien die
00:46:58: Hamburger Fußball-Elite nicht sonderlich zu stören. Vielleicht
00:47:02: auch im Gegenteil. Das 'Hamburger Tageblatt' widmete Walter Risse
00:47:06: im Oktober '33 eine ganzseitige Lobhudelei, ich zitiere: "Walter
00:47:09: Risse, ein Mann mit Herz. Es gibt im Boxjargon einen hübschen
00:47:13: Ausdruck, man sagt da von einem Mann, der Mut hat und zu kämpfen
00:47:17: versteht, er hat Herz. Im Tischtennis oder beim Knobeln
00:47:20: würde er keinen rechten Sinn haben, es muss schon ein harter
00:47:23: männlicher Sport sein, der solche Redewendungen in seinem
00:47:27: Wortschatz führt.
00:47:29: Warum nicht also im Fußballsport, diesem herrlichen
00:47:32: Kampfspiel, wenn man von einem Sportsmann dieser Kategorie
00:47:36: sagen kann, er habe Herz, dann von Walter Risse."
00:47:40: Klasse, das sind ja schöne Worte für Walter Risse und noch
00:47:43: großartiger in diesem Artikel ist, dass Walter Risse auch ein
00:47:47: Lebensretter war eines HSV- Mitspielers wie uns der Artikel
00:47:50: jetzt auch weiter verrät. "Vor einigen Tagen hat Walter Risse
00:47:53: seinen Vereinskameraden Kreitlow unter eigener Lebensgefahr vorm
00:47:57: Tode des Ertrinkens gerettet und genauso selbstverständlich", und
00:48:00: jetzt wird ein schöner Bogen geschlagen, "und genauso
00:48:03: selbstverständlich wie er hier half, so zog er 1914, als er sein
00:48:06: Vaterland bedroht sah, den Feldgrauen Rock an", schön.
00:48:10: "Heute trägt er, wie sollte es anders sein", wir sind im Oktober
00:48:14: 33, "heute trägt er, wie sollte es anders sein, seit Jahr und
00:48:17: Tag Adolf Hitlers Ehrenkleid. So rundet sich sein Bild ab, das Bild
00:48:20: eines Mannes mit Herz."
00:48:23: Ja, der Mann mit einem Herzen so groß, dass auch Adolf Hitler
00:48:27: darin Platz fand, war nun also im Jahr 1950 der Trainer des FC
00:48:30: St. Pauli geworden. Das freut uns doch. "Eine große Familie".
00:48:34: So beschrieb die Vereinszeitung des FC St. Pauli die
00:48:38: Jahreshauptversammlung am 19. Juni 1951. Der Artikel beglückte
00:48:41: die Leserschaft mit folgenden Worten:
00:48:44: "Diese Jahreshauptversammlung war die Verkörperung einer großen
00:48:48: Familie, einer Sportgemeinschaft, die uns an
00:48:50: die Zeit vor 30 Jahren erinnerte.
00:48:53: Sie wurde getragen von dem Gefühl der Zusammengehörigkeit,
00:48:56: des unerschütterlichen Vertrauens zu unserem FC, der in
00:48:58: über vierzigjährigem Bestehen ohne nach links oder rechts zu
00:49:02: sehen, nur den geraden Weg gegangen ist, der zur
00:49:04: körperlichen Ertüchtigung und zur Kameradschaft führt."
00:49:08: Ja, smells like 1933, es war aber 1951 und ja, weder links noch
00:49:12: rechts, sondern geradeaus ging es dann auch in den Schwarzwald.
00:49:16: Ein paar Tage nach dieser Jahreshauptversammlung im Juni
00:49:20: '51, denn auf den folgenden Seiten
00:49:22: dieser selben Ausgabe der Vereinszeitung wusste Trainer
00:49:25: Risse von einer besonderen Fahrt der ersten Herren zu berichten.
00:49:28: Schnallt euch an, es geht in den Schwarzwald. Schön. Zitat: "Am
00:49:32: Freitag, dem 22. Juni 1951 macht sich die kleine Expedition unter
00:49:37: Leitung von Otto Kalckbrenner", damals Vorstand des FC St.
00:49:40: Pauli, "nach Meinung der Ligamannschaft Deutschlands
00:49:44: größter Reisemarschall", Höhöhöhöhö Walter Risse ist zu
00:49:47: Scherzen aufgelegt, "auf die Reise nach dem Süden in die Ausläufer
00:49:51: des Schwarzwaldes, um dort einige Urlaubstage zu verleben.
00:49:55: Um die Angelegenheit etwas spannender zu machen, schlossen
00:49:59: wir drei Spiele gegen leichte Gegner ab, später wurden es aber
00:50:03: sechs."
00:50:04: Ja, also sechs Spiele in acht Tagen für das braun-weiße Urlaubsteam. An
00:50:07: dieser Reise nahmen teil bekannte Ligaspieler wie zum
00:50:10: Beispiel der Torhüter Harry Wunstorf, Harald Stender, Josef
00:50:14: genannt Jupp Famula oder der spätere FCSP-Trainer Heinz
00:50:17: Hempel. Wir haben gerade von ihm gehört. Der Tross wurde
00:50:20: begleitet vom erwähnten Otto Kalckbrenner, Masseur Herbert
00:50:24: Hauptvogel und dem Trainer und Autor dieses Reiseberichts
00:50:27: Walter Risse. Los ging die Testspielreise mit einem 8:1 Sieg
00:50:30: gegen das unterklassige
00:50:32: Schwenningen. Nach einem freien Tag und einer
00:50:35: Besichtigung der Efka- Zigarettenwerke gewann man dann
00:50:38: gegen...
00:50:41: Wenn man schon mal da ist, wenn man schon mal da ist. Genau,
00:50:43: gewann man dann auch noch gegen die Spielvereinigung Trossingen
00:50:45: mit 4:0.
00:50:46: Die goldenen Zeiten, als Sportmannschaften noch durch
00:50:49: Zigarettenwerke geführt wurde. Gucken Sie sich das an, aber trinken
00:50:52: Sie bitte kein Wasser.
00:50:55: Ja, und am Folgetag hieß es dann laut Risse "Frühstück,
00:50:58: Stiefelkontrolle, Spaziergang".
00:51:00: Ist ok. Am 27. Juni 1951, dem dritten Reisetag, ging es in die
00:51:04: Schweiz nach Schaffhausen zum ersten Auslandsaufenthalt des FC
00:51:08: St. Pauli nach dem Krieg und Walter Risse und Reiseleiter
00:51:11: Otto Kalckbrenner hatten sich einen ganz besonderen Gast in
00:51:15: die Reisegruppe eingeladen. Risse berichtet: "Abfahrt nach
00:51:18: Schaffhausen, Grenzkontrolle in Konstanz. Unterwegs machten wir
00:51:22: kurzen Halt in Engen um den in Deutschland wohlbekannten Herrn
00:51:26: Graf aufzunehmen. Er ist den Hamburgern aus dem Spiel des
00:51:29: Luftwaffensportvereins Hamburg gegen die "Roten Jäger", bei denen
00:51:33: Herr Graf im Tor stand, noch in bester Erinnerung, Wir lernten
00:51:36: ihn als interessanten Plauderer und lieben Menschen kennen."
00:51:41: Ja, der Mann mit Herz, Walther Risse, lobt den wohlbekannten
00:51:45: und lieben Herrn Graf. Welcher Herr Graf wurde also da in Engen
00:51:49: in die Reisegruppe des FC St. Pauli 1951 aufgenommen?
00:51:53: Hermann Graf war erst vor einiger Zeit aus sowjetischer
00:51:56: Kriegsgefangenschaft wieder in seine Heimatstadt Engen in
00:51:59: Süddeutschland zurückgekehrt. Er war Oberstleutnant und
00:52:02: Jagdflieger der deutschen Luftwaffe, Träger des Eisernen
00:52:05: Kreuzes, des Deutschen Kreuzes in Gold sowie des Ritterkreuzes
00:52:09: mit Brillanten, ausgezeichnet für den Abschuss von 212
00:52:12: feindlichen Flugzeugen im Zweiten Weltkrieg, eine Ehrung,
00:52:15: die nur fünf Wehrmachtsoldaten jemals erlangten. Graf wurde für
00:52:18: seine Kriegserfolge in Nazi- Deutschland wie ein Popstar
00:52:21: gefeiert, ging auf große Vortragstournee und lieferte
00:52:23: somit wichtiges Material für die Nazi-Kriegspropaganda.
00:52:28: Graf war auch ein begeisterter Fußballspieler und gründete eine in
00:52:31: Nazi-Deutschland populäre Armee- Fußballmannschaft namens die
00:52:34: "Roten Jäger". Für diese wurden bekannte Spieler wie zum
00:52:37: Beispiel Fritz Walter oft auf Empfehlung des späteren
00:52:39: Bundestrainers Sepp Herberger abkommandiert und traten
00:52:42: überregional zu Spielen an. Herberger pflegte eine enge
00:52:45: Freundschaft zu Hermann Graf.
00:52:47: Die Freude des Wiedersehens bei der Reisegruppe des FC St.
00:52:50: Pauli war groß, denn zum Beispiel Spieler Jupp Famula
00:52:53: war ebenfalls mal für die "Roten Jäger" aktiv.
00:52:57: Ja, und Walter Risse selbst kannte sich mit militärisch
00:53:00: geprägten Fußballspielen offenbar selbst bestens aus.
00:53:03: Denn, so berichtete das 'Hamburger Fremdenblatt' am 23.
00:53:06: September 1933: "Im Gesellschaftsspiel stehen sich
00:53:08: gegenüber um 11:00 Uhr in Billstedt die Mannschaft von
00:53:12: Vorwärts Billstedt gegen eine Mannschaft der SA-Standarte, bei
00:53:15: denen der bekannte Walter Risse mitwirkt." Walter Risse bei einer
00:53:19: Fußballmannschaft der SA- Standarte? Gar nicht so
00:53:22: verwunderlich, trat Walter Risse doch bereits im Februar '33 in
00:53:25: die SA ein.
00:53:26: Im April 1933 folgte der Eintritt in die NSDAP. Im Buch
00:53:29: "Die Raute unterm Hakenkreuz" weiß man zu berichten, dass Risse
00:53:33: nach dem Krieg angab, nur aus sportlichen Gründen in der SA
00:53:36: gewesen zu sein, um seinen Sportlehrer zu machen.
00:53:38: Natürlich, deswegen ist er. Das ist wie den Playboy wegen den Artikeln abonnieren.
00:53:43: Ja, die sind ja auch immer gut. Ja, die SA wiederum
00:53:46: bescheinigte ihm aber in ihrer Akte, ein "guter Nationalsozialist"
00:53:50: zu sein. 1948 wurde Risse dann im Rahmen der Entnazifizierung in
00:53:53: der Kategorie "Mitläufer" eingestuft, zwei Jahre vor
00:53:56: Dienstantritt beim FC St. Pauli.
00:53:59: Gehen wir mal weiter im Reisebericht:
00:54:05: "Schon aus einiger Entfernung sahen wir den Rheinfall, ein
00:54:08: Wunderwerk der Natur. Wir hatten nicht viel Zeit, deshalb schnell
00:54:11: ein paar Karten schreiben, eine Tasse Tee trinken, dann weiter
00:54:14: zum Platz in Schaffhausen, wunderbar." In Schaffhausen traf
00:54:17: man auf ein gemischtes Schweizer Team, das sich hauptsächlich aus
00:54:21: Spielern von Grasshoppers Zürich zusammensetzte, angeführt vom
00:54:24: ehemaligen deutschen Nationalspieler Edmund Conen.
00:54:27: Edmund Conen galt in den 30er- Jahren als bester Stürmer
00:54:30: Deutschlands. Conen war von der Spielstärke der Hamburger so
00:54:33: begeistert, dass er sie für das kommende Jahr bereits wieder
00:54:36: nach Zürich einlud. Am Abend fuhr
00:54:38: die Reisegruppe zurück nach Deutschland. Hermann Graf verließ
00:54:40: die Gruppe in Singen, obwohl er laut Risse "gerne noch bei uns
00:54:43: geblieben wär."
00:54:45: Am 29. Juni ging es nach Freiburg, auch hier wusste Risse wieder
00:54:49: von einem ganz besonderen Gast zu berichten: "14:00 Uhr Abfahrt
00:54:52: nach Freiburg, Ankunft 17:30 Uhr, kurzer Aufenthalt im Café Fuchs,
00:54:56: wo wir uns unter anderem mit keinem Geringeren als Herrn Dr.
00:54:59: Laven begrüßen konnten. Bei einer Tasse Kaffee gab es viel
00:55:02: zu erzählen aus vergangenen Zeiten." Ja und über welche
00:55:05: vergangenen Zeiten wurde da wohl geschwelgt? Paul Laven war der
00:55:09: Pionier der Rundfunkreportage, er kommentierte die erste Live-
00:55:12: Übertragung einer Deutschen Fußballmeisterschaft im Juni 1926,
00:55:16: berichtete von den Olympischen Spielen 1936 und von etlichen
00:55:19: Länderspielen der Nationalmannschaft und vom
00:55:21: Autosport. Er galt als brillanter Rhetoriker und war
00:55:24: die Stimme der Weimarer Republik. Von 1933 bis 1935 wurde
00:55:27: Laven recht häufig auch zu Staatsfeiern oder
00:55:30: Veranstaltungen der NSDAP herangezogen, etwa beim
00:55:33: Reichsparteitag in Nürnberg 1933. 1939 war Laven
00:55:36: Kriegsberichterstatter bei der Propaganda-Ersatzabteilung in
00:55:39: Potsdam. In dieser Eigenschaft berichtet er unter anderem von
00:55:43: der Abnahme der Siegesparade durch Adolf Hitler in Warschau.
00:55:48: Ja, also ein illustrer Zirkel an NS-Prominenz, die beim FC St.
00:55:52: Pauli im Sommer 1951 da auf ihrer Schwarzwaldreise als Gast
00:55:55: zugestoßen ist.
00:55:57: Ja, und der Vollständigkeit halber folgten im Bericht noch
00:56:01: Siege gegen den Freiburger FC und Darmstadt 98, ehe Walter
00:56:05: Risse zum Schluss kam: "Alles in allem eine schöne Reise."
00:56:09: Walter Risse verließ den FC St. Pauli 1952. Seine letzte
00:56:12: Trainerstation war der VfL Wolfsburg, er starb 1969 in
00:56:16: Hamburg.
00:56:18: Und der FC St. Pauli und seine Rolle im Nationalsozialismus? Die Akte
00:56:22: ist noch lange nicht geschlossen.
00:56:25: Nee, nee, das sicher nicht. Da wird auch noch ne ganze Menge
00:56:28: herausgefunden, auch durch die Forschung, die Ihr hier ja
00:56:32: eben auch gerade sehr viel macht. Alsdann, Ihr habt bis jetzt
00:56:35: durchgehalten, wir freuen uns sehr. Es gibt glaube ich auch an
00:56:38: dieser Stelle nichts mehr zu sagen, außer kommt
00:56:42: ins Museum, unterstützt das Museum, man kann spenden, man
00:56:45: kann Mitglied werden und so weiter.
00:56:48: Und uns Eure Schätze aus den Dachböden und Kellern dieser
00:56:54: Welt zeigen.
00:56:56: Wasser trinken ist gesund. Stay hydrated, bis zum nächsten Mal.
00:57:02: Tschüss, Tschüss. Genau so machen wir das. Prost und
00:57:03: Tschüss.
00:57:06:
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